Urteil des SozG Fulda vom 15.05.2006
SozG Fulda: versicherungspflicht, mitgliedschaft, erwerbsunfähigkeit, krankenversicherung, erwerbsfähigkeit, ärztliche behandlung, vorübergehende arbeitsunfähigkeit, vorläufige aufnahme, gerichtsakte
Sozialgericht Fulda
Beschluss vom 15.05.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Fulda S 4 KR 432/06 ER
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin vorläufig bis zum
Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. bei Klageerhebung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen
Hauptsacheverfahrens als freiwilliges Mitglied aufzunehmen.
2. Die Antragsgegnerin hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten. Im Übrigen
haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin hatte bis zum 31.12.2004 Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz bezogen; der zuständige
Sozialhilfeträger hatte nach § 264 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) die Krankenbehandlung übernommen.
Die Antragstellerin bezog ab dem 01.01.2005 durch das des Landkreises A-Stadt Arbeitslosengeld II (Bescheid vom
21.12.2004, Bl. 30 Akte des Amtes für Arbeit und Soziales und Folgebescheide).
Am 02.02.2005 (Bl. 4 Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, im Folgenden Verwaltungsakte genannt) nahm das eine
Anmeldung der Antragstellerin bei der Antragsgegnerin mit Wirkung zum 01.01.2005 vor.
Die Antragsgegnerin forderte das nach Eingang der Anmeldung auf, eine Überprüfung und Entscheidung bezüglich der
Frage der Erwerbsfähigkeit durch die Einigungsstelle nach § 45 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu
veranlassen. Mit Schreiben vom 12.04.2005 teilte das der Antragsgegnerin mit, dass die Antragstellerin aufgrund
eines amtsärztlichen Gutachtens des Gesundheitsamtes vom gleichen Tag (Bl. 11 Verwaltungsakte) voraussichtlich
bis zu sechs Monaten vermindert leistungsfähig bzw. leistungsunfähig sei und zum Ende des Jahres eine
Nachuntersuchung erfolgen werde.
Die Antragsgegnerin führte die Mitgliedschaft ab dem 01.01.2005 durch (Pflichtmitgliedschaft nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 a
SGB V, vgl. Bl. 52 Gerichtsakte).
Die amtsärztliche Nachuntersuchung der Antragstellerin durch das Gesundheitsamt fand am 23.01.2006 (Bl. 18
Verwaltungsakte) statt. In dem Gutachten wird ausgeführt, dass die Antragstellerin auf Dauer nicht in der Lage sei,
mehr als drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sie sei somit nicht erwerbsfähig im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II.
Aufgrund dieser Nachuntersuchung hob das mit Bescheid vom 08.02.2006 (Bl. 127 Akte des Amtes für Arbeit und
Soziales) die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II (zuletzt erfolgt durch Bescheid vom 19.12.2005 bis zum
30.06.2006, Bl. 116 Akte des Amtes für Arbeit und Soziales) mit Wirkung vom 01.03.2006 auf. Zur Begründung berief
sich das auf § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Ab dem 01.02.2006 wurden der Antragstellerin von der
Beigeladenen Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bewilligt (Bescheid der Beigeladenen
vom 23.02.2006, Bl. 32 Akte der Beigeladenen). Aus dem Bewilligungsbescheid ergibt sich, dass für den Monat
Februar 2006 mit Ausnahme eines Nachzahlungsbetrages von 3,50 Euro keine Leistungen durch die Beigeladene an
die Antragstellerin erfolgten, vielmehr weiterhin Leistungen durch das erbracht wurden, die von der Beigeladenen
erstattet wurden.
Der Antragsgegnerin wurde das Ergebnis der amtsärztlichen Nachuntersuchung vom 23.01.2006 übermittelt. Mit
Bescheid vom 10.02.2006 (Bl. 21 Verwaltungsakte; ohne Rechtsbehelfsbelehrung) teilte die Antragsgegnerin der
Antragstellerin mit, dass mit dem Datum der Feststellung der Erwerbsunfähigkeit die Mitgliedschaft bei der
Antragsgegnerin ende. Mit Schreiben vom 03.03.2006 (Bl. 26 Verwaltungsakte) lehnte die Antragsgegnerin auf einen
Antrag der Antragstellerin hin deren freiwillige Weiterversicherung ab. Zur Begründung führte die Antragsgegnerin aus,
dass der Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung voraussetze, dass unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der
Versicherungspflicht ununterbrochen mindestens zwölf Monate eine Versicherung in der gesetzlichen
Krankenversicherung bestanden habe. Bei einem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht aufgrund eines
unrechtmäßigen Bezugs von Alg II verlaufe die Rahmenfrist vom Ende der dieser Mitgliedschaft unmittelbar
vorausgehenden Versicherung. Da zu diesem Zeitpunkt aber keine Versicherung bestanden habe, bestehe keine
Beitrittsberechtigung. Gerne sei die Antragsgegnerin bereit, die weitere ärztliche Behandlung im Rahmen des § 264
SGB V sicherzustellen, sofern dessen Voraussetzungen vorlägen.
Die Antragstellerin legte am 24.03.2006 gegen den Bescheid vom 03.03.2006 Widerspruch ein (Bl. 27
Verwaltungsakte) und trug vor, sie sei vom 01.01.2005 bis 28.02.2006, also über ein Jahr während des Bezugs von
Alg II pflichtversichert gewesen. Die Feststellung der Erwerbsunfähigkeit sei am 10.01.2006 erfolgt.
Mit Schreiben vom 30.03.2006 (Bl. 29 Verwaltungsakte) teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass das
zuständige Gesundheitsamt bereits mit Gutachten vom 12.04.2005 festgestellt habe, dass die Antragstellerin
voraussichtlich bis zu sechs Monaten vermindert leistungsfähig sei. Danach hätten die Anspruchsvoraussetzungen
für den Bezug von Alg II nicht vorgelegen. Damit sei festzustellen, dass das Alg II unabhängig von der tatsächlichen
Zahlung zu Unrecht gezahlt worden sei. Dies wiederum führe dazu, dass die Zeit der Pflichtversicherung vom
01.01.2005 bis 28.02.2006 bei Prüfung der Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung ab 01.03.2006
keine anrechenbare Vorversicherungszeit darstelle. Dies ergebe sich aus § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 letzter Halbsatz
SGB V. Damit erfülle die Antragstellerin nicht die Voraussetzungen für eine freiwillige Weiterversicherung ab
01.03.2006.
Die Antragstellerin hat am 31.03.2006 (Bl. 8 Gerichtsakte) beim Sozialgericht Fulda einen Antrag auf den Erlass einer
einstweiligen Anordnung gestellt.
Die Antragstellerin trägt vor, sie habe versucht, den Sachverhalt beim der Beigeladenen zu klären, sei von dort aber
zurück zur Antragsgegnerin geschickt worden. Bei einer dortigen persönlichen Vorsprache habe sie am 20.03.2006
ihre Chip-Karte abgeben müssen. Die Antragstellerin benötige regelmäßige Medikamente und quartalsweise
fachärztliche Behandlungen, die sie keinesfalls auch nur vorübergehend selbst finanzieren könne.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten,
die Antragstellerin vorläufig als freiwilliges Mitglied weiterzuversichern.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, mit dem 28.02.2006 habe die Pflichtmitgliedschaft bei der Antragsgegnerin geendet.
Eine freiwillige Weiterversicherung scheide aus, denn bei der Berechnung der Vorversicherungszeit könnten Zeiten, in
denen eine Versicherung allein deshalb bestanden habe, weil Alg II zu Unrecht bezogen worden sei, nicht
berücksichtigt werden. Nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 12.04.2005 sei die Antragstellerin nicht in der Lage
gewesen, mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Als Zeitraum der geminderten Erwerbsfähigkeit sei
"bis zu sechs Monaten" angegeben gewesen. Ausgehend vom Datum der Untersuchung (11.04.2005) habe der 6-
Monats-Zeitraum mit dem 11.10.2005 geendet. Da durchgehend keine Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB
II bestanden habe bzw. bestehe (entsprechend dem amtsärztlichen Gutachten vom 23.01.2006) sei spätestens ab
12.10.2005 Alg II materiell-rechtlich zu Unrecht gezahlt worden. Hieraus folge, dass die in § 9 Abs. 1 Nr. 1 SGB V
erwähnte Vorversicherungszeit (12-Monate Pflichtversicherung auf Grund eines zu Recht bezogenen Alg II) nicht
erfüllt sei, insbesondere, da die Antragstellerin unmittelbar vor dem 01.01.2005 nicht gesetzlich krankenversichert
gewesen sei, da sie im Jahr 2004 Leistungen im Rahmen des § 264 SGB V erhalten habe. Hierbei handele es sich um
ein Auftragsverhältnis, durch das eine Mitgliedschaft zur Antragsgegnerin nicht zustande gekommen sei. Die
Antragstellerin habe gegenüber der Beigeladenen Ansprüche nach § 48 SGB XII bzw. darauf, dass die Beigeladene
der Antragsgegnerin den Auftrag gebe, im Rahmen des § 264 SGB V tätig zu werden.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beigeladene trägt vor, die Antragsgegnerin habe kein Prüfrecht, ob Leistungen nach dem SGB II zu Recht oder zu
Unrecht erfolgt seien. Entscheidend sei der tatsächliche Bezug von Alg II. Damit trete eine Versicherungspflicht ein,
welche für die Antragstellerin vom 01.01.2005 bis 28.02.2006 bestanden habe. Erst am 23.01.2006 sei eine
Erwerbsunfähigkeit durch das Gesundheitsamt festgestellt worden. Damit werde die Bewilligung des Alg II jedoch
nicht unrechtmäßig. Gründe für die Aufhebung der Bescheide des Landkreises A-Stadt seien nicht vorhanden. Ein
Verweis auf Leistungen nach dem § 264 SGB V sei nicht akzeptabel, da diese Kosten dann der Sozialhilfeträger zu
tragen habe. Dieser sei aber nur nachrangig verpflichtet. Im Übrigen sei die Antragsgegnerin der zuerst angegangene
Leistungsträger und schon deshalb zur Leistung verpflichtet.
Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die bei der Antragsgegnerin geführte Verwaltungsakte sowie
die Verwaltungsakte der Beigeladenen und die Verwaltungsakte des Amtes für Arbeit und Soziales des Landkreises
A-Stadt beigezogen und eine Stellungnahme beim eingeholt (Bl. 59 Gerichtsakte).
II.
Der Antrag ist zulässig. Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf
Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Regelungsanordnung). Die vorläufige Aufnahme der Antragstellerin in die Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied
wäre eine derartige Regelungsanordnung nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG.
Der Antrag führt auch in der Sache zum Erfolg.
Die Regelungsanordnung setzt einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund voraus.
Der Anordnungsanspruch bezieht sich auf das materielle Recht, für das vorläufiger Rechtschutz beantragt wird.
Anordnungsgrund ist bei der Regelungsanordnung die Notwendigkeit zur Abwendung wesentlicher Nachteile.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern bilden aufgrund ihres
funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Kommentar,
8. Auflage 2005, § 86 b Rz. 27 ff.). Wenn eine Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet wäre, ist ein Recht,
das geschützt werden muss, nicht vorhanden und der Antrag, auch wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist,
abzulehnen. Wäre eine Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den
Anordnungsgrund und ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in der Regel stattzugeben. Bei offenem
Ausgang ist eine Interessenabwägung erforderlich (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aa0, § 86 Rz. 29 mwN).
Vorliegend wäre eine Klage (fristgerechte Klageerhebung vorausgesetzt) offensichtlich zulässig und begründet.
Die Antragstellerin hat einen Anspruch auf Durchführung der freiwilligen Mitgliedschaft durch die Antragsgegnerin
aufgrund ihrer Beitrittserklärung nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) in der ab dem
31.12.2005 geltenden Fassung (Artikel 2 a des Gesetzes vom 22.12.2005, BGBl. 2005, Teil I, Nr. 76). Danach können
der Versicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden sind und in den
letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens vierundzwanzig Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden
ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert waren; Zeiten der Mitgliedschaft nach § 189 und Zeiten, in denen
eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld II zu Unrecht bezogen wurde, werden nicht
berücksichtigt.
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob bei den Zeiten des Alg-II-Bezugs auf dessen formelle oder die materielle
Rechtmäßigkeit abzustellen ist.
Die Antragstellerin hat formell rechtmäßig vom 01.01.2005 bis zum 28.02.2006 Alg II bezogen (vgl. die vom
erlassenen bestandskräftigen Bescheide vom 21.12.2004, Bl. 30, vom 23.06.2005, Bl. 81, und vom 19.12.2005, Bl.
116 jeweils Akte des Amtes für Arbeit und Soziales). Falls man auf die formelle Betrachtungsweise abstellt, war die
Antragstellerin unmittelbar vor dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht (die durch den Alg-II-Bezug begründet
worden war und am 28.02.2006 endete, vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V) mehr als zwölf Monate (aufgrund des Alg-II-
Bezugs pflicht)versichert gewesen, womit die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V erfüllt sind.
Falls man auf die materielle Betrachtungsweise abstellte, ergäbe sich folgendes Ergebnis:
Anlässlich der amtsärztlichen Untersuchung vom 23.01.2006 (Bl. 29 Akte des Amtes für Arbeit und Soziales) wurde
die Antragstellerin vom Gesundheitsamt für "auf Dauer erwerbsunfähig" angesehen. Damit lagen – wenn man der
amtsärztlichen Auffassung folgt – die Voraussetzungen für den Bezug von Alg II (der ausgeschlossen ist, wenn der
Hilfebedürftige auf absehbare Zeit erwerbsunfähig ist, vgl. §§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II) nicht mehr vor.
Der Antragstellerin standen damit (beim Abstellen auf die Kenntnisnahme durch die Behörde, die am 30.01.2006
erfolgt ist) ab dem 01.02.2006 materiell-rechtlich keine Alg-II-Leistungen mehr zu (vgl. hierzu auch Stellungnahme des
Amtes für Arbeit und Soziales vom 10.05.2006, Bl. 59 Gerichtsakte; zu der von der Antragsgegnerin vertretenen
abweichenden Rechtsauffassung s. unten). In Konsequenz dessen bewilligte die Beigeladene ab dem 01.02.2006 (Bl.
32 Akte der Beigeladenen) Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) und weil das die noch
bis zum 30.06.2006 laufende Bewilligung von Alg II erst zum 28.02.2006 aufgehoben hatte, wurde zwischen der
Beigeladenen und dem so verfahren, dass die Beigeladene dem die im Februar 2006 von diesem erbrachten
Leistungen erstattete. Dies änderte jedoch nichts daran, dass materiell-rechtlich ein Anspruch auf Leistungen nach
dem SGB II nicht mehr gegeben war. Dies ändert jedoch auch nichts daran, dass die Antragstellerin auch im Februar
2006 Alg-II-Leistungen bezog. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Alg II materiell-rechtlich zu Unrecht gewährt wurde (also ab
dem 01.02.2006) – falls man der Einschätzung des Amtsarztes folgt – , bestand jedoch nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
SGB V kein Beitrittsrecht, da die dort genannten Voraussetzungen nicht erfüllt waren: Die Antragstellerin war nämlich
noch nicht aus der Versicherungspflicht ausgeschieden, da diese aufgrund des "Bezugs" von Alg II bis zum
28.02.2006 fortbestand. § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V stellt nämlich für die Begründung bzw. Aufrechterhaltung der
Versicherungspflicht auf den "Bezug" von Alg II ab und revidiert dies im Übrigen auch nicht, "wenn die Entscheidung,
die zum Bezug der Leistung geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder
zurückgezahlt worden ist" (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 a zweiter Halbsatz SGB V). Da die Antragstellerin bis zum 28.02.2006 Alg
II (wenn auch im Februar 2006 ggf. materiell zu Unrecht) bezog, endete die Pflichtversicherung erst zu diesem
Zeitpunkt. Eine Beitrittsmöglichkeit ergäbe sich daher erst ab dem 01.03.2006. Zu diesem Zeitpunkt hatte zwar zwölf
Monate eine Versicherung (aufgrund des Alg-II-Bezugs) bestanden, jedoch war die Leistung im Monat Februar 2006,
dem letzten Monat vor dem Ende der Versicherungspflicht, materiell zu Unrecht erfolgt, wenn man dem
amtsärztlichen Gutachten folgt. Damit würde die von § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V geforderte "Unmittelbarkeit" der
Vorversicherungszeit nicht vorliegen, wenn man auf die materielle Rechtmäßigkeit des Alg-II-Bezugs abstellte.
Daher würde bei materieller Unrechtmäßigkeit der Leistung im letzten Monat vor Ende der Versicherungspflicht bei
ansonsten rechtmäßigem Leistungsbezug über mehr als zwölf Monate kein Beitrittsrecht der Antragstellerin bestehen
und dies auch nur deshalb, weil die Versicherungspflicht nicht analog zur Änderung der materiell-rechtlichen Lage,
also mit Eintritt der materiellen Unrechtmäßigkeit des Leistungsbezugs, endet, sondern erst mit dem Ende des
tatsächlichen Bezugs der Leistung. Anders gewendet: Würde die Versicherungspflicht auch zu dem Zeitpunkt enden,
zu dem die Leistung materiell zu Unrecht gewährt worden ist (hier zum 01.02.2006), ergäbe sich im Falle der
Antragstellerin ein Beitrittsrecht aufgrund einer unmittelbar vor dem Ausscheiden bestehenden Versicherung über
mehr als zwölf Monate aufgrund eines formell und materiell rechtmäßigen Bezugs von Alg II.
Eine derartige Rechtsfolge kann der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V zum
31.12.2005 nicht gewollt haben. Dem Gesetzeswortlaut kann nichts zu der Frage entnommen werden, ob der
Gesetzgeber die materielle oder die formelle Rechtmäßigkeit des Alg-II-Bezugs als für die Vorversicherungszeit
maßgeblich ansieht.
Mehr Aufschluss bringt die Gesetzesbegründung. Dort hat der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucksache 16 (11) 22 vom
12.12.2005, Seite 1, Bl. 43 Gerichtsakte) ausgeführt, dass mit der Neuregelung verhindert werde, dass ein wegen
fehlender Erwerbsfähigkeit rechtswidriger Bezug von Alg II dazu führe, dass nach Ende des unrechtmäßigen
Leistungsbezugs eine dauerhafte freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung begründet werden
könne. Hiermit hat der Gesetzgeber erkennbar die Fälle gemeint, in denen das Alg II über den gesamten oder einen
wesentlichen die Vorversicherungszeit begründenden Zeitraum rechtswidrig gewährt worden ist. Fälle wie der
vorliegende, in denen über zwölf Monate auch materiell-rechtmäßig Alg II bezogen wurde und in denen sich eine
nahtlose Vorversicherung ("unmittelbar") nur deshalb nicht ergibt, weil die Versicherungspflicht nicht analog zum
materiell unrechtmäßigen Leistungsbezug endet, können hiermit nicht gemeint sein.
Dies ergibt sich auch daraus, dass in der Gesetzesbegründung ausgeführt wird, dass die Regelung der Begründung
einer freiwilligen Mitgliedschaft von Personen nicht entgegensteht, die vor dem rechtswidrigen Bezug von Alg II die
Vorversicherungszeit für den Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung auf Grund eines anderen
Versicherungstatbestandes, z. B. des Bezugs von Arbeitslosengeld, erfüllt hatten. In diesen Fällen sei davon
auszugehen, dass eine freiwillige Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung innerhalb von drei Monaten
nach Ende des Bezugs von Alg II auch weiterhin begründet werden könne, wenn zu Beginn des Bezugs von Alg II ein
Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung bestanden habe. Andernfalls würden die Betroffenen durch den
rechtswidrigen Bezug von Alg II in Bezug auf das Beitrittsrecht zur gesetzlichen Krankenversicherung schlechter
gestellt, als sie ohne die Gewährung von Alg II gestanden hätten. Auf den vorliegenden Fall gewendet, ergibt sich die
erforderliche Vorversicherungszeit von zwölf Monaten bereits aus dem formell und materiell rechtmäßigen Bezug von
Alg II für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 31.01.2006. Damit hatte die Antragstellerin die Vorversicherungszeit
bereits erfüllt. Der nur im Monat Februar 2006 erfolgte materiell-rechtswidrige Bezug von Alg II darf nach der Wertung
des Gesetzgebers nicht dazu führen, dass die Antragstellerin schlechter gestellt ist, als sie ohne die Gewährung von
Alg II im Februar 2006 gestanden hätte.
Die Alg-II-Leistung ist entgegen der Rechtsauffassung der Antragsgegnerin jedenfalls bis zum 31.01.2006 auch
materiell rechtmäßig erfolgt. Hatte die Antragsgegnerin in ihrem Schreiben vom 30.03.2006 (Bl. 29 Verwaltungsakte)
noch (sinngemäß) die Rechtsauffassung vertreten, dass die Leistung von Alg II für den gesamten Zeitraum vom
01.01.2005 bis zum 28.02.2006 rechtswidrig erfolgt sei, so geht sie im Antragsverfahren davon aus, dass die
Antragstellerin ab dem 12.10.2005 materiell-rechtlich zu Unrecht Alg II bezogen hat. Dies leitet sie daraus ab, dass
nach dem amtsärztlichen Gutachten vom 12.04.2005 für einen Zeitraum von sechs Monaten geminderte
Erwerbsfähigkeit bestanden habe und der 6-Monats-Zeitraum mit dem 11.10.2005 ende (da die amtsärztliche
Untersuchung am 11.04.2005 stattgefunden hatte). Aufgrund des zweiten amtsärztlichen Gutachtens vom 23.01.2006
stehe fest, dass durchgehend keine Erwerbsfähigkeit bestanden habe bzw. bestehe.
Die Antragsgegnerin übersieht hierbei, dass aufgrund des ersten amtsärztlichen Gutachtens vom 12.04.2005
Erwerbsfähigkeit im Sinne von § 8 Abs. 1 SGB II zu bejahen war, denn danach schließt nur Erwerbsunfähigkeit "auf
absehbare Zeit" den Bezug von Alg II aus. Bei der Frage, ob ein Hilfebedürftiger auf absehbare Zeit außerstande ist,
eine Erwerbsfähigkeit auszuüben, ist ein Zeitraum von sechs Monaten zugrunde zu legen (Valgolio in Hauck/Noftz,
SGB II, Kommentar, Loseblattsammlung Stand November 2005, § 8 Rz. 11). Eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit
steht damit einem Leistungsanspruch nach dem SGB II nicht entgegen, selbst wenn derartige Ausfallzeiten häufig
auftreten (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, aa0, § 8 Rz. 10). Mit der Feststellung im amtsärztlichen Gutachten vom
12.04.2005, dass die Antragstellerin "voraussichtlich bis zu 6 Monaten vermindert leistungsfähig oder nicht
leistungsfähig" sei, lag zu diesem Zeitpunkt noch keine Erwerbsunfähigkeit auf absehbare Zeit vor. Erst aufgrund des
Gutachtens vom 23.01.2006 stand fest, dass Erwerbsunfähigkeit auf Dauer gegeben war. Diese Feststellung kann, da
in dem Gutachten nichts Abweichendes vermerkt ist, nur mit Wirkung für die Zukunft gelten. Der Zeitpunkt der
Erwerbsunfähigkeit auf Dauer kann nicht vorverlagert werden und zwar weder auf den Zeitpunkt der ersten
amtsärztlichen Untersuchung (was die Antragsgegnerin wohl auch nicht mehr vertritt) noch auf den Zeitpunkt nach
Ablauf des 6-Monats-Zeitraums, denn nach Ablauf des 6-Monats-Zeitraums fand zunächst keine Begutachtung
hinsichtlich der Erwerbsfähigkeit der Antragstellerin statt. Alleine aus dem Ablauf des 6-Monats-Zeitraums zu
schließen, dass nunmehr eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vorliege, entbehrt der Grundlage. Erst die Begutachtung
im Januar 2006 führte zu dem Ergebnis der Erwerbsunfähigkeit auf Dauer ab diesem Zeitpunkt. Dass die
Antragstellerin schon im Oktober 2005 auf Dauer erwerbsunfähig war, ist dem gegenüber nicht nachgewiesen.
Damit hat die Antragstellerin in jedem Fall das Beitrittsrecht nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V und zwar sowohl,
wenn man auf die formelle Sicht abstellt als auch, wenn man auf die materielle Sicht bei zutreffender Auslegung des
Gesetzestextes abstellt.
Die Antragstellerin hat ihren Beitritt zur Krankenversicherung gegenüber der Antragsgegnerin auch fristgerecht (§ 9
Abs. 2 Nr. 1 SGB V) erklärt.
Da eine Klage (auf Durchführung der freiwilligen Mitgliedschaft) offensichtlich zulässig und begründet wäre, tritt die
Interessenabwägung in den Hintergrund. Es kommt daher auch nicht darauf an, dass die Beigeladene der
Antragstellerin Leistungen nach § 264 SGB V zur Verfügung stellen könnte, da ein Anspruch auf Durchführung der
freiwilligen Mitgliedschaft offensichtlich besteht. Um dem Charakter der einstweiligen Anordnung Rechnung zu tragen
wurde jedoch die einstweilige Anordnung befristet bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens bzw. des
erstinstanzlichen Hauptsachverfahrens. Dies bedeutet, dass die Regelungsanordnung entfällt, wenn das
Widerspruchsverfahren durch Abhilfeentscheidung seitens der Antragsgegnerin endet. Sie entfällt auch dann, wenn
dem Widerspruch der Antragstellerin in einem Widerspruchsbescheid stattgegeben wird. Falls der
Widerspruchsausschuss der Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurückweist und die Antragstellerin
Klage erhebt, entfällt die Regelungsanordnung erst mit Abschluss des erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens; falls
die Antragstellerin keine Klage erhebt, entfällt die Regelungsanordnung mit Bestandskraft des
Widerspruchsbescheids.
Die Kostenentscheidung beruht auf analoger Anwendung des § 193 SGG. Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus § 172
SGG.