Urteil des SozG Freiburg vom 28.11.2006

SozG Freiburg: Arbeitslosengeld II, Kosten der Unterkunft, Nebenkostennachzahlung, keine Schulden iS des § 22 Abs 5 SGB 2 bzw § 34 SGB 12, heizung, nachforderung, abrechnung, sozialhilfe

SG Freiburg Urteil vom 28.11.2006, S 13 AS 3941/06
Arbeitslosengeld II - Sozialhilfe - Kosten der Unterkunft - Nebenkostennachzahlung - keine Schulden iS des § 22 Abs 5 SGB 2 bzw § 34 SGB 12
Leitsätze
Wurde bei den Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II auch die Übernahme von Nebenkostenvorauszahlungen beantragt, so kann
die Übernahme einer von dem Hilfebedürftigen nach Ablauf des Abrechnungszeitraumes zu leistenden Nebenkostennachzahlung nicht mit dem
Argument verweigert werden, die Übernahme sei zu spät beantragt worden, so dass es sich um nicht übernahmefähige Schulden handele. Dies gilt
jedenfalls dann, wenn die Nebenkostenvorauszahlungen von dem Hilfebedürftigen tatsächlich geleistet wurden und die Nebenkostennachzahlung
daraus resultiert, dass die tatsächlichen Heizkosten den mit den Nebenkostenvorauszahlungen veranschlagten Betrag überstiegen.
Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.07.2006 wird aufgehoben und die Beklagte
verurteilt, die Forderung aus der Nebenkostenabrechnung vom 23.11.2005 für den Abrechnungszeitraum vom 01.04.2004 bis 31.03.2005 in Höhe
von 437,50 EUR zu bezahlen.
2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten um die Übernahme einer Nebenkostennachzahlung für den Zeitraum vom 1.4.2004 bis 31.3.2005 in Höhe von 437,50
EUR.
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Die 1969 geborene Klägerin wohnt mit ihren beiden 1997 und 2002 geborenen Kindern seit dem 1.3.2003 unter der angegebenen Adresse in
einer etwa 86 m² großen Dreizimmerwohnung. Für die Nebenkosten der Wohnung sind nach dem Mietvertrag monatliche Vorauszahlungen in
Höhe von 150 EUR zu leisten. Die Klägerin bezog im Jahr 2004 Sozialhilfe und Wohngeld. Seit dem 1.1.2005 bezieht sie Leistungen der
Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II von der Beklagten.
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Am 31.1.2006 beantragte die Klägerin, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für den
zurückliegenden Nebenkostenabrechnungszeitraum vom 1.4.2004 bis 31.3.2005 in Höhe von 437,50 EUR. Die Erhöhung der Nebenkosten
beruhe im Wesentlichen auf der Erhöhung der Energiekosten für Heizung. Sie legte ein Schreiben der Hausverwaltung vom 23.11.2005 vor,
nach der die Nachzahlung aus der Nebenkostenabrechnung bis zum 23.12.2005 zur Zahlung fällig war. Die Nebenkostenvorauszahlung wurde
zum 1.12.2005 auf 190 EUR angepasst.
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Mit Bescheid vom 14.2.2006 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Die Übernahme der Nebenkostennachzahlung sei nur dann möglich, wenn
diese innerhalb des Fälligkeitszeitraums bzw. innerhalb eines Monats im Sachgebiet beantragt werde. Die Nebenkostennachzahlung stelle eine
Schuldverbindlichkeit da und könne daher nicht mehr als Bedarf anerkannt werden.
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Die Klägerin legte, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Widerspruch gegen den Bescheid ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.7.2006 wies
die Beklagte den Widerspruch zurück.
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Die Klägerin erhob am 9.8.2006, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Klage zum Sozialgericht Freiburg. Die geltend gemachten Nebenkosten
seien grundsätzlich zu berücksichtigen. Wann die Abrechnung der Klägerin zugegangen sei, könne nicht mehr nachvollzogen werden. Der
Klägerin sei eine Frist zur Prüfung der Nebenkostenabrechnung zuzugestehen. Sie sei zudem darüber aufzuklären gewesen, dass die
Nebenkostenabrechnung innerhalb eines bestimmten Zeitraumes bei der Beklagten einzureichen gewesen sei.
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Sie beantragt daher:
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Der Bescheid der Beklagten vom 14.2.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.7.2006 wird aufgehoben und die Beklagte
verurteilt, die Forderung aus der Nebenkostenabrechnung vom 23.11.2005 für den Abrechnungszeitraum vom 1.4.2004 bis 31.3.2005 in Höhe
von 437,50 EUR zu bezahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
11 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes würden entsprechend dem Bedarf des Hilfebedürftigen in dem jeweiligen Bedarfszeitraum
erbracht. Hier gelte das Monatsprinzip. Der Bedarf der Klägerin habe im Dezember 2005 bestanden. Nach Ablauf der Zahlungsfrist am
23.12.2005 habe es sich nicht um aktuellen Bedarf in dem Monat der Geltendmachung, sondern um Schulden gehandelt.
12 Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4 SGG zulässig. Die Klage ist auch begründet, da die Klägerin einen
Anspruch auf Erstattung des sich aus der Nebenkostenabrechnung ergebenden Betrages hat und der entgegenstehende Bescheid der
Beklagten daher rechtswidrig und aufzuheben ist.
14 Der Anspruch auf Übernahme der Nebenkostennachzahlung ergibt sich aus § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Danach werden Leistungen für Unterkunft
und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind.
15 Die Nebenkostennachzahlung bezieht sich auf Kosten der Unterkunft und Heizung. Von diesen Kosten sind auch Nachzahlungen aus
Nebenkostenabrechnungen erfasst (vgl. Berlit, in: LPK-SGB II § 22 Rdnr. 18; BVerwG, Urteil vom 4.2.1988, 5 C 89/85 - BVerwGE 79, 46). Es
ergibt sich - unstreitig - aus der vorgelegten Nebenkostenabrechnung, dass diese Kosten für die Klägerin tatsächlich angefallen sind. Ebenso
steht außer Streit, dass die Kosten die Grenze der Angemessenheit nicht übersteigen. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Beklagte die
erhöhten Nebenkostenvorauszahlungen ab dem 1.12.2005 bei der Bewilligung von Leistungen berücksichtigt hat. Denn die Erhöhung dieser
Vorauszahlungen resultiert ebenso wie die hier streitige Nachforderung aus den in der Vergangenheit tatsächlich angefallenen Nebenkosten,
die die Vorauszahlungen überstiegen.
16 Der für die Leistung nach § 22 SGB II relevante Bedarf entstand dabei nicht laufend während des Verbrauches, sondern erst mit der Abrechnung
der Hausverwaltung vom 23.11.2005. Denn vorher kann und muss die Nachzahlung nicht gezahlt werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 4.2.1988, 5 C
89/85 - BVerwGE 79, 46). Die Klägerin stand im November 2005 bereits im Leistungsbezug der Beklagten. Da der Bedarf erst zu diesem
Zeitpunkt entstanden ist, ist es unschädlich, dass sich die Nebenkostenabrechnung weitgehend auf das Jahr 2004 und damit auf den Zeitraum
vor einer Leistungszuständigkeit der Beklagten bezieht. Zwischen den Beteiligten ist auch unstreitig, dass der Bedarf im November oder
jedenfalls im Dezember entstanden ist.
17 Der Anspruch auf Leistungen ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Nachforderung erst am
31.1.2006 bei der Beklagten geltend gemacht wurde. Ein derartiger Ausschluss ist gesetzlich nicht vorgesehen. Insbesondere liegen wegen der
verspäteten Geltendmachung noch keine Schulden im Sinne des § 22 Abs. 5 SGB II (in Kraft ab 1.4.2006) bzw. § 34 SGB XII vor, deren
Übernahme durch die Beklagte nur unter engen Voraussetzungen erfolgen müsste. Denn der Antrag der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhaltes nach § 37 Abs. 1 SGB II umfasst auch Leistungen für Unterkunft und Heizung. Diese Leistungen wurden zunächst im
Wege der Übernahme von Nebenkostenvorauszahlungen erbracht. Bei dieser Sachlage ist es auch für die Beklagte erkennbar, dass nach Ablauf
eines Zeitraumes von üblicherweise einem Jahr eine Abrechnung der Nebenkostenvorauszahlungen und der tatsächlich in diesem Zeitraum
angefallenen Nebenkosten erfolgt. Ihrer Natur nach kann eine Nebenkostennachzahlung erst zu einem späteren Zeitpunkt entstehen und daher
bei der Antragstellung noch nicht beziffert werden. Damit ist sie von dem Leistungsantrag bereits mit erfasst. Zu dem späteren Zeitpunkt der
Geltendmachung handelt es sich damit noch nicht deswegen um eine Schuld, weil die Nebenkostenabrechnung dem Leistungsträger erst mehr
als einen Monat nach Fälligkeit übersandt wurde. Die Vorlage der Nebenkostenabrechnung ist daher keine weitere - eventuell verspätete -
Antragstellung im Sinne von § 37 Abs. 1 SGB II, sondern die Vorlage von Nachweisen für die Höhe der Nachforderung. Entscheidend ist dabei,
dass zuvor die Übernahme von Vorauszahlungen beantragt wurde (i.E. ebenso SG Dortmund, Urteil vom 11.07.2006, S 33 AS 375/05, bei juris).
18 Nach alledem war zu entscheiden wie tenoriert.
19 Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
20 Gründe für eine Zulassung der Berufung waren nicht ersichtlich.