Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 22.05.2002

SozG Gelsenkirchen: innere medizin, arzneimittel, hiv, krankenkasse, konsens, krankenversicherung, facharzt, verordnung, auskunft, form

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Gelsenkirchen, S 18 KN 5/02 KR
22.05.2002
Sozialgericht Gelsenkirchen
18. Kammer
Urteil
S 18 KN 5/02 KR
Krankenversicherung
rechtskräftig
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger die Kosten für das mit Verordnung vom 00.08.2001
durch den Facharzt für innere Medizin Dr. C, N, verordnete Arzneimittel "J" zu erstatten hat.
Der Kläger leidet unter einer HIV-Infektion sowie einer Immundysregulation. Mit ärztlicher
Verordnung vom 00.08.2001 verschrieb der den Kläger behandelnde Facharzt für Innere
Medizin und Psychotherapie Dr. C dem Kläger 10 x 20 ml J der Firma P.
Die Beklagte recherchierte, dass das Arzneimittel J in Deutschland nicht zugelassen ist.
Der Inhaltsstoff Tetrachlorodecaoxide (TCDO) befinde sich in einem Arzneimittel mit dem
Handelsnamen Oxoferin, wobei Anwendungsart das Auftragen der Lösung auf eine
Wundfläche ist, es dient zur Behandlung von Wunden und Wundheilungsstörungen. J ist in
Thailand für Immunmodulation als Adjunkt in der Behandlung von Patienten mit Krebs, um
die Symptome einer Strahlentherapie zu verbessern, zugelassen. Der Einsatz von J bei
den Indikationsgebieten Aids, Hepatitis C und beim Prostatakarzinom werde noch
erforscht.
Mit Bescheid vom 20.09.2001 lehnte die Beklagte eine Kostenübernahme für das
Arzneimittel zu Lasten der knappschaftlichen Krankenversicherung ab, da dieses
Arzneimittel weder in Deutschland noch im Ausland eine Zulassung als Arzneimittel für die
in Anspruch genommene Indikation besitzt.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers, der am 01.10.2001 bei der Beklagten
einging, wurde durch den Widerspruchsausschuss C1 II der Beklagten in seiner Sitzung
vom 04.12.2001 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 08.01.2002 beim Sozialgericht eingegangene Klage des
Klägers, mit der er seinen Anspruch weiter verfolgt. Er vertritt die Auffassung, dass die
Beklagte zur Kostenübernahme verpflichtet sei, da die bei dem Kläger vorliegende HIV-
Infektion mit der herkömmlichen antiretroviralen Standardtherapie nicht effektiv zu
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therapieren sei. Auch ein noch nicht zugelassenes Arzneimittel könne eine medizinische
zweckmäßige und notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V sein und
zu Lasten der Krankenkasse verordnet werden, wenn das Mittel im Einzelfall erfolgreich zu
einem anderen Verwendungszweck als seinem allgemeinen eingesetzt wird oder sich
aufgrund der im Zulassungsverfahren erzielten Prüfergebnisse wenigstens die
wissenschaftlich ernsthaft begründete Möglichkeit eines Therapieerfolges in ansonsten
nicht mehr behandlungsfähigen Krankheitsfällen erkennen lässt.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20.09.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 04.12.2001 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine Therapie
mit XG 00 J vom 00.08.2001 bis 00.08.2002 zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der Auffassung, die sie in ihrem Widerspruchsbescheid vertreten hat, fest.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft des Bundesinstituts für
Arzneimittel und Medizinprodukte (BFARM) in Bonn Frage, ob für das Arzneimittel J eine
arzneimittelrechtliche Zulassung beantragt wurde, eine solche vorliege oder ggfls. eine
Versagung der Zulassung vorliegt. Mit Schreiben vom 20.02.2002 führte das Bundesinstitut
aus, dass eine Zulassung weder vorliege noch eine solche beantragt worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten
Schriftsätze der Beteiligten und den übrigen Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die
sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid nicht beschwert, weil dieser nicht
rechtswidrig ist (§ 54 Abs. 2 SGG).
Grundlage eines Kostenerstattungsanspruchs ist § 13 Abs. 3 SGB V. Nach dieser Vorschrift
ist eine Kostenerstattung dann vorzunehmen, wenn die Krankenkasse eine
unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung
Kosten entstanden sind. In diesem Fall sind von der Krankenkasse die entstandenen
Kosten in der Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Es kann dahinstehen,
ob solche Kosten im vorliegenden Fall überhaupt entstanden sind. Entsprechende
Abrechnungen sind vom Kläger im Verfahren nicht vorgelegt worden.
Ein Anspruch auf Kostenerstattung kann jedenfalls nur dann bestehen, wenn die
selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, welche die gesetzlichen
Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistungen zu erbringen haben (vgl. BSG B 1 KR
19/96 R Urteil vom 23.07.98).
Gemäß § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 i.V.m. § 31 Abs. 1 SGB V ist die Beklagte zur Versorgung
ihrer Versicherten mit den für die Krankenbehandlung notwendigen Arzneimitteln
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verpflichtet. Diese Verpflichtung unterliegt aber den Einschränkungen aus § 2 Abs. 1 und
12 Abs. 1 SGB V; sie umfasst nur solche Leistungen, die für die Behandlung zweckmäßig
und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Herkömmlichkeit dem allgemeinen
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen. An der Zweckmäßigkeit
und Wirtschaftlichkeit einer Arzneitherapie fehlt es, wenn das verwendete Medikament
nach den Vorschriften des Arzneimittelrecht der Zulassung bedarf und die Zulassung nicht
erteilt worden ist. Entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. BSG vom
23.07.98 B 1 KR 19/96 R) ist darauf hinzuweisen, dass das Arzneimittelrecht davon
ausgeht, dass Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit eines Medikaments regelmäßig
vor der Freigabe zur Anwendung an Patienten in einem Zulassungsverfahren
nachzuweisen sind. Wenn, wie im vorliegenden Fall, ein Zulassungsverfahren (noch) nicht
durchgeführt wurde, ist es sachgerecht, die Verordnungsfähigkeit des Medikaments zu
Lasten der Krankenkasse zu verneinen, weil ein ausreichender Wirksamkeitsnachweis in
einem dafür vorgesehenen und geeigneten Verfahren nicht erbracht worden ist.
Auch die Voraussetzungen eines zulassungsüberschreitenden Einsatzes von Arzneimitteln
sind im vorliegenden Fall nicht gegeben (vgl. dazu BSG Urteil vom 19.03.2002 B 1 KR
37/00 R zitiert nach Pressemitteilung 16/02). Dieser setzt voraus, dass es sich 1. um eine
schwerwiegende (lebensbedrohliche oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig
beeinträchtigende) Erkrankung handelt, bei der 2. keine andere Therapie verfügbar ist und
bei der 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem
betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) zu erzielen ist.
Letzteres bedeutet, dass Forschungsergebnisse vorliegen müssen, die erwarten lassen,
dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Davon
wiederum kann ausgegangen werden, wenn entweder die Erweiterung der Zulassung
bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase 3
(gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante
Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen
oder außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind,
die über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet
zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund deren in
den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem
vorgenannten Sinne besteht.
Es bedarf keiner näheren Darlegung, dass es sich bei der HIV-Infektion des Klägers um
eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der Rechtsprechung handelt. Es ist jedoch
bereits fraglich, ob keine andere Therapie verfügbar ist. Vielmehr gibt es verschiedene
Therapien, die heute bei HIV-Erkrankungen angewandt werden. Letztlich konnte die
Kammer jedoch die Frage, ob es zur Anspruchsbegründung ausreicht, dass individuell
keine andere wirksame Therapie verfügbar ist, dahinstehen lassen, denn die
Voraussetzung, dass aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit
dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg zu erzielen ist, ist nicht erfüllt. Eine
Zulassung ist noch nicht beantragt worden. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers sind
die Ergebnisse einer kontrollierten Zwischenprüfung der Phase 3 auch noch nicht
veröffentlicht, sondern lediglich ist die Phase 3 in der Vereinigten Staaten in einigen
Kliniken eingeleitet worden. Es können daher keine Aussagen darüber getroffen werden,
ob eine klinisch relevante Wirksamkeit, respektiv ein klinisch relevanter Nutzen bei
vertretbaren Risiken besteht. Auch ist nicht ersichtlich, dass in einschlägigen Fachkreisen
Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Vielmehr befindet sich das Arzneimittel erst im Versuchsstadium, d. h. in dem Stadium, in
dem festgestellt werden soll, ob es einen Nutzen für den betreffenden Patienten hat.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.