Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 14.02.2002

SozG Gelsenkirchen: krankengeld, arbeitsunfähigkeit, eintritt des versicherungsfalles, restriktive auslegung, bedingung, aussetzen, kausalität, krankenversicherung, schwangerschaft, vorrang

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 17 KR 218/01
Datum:
14.02.2002
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
17. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 17 KR 218/01
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02.03.2001 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.10.2001 verurteilt,
der Klägerin für die Zeit vom 19.02.2001 bis einschließlich 19.03.2001
und vom 14.05.2001 bis einschließlich 24.06.2001 Krankengeld nach
weiter Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die
Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin einen Anspruch auf Krankgeld für die
Zeiträume vom 19.2.01 bis zum 19.3.2001 und vom 14.5.2001 bis zum 24.6.2001 hat.
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Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen das Risiko der Krankheit
versichert. Sie ist seit 00.2000 als Verpackerin tätig. Am 00.00.2001 wurde bei der
Klägerin eine Schwangerschaft festgestellt.
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Der behandelnde Arzt schrieb die Klägerin mehrfach krank: Vom 00.00.2001 bis zum
00.00.2001 wegen einer C, vom 00.00. bis zum 00.00, vom 00.00. bis zum 00.00 und
vom 00.00. bis zum 00.00.2001 wegen eines drohenden B. Ab dem 00.00.2001 befand
sich die Klägerin in Mutterschutz. Zuvor zahlte die Beklagte seit dem 25.6.2001
Krankengeld.
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Darüber hinaus stellte der behandelnde Arzt der Klägerin bei dieser für die
streitgegenständlichen Zeiträume neben der Krankheit auch Beschäftigungsverbote,
zunächst nach § 4 Mutterschutzgesetz (bis zum 00.00.2001) und schließlich nach § 3
Mutterschutzgesetz (ab dem 00.00.2001) fest.
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Der Arbeitgeber der Klägerin gewährte dieser lediglich für einen Teil ihrer Ausfallzeiten
Entgeltfortzahlung, nämlich bis zum 18.2 2001 Entgeltfortzahlung wegen Krankheit und
vom 20.3. bis zum 14.5.2001 nach § 11 Mutterschutzgesetz Entgeltfortzahlung wegen
der bestehenden Beschäftigungsverbote. Für den streitgegenständlichen Zeitraum
erbrachte er keine Entgeltersatzleistungen. Er war insoweit der Ansicht, das Vorliegen
einer Arbeitsunfähigkeit schließe die Entgeltfortzahlung nach dem Mutterschutzgesetz
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aus. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Krankheit bestehe nicht, da die Klägerin
den hierfür maßgeblichen 6 Wochen-Zeitraum bereits überschritten habe.
Gegen die Verweigerung der Entgeltfortzahlung erhob die Klägerin am 22.5.2001 Klage
vor dem Arbeitsgericht. Das dortige Verfahren wurde zwischenzeitlich zum Ruhen
gebracht, um die Entscheidung in dem anhängigen Sozialrechtsstreit abzuwarten.
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Die Beklagte lehnte die Gewährung von Krankengeld mit Bescheid vom 2.3.2001 für
den Zeitraum bis zum 19.3.2001 und durch an den Arbeitgeber der Klägerin gerichtetes
Schreiben vom 11.6.2001 für den Zeitraum vom 15.5.2001 bis zum 24.6.2001 ab. Beide
Schreiben waren nicht mit Rechtsbehelfsbelehrungen versehen. Zur Begründung führte
sie aus, dass die Klägerin vorrangig die Leistungen nach dem Mutterschutzgesetz in
Anspruch zu nehmen habe und dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung wegen
Krankheit gegen den Arbeitgeber noch nicht aufgezehrt sei, da die Entgeltfortzahlung
bis zum 18.2.2001 zumindest teilweise keine Entgeltfortzahlung wegen Krankheit,
sondern wegen eines bestehenden Beschäftigungsverbots nach dem
Mutterschutzgesetz gewesen sei. Für die rechtliche Einordnung sei nicht die
Bestimmung durch den Arbeitgeber entscheidend, sondern vielmehr das tatsächliche
Vorliegen eines Beschäftigungsverbotes ausreichend.
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Gegen den Bescheid vom 2.3.2001 hat die Klägerin am 24.4.2001 Widerspruch
eingelegt. Diesen hat sie unter dem 17.7.2001 auch auf das an ihren Arbeitgeber
gerichtete Schreiben vom 11.6.2001 bezogen.
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Den Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch
Bescheid vom 4.10.2001 zurück.
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Hiergegen hat die Klägerin am 19.10.2001 Klage erhoben, um ihr Begehren weiter zu
verfolgen.
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Sie trägt vor, ein Anspruch auf Krankengeld sei gegeben. Bei gleichzeitigem Vorliegen
einer Krankheit und eines Beschäftigungsverbotes sei der Anspruch auf Leistungen
wegen der Krankheit (Entgeltfortzahlung, Krankengeld) vorrangig. Ihr Anspruch auf
Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber sei aufgezehrt, da sie bereits länger als sechs
Wochen krank gewesen sei.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2.3.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 4.10.2001 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 19.2.2001
bis einschließlich 19.3.2001 sowie für die Zeit vom 14.5.2001 bis zum 24.6.2001
Krankengeld auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Auffassung ein Beschäftigungsverbot nach § 4 Mutterschutzgesetz stünde
einem Anspruch auf Krankengeld entgegen, da die Klägerin nicht arbeiten dürfe, so
dass krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht eintreten könne. Dies gelte aus
Rechtsgründen auch entgegen der Feststellungen des Arztes, was sich aus dem
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Anhang der Richtlinie zur Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit und der Maßnahmen zur
stufenweisen Wiedereingliederung vom 3.9.1991 des Bundesausschusses der Ärzte
und Krankenkassen ergebe. Hiernach bestehe Arbeitsunfähigkeit nicht, wenn andere
Gründe als eine Krankheit des Versicherten Ursache für eine Arbeitsverhinderung
seien. Für die Zeiten des Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs. 1 Mutterschutzgesetz
habe sie ab dem 25.6.2001 Krankengeld gezahlt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
vorbereitenden Schriftsätze und der Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem
wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung war,
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Soweit die Beklagte die Zahlung von Krankengeld auch für den Zeitraum vom 14.5.2001
bis zum 24.6.2001 abgelehnt hat, hat sie dies gegenüber der Klägerin erstmals durch
den Widerspruchsbescheid vom 4.10.2001 bekannt gegeben. Zumindest nach dem
Rechtsgedanken der §§ 86 und 96 SGG ist diese Entscheidung auch Gegenstand
dieses Klageverfahrens geworden. Der Bescheid der Beklagten vom 2.3.2001 in Gestalt
des Widerspruchbescheides vom 4.10.2001 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
dadurch in ihren Rechten. Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 19.2.2001 bis zum
19.3.2001 und vom 14.5.2001 bis zum 24.6.2001 Anspruch auf Krankengeld gegen die
Beklagte.
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Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn
eine Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten einer Krankenkasse
stationär in einem Krankenhaus, einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung
behandelt werden. Der Begriff der Arbeitsunfähigkeit ist gesetzlich nicht definiert. Nach
der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist arbeitsunfähig, wer seine
zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübte Beschäftigung wegen
Krankheit nicht weiter verrichten kann (BSG, Urteil vom 9.12.1986 - Az.: 8 RK 12/85;
Urteil vom 8.2.2000 - Az.: B 1 KR 11/99 R). Dass er möglicherweise eine andere
Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ausüben könnte, ist
unerheblich.
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Demnach hat die Klägerin einen Anspruch auf Krankengeld. Dem steht nicht entgegen,
dass die Klägerin auch Beschäftigungsverboten nach § 4 beziehungsweise § 3
Mutterschutzgesetz unterfiel.
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Ein gleichzeitig zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bestehendes
Beschäftigungsverbot lässt nicht aus Rechtsgründen den Krankengeldanspruch
entfallen. Dem steht entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht die nach § 44
Abs. 1 Satz 1 SGB V notwendige Kausalität zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit
entgegen, denn die Krankheit ist im sozialversicherungsrechtlichen Sinne wesentliche
Ursache der Arbeitsunfähigkeit.
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Eine solche Kausalität ist grundsätzlich notwendig, um Ansprüche auf Krankengeld zu
begründen. Dementsprechend formulieren die Richtlinien des Bundesausschusses
Ärzte und Krankenkassen, auf die sich die Beklagte beruft, Arbeitsunfähigkeit im Sinne
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der gesetzlichen Krankenversicherung liege nicht vor, wenn andere Ursachen als eine
Krankheit die Arbeitsunfähigkeit hervorrufen. Hierin liegt eine Widerholung der
gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und jedenfalls keine weitergehende Einschränkung
der Ansprüche der Versicherten. Dies ergibt bereits die gesetzeskonforme Auslegung
der Richtlinien, so dass sich die Frage der Wirksamkeit einer weitergehenden
Einschränkung durch die Richtlinien nicht stellt.
Dass ein zugleich bestehendes Beschäftigungsverbot nach dem Mutterschutzgesetz
den Anspruch auf Krankengeld nicht allein wegen mangelnder Kausalität der Krankheit
für die Arbeitsunfähigkeit entfallen lässt, ergibt sich schon daraus, dass die Leistungen
nach § 11 MuSchG, die durch den Arbeitgeber im Falle eines Beschäftigungsverbotes
zu erbringen sind, ebenfalls kausal bedingt sind, durch einen Zusammenhang zwischen
einer Aussetzungen der Arbeit und dem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 und § 4
MuSchG ("wegen eines Beschäftigungsverbotes").
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Wenn das Kausalitätserfordernis in beiden Gesetzen so verstanden würde, dass die
Krankheit oder das Beschäftigungsverbot jeweils allein ursächlich für die
Arbeitsunfähigkeit beziehungsweise das Aussetzen mit der Arbeit sein müssten, hätte
dies zur Folge, dass die Versicherte trotz, genauer gerade wegen des Vorliegens von
zwei Versicherungsfällen überhaupt keine Leistungen erhielte. Das würde der
Schutzrichtung beider Gesetze, zugunsten des Arbeitnehmers beziehungsweise des
Versicherten, zuwiderlaufen. Das Kausalitätserfordernis kann also nicht in diesem Sinne
verstanden werden. Es ist vielmehr durch Auslegung der Normen zu ermitteln, welche
der beiden Leistungen, Krankengeld beziehungsweise Entgeltfortzahlung nach § 11
MuSchG, vorrangig ist.
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Diese Auslegung führt im Ergebnis zu einem Vorrang der Krankengeldleistungen. Dies
haben das Bundesarbeitsgericht und das Bundessozialgericht für die insofern
vergleichbare Konstellation des Zusammentreffens von Entgeltfortzahlungsansprüchen
nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz und dem Mutterschutzgesetz entschieden (BAG,
Urteil vom 22.3.1995, Az.: 5 AZR 874/93 und BSG, Urteil vom 17.4.1991, Az.: 1/3 RK
21/88). Auch wenn beide Entscheidungen zu Beschäftigungsverboten nach § 3 Abs. 1
MuSchG ergangen sind, sind sie im Ergebnis auch auf das Beschäftigungsverbot nach
§ 4 MuSchG übertragbar. Dies gilt schon deshalb, weil sich die tragenden Erwägungen
des Bundessozialgerichts auf eine restriktive Auslegung des § 11 MuSchG stützen, der
unabhängig davon, ob ein Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1 oder § 4 MuSchG
vorliegt die hier streitgegenständliche Rechtspflicht des Arbeitgebers für Leistungen an
die schwangere Arbeitnehmerin begründet.
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Das Bundessozialgericht hat dazu ausgeführt: Der Anspruch auf Mutterschutzlohn
hänge nach § 11 MuSchG davon ab, dass die Schwangere wegen eines
Beschäftigungsverbotes mit der Arbeit aussetzte. Dieser Wortwahl liege eine
monokausale Betrachtungsweise zugrunde, wonach das Beschäftigungsverbot die
alleinige Ursache für den Arbeitsausfall und damit für den Entgeltausfall sein müsse.
Die werdende Mutter müsse wegen, d.h. in Befolgung eines Beschäftigungsverbotes,
mit der Arbeit ausgesetzt und dadurch eine Verdiensteinbuße erlitten haben. Seien
andere Gründe - für sich allein oder neben dem Beschäftigungsverbot - für das
Aussetzen mit der Arbeit maßgeblich, etwa eine Arbeitsunfähigkeit bedingende
Krankheit, möge sie auch mit der Schwangerschaft zusammenhängen, fehle es an dem
erforderlichen Ursachenzusammenhang mit der Folge, dass ein Anspruch auf
Mutterschutzlohn nicht bestehe. Dann sei die Krankheit und nicht - jedenfalls nicht
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ausschließlich - das Beschäftigungsverbot für den Verdienstausfall ursächlich. Diese
Auslegung werde vor allem durch die Entstehungsgeschichte des § 11
Mutterschutzgesetzes bestätigt, dessen seit 1. Januar 1965 geltende Fassung erstmals
einen Anspruch auf Mutterschutzlohn auch bei völligem Aussetzen mit der Arbeit
vorgesehen habe. Dazu heiße es im schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses
für Arbeit: Voraussetzung der Verpflichtung des Arbeitgebers zur Fortzahlung des
bisherigen Durchschnittsverdienstes sei, dass die Frau nicht krank im Sinne der RVO
sei. In diesem Falle stehe ihr nur der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach den
Vorschriften über die Lohnfortzahlung im Krankheitsfalle zu (BT-Drucks IV/3652, S 6 zu
Nr. 12). Daraus werde deutlich, dass der Mutterschutzlohn nach § 11 MuSchG von der
Intention her andere Leistungen wegen Krankheit nicht verdränge, sondern lediglich das
durch das MuSchG zusätzlich abgedeckte Risiko des Aussetzens mit der Arbeit wegen
eines Beschäftigungsverbotes sichern wolle. Ziel der gesetzlichen Regelung sei es, der
Arbeitnehmerin den bisherigen Lebenstandart zu erhalten; insbesondere solle durch die
Weiterzahlung des bisherigen Durchschnittsverdienstes jeder Anreiz für sie entfallen,
entgegen den Beschäftigungsverboten, die Arbeiten zu ihrem und des Kindes Schaden
aus wirtschaftlichen Gründen fortzusetzen.
Sei die Schwangere auch ohne das Beschäftigungsverbot wegen Krankheit zur
Arbeitsleistung nicht fähig, könne der Mutterschutzlohn seinen Zweck nicht erfüllen.
Einer Abdeckung des auf Schwangerschaft beruhenden Krankheitsrisikos durch das
MuSchG habe es nicht bedurft, weil dieses Risiko im wesentlichen durch die
Krankenversicherung und zu einem Teil durch die Bestimmungen über die
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle bereits gedeckt sei. Diesem Normzweck des
Mutterschutzes ist bei der Auslegung des § 44 SGB V und damit auch der diesen
konkretisierenden Richtlinien des Bundesausschusses Rechnung zu tragen. Damit
ergibt sich, dass bei gleichzeitigem Vorliegen von Krankheit und Beschäftigungsverbot
die Krankheit die für das Sozialversicherungsrecht wesentliche Bedingung des
Arbeitsausfalles ist. Dass die Krankheit wesentliche, wenn auch nicht alleinige
Bedingung für den Entgeltausfall ist, ist für die Anspruchsbegründung auf Krankengeld
ausreichend. Im Sozialversicherungsrecht ist für einen gesetzlich geforderten
Kausalitätszusammenhang notwendig, aber auch ausreichend, dass das kausale
Ereignis wesentliche Bedingung ist. Hierfür ist auf eine normative Betrachtung
abzustellen. Unter Berücksichtigung des Normzweckes des Mutterschutzgesetzes ergibt
sich damit, dass die Krankheit wesentliche Bedingung für den Lohnausfall ist.
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Für den insoweit bestehenden Vorrang des Krankengeldes vor dem Mutterschutzlohn
sprechen zwei weitere rechtliche Gesichtspunkte: Zum einen hat der Gesetzgeber zur
Höhe der Entgeltersatzleistungen bei Krankheit und bei Mutterschutz eine Wertung
dahingehend getroffen, dass der Mutterschutzlohn in voller Höhe, das Krankengeld nur
in verringerter Höhe bezogen auf das ausfallende Entgelt gewährt wird. Dieser Wertung
wird dann Rechnung getragen, wenn bei Realisierung beider Risiken, nur die geringere
Leistung gewährt wird, da die Krankheit auch Ursache des Ausfalls der Erwerbstätigkeit
ist.
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Zudem widerspräche es, worauf das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung
verweist, der Systematik der Sozialen Sicherung im Krankheitsfall, das Risiko der
Krankheit eines Arbeitnehmers über den Mutterschutz auf den Arbeitgeber zu
übertragen, zumal die Entgeltfortzahlungspflicht bei einem Beschäftigungsverbot anders
als die Entgeltfortzahlung bei Krankheit nicht auf sechs Wochen begrenzt ist, sondern
unbeschränkt besteht.
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Die Auffangfunktion des Krankengeldes ergibt sich zudem auch aus § 2 Abs. 2 2.
Halbsatz SGB I, wonach bei der Auslegung von Vorschriften des Sozialgesetzbuches
sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.
Dieser Auslegungsmaßstab ist bei der Interpretation des § 44 SGB V zu beachten, nicht
hingegen bei der Auslegung des § 11 MuSchG, bei dem es sich um einen
arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch handelt. So sehr es deshalb
unbedenklich ist, einen Anspruch auf Mutterschutzleistungen zu verwehren, so sehr ist
es erforderlich durch die Gewährung von Krankengeldleistungen zu verhindern, dass
die Klägerin ohne Absicherung für Risiken verbleibt, die nach den Wertungen des
Gesetzgebers abgesichert sein sollen.
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Ob der Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 EFZG aufgezehrt ist, oder ob
aufgrund des Vorliegens einer neuen (anderen) Erkrankung (Gefahr eines B) eine neuer
Entgeltfortzahlungsanspruch gegeben ist, kann offen bleiben, da Entgeltfortzahlung
durch den Arbeitgeber für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum jedenfalls
tatsächlich nicht geleistet wurde. Nur soweit jedoch tatsächlich
Entgeltfortzahlungsleistungen erbracht werden, ruht der Krankengeldanspruch. Das
Bestehen eines (nicht erfüllten) Anspruchs des Arbeitnehmers hierauf genügt hingegen
nicht. Auch in diesem Fall ist die Beklagte leistungspflichtig. Allenfalls kann ein
Erstattungsanspruch nach § 115 SGB X gegen den Arbeitgeber der Klägerin bestehen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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