Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 16.03.2010

SozG Gelsenkirchen (kläger, untätigkeitsklage, sgg, grund, behörde, antrag, klageerhebung, berlin, frist, belastung)

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 12 AY 61/10
Datum:
16.03.2010
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 12 AY 61/10
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des
Klägers zur Hälfte.
Gründe:
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I. Die Beteiligten streiten über die Kosten einer Untätigkeitsklage, nachdem der Kläger
die Hauptsache für erledigt erklärt hat.
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Der Kläger legte bei der Beklagten am 28.10.2009 Widerspruch ein gegen den
Bescheid vom 23.09.2009, mit dem die Beklagte rückwirkend Leistungen nach § 2
AsylbLG bewilligt hatte. Dabei kürzte sie den Nachzahlungsbetrag unter Berufung auf
den Aktualitäts- grundsatz. Der Kläger hat am 18.02.2010 Untätigkeitsklage erhoben.
Am 05.03.2010 erteilte die Beklagte dem Kläger einen ablehnenden
Widerspruchsbescheid. Sie hält die Erhebung einer Untätigkeitsklage nicht für
gerechtfertigt, weil der Kläger es unterlassen habe, sie zu mahnen und eine
Untätigkeitsklage anzudrohen. Am 12.03.2010 hat der Kläger den Rechtsstreit für
erledigt erklärt und beantragt, der Beklagten seine außergerichtlichen Kosten
aufzuerlegen, die er mit 238,00 Euro bezifferte.
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II. Der Antrag ist zulässig, aber nur teilweise begründet.
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Über die außergerichtlichen Kosten ist gemäß § 193 Absatz 1 Satz 3 des Sozial-
gerichtsgesetzes auf Antrag durch Beschluss zu entscheiden, wenn das Verfahren
anders als durch Urteil beendet wird. Die Kostenentscheidung ist grundsätzlich nach
billigem Ermessen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu treffen.
Wesentlich sind dabei die Erfolgsaussichten der Klage und die Frage, wer Anlass für
die Klageerhebung gegeben hat. Bei Erledigung einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG
hat der Beklagte in der Regel die außergerichtlichen Kosten zu erstatten, wenn die
Klage nach der Sperrfrist erhoben worden ist und später der begehrte Verwaltungsakt
ergeht (Meyer-Ladewig, SGG, 9. Auflage § 88 Rn. 13c). Denn jeder darf darauf
vertrauen, dass innerhalb der in § 88 SGG genannten Fristen über seinen Antrag bzw.
Widerspruch entschieden wird. Dabei besteht keine Verpflichtung, die Behörde vorab zu
mahnen und ihr eine Untätigkeitsklage anzudrohen.
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Die beklagte Behörde trifft nur dann nicht die Kostenlast, wenn der Betroffene aus
Mitteilungen der Behörde oder aus anderen Umständen erkennen kann, dass diese aus
einem zureichenden Grund im Sinne von § 88 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht fristgemäß
entscheiden kann. Das folgt aus dem hier anzuwendenden Rechtsgedanken des § 161
Absatz 3 der Verwaltungsgerichtsordnung. Nach dieser Vorschrift fallen bei einer
erledigten Untätigkeitsklage die Kosten stets der Beklagten zur Last, wenn der Kläger
mit einer Bescheidung vor Klageerhebung rechnen konnte. Damit wird sichergestellt,
dass er nach der Bescheiderteilung nicht deshalb die Kosten der Untätigkeitsklage zu
tragen hat, weil die Beklagte mit zureichendem Grund nicht in angemessener Frist
entschieden hat. Einem Kläger ist die Klärung dieser verwaltungsinternen
Voraussetzung regelmäßig nicht möglich. Darum lässt § 161 Absatz 3 VwGO es
ausreichen, wenn ein Kläger nach den ihm bekannten Umständen des Falles mit einer
früheren Bescheidung rechnen durfte. Aber erst wenn ein zureichender Grund vorliegt,
ist es von Bedeutung, ob dem Kläger der Grund für die Verzögerung bekannt war oder
bekannt sein musste (vgl. LSG Berlin Beschluss vom 18.04.2008 -L 23 B 198/06 SO -).
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Ein zureichender Grund für die Nichtbescheidung kann etwa in einer vorübergehenden
besonderen Belastung der Behörde bestehen oder darin, dass die besonderen
Schwierigkeiten des Sachverhalts eine längere Bearbeitungszeit als die in § 88 SGG
vorgesehene beanspruchten. Hier war eine Bearbeitung unmöglich, weil die Akten
unauffindbar waren. Dieser zureichende Grund war aber für den Kläger nicht ohne
weiteres offensichtlich und er wurde auch nicht durch Zwischennachrichten der
Beklagten darüber informiert.
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Die Beklagte muss die außergerichtlichen Kosten des Klägers aber nur zur Hälfte
tragen, weil die Klage zum Teil keine Erfolgsaussicht hatte, da sie unzulässig war.
Gegenstand einer Untätigkeitsklage nach § 88 SGG ist nicht die inhaltliche Prüfung
eines Verwaltungsakts, sondern die bloße Bescheidung eines Antrags oder
Widerspruchs. Darum war die Klage unzulässig, soweit das Gericht die Beklagte
verurteilen sollte, über den Widerspruch "unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts" zu entscheiden. Die Sozialgerichte können im Rahmen einer
Untätigkeitsklage keine Behörde verurteilen, einen Widerspruchsbescheid mit einem
bestimmten Inhalt zu erlassen.
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Zur Vermeidung eines unnötigen Folgestreits bezüglich der Höhe der festzusetzenden
Kosten sei bereits jetzt darauf hingewiesen, dass das LSG NW in seiner
Grundsatzentscheidung vom 05.05.2008 (L 19 B 24/08 AS) entschieden hat, dass die
Verfahrensgebühr für eine Untätigkeitsklage 80 Euro beträgt und dass eine
Terminsgebühr nach Nr. 3106 VV RVG nicht anfällt, da das Verfahren nicht durch ein
angenommenes Anerkenntnis erledigt wird.
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