Urteil des SozG Freiburg vom 06.12.2013

elektronische datenverarbeitung, elektronische gesundheitskarte, persönliche daten, gesellschaft

SG Freiburg Urteil vom 6.12.2013, S 5 KR 2714/13
Krankenversicherung - Informationsgrundlagen - Einführung der elektronischen
Gesundheitskarte - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze
Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte in der derzeitigen Form verstößt
nicht gegen das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beklagte hat mit Bescheid vom 22.1.2013, den sie mit Schreiben vom
11.2.2013 - jetzt mit Rechtsbehelfsbelehrung - lediglich wiederholt hat, einen
Antrag der bei ihr familienversicherten Klägerin auf unbefristete Weiterverwendung
ihrer bisherigen Krankenversichertenkarte (KVK) abgelehnt, weil die Klägerin
verpflichtet sei, im Rahmen des Aufbaus eines Gesundheitsnetzwerks zwischen
Ärzten, Apotheken, Krankenhäusern, Abrechnungszentren und Kostenträgern,
den das Gesetz zur Modernisierung im Gesundheitswesen (in Kraft ab 1.1.2004)
regle, die elektronische Gesundheitskarte (eGK) als Bestandteil dieser „Telematik-
Infrakstruktur“ verbindlich einzuführen. Diese eGK, die ein Lichtbild des
Versicherten enthalten müsse, löse die alte KVK vollständig ab; auch die Klägerin
müsse die eGK dann nutzen, weil anderenfalls der Arzt nicht mehr mit der Kasse
abrechnen könne und erbrachte Leistungen möglicherweise privat in Rechnung
stelle. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.5.2013 hielt die Beklagte, ohne näher auf
die Einwände auf die Klägerin einzugehen, die eGK und die TI verletzten ihr Recht
auf informationelle Selbstbestimmung, weil der Gesundheitsdatenschutz nicht
genügend gesichert sei.
2 Die Klägerin hat am 14.6.2013 Klage auf Zurverfügungstellung von Leistungen
nach dem SGB V ohne Einsatz der eGK erhoben.
3 Sie macht geltend, die Vorschriften der §§ 291 a, 291 b SGB V über die Einführung
der eGK und über die Gesellschaft für Telematik, die für die Schaffung einer
interoperablen und kompatiblen Telematikinfrastruktur zuständig sein solle, seien
verfassungswidrig.
4 Im Einzelnen macht sie unter anderem geltend, der Gesetzgeber habe die
Einführung der eGK bis zum 01.01.2007 vorgesehen, nun werde diese jedoch erst
im Jahre 2014 eingeführt. Damit liege eine genügende gesetzliche Grundlage für
die Einführung der eGK nicht mehr vor. Zwar sei der Beklagten einzuräumen, dass
derzeit nur einige Daten, wie etwa das Lichtbild des Versicherten, auf der eGK
verpflichtend gespeichert werden müssten, während eine Vielzahl von
Anwendungen vorläufig noch auf freiwilliger Basis erfolge. Die Einführung der eGK
mache jedoch im Ergebnis nur dann Sinn, wenn auch die freiwilligen
Anwendungen zum allgemeinen Standard würden. Patienten, welche die bis jetzt
noch freiwillige Aufnahme bestimmter Daten in die eGK Daten verweigerten,
gerieten damit beim Besuch der Arztpraxis oder des Krankenhauses automatisch
in die Position von „Querulanten“, die Sand im Getriebe der informationstechnisch
mit Apotheken, Krankenhäusern und Krankenkassen vernetzten Arztpraxen
darstellten und entsprechend mit einer schlechteren Behandlung durch die Ärzte
zu rechnen hätten. Abgesehen davon sei die von der Gesellschaft für Telematik
vorgesehene Telematikinfrastruktur nicht genügend gegen Datenmissbrauch
gesichert, und der Gesetzgeber habe keine genügend klaren Vorgaben zum
Datenschutz bei Einführung der eGK gemacht. Dies alles führe zu einem Verstoß
gegen die grundrechtlich geschützte informationelle Selbstbestimmung der
Versicherten und sei somit verfassungswidrig.
5 Die Klägerin beantragt.
6
Der Bescheid der Beklagten vom 22.1.2013 sowie der diesen wiederholende
Bescheid vom 11.2.2013 - beide in der Fassung des Widerspruchsbescheids
vom 23.5.2013 - wird aufgehoben.
7
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin weiterhin Sachleistungen nach dem SGB
V zur Verfügung zu stellen, ohne dass sie die elektronische Gesundheitskarte
benutzen muss, sei dies über eine Verlängerung der Gültigkeit der bisherigen
Krankenversicherungskarte oder sei dies auf anderem Wege.
8
Sobald eine Zurverfügungstellung von Sachleistungen ohne elektronische
Gesundheitskarte der Beklagten nicht mehr möglich ist, hat die Beklagte der
Klägerin für Behandlungen gegen Rechnung volle Kostenerstattung zu gewähren.
9 Die Beklagte beantragt:
10 Abweisung der Klage.
11 Wegen der Argumentation der Beklagten wird auf deren Schriftsätze im
Klageverfahren Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
12 Soweit die Klägerin Anfechtungsklage auch gegen den „wiederholenden
Bescheid“ vom 11.2.2013 erhoben hat, ist diese unzulässig, da insoweit kein
erneuter Verwaltungsakt vorliegt, der gesondert anfechtbar wäre; das Schreiben
vom 11.2.2013 enthält nämlich lediglich die bereits im Bescheid vom 22.1.2013
getroffene Regelung nochmals, entfaltet also selbst keine weitere eigenständige
Regelung hoheitlicher Art mit Außenwirkung im Sinne eines anfechtbaren
Verwaltungsaktes (§§ 54 Abs. 1 SGG, 31 SGB X).
13 Im Übrigen ist die hier erhobenen Anfechtungsklage und die damit verbundene
Leistungsklage zulässig, aber unbegründet.
14 Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid den Antrag der Klägerin auf
unbefristete Weiterverwendung der bisherigen KVK abgelehnt und die
Verpflichtung der Klägerin ausgesprochen, die eGK zu benutzen, um damit
Sachleistungen nach dem SGB V in Anspruch nehmen zu können. Gegen diese
Verpflichtung wendet sich die Klägerin, die von der Beklagten verlangt, ihr
weiterhin Sachleistungen ohne Pflicht zur Benutzung der eGK zu gewähren. Für
den Fall, dass dies der Beklagten nicht mehr möglich sein sollte, hat die Klägerin
beantragt, die Beklagte zur vollen Kostenerstattung für ärztliche Behandlungen
gegen (private) Rechnung zu verurteilen.
15 Die Klage ist unbegründet, denn die Klägerin ist kraft Gesetzes verpflichtet, in
Zukunft die im Rahmen der §§ 291 a, 291 b SGB V eingeführte eGK zu benutzen,
um Sachleistungen nach dem SGB V in Anspruch nehmen zu können.
16 Zwar lautet der grundlegende gesetzliche Programmsatz zur Einführung der eGK
(§ 291a Abs. 1 SGB V) wie folgt: „ Die Krankenversichertenkarte nach § 291 Abs. 1
wird bis spätestens zum 1. Januar 2006 zur Verbesserung von Wirtschaftlichkeit,
Qualität und Transparenz der Behandlung für die in den Absätzen 2 und 3
genannten Zwecke zu einer elektronischen Gesundheitskarte erweitert.“ Das
bedeutet aber nicht, dass für die nun erst 2014 erfolgende Implementierung der
eGK eine gesetzliche Grundlage fehlen würde; das vom Gesetzgeber seinerzeit
vorgegebene Datum ist lediglich als programmatische Vorschrift zu verstehen und
nicht etwa als eine Stichtagsregelung im Sinne eines Verbots, die eKG ggf. doch
erst später einzuführen.
17 Die Vorschriften über die Einführung der eGK verstoßen, jedenfalls solange die
eGK nur die derzeit verpflichtend vorgeschriebenen Angaben enthalten muss,
auch nicht gegen das durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG
gewährleistete Grundrecht der Versicherten auf informationelle Selbstbestimmung
(dazu grundlegend BVerfG, Urteil vom 15.12.1983, 1 BvR 209/83, 1 und weitere
Aktenzeichen; BVerfGE 65, 1 bis 71 -„Volkszählungsurteil“) und damit nicht gegen
das Grundgesetz.
18 - Nach derzeitigem gesetzlichen Stand hat die eGK zwingend nur folgende
Angaben zu enthalten (§ 291 a Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 291 Abs. 2 SGB V):
19 Die Bezeichnung der ausstellenden Krankenkasse, Familien- und Vorname des
Versicherten, Geburtsdatum, Geschlecht, Anschrift, Krankenversichertennummer,
Versichertenstatus, Zuzahlungsstatus, Tag des Beginns des
Versicherungsschutzes und bei befristeter Gültigkeit der Karte das Datum des
Fristablaufs. Zusätzlich enthält die eGK auch, wie die bisherige KVK, die
Unterschrift und ein Lichtbild des Versicherten.
20 - Soweit die eGK geeignet sein muss, Angaben für die Übermittlung ärztlicher
Verordnungen in elektronischer und maschinell verwertbarer Form aufzunehmen
(§ 291 a Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB V), so müssen derartige Angaben auf Verlangen
des Versicherten gelöscht werden (§ 291a Abs. 6 S. 1 SGB V).
21 - Das Erheben, Verarbeiten und Nutzen von Daten mittels der EGK in allen
weiteren Fällen (dies sind die Fälle des § 291 a Abs. 3 S. 1 SGB V) ist von
vornherein nur mit dem Einverständnis der Versicherten zulässig (§ 291 a Abs. 5
S. 1 SGB V). Das sind insbesondere Angaben medizinischer Daten, soweit sie für
die Notfallversorgung erforderlich sind, Angaben von Befunden, Diagnosen,
Therapieempfehlungen sowie Behandlungsberichten in elektronischer und
maschinell verwertbarer Form für eine einrichtungsübergreifende fallbezogene
Kooperation (elektronischer Arztbrief), Daten zur Prüfung der
Arzneimitteltherapiesicherheit, Daten über Befunde, Diagnosen,
Therapiemaßnahmen, Behandlungsberichte sowie Impfungen für eine Fall- und
Einrichtungsübergreifende Dokumentation über den Patienten (elektronische
Patientenakte), Angaben vom Versicherten selbst oder für Versicherte zur
Verfügung gestellte Daten, Angabe von Daten über in Anspruch genommene
Leistungen und deren vorläufige Kosten für die Versicherten, Erklärungen der
Versicherten zur Organ- und Gewebespende, Hinweise der Versicherten auf das
Vorhandensein und Aufbewahrungsort von Erklärungen zu Organ- und
Gewebespende sowie Hinweise der Versicherten auf das Vorhandensein und den
Aufbewahrungsort von Vorsorgevollmachten oder Patientenverfügungen.
22 Angesichts der Tatsache, dass all die zuletzt genannten Daten nur mit Einwilligung
des Versicherten gespeichert werden dürfen, erscheint der Kammer das Recht auf
informationelle Selbstbestimmung der Versicherten durch die gesetzlichen
Vorgaben genügend geschützt. Die gesetzlich vorgesehenen Pflichtangaben sind
durch ein überwiegendes Allgemeininteresse gerechtfertigt und gehen im Übrigen
nicht wesentlich weiter, als die bisher schon auf der KVK erforderlichen Angaben.
Wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil (aaO) dargelegt
hat, besteht auf persönliche Daten kein Recht im Sinne einer absoluten
uneinschränkbaren Herrschaft. Vielmehr muss der Einzelne als eine sich innerhalb
der sozialen Gemeinschaft entfaltende und auf Kommunikation angewiesene
Persönlichkeit Einschränkungen seines Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung im hinnehmen (vgl. BVerfGE aaO, Seite 43). In diesem
Zusammenhang ist hervorzuheben, dass seit dem Volkszählungsurteil aus dem
Jahre 1983 die gesellschaftliche Entwicklung nicht stehen geblieben ist und die
heutige Gesellschaft in allen Lebensbereichen durch die elektronische
Datenverarbeitung mit geprägt wird; man denke dabei nur an die Bank- und
Geldwirtschaft. Insoweit kann sogar von einer unentrinnbaren Prägung der
modernen zivilisierten Gesellschaft durch die elektronische Datenverarbeitung
gesprochen werden. Wie das Bundesverfassungs-gericht schon damals zu Recht
hervorgehoben hat, ist die einzelne Person auf die Gemeinschaft bezogen und auf
Kommunikation angewiesen, somit in der heutigen Zeit auch auf die
Kommunikation mittels elektronischer Datenverarbeitung. Deshalb darf bei der
Prüfung der Frage, ob der Gesetzgeber für bestimmte Daten eine elektronische
Datenverarbeitung vorschreiben darf, nicht auf das Leitbild eines einzelnen
Bürgers abgestellt werden, der quasi ein Leben als „Daten-Eremit“ führen will. Der
Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, sie sei Mitglied keines
einzigen sozialen Netzwerkes, sie und ihr Ehemann benutzten auch keinerlei
Bankkarten bei Auslandsaufenthalten und stünden auch sonst jeglicher Form der
elektronischen Datenverarbeitung äußerst kritisch gegenüber, weist in diese
Richtung. Dass die Klägerin dementsprechend grundsätzliche und tiefgreifende
Vorbehalte gegenüber jeglicher Form von Datenverarbeitung hat, kann nach
Überzeugung der Kammer bei der hier vorzunehmenden Abwägung zwischen den
Belangen einer modernen, elektronisch gestützten Datenverarbeitung und dem
Recht des Einzelnen, selbst über Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten
zu bestimmen, keine Berücksichtigung finden.
23 Soweit die Klägerin vorträgt, zwar seien derzeit viele tiefgreifend in den
persönlichen Datenschutz eingreifende Angaben, insbesondere die im Sinne des
§ 291 a Abs. 3 SGB V noch freiwilliger Natur, doch mache die Einführung der eGK
überhaupt nur dann Sinn, wenn sich die große Mehrheit der Versicherten mit der
Datenverarbeitung im Sinne des Abs. 3 einverstanden erkläre, woraus wiederum
ein faktischer sozialer Zwang für die sich verweigernden Versicherten entstehe,
doch bei der umfassenden Datenverarbeitung mitzumachen, so ergibt sich daraus
jedenfalls derzeit kein unmittelbarer und tiefgreifender Eingriff in das grundrechtlich
geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Angesichts der im Internet
kursierenden Angaben, dass sich Hunderttausende von Versicherten gegen die
Einführung der eGK ausgesprochen hätten, steht auch nicht zu befürchten, dass
die Klägerin, wenn sie der umfassenden Datenmitteilung und Datenverarbeitung
sowie dem Datenaustausch im Sinne des § 291a Abs. 3 SGB V ablehnend
gegenübersteht, von den sie behandelnden Ärzte als „Exotin“, „Außenstehende“
oder gar „Querulantin“ behandelt werden würde.
24 Die grundsätzlichen Bedenken der Klägerin gegen die von der Gesellschaft für
Telematik zugelassenen Komponenten und Dienste der Telematikinfrastruktur
vermag die Kammer im Hinblick darauf, dass der künftige Datentransport nicht im
Rahmen des offenen Internets, sondern in einem quasi geschlossenen Intranet
des Gesundheitswesen erfolgen soll, nicht zu teilen, dies in Übereinstimmung mit
der Entscheidung des Hessischen LSG vom 26.9.2013 (L 1 KR 50/13).
25 Nach alledem war die Klage abzuweisen.
26 Die Kostenentscheidung war nach § 193 SGG zu treffen.