Urteil des SozG Gelsenkirchen vom 04.07.2006

SozG Gelsenkirchen: arzneimittel, verordnung, medizinprodukt, sachleistung, krankenversicherung, versorgung, zystitis, behandlung, abgabe, widerspruchsverfahren

Sozialgericht Gelsenkirchen, S 28 KR 5/05
Datum:
04.07.2006
Gericht:
Sozialgericht Gelsenkirchen
Spruchkörper:
28. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 28 KR 5/05
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten um die Kostenübernahme für "Uropol S".
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Mit am 12.07.2004 bei der Beklagten eingegangenem Schreiben beantragte der
Facharzt für Urologie, G, X1, für die Klägerin im Einzelfall die Prüfung der
Kostenübernahme für eine Behandlung mit Uropol S. Bei der Klägerin sei auf Grund
einer chronischen Zystitis mit ausgeprägter Urgesymptomatik bei Verdacht auf eine
interstitielle Zystitis die besondere Notwendigkeit der Verordnung von
Blaseninstillationen mit Natrium-Chondroitinsulfat (Uropol S, PZN 3191673) gegeben.
Das Medikament diene dem Ersatz der Glykosaminglycanschicht der Harnblase.
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Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 27.07.2004 mit der
Begründung ab, die gesetzlichen Krankenkassen dürften die Kosten für Medikamente
nur übernehmen, wenn diese nach dem Medizinprodukte-Gesetz als Arzneimittel
zugelassen seien. Das Präparat Uropol S sei zwar ein Medizinprodukt, jedoch als
Arzneimittel nicht zugelassen.
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Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach §
31 Abs. 1 Satz 3 SGB V seien stoffgleiche Medizinprodukte gem. § 3 Nr. 1 und 2
Medizinprodukte-Gesetz (MPG), die zur Anwendung am oder im menschlichen Körper
bestimmt und apothekenpflichtig seien, in die Arzneimittelversorgung der gesetzlichen
Krankenversicherung einbezogen, soweit sie am 31.12.1994 Arzneimittel im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) gewesen wären. Diese Voraussetzungen träfen auf
Uropol S zu. Unstreitig sei Uropol S ein Medizinprodukt gem. § 3 Nr. 1 MPG. Weiterhin
sei Uropol S apothekenpflichtig. Nach den Vorschriften für Medizinprodukte, § 1 Abs. 1
Nr. 1 der Verordnung über Vertriebswege (MPVertriebs.Verordnung) sei ein
Medizinprodukt dann apothekenpflichtig, wenn es nach der Verordnung über die
Verschreibungspflicht verschreibungspflichtig sei. Gem. § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung
über die Verschreibungspflicht seien Medizinprodukte u. a. dann
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verschreibugnspflichtig, wenn sie Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten, die
der Verschreibungspflicht nach der Verordnung über verschreibungspflichtige
Arzneimittel und der Verordnung über die automatische Verschreibungspflicht
unterliegen. In Art. 1 Nr. 4 vom 04.12.1990 der 24. Verordnung über
verschreibungspflichtige Arzneimittel werde Chondroitinpolysulfat und seine Salze zur
parenteralen Anwendung als verschreibungspflichtiger Wirkstoff aufgeführt. Das in
Uropol S enthaltene Natrium-Chondroitinsulfat entspreche der allgemeinen
Wirkstoffbezeichnung Chondroitinpolysulfat. Zudem erfolge die Behandlung mit Uropol
S durch paarenterale Anwendung. Der Verschreibungspflicht stehe auch nicht § 6
Medizinproduktverschreibungsverordnung entgegen. Gem. § 6 Medizinprodukt-
verschreibungsverordnung seien Produkte von der Verschreibungspflicht
ausgenommen, die nach ihrer Zweckbestimmung nur von einem Arzt angewendet
werden könnten. Das Ausschlusskriterium der ärztlichen Anwendung greife bei Uropol
S nicht. Die Anwendung des Katheters setzte keine ärztliche Vornahme voraus.
Arzthelferinnen, Heilpraktiker, geschultes Pflegepersonal hätten die erforderliche
Fachkunde für eine Blasen-Katheter-Legung und könnten diese durchführen.
Schließlich sei auch die Voraussetzung erfüllt, dass Uropol S bei Anwendung der am
31.12.1994 geltenden Fassung gem. § 2 Abs. 1 AMG Arzneimittel gewesen wäre.
Die Beklagte veranlasste eine Begutachtung durch den medizinischen Dienst der
Krankenversicherung X2-M (MdK), die von X3 durchgeführt wurde. Dieser führte in
seinem Gutachten vom 08.10.2004 aus, Uropol S sei ein Medizinprodukt im Sinne von §
3 Medizinproduktegesetz, eine Einordnung als Arzneimittel mit einer
pharmakologischen Wirkung sei nach einheitlichem Europäischem Recht und seit dem
01.01.1995 gültigem deutschen Medizinproduktegesetz nicht mehr möglich. Laut
schriftlicher Stellungnahme des Bundesministeriums für Arzneimittel und
Medizinprodukte vom 28.04.2004 handele es sich hier um ein Medizinprodukt, welches
vor 1995 Arzneimittel gewesen wäre. Nach § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V sei jedoch eine
Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen für solche arzneimittelähnlichen
Medizinprodukte nur gegeben, wenn diese apothekenpflichtig seien. Die
Apothekenpflicht für Medizinprodukte sei nach dem Medizinproduktegesetz nur dann
möglich, wenn die Substanz in einer der genannten Rechtsverordnungen namentlich
aufgeführt sei, was jedoch für Chondroitinsulfat nicht zutreffe (Verordnung über die
Vertriebswege für Medizinprodukte, Verordnung über Verschreibungspflicht von
Medizinprodukten, Verordnung über apothekenpflichtige und frei verkäufliche
Arzneimittel). Damit sei insgesamt eine apothekenpflichtigkeit für Uropol S nicht
ableitbar, der vom Hersteller willkürlich wählbare Vertriebsweg (z. B. ausschließlich
über Apotheken) sei für die Beurteilung der Apothekenpflichtigkeit unerheblich. Da es
sich bei Uropol S um ein nicht apothekenpflichtiges, arzneimittelähnliches
Medizinprodukt handele, sei, unabhängig von einer Diskusion über die Wirksamkeit,
eine Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ableitbar.
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Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15.12.2004 zurück.
Als Begründung gab sie an, dass eine ordnungsgemäße kassenärztliche Verordnung
für Uropol S nicht ausgestellt bzw. vorgelegt wurde und schon deshalb weder eine
Kostenerstattung, noch die Abgabe als Sachleistung möglich sei. Im Übrigen bezog sie
sich auf die dargestellten Ausführungen des MdK, dass Uropol S ein nicht
apothekenpflichtiges, arzneimittelähnliches Medizinprodukt sei.
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Hiergegen richtet sich die am 10.01.2005 bei Gericht eingegangene Klage. Zur
Begründung wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.
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Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.07.2004 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15.12.2004 zu verurteilen, ihr das Medizinprodukt Uropol
S als Sachleistung zur Verfügung zu stellen, soweit dieses vertragsärztlich verordnet
werde.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.
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Die Beteiligten erklärten sich mit Schriftsätzen vom 24.01. und 19.03.2005 mit einer
Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.
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Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf
den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, der Gegenstand der Beratung gewesen
ist.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte auf Grund des erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne
mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die
zulässige Klage ist nicht begründet.
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Nach § 27 Abs. 1 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit § 31 Abs. 1 SGB V in der ab dem
01.01.2004 gültigen Fassung haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit
apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel in der vertragsärztlichen
Versorgung verordnungsfähig sind. Nach § 31 Abs. 1 Satz 3 SGB V sind Stoffe und
Zubereitungen aus Stoffen, die als Medizinprodukte nach § 3 Nr. 1 oder Nr. 2 MPG zur
Anwendung am oder im menschlichen Körper bestimmt und apothekenpflichtig sind und
die bei Anwendung der am 31.12.1994 geltenden Fassung des § 2 Abs. 1 AMG
Arzneimittel gewesen wären, in die Versorgung mit Arzneimittel einbezogen.
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Bei dem Rechtsanspruch auf Arzneimittel handelt es sich um ein
konkretisierungsbedürftiges Rahmenrecht. Die Konkretisierung erfolgt wegen des
funktionellen Zusammenhangs mit § 15 Abs. 1 und § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V durch
vertragsärztliche Verordnung. Der Anspruch auf die Sachleistung Arzneimittel ist
grundsätzlich nur begründet, wenn ein Vertragsarzt das Arzneimittel auf Kassenrezept
verordnet. Die vertragsärztliche Verordnung ist somit eine zusätzliche
Anspruchsvoraussetzung (vgl. BSG E 73, 271, 277, BSG E 79, 257). Eine
kassenärztliche Verordnung liegt hier nicht vor, so dass die Klage schon aus diesem
Grund abzuweisen ist. Bei dem hier vorliegenden Antrag des G handelt es sich
allenfalls um ein Privatrezept oder eine Anfrage zur Verordnungsfähigkeit. Beides kann
eine Leistungspflicht der Beklagten gegenüber der Klägerin, sei es für eine Abgabe als
Sachleistung oder Kostenerstattung nicht begründen.
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Im Übrigen wird Bezug genommen auf die weiteren zutreffenden Gründe des
Widerspruchsbescheides, die die Kammer ihrer Entscheidung zu Grunde legt (§ 136
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Abs. 3 SGB).
Insbesondere ist festzustellen, dass Chondroitinsulfat nicht namentlich in einer zur
Apothekenpflicht führenden Rechtsverordnungen genannt wird. Das Erfordernis der
namentlichen Nennung ist nicht dadurch erfüllt, dass nach Vortrag der Klägerin der in
Uropol S enthaltene Wirkstoff Chondroitinsulfat in Artikel Nr. 4 vom 14. 12.1990 der 24.
Verordnung über verschreibungspflichtige Arzneimittel genannten Chondroitinpolysulfat
und seine Salze - zur parenteralen Anwendung entspricht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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