Urteil des SozG Freiburg vom 23.02.2010

SozG Freiburg (einkommen aus erwerbstätigkeit, berechtigte person, kläger, einkommen, höhe, geburt, erwerbstätigkeit, aug, zahlung, ehefrau)

SG Freiburg Urteil vom 23.2.2010, S 9 EG 3918/09
Elterngeld - Elterngeldberechnung - Selbständiger - Einkünfte im Bezugszeitraum - anspruchsmindernde
Berücksichtigung: vor der Elternzeit erarbeitetes Einkommen - Zuflussprinzip
Leitsätze
Für die Berechnung des Einkommens im Bezugszeitraum nach § 2 Abs. 3 S. 1 BEEG gilt auch bei Freiberuflern
und Selbständigen das Zuflussprinzip (entgegen SG München, Urt. v. 15.01.2009, Az.: S 30 EG 37/08)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
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Die Beteiligten streiten über die Höhe des Elterngeldes.
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Der Kläger, geboren am ..., ist bei der ... beschäftigt und bezieht Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit als ...
Sachverständiger. Er und seine Ehefrau beantragten am 18.8.2008 Elterngeld für ihr viertes gemeinsames Kind
..., geboren am ... Von der Ehefrau wurde Elterngeld für 12 Monate ab Geburt beantragt, vom Kläger für den 4.
Lebensmonat des Kindes (...). Der Ehefrau wurde Elterngeld für den beantragten Zeitraum mit gesondertem
Bescheid bewilligt, der nicht Verfahrensgegenstand ist.
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Mit Bescheid vom 4.6.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger Elterngeld für den beantragten Zeitraum in Höhe
von 375 EUR (Mindestbetrag zzgl. Geschwisterbonus). Maßgeblich hierfür waren ein festgestelltes
durchschnittliches monatliches Einkommen vor der Geburt in Höhe von 4011,28 EUR - hiervon zu
berücksichtigen 2700 EUR (Höchstbetrag gem. § 2 Abs. 3 Satz 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz
) - sowie Einkünfte nach Steuern aus der selbstständigen Tätigkeit während der Elternzeit in Höhe von
2846,34 EUR. Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5.6.2009 Widerspruch. Zur Begründung brachte er
vor, er habe tatsächlich während der Elternzeit weder im Angestelltenverhältnis noch freiberuflich gearbeitet
und dadurch erhebliche Einkommenseinbußen gehabt. Die Anrechnung vor der Elternzeit erarbeiteten
Einkommens nach dem Zuflussprinzip konterkariere die Intention des BEEG, den Verdienstausfall
auszugleichen, der durch den Verzicht auf Einkommen während der Elternzeit real entstehe.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 23.7.2009 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte
sie unter anderem aus, dass sich nach § 2 Abs. 3 BEEG das Elterngeld in den Lebensmonaten, in denen die
berechtigte Person Erwerbseinkommen erziele, aus der Differenz des durchschnittlichen Einkommens vor der
Geburt (höchstens aber 2700 EUR) und nach der Geburt des Kindes berechne. Beim Kläger errechne sich für
den 4. Lebensmonat des Kindes ein negativer monatlicher Elterngeldanspruch. Ihm komme daher der
Mindestbetrag von 300 EUR monatlich gem. § 2 Abs. 5 BEEG zugute, weiter der Geschwisterbonus gem. § 2
Abs. 4 Satz 1 BEEG in Höhe von 75 EUR.
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Am 5.8.2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg.
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Der Kläger bringt vor, im fraglichen Zeitraum vom 4.8.2008 bis 3.9.2008 habe er lediglich am 7.8.2008 einen
Gerichtstermin als Gutachter wahrgenommen und hierfür 180 EUR zuzüglich Umsatzsteuer in Rechnung
gestellt. Die in diesem Monat eingegangenen Zahlungen hätten ausschließlich auf Leistungen zwischen dem
20.6.2008 und 31.7.2008, also außerhalb der Elternzeit, beruht. Ein Teilbetrag von 1506,58 EUR netto sei dabei
nicht für mündliche Gutachten vor Gericht gezahlt worden, sondern es handele sich um eine monatliche
Zahlung des Instituts ... für die Mitwirkung an Gutachten außerhalb der regulären Arbeitszeit, hier um den
entsprechenden Betrag für Juni/Juli 2008. Das wissenschaftliche Personal des Instituts ... erbringe außerhalb
der Dienstzeit Leistungen, die vom Institutsleiter privat liquidiert werden. Dabei handelt es sich teils um
schriftliche Gutachten, z.B. für Gerichte, teils z. B. um Analysenaufträge, etwa im Zusammenhang mit ... Die
Einnahmen aus diesen Privatliquidationen gingen in einen Pool und würden monatlich nach einem bestimmten
Schlüssel auf die Mitarbeiter verteilt, die daran beteiligt waren. Die hier maßgebliche Zahlung sei am 18.8.2008
eingegangen, beziehe sich aber auf Dienstleistungen, die im Juni und Juli erbracht worden seien. Während der
Elternzeit im August habe der Kläger solche Dienstleistungen nicht erbringen können und deswegen in den
Folgemonaten keine bzw. geringere derartige Einnahmen gehabt. Der Betrag sei daher mit einem verspätet
eingegangenen Gehalt zu vergleichen. Der Kläger regt an, dass die Beklagte vergleichsweise zumindest diese
monatliche Zahlung nicht als Einkommen in Monat der Elternzeit anrechnet. Der Kläger hat im Termin vom
23.2.2010 eine Aufstellung über die monatlichen Zahlungen durch Prof. ... vom Institut ... im Zeitraum von Juli
2007 bis August 2008 sowie Kontoauszüge, aus denen diese Zahlungen hervorgehen, vorgelegt.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 4.6.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.7.2009
abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger Elterngeld für den 4. Lebensmonat seiner
Tochter ..., geboren am ..., zu bewilligen und dabei mit Ausnahme des Honorars für den Gerichtstermin
vom 7.8.2008 kein Einkommen im Monat der Elternzeit anzurechnen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11 Sie ist der Auffassung, aus § 2 Abs. 1 Satz 2, Abs. 7 bis 9 BEEG ergebe sich die Anknüpfung des
Einkommensbegriff nach dem BEEG an steuerrechtliche Grundsätze. Dort gelte das Zuflussprinzip (§ 11
Einkommensteuergesetz ). Die mit dieser Regelung verbundene Pauschalierung könne im Einzelfall
Vorteile, aber auch Nachteile bringen, sei aber hinzunehmen.
12 Die den verfahrensgegenständlichen Antrag betreffende Verwaltungsakte der Beklagten lag vor und war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Verfahrens sowie des
Vorbringens der Beteiligten wird auf die genannte Verwaltungsakte sowie die Akte des Gerichts, Az. S 9 EL
3918/09, verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben. Sie ist auch im Übrigen zulässig und als kombinierte
Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 4 SGG statthaft.
14 Die Klage ist aber nicht begründet. Die Beklagte hat zu Recht die gesamten während der Elternzeit
zugeflossenen Einnahmen des Klägers mit anspruchsmindernder Wirkung gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 BEEG
berücksichtigt.Nach dieser Vorschrift wird für Monate nach der Geburt des Kindes, in denen die berechtigte
Person ein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt, das durchschnittlich geringer ist als das nach Absatz 1 a.
a. O. berücksichtigte durchschnittlich erzielte Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor der Geburt, Elterngeld in
Höhe des nach Absatz 1 oder 2 a. a. O. maßgeblichen Prozentsatzes des Unterschiedsbetrages dieser
durchschnittlich erzielten monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit gezahlt. Als nachgeburtliches
Einkommen in die Differenzrechnung einzustellen ist also jedes Einkommen aus Erwerbstätigkeit, das im
betreffenden Zeitraum erzielt wird. Erzielt ist Einkommen in einem bestimmten, gesetzlich definierten Zeitraum,
wenn es in dieser Zeit tatsächlich zugeflossen ist. Für die Einkommenserzielung ist dagegen nicht maßgeblich,
wann der Anspruch auf Auszahlung des Einkommens erarbeitet wurde. Dies ergibt sich zwar nicht zwingend
aus dem Gesetzeswortlaut, denn der Begriff "Erzielen" enthält sowohl Elemente des Erlangens als auch des
Erwirtschaftens, ohne eine Aussage zu treffen, zu welchem Zeitpunkt dies erfolgt sein muss. Für das
Zuflussprinzip sprechen aber sowohl gesetzessystematische Erwägungen als auch die Entstehungsgeschichte
des BEEG (so mit ausführlicher Begründung, der das Gericht folgt, LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v.
26.8.2009, Az.: L 13 EG 24/09, veröff. in . Diese Entscheidung bezieht sich zwar auf die Ermittlung des
vorgeburtlichen Einkommens gemäß § 2 Abs. 1, 7-9 BEEG; für die Auslegung des Merkmals „Erzielen“ in Abs.
3 Satz 1 gelten aber dieselben Erwägungen, zumal die unterschiedliche Auslegung desselben Rechtsbegriffs in
ein und derselben Vorschrift zusätzlich systemwidrig wäre).
15 Etwas anderes könnte nach dem vom Bundessozialgericht modifizierten Zuflussprinzip allenfalls dann gelten,
wenn es sich bei den zu beurteilenden Zuflüssen während der Elternzeit um zunächst vorenthaltenes Entgelt
gehandelt hätte, mit dessen Zahlung sich der Schuldner in Verzug befunden hat und das dem Kläger im
maßgeblichen Zeitraum zur nachträglichen Erfüllung zugeflossen ist (BSG, Urt. v. 28.6.1995, Az.: 7 RAr
102/94, v. 21.3.1996, Az.: 11 RAr 101/94 u. v. 30.5.2006, Az.: B 1 KR 19/05 R; für die Anwendbarkeit dieser
Rechtsprechung auf § 2 BEEG vgl. SG Aachen, Urt. v. 23.9.2008, Az.: S 13 EG 10/08, alle veröff. in
Dafür, dass sich der Auftraggeber mit während der Elternzeit beim Kläger eingegangenen Zahlungen in Verzug
befunden haben könnte, gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt.
16 Dem Gericht ist schließlich das Urteil des SG München vom 15.1.2009, Az.: S 30 EG 37/08 (ebenfalls in
) bekannt, wonach bei einem Selbständigen während der Elternzeit eingehende Zahlungen für
Tätigkeiten, die er vor der Elternzeit erbracht hat, bei der Berechnung des Elterngeldes außer Betracht zu
bleiben haben bzw. der reine Zufluss von Einkommen aus einer aktuell nicht ausgeübten Erwerbstätigkeit bei
der Ermittlung des nachgeburtlichen Einkommens außer Betracht bleibt. Die Kammer vermag dieser
Rechtsauffassung jedoch nicht zu folgen. Das SG München begründete sie im wesentlichen damit, dass
Selbstständige und Freiberufler andernfalls für Bezugszeiträume bis zu 3 Monaten niemals Elterngeld erlangen
könnten. Diese Erwägung ist bereits sachlich unzutreffend. Erstens herrscht bei diesem Personenkreis eine
unübersehbare Vielfalt von Abrechnungs- und Zahlungsgepflogenheiten, die eine derart verallgemeinernde
Feststellung nicht zulässt. Auch können gerade diese Personen die Zahlungsmodalitäten häufig in rechtlich
zulässiger Weise in nicht unerheblichem Umfang gestalten; für die Annahme des SG München, die
Beschleunigung oder Verzögerung von Zahlungseingängen durch entsprechende Rechnungsstellung würde als
„unzulässige Manipulation öffentlich-rechtlicher Verfahrenshandlungen zurückgewiesen“ dürfte keine rechtliche
Handhabe bestehen. Zweitens ist, wie gerade die Beispiele des Klägers hier und im Verfahren des SG
München zeigen, regelmäßig ein Elterngeldanspruch in Höhe des Mindestbetrages nicht ausgeschlossen, so
dass - gerade bei kurzen Bezugszeiträumen - die absolut durch die Elternzeit eintretende Einkommenseinbuße
wesentlich milder ausfällt als vom SG München angenommen. Vor allem aber ist dieses vom Ergebnis her
gedachte Billigkeitsargument für sich genommen nicht geeignet, die systematischen, historischen und
teleologischen Auslegungsgesichtspunkte zu entkräften, die für die Anwendung des Zuflussprinzips - sowohl
zu Gunsten wie auch zu Lasten der Anspruchsberechtigten - sprechen. Schließlich scheint das SG München
verschiedene Auslegungen des Rechtsbegriffs „erzielen“ zu befürworten, je nachdem, ob es um den
Elterngeldanspruch von Freiberuflern und Selbstständigen einerseits oder um den von Beschäftigten
andererseits geht, was sowohl unter gesetzessystematischen als auch grundrechtlichen Erwägungen nicht zu
rechtfertigen sein dürfte.
17 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.