Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 09.01.2002

SozG Gelsenkirchen: verschlechterung des gesundheitszustandes, ablauf des verfahrens, arbeitsunfähigkeit, krankengeld, krankenkasse, urlaub, psychiatrie, gefahr, neurologie, krankenversicherung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 28 (17,24) KR 213/99
09.01.2002
Sozialgericht Gelsenkirchen
28. Kammer
Urteil
S 28 (17,24) KR 213/99
Krankenversicherung
rechtskräftig
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über das Ruhen des Krankengeldanspruches während eines
Auslandsaufenthaltes der Klägerin in der Zeit vom 00.00.1999 bis 00.00.1999.
Die 0000 geborene Klägerin war zur fraglichen Zeit in einem Kindergarten als
Ergänzungskraft beschäftigt. Parallel führte sie ihr Studium der Sozialpädagogik weiter,
was sie am 00.00.1999 erfolgreich abschloss. Seitdem arbeitet sie in ihrem Beruf.
Die Klägerin war seit dem 00.00.1999 wegen eines psychovegetativen
Erschöpfungssyndroms arbeitsunfähig und bezog seit dem 01.03.1999 Krankengeld von
der Beklagten in Höhe von kalendertäglich 00,00 DM.
Sie wurde wegen der nach einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz entstandenen mit
Herzbeschwerden, Schlafstörungen, Durchfällen und Depressionen einhergehenden
Erkrankung durch den Diplom-Psychologen M, C, zunächst zweimal wöchentlich, danach
einmal wöchentlich, später einmal 14-tägig therapiert. Ab dem 00.00.1998 begann der
Versuch einer stufenweisen Wiedereingliederung in das Arbeitsleben mit täglicher
Arbeitszeit von zwei Stunden. Dieser wurde wegen Verschlechterung des
Gesundheitszustandes der Klägerin nach erneuter Konfliktsituation abgebrochen.
Die Klägerin beantragte unter Vorlage von Bescheinigungen ihres behandelnden Arztes
Dr. I, C, vom 29.06.1999 und des Dipl.-Psychologen M vom 28.06.1999 die Zustimmung
der Beklagten zur Durchführung eines dreiwöchigen Erholungsurlaubes in H.
Nach Begutachtung durch Dr. H1, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung X (MDK
X), der in seinem Gutachten vom 30.06.1999 eine Intensivierung der Behandlung durch
einen Psychiater für erforderlich hielt, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.07.1999 die
Erteilung ihrer Zustimmung zum geplanten Auslandsaufenthalt ab.
Die Klägerin führte den Urlaub dennoch durch. Krankengeld wurde bis auf den Ab- und
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Anreisetag nicht gezahlt.
Auch den als Widerspruch zu wertenden Antrag der Klägerin auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12.10.1999 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 15.11.1999 bei Gericht eingegangene Klage.
Zu deren Begründung trägt die Klägerin vor, der Erholungsurlaub sei ausweislich der
vorgelegten Bescheinigung ihres behandelnden Arztes Dr. I und des Psychologen M für
den weitern Verlauf des Heilungsprozesses nicht etwa kontraindiziert, sondern erforderlich
gewesen. Außerdem sei für die Zeit vom 00.00. bis 00.00. die Aussetzung der
Wiedereingliederungsmaßnahme durch Dr. I angeordnet worden und der Kindergarten sei
innerhalb ihrer Urlaubszeit ohnehin für zwei Wochen geschlossen gewesen. Im übrigen
trägt die Klägerin vor, der Auslandsaufenthalt sei ihr fernmündlich durch den
stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer der Beklagten, Herrn Q, genehmigt worden. Dies
könne ihr Ehemann bestätigen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.07.1999 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 12.10.1999 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 00.00.1999 bis
zum 00.00.1999 Krankengeld zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie stützt sich dabei auf ein weiteres Gutachten des Dr. H1 vom 10.05.2000, in dem dieser
noch einmal betont, dass der durchgeführte Familienurlaub medizinisch entgegen der
offenbar aus Gefälligkeit ausgestellten Bescheinigungen der Behandler nicht notwendig
war. Es sei in keiner Weise erkennbar, dass der Familienerholungsurlaub Teil des
Behandlungskonzeptes gewesen sei. Auch könne von einer fernmündlichen Zustimmung
zu dem Auslandsaufenthalt keine Rede sein. Im übrigen bezieht sich die Beklagte auf das
Ergebnis der Beweisaufnahme.
Das Gericht hat zur Frage, ob der durchgeführte Erholungsurlaub eine Gefahr für den
Heilungsprozess darstellte und die Gefahr bestand, dass die Arbeitsunfähigkeit verlängert
wurde, Beweis erhoben durch die Einholung von Sachverständigengutachten des Arztes
für Neurologie und Psychiatrie Dr. H2, I1, und des Arztes für Neurologie, Psychiatrie und
Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. C1, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie des St.-B-
Krankenhauses L.
Des weiteren hat das Gericht Beweis erhoben über die Behauptung der Klägerin, die
Zustimmung sei fernmündlich erteilt worden, durch Vernehmung der Zeugen Q und T im
Termin zur Beweisaufnahme vom 29.10.2001.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme, sowie des weiteren Sach- und
Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten
und der Akten S 00 KR 00/00 ER, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen
ist.
Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin ist durch den angefochtenen Bescheid
nicht gemäß § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn dieser ist
rechtmäßig. Die Klägerin hat für die Zeit ihres Auslandsaufenthaltes vom 00.00.1999 bis
00.00.1999 keinen Anspruch auf Krankengeld.
Gemäß § 16 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch V (SGB V) ruht der Anspruch auf Leistungen,
solange Versicherte sich im Ausland aufhalten. Der Anspruch auf Krankengeld ruht gemäß
§ 16 Abs. IV SGB V nur dann nicht, solange sich Versicherte nach Eintritt der
Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland aufhalten.
Bei der Zustimmung der Krankenkasse, die an keine Form gebunden ist, handelt es sich
um einen Verwaltungsakt, der auch fernmündlich erteilt werden darf. Die Entscheidung
steht nach dem Gesamtinhalt der Norm im Ermessen der Krankenkasse. Bei der
Entscheidung ist als Interesse des Versicherten von Bedeutung, welche Zwecke mit dem
Auslandsaufenthalt verfolgt werden, ob eine Rückkehr ins Inland möglich und zumutbar ist.
Dem gegenüber ist als Belang der Solidargemeinschaft zu berücksichtigen, mit welchen
Mitteln und welchem Grad von Sicherheit die Arbeitsunfähigkeit festgestellt werden kann
und mit welchen Aussichten die Arbeitsunfähigkeit im Inland besser bzw. schneller
beseitigt werden könnte.
Eine solche Zustimmung der Krankenkasse liegt hier nicht vor und hätte auch nicht erteilt
werden müssen.
Dies steht zur Überzeugung der Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest.
Zwar hat der Zeuge T ausgesagt, ein Telefongespräch zwischen der Klägerin und dem zur
damaligen Zeit stellvertretenden Bezirksgeschäftsführer, dem Zeugen Q, über die
Freisprechanlage mitgehört zu haben. Er habe mitbekommen, dass es um Formalitäten des
geplanten Urlaubes ging, um den Inhalt vorzulegender Bescheinigungen. Er könne sich an
Äußerungen des Zeugen in der Art "Das geht klar", "Das geht in Ordnung", "Sie können
fahren" erinnern. Er habe das als direkte Zusage verstanden.
Dem gegenüber konnte der Zeuge Q sich an den die Klägerin betreffenden Vorgang nicht
erinnern und nur schildern, wie er in ähnlich gelagerten Fällen verfährt. Nämlich, dass er
auf die Rechtslage hinweise und den weiteren Ablauf des Verfahrens, wie die Einholung
von Befundberichten, Überprüfung durch den MDK schildere.
Dies überzeugt die Kammer - auch angesichts des eigenen Interesses des Zeugen T am
Ausgang des Verfahrens - weit mehr. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Zeuge Q im
vorliegenden Fall vom üblichen Verfahren abgewichen sein sollte. Dies gilt insbesondere
deswegen, weil der Zeuge T den Ablauf des Gespräches nicht genau schildern konnte,
insbesondere nicht, worauf sich die angeblichen Äußerungen des Zeugen Q wie "Das geht
klar" etc. bezogen. Davon, dass der Zeuge Q für die Beklagte unter Abweichung von dem
üblichen Vorgehen eine als Leistungsvoraussetzung ausdrücklich zu erklärende
Zustimmung allein auf der Grundlage von Attesten besprochenen Inhalts in einem
Telefongespräch abgeben wollte und die Klägerin und der Zeuge T dies so verstehen
durften, konnte sich die Kammer angesichts der recht ungenauen Aussage des Zeugen T
nicht überzeugen. Genauso ist vorstellbar, dass der Inhalt des Gespräches so war, dass der
Urlaub genehmigt werde, wenn die einzureichenden Atteste nach der Überprüfung durch
den MDK bestätigt würden, was in aller Regel bei entsprechend fundierten
Bescheinigungen auch zu erwarten ist.
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Die vorgelegten Bescheinigungen sind indes weder durch die Überprüfung durch den MDK
noch nach der Überprüfung durch die beiden vom Gericht benannten Sachverständigen Dr.
H2 und Priv.-Doz. Dr. C1 inhaltlich bestätigt worden, so dass die Verweigerung der
Zustimmung nicht ermessensfehlerhaft war. Sowohl Dr. H1 vom MDK X als auch Dr. H2
und Priv.-Doz. Dr. C1 führen in ihren Gutachten vollständig übereinstimmend aus, dass
durch die Unterbrechung der erforderlichen therapeutischen Maßnahmen während des
durchgeführten Erholungsurlaubes die Gefahr der Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit
gegeben war. Sie weisen ebenfalls in völliger Übereinstimmung darauf hin, dass ein
psychiatrisches Krankheitsbild eines solchen Ausmaßes, dass daraus langfristige
Arbeitsunfähigkeit resultiert auch intensiv behandelt werden muss und nicht gestattet, dass
die erforderliche Therapie durch einen Urlaub unterbrochen wird. Wenn dem gegenüber
die Klägerin darauf hinweist, durch den Urlaub lediglich drei vorgesehene
Behandlungstermine bei dem Psychologen M nicht wahrgenommen zu haben, so bestätigt
dies nur die von Dr. H1 schon getroffene und ebenso von Dr. H2 und Dr. C1 bestätigte
Auffassung, dass das Therapiekonzept zum Zwecke einer zügigen Behebung der
Arbeitsunfähigkeit hätte korrigiert werden müssen, ansonsten am Schweregrad der
Erkrankung gezweifelt werden müsse. Es bestärkt außerdem den schon vom MDK sowie
den Gerichtssachverständigen geäußerten Gedanken, dass die Klägerin an einer zügigen
Behebung der Arbeitsunfähigkeit nicht vordringlich interessiert war, sondern vielmehr an
einer finanziellen Überbrückung der Zeit bis zu ihrem Abschlussexamen, womit die
Arbeitsunfähigkeit dann auch endete, ohne an den konfliktbelasteten Arbeitsplatz
zurückkehren zu müssen.
Nach allem ist die Kammer der Auffassung, dass die Beklagte hier weder eine Zustimmung
erteilt hat, noch hätte erteilen dürfen, so dass der Krankengeldanspruch der Klägerin
während ihrer Urlaubszeit ruhte.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.