Urteil des SozG Freiburg vom 21.09.2010

SozG Freiburg: schutz der versicherten, satzung, krankenkasse, unterdeckung, krankenversicherung, verwaltungsrat, belastung, gewinnung, unterlassen, aufsichtsbehörde

Sozialgericht Freiburg
Urteil vom 21.09.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Freiburg S 14 KR 3396/10
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen die Erhebung eines Zusatzbeitrags von 8 EUR monatlich durch ihre Krankenkasse.
Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert und unterliegt der Beitragspflicht.
Die Satzung der Beklagten sieht in ihrem § 17 eine Regelung zur Fälligkeit der Beiträge vor. Danach werden Beiträge
monatlich erhoben und sind am 15. des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den der Beitrag gilt.
Am 28.1.2010 beschloss der Verwaltungsrat der Beklagten folgende Satzungsergänzung: "§ 14 Zusatzbeitrag Für
Mitglieder beträgt der Zusatzbeitrag nach § 242 SGB V monatlich 8,00 Euro." Das Bundesversicherungsamt
genehmigte die Satzungsänderung und sie wurde am 3.2.2010 im Bundesanzeiger veröffentlicht.
Mit Schreiben vom Februar 2010 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie ab 1.2.2010 einen Zusatzbeitrag in
Höhe von 8 EUR monatlich zu ihrer Krankenversicherung zu entrichten habe. Auf der Rückseite des Schreibens
wurde sie unter anderem auf ihr Sonderkündigungsrecht hingewiesen. Dieses Schreiben erhielt die Klägerin nach
unbestrittenen Ausführungen der Beklagten spätestens am 15.2.2010.
Dagegen wandte sich die Klägerin mit Widerspruch vom 2.3.2010, zu dessen Begründung sie ausführte, dass eine
gesetzliche Grundlage für die Erhebung des Zusatzbeitrags nicht existiere. Außerdem sei die Grenze des Zumutbaren
bei ihr erreicht. Die Beklagte habe richtig erkannt, dass die Einnahmen sänken. Die Beklagte könne deshalb nicht
mehr ausgeben.
Mit förmlichem Bescheid vom 15.3.2010 teilte die Beklagte der Klägerin erneut die Höhe ihres Zusatzbeitrags mit. Der
Beitrag sei am 15. des Folgemonats fällig. Dazu führte sie aus, dass sie sich die Entscheidung über die Erhebung
des Zusatzbeitrags nicht leicht gemacht habe. Dagegen erhob die Klägerin am 19.3.2010 erneut Widerspruch. Mit
Widerspruchsbescheid vom 16.6.2010 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Dagegen richtet sich die am 1.7.2010 erhobene Klage, zu deren Begründung die Klägerin ausführt, die Beklagte habe
in einer Pressemitteilung erklärt, dass sie im ersten Quartal einen Überschuss von 31 Millionen Euro erwirtschaftet
habe. Das seien geschätzt 120 Millionen im Jahr. Das gleiche das Defizit aus dem Gesundheitsfond aus. Die
Beklagte habe insofern ohne Not Beiträge erhoben.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Bescheide vom Februar 2010 und 15.3.2010 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 16.6.2010 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt sinngemäß, die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Bezüglich die weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte sowie die
Verwaltungsakte der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Das Gericht konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, weil die Beteiligten dieser Verfahrensweise zugestimmt haben.
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben (§§ 87, 90 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Klägerin steht auch eine
Klagebefugnis zur Seite. Zweifel bestehen allerdings an ihrem Rechtsschutzbedürfnis. Der Klägerin stand zur
Vermeidung der Zahlung eines Zusatzbeitrags gemäß § 179 Abs. 4 Satz 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)
die Möglichkeit offen, ihre Mitgliedschaft bei der Beklagten zu kündigen und einer anderen gesetzlichen
Krankenversicherung beizutreten, die keinen Zusatzbeitrag erhebt. Ob die Klägerin dieses Kündigungsrecht ausgeübt
hat, haben die Beteiligten nicht vorgetragen. Jedenfalls steht ihr die Kündigungsmöglichkeit inzwischen nicht mehr
offen, weil die nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V maßgebliche Kündigungsfrist zwischenzeitlich abgelaufen ist.
Jedenfalls ist die Klage aber unbegründet. Der Bescheid vom 15.3.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
16.6.2010 ist rechtmäßig. Die Kammer kann insofern dahingestellt sein lassen, ob das Schreiben vom Februar 2010
ebenfalls als Bescheid zu qualifizieren ist, wie die Klägerin meint. Jedenfalls wiederholte die Beklagte die darin
eventuell enthaltene Verfügung im Bescheid vom 15.3.2010 und eröffnete somit die Möglichkeit von Widerspruch und
Klage.
Die Beklagte erhebt von der Klägerin zu Recht einen Zusatzbeitrag von 8 EUR monatlich. Er beruht auf § 242 Abs. 1
Satz 1 SGB V in Verbindung mit § 14 ihrer Satzung. Nach § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse in ihrer
Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird, soweit ihr Finanzbedarf durch die
Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds nicht gedeckt ist. Nach Satz 3 erhebt die Krankenkasse den Zusatzbeitrag
ohne Prüfung der Höhe der Einnahmen des Mitglieds, wenn der monatliche Zusatzbeitrag den Betrag von 8 EUR nicht
übersteigt.
Diese Voraussetzungen erfüllt die Satzung der Beklagten. Nach § 14 der Satzung beträgt der monatliche
Zusatzbeitrag 8,00 EUR und ist vom Mitglied an die Kasse zu zahlen. Er wird gemäß § 17 der Satzung jeweils am 15.
des Monats fällig, der dem Monat folgt, für den er zu entrichten ist. Die Satzung wurden genehmigt und
ordnungsgemäß veröffentlicht. Weder hat die Klägerin die Satzung als solche beanstandet noch sind Anhaltspunkte
dafür ersichtlich, dass die Satzung unrechtmäßig zustande gekommen ist.
Die materiell rechtlichen Einwände der Klägerin gegen die Erhebung des Zusatzbeitrags von 8 EUR monatlich greifen
nicht durch. Die Beklagte stützt sich für die Erhebung des Zusatzbeitrags rechtmäßig auf ihre Satzung.
Die Beklagte verpflichtet die Klägerin auch zu Recht zur Zahlung des Zusatzbeitrags ab Februar 2010. Sie hat sie
rechtzeitig auf die Erhebung des Zusatzbeitrags und ihr Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V
hingewiesen. Nach unbestrittenen Ausführungen der Beklagten ging der Klägerin spätestens am 15.2.2010 das
Schreiben vom Februar 2010 mit dem auf der Rückseite angebrachten Hinweis auf das Sonderkündigungsrecht zu.
Entsprechend der Fälligkeitsregelungen in der Satzung der Beklagten war sie deshalb zum 15.3.2010 erstmals zur
Zahlung des Beitrags verpflichtet.
Die Klägerin kann nicht mit dem Argument durchdringen, dass die Beklagte keinen ausreichenden Finanzbedarf für die
Erhebung des Zusatzbeitrags habe. Wie das SG Dresden in seinem Beschluss vom 16.8.2010 (S 18 KR 327/10 ER)
zutreffend ausgeführt hat, sind gesetzlich Versicherte nicht befugt, durch Erhebung von Widerspruch und Klage gegen
einen Beitragsbescheid die eigenverantwortliche Haushalts- und Wirtschaftsführung der Krankenkassen im Wege
einer inzidenten Kontrolle der in § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Voraussetzungen gerichtlich prüfen zu lassen.
Selbst wenn die Unterdeckung vermeidbar gewesen wäre, muss der Versicherte die satzungsmäßige Entscheidung
der Krankenkasse, dass ein Zusatzbeitrag erhoben wird, hinnehmen.
Der gesetzliche Vorbehalt, dass Zusatzbeiträge erst im Falle der finanziellen Unterdeckung zu erheben sind, wirkt
gegenüber dem Versicherten als bloße Ordnungsvorschrift. Verbindlichkeit entfaltet die Norm nur insoweit, als sie die
objektiv-rechtliche Verpflichtung der Krankenkasse begründet, im Falle einer Unterdeckung einen Zusatzbeitrag zu
erheben. Sie verleiht dagegen den Versicherten keinen Anspruch gegen die Krankenkasse, die Festsetzung des
Zusatzbeitrages zu unterlassen, wenn die in § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Voraussetzungen nicht vorliegen
sollten. Der Schutz der Versicherten vor der Belastung mit unwirtschaftlichen Beiträgen wird vielmehr mittelbar durch
die im Gesetz vorgesehenen Instrumente des Wettbewerbs zwischen den Krankenkassen gewährleistet. Hierzu
zwingt § 242 Abs. 1 Satz 1 SGB V den Krankenkassen, die ihren Finanzbedarf nicht aus den Zuweisungen des
Gesundheitsfonds decken können, ein wettbewerbliches Handicap gegenüber den konkurrierenden Krankenkasse bei
der Gewinnung neuer Mitglieder und dem Erhalt des Versichertenstammes auf. Die Norm dient dagegen nicht dem
Schutz der Versicherten vor vermeidbaren Beitragserhöhungen (SG Dresden, Beschluss vom 16.8.2010 - S 18 KR
327/10 ER, Juris Rn. 20).
Der kassenindividuelle Zusatzbeitrag stellt ein zusätzliches Wettbewerbsinstrument für die Krankenkassen dar. Die
Krankenkasse ist verpflichtet, den Zusatzbeitrag zu erheben, wenn der Finanzbedarf durch andere Instrumente, wie
zum Beispiel ein wirtschaftlicheres Management, nicht gedeckt werden kann. Der Gesetzgeber geht dabei davon aus,
dass wirtschaftlich arbeitende Krankenkassen in der Lage sind, ihren Finanzbedarf aus den Mittelzuweisungen des
Gesundheitsfonds zu decken oder sogar einen Überschuss zu erzielen und diesen an ihre Mitglieder auszuschütten
(Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3100, Seite 165). Den Regelungen über die Erhebung des Zusatzbeitrags liegt
damit die Überlegung des Gesetzgebers zu Grunde, dass ein Zusatzbeitrag gerade dann festgesetzt werden kann und
muss, wenn eine Krankenkasse es versäumt hat, durch die rechtzeitige Erschließung von Wirtschaftlichkeitsreserven
eine Kostendeckung aus den Zuweisungen des Gesundheitsfonds zu erzielen, sie also in diesem Sinne
unwirtschaftlich gehandelt hat. An diese generalisierende und pauschalisierende Annahme knüpft das Gesetz als
Rechtsfolge nicht etwa die Unwirksamkeit eines daraufhin beschlossenen Zusatzbeitrags, sondern gerade die Pflicht
zur Erhebung des Zusatzbeitrags. Auf die konkreten Gründe, die zur Unterdeckung geführt haben, kommt es dabei
nicht an (SG Dresden, a.a.O. Rn. 21). Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Erhebung des Sonderbeitrags im
Sinne eines Finanzbedarfs vorgelegen haben, obliegt dabei nicht den Versicherten sondern der für die betroffenen
Krankenkassen zuständigen Aufsichtsbehörde, die die beschlossene Satzungsänderung zu genehmigen hat.
Zumindest solange noch gesetzliche Krankenkassen vorhanden sind, die keinen Zusatzbeitrag erheben und damit
sichergestellt ist, dass das Kündigungsrecht nicht leerläuft, liegt die einzige Handhabe der Versicherten, sich gegen
die unwirtschaftliche Haushalts- und Wirtschaftsführung ihrer Krankenkasse, die zur Festsetzung des Zusatzbeitrags
geführt hat, zu wehren, in der Befugnis, im Falle der Erhebung eines Zusatzbeitrags von dem Sonderkündigungsrecht
nach § 175 Abs. 4 Satz 5 SGB V Gebrauch zu machen. Die darin liegende Gefahr der Abwanderung von Versicherten
und damit der geringeren Mittelzuweisung aus dem Gesundheitsfonds stellt gerade den wesentlichen
wettbewerbssteuernden Effekt dar, mit dem nach der gesetzlichen Konzeption die unwirtschaftliche Haushalts- und
Wirtschaftsführung der Krankenkassen mit Sanktionen belegt ist. Diese Grundentscheidung des Gesetzes würde zur
Disposition gestellt, wenn es den Versicherten freigestellt wäre, anstatt den Zusatzbeitrag hinzunehmen oder die
Kasse zu wechseln, im Wege der Klage gegen den Beitragsbescheid die Krankenkasse gerichtlich zu einer
auskömmlichen Haushalts- und Wirtschaftsführung zu zwingen. Insoweit handeln die Krankenkassen auch gegenüber
ihren Mitgliedern eigenverantwortlich; die Versicherten wirken dabei im Rahmen der Selbstverwaltung im
Verwaltungsrat sowohl an der Feststellung des Haushaltsplans als auch an der Entscheidung über die Erhebung eines
Zusatzbeitrages mit (§ 242 Abs. 1 Satz 1, § 197 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V, § 31 Abs. 3a Satz 1, § 35a Abs. 1 Satz
1, § 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 sowie § 44 Abs. 1 Nr. 1 und 3, Abs. 4 Satz 2 SGB IV, so zu Recht SG Dresden,
Beschluss vom 16.8.2010 - S 18 KR 327/10 ER, veröffentlicht bei Juris).
Die Klage war deshalb abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.