Urteil des SozG Freiburg vom 26.03.2008

SozG Freiburg: aufschiebende wirkung, erlöschen des anspruchs, vorläufiger rechtsschutz, öffentliches interesse, zumutbare arbeit, auflage, verwaltungsakt, sanktion, vollziehung, zukunft

Sozialgericht Freiburg
Beschluss vom 26.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Freiburg S 2 AS 474/08 ER
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 06.02.2008 gegen den Änderungsbescheid
vom 28.12.2007 wird angeordnet. 2. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller seine notwendigen außergerichtlichen
Kosten zu erstatten.
Gründe:
I. Der Antragsteller, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, wendet sich im Wege
des einstweiligen Rechtschutzes gegen die Absenkung seiner Leistungen infolge einer Sanktionsentscheidung des
Antragsgegners aufgrund Nichtantritts einer ihm schriftsätzlich angebotenen Trainingsmaßnahme.
Der Antragsteller bezieht seit Januar 2005 für sich und die mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen
Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt waren der Bedarfsgemeinschaft Leistungen für die Zeit vom 01.11.2007 bis zum
30.04.2008 in Höhe von 1050,25 EUR monatlich bewilligt worden.
Mit Änderungsbescheid vom 28.12.2007 teilte der Antragsgegner dem Antragsteller mit, der Bescheid vom 23.10.2007
werde aufgehoben; die Höhe der Leistungen betrage für die Zeit vom 01.02.2008 bis zum 30.04.2008 monatlich nur
noch 956,25 EUR. Zur Begründung führte der Antragsgegner an, der Antragsteller sei mit Schreiben vom 06.11.2007
zur Teilnahme an einem Vermittlungscoaching ab dem 12.11.2007 verpflichtet worden. Zu diesem Starttermin sei der
Antragsteller unentschuldigt nicht erschienen. Mit weiterem Schreiben vom 14.11.2007 sei der Antragsteller daraufhin
aufgefordert worden, an dem Vermittlungscoaching nunmehr ab dem 19.11.2007 teilzunehmen. Auch an diesem Tag
sei der Antragsteller nicht vorstellig geworden. Einen wichtigen Grund habe der Antragsteller für sein Verhalten nicht
nachgewiesen. Er erfülle damit den Sanktionstatbestand des § 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, aufgrund dessen die ihm
bewilligte Regelleistung um 30 % abzusenken sei. Die Absenkung dauere entsprechend der gesetzlichen Regelung
von Februar bis April 2008 an.
Auf diesen Bescheid hin, über dessen Absendedatum sich kein Vermerk in der Akte befindet, hat der Antragsteller
das Sozialgericht Freiburg am 30.01.2008 um Eilrechtsschutz ersucht. Er wendet sich sinngemäß im Wege des
einstweiligen Rechtsschutzes gegen die getroffene Absenkungsentscheidung.
Am 06.02.2008 hat er zudem Widerspruch gegen den Änderungsbescheid beim Antragsgegner eingelegt, über den
bislang noch nicht entschieden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Verwaltungsakten des Antragsgegners
und die vorliegende Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist zulässig und begründet.
1. Statthafter Antrag ist vorliegend ein solcher nach § 86b Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Eilantrag des
Antragstellers richtet sich der Sache nach gemäß dieser Vorschrift auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung
des Widerspruchs vom 06.02.2008. Mit ursprünglichem Bewilligungsbescheid vom 23.10.2007 waren dem
Antragsteller Leistungen nach dem SGB II auch für den hier streitbefangenen Zeitraum vom 01.02.2008 bis zum
30.04.2008 in ungekürzter Höhe gewährt worden. Damit hatte der Antragsgegner einen Rechtsgrund geschaffen, aus
dem der Antragsteller für die jeweiligen Monate die Auszahlung der ihm mit diesem Bescheid gewährten Leistungen
verlangen konnte. Der diese Bewilligung abändernde Bescheid vom 28.12.2007 stellt eine den Antragsteller
belastende Regelung dar; in der Hauptsache wäre folglich statthafte Klageart die Anfechtungsklage.
Da der Widerspruch des Antragstellers gegen den Änderungsbescheid vom 28.12.2007 nach § 39 Nr. 1 SGB II keine
aufschiebende Wirkung hat, richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG.
2. Nach § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder
Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ob
die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anzuordnen ist oder nicht, entscheidet das Gericht nach
pflichtgemäßem Ermessen auf der Grundlage einer Abwägung, bei der das private Interesse des Bescheidadressaten
an der Aussetzung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes abzuwägen ist. Bestehen bei summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des
streitigen Bescheides und ist daher eine Erfolgsaussicht des Hauptsacheverfahrens zu bejahen, überwiegt regelmäßig
das Aussetzungsinteresse, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann
schlechthin kein öffentliches Interesse bestehen (allg. Meinung, vgl. nur Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 8. Auflage 2005, § 86b Rn. 12c; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl.
2002, S. 174; Schoch, VwGO, § 80 Rn. 264; Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im
Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, Rn. 967). Ist in diesem Sinne eine Erfolgsaussicht des
Hauptsacheverfahrens zu bejahen, ist weiterhin Voraussetzung, dass dem Betroffenen das Abwarten der
Entscheidung in der Hauptsache nicht zugemutet werden kann, also ein gewisses Maß an Eilbedürftigkeit besteht
(Beschlüsse des LSG Berlin vom 06.03.2007, Az. L 28 B 290/07 AS ER und vom 02.05.2007, Az. L 28 B 517/07 AS
ER, beide zitiert nach Juris; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 06.12.2007, Az. L 5 B 1410/07 AS ER,
zitiert nach Juris, wonach eine besondere Dringlichkeit nicht erforderlich sein soll).
Gemessen an diesen Voraussetzungen hat der Eilantrag Erfolg. Der Bescheid vom 28.12.2007 erweist sich bei
summarischer Prüfung als rechtswidrig, denn die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Sanktionsentscheidung
lagen nicht vor, so dass auch keine geänderte Tatsachenlage bestand, die eine Abänderung des ursprünglichen
Bewilligungsbescheides vom 23.10.2007 zu rechtfertigen vermöchte.
a) Die Rechtmäßigkeit des hier angegriffenen Bescheides, mit welchem eine bestandskräftig ausgesprochene
Leistungsbewilligung für die Monate Februar bis April 2008 teilweise wieder rückgängig gemacht wurde, bemisst sich
vorliegend nicht allein nach § 31 SGB II. Vielmehr kann die Absenkung bereits bewilligter Regelleistungen nur unter
den Voraussetzungen der §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III)
i.V.m. §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) erfolgen. Erst für die Frage, ob der Verwaltungsakt von
Anfang an rechtswidrig war (so im Rahmen von § 45 SGB X) bzw. sich eine Änderung der Verhältnisse (so im
Rahmen von § 48 SGB X) ergeben hatte, ist sodann zu prüfen, ob eine Sanktionsentscheidung gemäß § 31 SGB II
rechtmäßig ergangen ist. Da das von dem Antragsgegner mit einer Sanktion bewehrte Verhalten des Antragstellers im
Verlaufe des letzten Bewilligungsabschnitts erfolgt war und da nach der Regelung des § 31 Abs. 6 SGB II Absenkung
und Wegfall des Leistungsanspruchs nicht bereits mit der Verwirklichung eines der in § 31 Abs. 1 bis 5 SGB II
genannten Tatbestandsvarianten, sondern erst auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes hin, der die Absenkung
oder den Wegfall der Leistung feststellt, eintreten, war die Rechtmäßigkeit der Änderungsentscheidung vom
28.12.2007 an § 48 SGB X zu bemessen.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen
haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung
vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit eine der in den Ziffern 1 bis 4 genannten
Voraussetzungen vorliegt.
b) Da mit dem hier angegriffenen Bescheid vom 28.12.2007 Leistungen lediglich für die Zukunft abgesenkt wurden, ist
die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung an § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X zu messen. Die Voraussetzungen dieser
Vorschrift liegen indes nicht vor. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die beim Erlass eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, ist nach Auffassung des Gerichts nicht eingetreten.
Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegt vor, wenn rechtserhebliche Umstände
eingetreten sind, die zur Folge haben, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den
ergangenen Verwaltungsakt so nicht hätte erlassen dürfen (vgl. das Bundessozialgericht - BSG -, in: BSG SozR-1300
§ 48 Nr. 22 S. 50), z.B. weil der im Bescheid festgestellte Anspruch materiell-rechtlich nicht mehr besteht. Wesentlich
ist damit jede tatsächliche und rechtliche Änderung, die sich auf Grund oder Höhe der bewilligten Leistungen auswirkt
(vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006, Az. B 7 A AL 14/05 R, zitiert nach Juris).
Eine in diesem Sinne wesentliche Änderung der Verhältnisse könnte vorliegend nur dann angenommen werden, wenn
der Antragsgegner zu Recht die Entscheidung über die Absenkung der Regelleistung um 30 % ausgesprochen hätte.
Die Voraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II der Regelleistung waren vorliegend jedoch nicht
gegeben.
Der Antragsgegner macht dem Antragsteller zum Vorwurf, eine von ihm diesem schriftsätzlich durch einfaches
Einladungsschreiben angebotene Trainingsmaßnahme zweimal gar nicht erst angetreten zu haben. Unabhängig
davon, dass aus der Sicht des Gerichts bereits zweifelhaft erscheint, ob der Antragsteller die Einladungen erhalten
hat (er selbst stellt dies in Abrede, auf den Einladungsschreiben findet sich kein Absendevermerk, erst Recht existiert
eine Zustellungsurkunde nicht, und schließlich lässt sich auch dem Schreiben des Antragstellers vom 13.12.2007
eindeutig nur entnehmen, dass dieser sich gegen den erfolgten Hausbesuch wendet, nicht dagegen dass er
Einladungen nicht befolgen wolle), fehlt es für die Sanktionierung des vorliegenden Nichtantritts des
Vermittlungscoachings an einer wirksamen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Die Möglichkeit der Sanktionierung fehlerhafter Verhaltensweisen im Rahmen des SGB-II-Bezugs wird durch § 31
SGB II geregelt. Der Nichtantritt einer Trainingsmaßnahme, die – wie die vorliegende - lediglich schriftsätzlich
angeboten wurde, wird von dieser Vorschrift indes tatbestandlich nicht erfasst.
aa) Insbesondere kommt als Ermächtigungsgrundlage nicht § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB II in Betracht. Dieser
Vorschrift zufolge kann die Regelleistung um 30 % abgesenkt werden, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz
Belehrung über die Rechtsfolgen eine zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit (und eine solche stellt die
dem Antragsteller angebotene Trainingsmaßnahme dar, vgl. insoweit § 16 Abs. 1 S. 1 SGB II i.V.m. §§ 48 bis 52
SGB III) abgebrochen oder Anlass für den Abbruch gegeben hat. Die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung des
"Abbruchs" oder des "Anlasses für den Abbruch" setzt sprachlogisch voraus, dass der Hilfebedürftige die Maßnahme
zuvor begonnen hat. Der bloße Nichtantritt einer Maßnahme wird folglich von dieser Formulierung nicht erfasst (vgl.
ebenso das LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 31.01.2008, Az. L 8 AS 5585/07 ER-B , zitiert nach Juris; vgl.
auch Berlit, in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Rn. 52).
bb) Als Ermächtigungsgrundlage kommt weiter auch nicht die Tatbestandsvariante des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c SGB
II in der Fassung des Fortentwicklungsgesetzes vom 20.07.2006 (BGBl. I S. 1706) in Betracht. Nach dieser Regelung
ist eine Absenkung der Regelleistung auch dann vorzunehmen, wenn sich der Hilfebedürftige trotz Belehrung über die
Rechtsfolgen weigert, "eine zumutbare Arbeit, Ausbildung, Arbeitsgelegenheit, eine mit einem
Beschäftigungszuschuss nach § 16a geförderte Arbeit," oder - so neu durch das Fortentwicklungsgesetz eingefügt,
"ein zumutbares Angebot nach § 15a oder eine sonstige in der Eingliederungsvereinbarung vereinbarte Maßnahme
aufzunehmen oder fortzuführen". Mit dieser Neuregelung wurde zwar erstmals der Nichtantritt einer
Eingliederungsmaßnahme begrifflich ausdrücklich in einen Sanktionstatbestand aufgenommen; dem eindeutigen
Wortlaut nach ist eine solche Verweigerung jedoch nur dann unter Sanktion gestellt, wenn die Verpflichtung zur
Teilnahme an dieser Maßnahme im Rahmen eines Eingliederungsvertrages vereinbart wurde. Der Nichtantritt einer
Trainingsmaßnahme, die nicht Bestandteil einer solchen Vereinbarung ist, zu der also nur schriftsätzlich aufgefordert
wurde, wird von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c SGB II daher nach wie vor nicht erfasst. Die gegenteilige Auffassung, die
argumentativ die Gesetzesbegründung zur geänderten Fassung heranzieht (vgl. etwa LSG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 10.10.2006, Az. L 19 B 80/06, zitiert nach Juris; ebenso Rixen, in: Eicher/Spellbrink, SGB II-
Kommentar, 2. Auflage 2008, § 31 Rn. 15), überzeugt nicht. Der Gesetzesbegründung lässt sich eine Einbeziehung
nur schriftsätzlich unterbreiteter Maßnahmen nämlich gerade nicht entnehmen. Auch sie nimmt dem Wortlaut nach
eindeutig auf eine in einer Eingliederungsmaßnahme vereinbarte, also schon Vertragsbestandteil gewordene, nicht
dagegen abstrakt auf eine grundsätzlich zum Vertragsinhalt machbare Maßnahme Bezug (vgl. BT-Drucks. 16/1410,
S. 25). Bei einem in diesem Sinne eindeutigen Wortlaut sowohl von Gesetz wie Gesetzesbegründung lässt sich eine
Anwendung des § 31 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 c SGB II auch nicht im Analogieschluss auf lediglich schriftsätzlich
angebotene Maßnahmen herleiten. Dies gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass eine Absenkung der Leistungen
noch unter das grundsätzlich zu gewährleistende Existenzminimum, wie sie eine Sanktion bedeutet, nur auf der
Grundlage einer insoweit eindeutigen Ermächtigungsgrundlage ergehen kann. Zum anderen folgt dies aber auch aus
der Tatsache, dass nach dem gesetzgeberischen Grundkonzept Maßnahmen wie die hier angebotene
Trainingsmaßnahme grundsätzlich im Rahmen eines Eingliederungsvertrages zu vereinbaren sind, nicht dagegen
ohne Weiteres schriftsätzlich angeboten werden sollen. Es stellt daher keine planwidrige Regelungslücke des
Gesetzgebers dar, wenn er in § 31 Abs. 1 SGB II den Nichtantritt nur solcher Trainingsmaßnahmen sanktioniert hat,
die in einer Eingliederungsvereinbarung zur Verpflichtung für den Hilfebedürftigen gemacht wurden (vgl. ebenso Berlit,
a.a.O.). Damit aber ist der Nichtantritt einer nur schriftsätzlich mitgeteilten Maßnahme auch von § 31 Abs. 1 S. 1 Nr.
1 c SGB II nicht erfasst (wie hier ebenso Berlit, a.a.O.; Sonnhoff, jPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Rn. 71; davon
geht im Ergebnis im Übrigen wohl auch das LSG Baden-Württemberg, a.a.O., aus).
cc) Schließlich ist der Nichtantritt einer Trainingsmaßnahme aber - anders als durch den Antragsgegner vertreten -
auch nicht durch § 31 Abs. 4 Nr. 3 a bzw. b SGB II erfasst.
Gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3 SGB II gelten die Absätze 1 bis 3 entsprechend "bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen,
a) dessen Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht oder erloschen ist, weil die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit
oder das Erlöschen des Anspruchs nach den Vorschriften des Dritten Buches festgestellt hat oder b) der die in dem
Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines
Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen".
Die Variante Nr. 3a der zitierten Vorschrift kommt hier schon deshalb nicht in Betracht, weil ein Sperrzeitbescheid, wie
er dort vorausgesetzt wird (vgl. dazu etwa Rixen, a.a.O., § 31 Rn. 31), nicht ergangen ist.
Aber auch die Tatbestandsvariante Nr. 3b ist vorliegend nicht einschlägig. Zwar setzt diese Regelung einen
Sperrzeitbescheid nicht voraus, sondern nimmt auf die Sperrzeittatbestände des § 144 SGB III Bezug, welcher in
Abs. 1 S. 2 Nr. 4 auch die Nichtteilnahme an einer Trainingsmaßnahme sanktioniert. Nach Auffassung des Gerichts
ist jedoch § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II in Fällen, in denen ein Sanktionstatbestand des § 144 SGB III während des
Bezugs allein von Arbeitslosengeld II erfüllt wird, nicht anwendbar. Vielmehr stellt in solchen Fallkonstellationen § 31
Abs. 1 SGB II die gegenüber § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II speziellere und damit auch abschließende Vorschrift dar
(ebenso SG Hamburg, Beschluss vom 07.12.2006, Az. S 62 AS 2226/06 ER, zitiert nach Juris; Berlit, in: LPK-SGB
II, 2004, § 31 Rn. 105; Valgolio, in: Hauck/Noftz, Kommentar zum SGB II, Stand November 2007, § 31 Rn. 66; so
wohl auch Rixen, a.a.O., § 31 Rn. 31). Der gegenteiligen Auffassung, wonach § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II als
umfassende Inkorporation der Sperrzeitenregelung des SGB III auch in das SGB II im Sinne einer allgemeinen
Auffangregelung verstanden wird (so etwa Sonnhoff, a.a.O., § 31 Rn. 72; SG Lüneburg, Beschluss vom 20.02.2007,
Az. S 24 AS 42/07 ER, zitiert nach Juris), folgt das Gericht demgegenüber nicht. Eine Qualifizierung des § 31 Abs. 4
Nr. 3b SGB II als genereller Auffangtatbestand lässt sich gesetzessystematisch nicht begründen. Sie hebelte zum
einen das ausdifferenzierte System der Sanktionsvoraussetzungen von § 31 Abs. 1 SGB II aus und setzte sich damit
über ein Regelwerk hinweg, welches der Gesetzgeber bewusst nicht generalklauselartig gehalten hat (darauf weist
insbesondere Berlit, a.a.O. hin). Es führte weiter im Ergebnis zu erheblichen Doppelsanktionen (nämlich nach Abs. 1
und Abs. 4) für jene Personen, die bereits und allein im SGB-II-Bezug stehen. Um dieses unter
Gleichheitsgesichtspunkten nicht begründbare Ergebnis zu umgehen, käme allenfalls eine Reduzierung des
Auffangtatbestandes auf diejenigen Fälle in Betracht, in denen Abs. 1 (wie vorliegend) nicht einschlägig, wohl aber der
Sache nach ein Sperrzeittatbestand des § 144 SGB III tatbestandlich erfüllt ist. Die Interpretation dieser
Tatbestandsvariante als solchermaßen reduzierter Auffangtatbestand übersieht jedoch den Zusammenhang mit § 31
Abs. 4 Nr. 3a SGB II. Dieser zeigt gerade, dass von der Vorschrift nur Obliegenheitsverletzungen während des
(tatsächlichen oder dem Grunde nach möglichen) Bezugs von Arbeitslosengeld I aus der Arbeitslosenversicherung
umfasst sein sollen: Während Nr. 3a die Konstellation erfasst, dass eine Sperrzeit nach dem SGB III tatsächlich
verhängt worden ist, gilt Nr. 3b für die Fälle, in denen der SGB III-Träger den Eintritt einer Sperrzeit nicht förmlich
festgestellt hat, etwa weil der Betroffene schon mangels erfüllter Anwartschaftszeit kein Arbeitslosengeld
beanspruchen kann. Auf diese Weise wird die Wirkung des Sperrzeitrechts vor Umgehungen geschützt (Rixen, a.a.O.,
§ 31 Rn. 30). Systematisch nachvollziehbar lässt sich demnach die Regelung des § 31 Abs. 4 Nr. 3 lit b) SGB II nur
so verstehen, dass von ihr lediglich Konstellationen erfasst werden, in denen eine Sperrzeit tatsächlich verhängt
wurde (a) oder hätte verhängt werden können (b), die in den Bezugszeitraum von Arbeitslosengeld II nachwirkt (vgl.
nochmals Valgolio, a.a.O., § 31 Rn. 66); ein – noch dazu systematisch versteckter – Auffangtatbestand lässt sich in
diese Vorschrift dagegen nicht hineinlesen. Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit Arbeitsstellen, -gelegenheiten
oder Maßnahmen während des reinen Arbeitslosengeld-II-Bezugs werden damit nur über § 31 Abs. 1 SGB II
sanktioniert.
Für den vorliegenden Fall, in welchem der Antragsteller schon seit Jahren im SGB-II-Leistungsbezug steht, ohne
gleichzeitig Anspruch auf Arbeitslosengeld I zu haben, ergibt sich daher auch aus § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II keine
Rechtsgrundlage für die Absenkung der Regelleistung des Antragstellers um 30 %. Insgesamt fehlt es folglich an
einer den Sanktionseintritt rechtfertigenden Norm. Die Sanktion des Nichtantritts der angebotenen
Coachingmaßnahme wäre nur dann möglich gewesen, wäre diese Maßnahme im Rahmen einer
Eingliederungsvereinbarung zur Verpflichtung des Antragstellers gemacht worden. Dies war indes nicht der Fall.
Im Hinblick auf den insoweit offenkundig rechtswidrigen Änderungsbescheid vom 28.12.2008 geht das Gericht von
einem Überwiegen des Aussetzungsinteresses gegenüber dem Vollzugsinteresse aus. Auch eine besondere
Dringlichkeit ist vorliegend gegeben, da der Antragsteller bei Vollzug der Sanktionsentscheidung mit einem
monatlichen Geldbetrag auskommen müsste, der unter dem als grundsätzlich das Existenzminimum beschreibenden
Betrag von 347 EUR läge.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid vom 28.12.2007 war folglich
anzuordnen. Im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens war dabei davon auszugehen, dass der Widerspruch des
Antragstellers rechtzeitig eingelegt wurde, nachdem sich auf dem Bescheid vom 28.12.2007 kein Absendevermerk
befindet, daher kein Nachweis für den Zeitpunkt des Zugangs des Änderungsbescheides existiert und folglich für
einen verspätet eingelegten Widerspruch im Rahmen des vorliegenden Eilverfahrens keine hinreichenden Hinweise
bestanden. Der Antragsgegner hat sich im Übrigen auf Verspätung auch gar nicht berufen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.