Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 19.03.2009

SozG Frankfurt: stadt, sozialhilfe, gewöhnlicher aufenthalt, neues recht, umzug, einreise, zusammenleben, chile, behörde, verjährung

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 19.03.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 30 SO 13/06
Hessisches Landessozialgericht L 7 SO 81/09
1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin 7.598,64 Euro zu zahlen.
2. Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Kostenerstattungsanspruch bei Übertritt aus dem Ausland nach § 108
Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wegen der von der Klägerin für Hr. H. SCH., geboren am -.-.1960 in Valparaiso/Chile,
erbrachten Sozialhilfeleistungen.
Hr. SCH., der (auch) deutscher Staatsbürger ist, reiste, nachdem seine selbständige Tätigkeit in Australien nach
seinen Angaben nicht mehr tragfähig gewesen war, am 11.08.1996 auf dem Luftwege aus Chile kommend – wo er
nach seinen Angaben für knapp zwei Monate bei seiner Mutter gelebt hatte – nach Deutschland ein. Er hielt sich,
nachdem er auf dem Frankfurter Flughafen gelandet war, zunächst bei einer Cousine in EY. auf und erhielt von der
Stadt Frankfurt am Main ab dem 15.08.1996 Sozialhilfe.
Durch Entscheidung des Bundesverwaltungsamt vom 04.09.1996 wurde auf Antrag der Stadt Frankfurt am Main vom
21.08.1996 das beklagte Land bzw. dessen Landesamt für Soziales und Familie gemäß §§ 108 Abs. 2 i.V.m. 147
BSHG zum zuständigen überörtlichen Träger bestimmt.
Die Stadt Frankfurt am Main meldete vor diesem Hintergrund unter dem 18.09.1996 dort einen Erstattungsanspruch
für die seit dem 15.08.1996 erbrachten Leistungen an.
Am 15. oder 16.09.1996 verzog Hr. SCH. nach ZZ. und erhielt von der Klägerin seit dem 19.09.1996
Sozialhilfeleistungen, nachdem er unter dem 23.09.1996 einen entsprechenden (förmlichen) Antrag gestellt hatte.
Auch die Klägerin bat daher das beklagte Land mit Schreiben vom 14.10.1996 um Anerkennung der
Kostenersatzpflicht dem Grunde nach.
Mit Schreiben vom 17.04.1997 erkannte der Beklagte eine Kostenerstattungspflicht für die Zeit vom 15.08.1996 bis
30.09.1996 gegenüber der Stadt Frankfurt dem Grunde nach an und erstattete dieser anschließend 5.921,00 DM für
die in der Zeit bis 23.09.1996 erbrachten Aufwendungen. Auf Nachfrage – nachdem die Klägerin an ihren
Kostenerstattungsantrag für die Zeit ab 19.09.1996 erinnert hatte – bestätigte die Stadt Frankfurt am Main mit
Schreiben vom 25.11.2007, sie habe Hilfe zum Lebensunterhalt bis 23.09.1996 gezahlt.
Gegenüber der Klägerin lehnte der Beklagte die Anerkennung einer Kostenerstattungspflicht durch Schreiben vom
14.05.1998 ab, da der Sozialhilfebedarf dort nach dem Zuzug aus EY. nicht innerhalb eines Monats nach
Grenzübertritt eingetreten sei.
Auch die Stadt Frankfurt am Main lehnte am 02.07.1998 einen von der Klägerin dort auf der Grundlage von § 107
BSHG geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch unter Verweis auf den Beklagten ab. Unter Berufung auf eine
Entscheidung der Zentralen Spruchstelle vom 14.10.1974 (Az.: B 50/72) vertrat sie die Auffassung, die vom
Bundesverwaltungsamt vorgenommene Bestimmung des zuständigen überörtlichen Trägers wirke bis zur endgültigen
Beendigung des Hilfefalles.
Die Klägerin trat daraufhin erneut und unter Hinweis diese Ablehnung an den Beklagten heran. Vor dem Hintergrund
weiteren Schriftwechsels und eines nach Einschätzung des Beklagten vergleichbaren Verfahrens vor dem
Verwaltungsgericht A-Stadt, das die Beteiligten abwarten wollten, verzichtete der Beklagte mit Schreiben vom
16.12.1998 und nochmals mit Schreiben vom 12.04.2000 auf die Einrede der Verjährung nach § 113 des Zehnten
Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X).
Am 11.08.2003 bat der Beklagte um die Vorlage einer prüffähigen Kostenaufstellung für die Zeit ab 24.09.2003. Bis zu
diesem Datum sei der Stadt Frankfurt am Main Kostenerstattung gewährt worden. Die Klägerin übersandte daraufhin
unter dem 11.05.2004 eine Kostenaufstellung über 7.598,64 Euro, wobei sie erläuternd u.a. ausführte, sie habe,
obwohl Hr. SCH. ab 19.09.1996 von ihr Hilfe bezogen habe, die Berechnung mit dem 24.09.1996 begonnen, da der
Beklagte bis zum 23.09.1996 an die Stadt Frankfurt am Main erstattet habe. Mangelnde Mitwirkung des
Hilfeempfängers habe dazu geführt, dass die Hilfe mit Ablauf des 30.11.1997 eingestellt worden sei. Wegen der
Einzelheiten wird auf Bl. 92-96 der Akte des beklagten Landes Bezug genommen.
Der Beklagte lehnte anschließend mit Schreiben vom 09.06.2004 unter Berufung auf ein Urteil des
Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz v. 15.01.2004 (Az.: 12 A 11814/03) eine Kostenerstattung ab, da der
Kostenerstattungsanspruch nach § 108 BSHG seinem Schutzzweck nach nach einem Umzug des Hilfeempfängers in
den Zuständigkeitsbereich eines anderen Hilfeträgers nicht mehr anzuwenden sei.
Da der Beklagte auch nach einer Bitte der Klägerin vom 08.09.2004, seinen Rechtsstandpunkt nochmals zu
überprüfen – da die beiden Gebietskörperschaften ZZ. und EY. extrem eng beieinander lägen, passten die
Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz für den vorliegenden Fall nicht –, in einem Schreiben vom 03.11.2004 bei
seiner Rechtsauffassung blieb, hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 15.12.2005 Klage erhoben. Das Sozialgericht A-
Stadt, bei dem die Klage am 21.12.2005 eingegangen ist, hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 16.01.2006 an
das hiesige Sozialgericht verwiesen.
Die Klägerin macht zur Begründung im Wesentlichen weiterhin geltend, der Umzug von EY. nach ZZ. – falls hier
angesichts des nur kurzen und vorübergehenden Aufenthalts von Hr. SCH. in EY. überhaupt von einem Umzug
gesprochen werden könne – lasse den Kostenerstattungsanspruch nach § 108 BSHG nicht entfallen. Die
Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz (und anschließend des Bundesverwaltungsgerichts in der entsprechenden
Revisionsentscheidung vom 20.10.2005, Az.: 5 C 23/04) zum Schutzgedanken des § 108 BSHG sprächen angesichts
der Nähe von EY. und ZZ. und vor allem der Nähe auch der Stadt ZZ. zum Flughafen EY. im hiesigen Fall nicht
gegen eine fortdauernde Anwendung der Vorschrift.
Sie hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, 7.598,64 Euro an sie zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Er hält die Überlegungen des OVG Rheinland-Pfalz und des BVerwG auch im vorliegenden Verfahren für einschlägig.
Es komme allein darauf an, dass hier ein Zuständigkeitswechsel zwischen zwei örtlichen Trägern der Sozialhilfe
stattgefunden habe.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die Verwaltungsakten beider
Beteiligter Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Kammer kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem beide Beteiligte ihr diesbezügliches
Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –).
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin kann die geltend gemachte Kostenerstattung beanspruchen.
Namentlich steht der gut einmonatige Aufenthalt des Hilfeempfängers in EY. dem nicht entgegen.
I. Das angerufene Gericht ist örtlich – schon auf Grund der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des SG A-
Stadt (§ 98 S. 1 SGG i.V.m. § 17a Gerichtsverfassungsgesetz), der im Übrigen der gesetzlichen Regelung des § 57
Abs. 1 S. 1 SGG entspricht – und sachlich zuständig. Da § 51 Abs. 1 Nr. 6a SGG auch die Altfälle nach dem BSHG
erfasst, kommt es (auch) für die Frage der Zuständigkeit nicht darauf an, ob der Rechtsstreit auf der Grundlage des
BSHG oder des SGB XII zu entscheiden ist.
II. Die Klage ist als reine Leistungsklage statthaft, da sich die beiden Beteiligten im Gleichordnungsverhältnis
gegenüber stehen. Eine Frist zur Klageerhebung war nicht zu beachten. Auch sonstige Bedenken hinsichtlich der
Zulässigkeit bestehen nicht.
Zuständige Behörde des Freistaates war bei Klageeingang dessen Landesamt für Soziales und Familie, wobei dessen
Angabe als Bezeichnung des Beklagten ausreichte (§ 92 Abs. 1 S. 2 SGG). Dieses Amt wurde durch § 1 Abs. 1 der
Anordnung über die Auflösung des Landesamtes für Soziales und Familie und der Versorgungsämter und Thüringer
Verordnung zur Änderung der Zuständigkeiten in der Versorgungs- und Sozialverwaltung (ThürVersorgAmtAuflAO)
vom 01.04.2008 aufgelöst. Seine Aufgaben – mit Ausnahme derjenigen nach dem Thüringer Blindengeldgesetz und
des Schwerbehindertenfeststellungsverfahrens – werden nach § 2 Abs. 1 der genannten Vorschrift von dem
Landesverwaltungsamt (LVwA) wahrgenommen. Dementsprechend ist nach § 2 Abs.1 des Thüringer Gesetzes zur
Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (ThürAGSGB XII) überörtlicher Träger der Sozialhilfe – wie zuvor
(§ 2 des Thüringer Ausführungsgesetzes zum Bundessozialhilfegesetz) – das Land, zuständige Behörde seit
01.05.2008 nach § 2 Abs. 2 ThürAGSGB XII in der seit diesem Zeitpunkt geltenden Fassung das
Landesverwaltungsamt, soweit nicht durch das ThürAGSGB XII oder Rechtsverordnung etwas anderes geregelt ist –
was hier nicht der Fall ist. Das Landesverwaltungsamt wird durch seinen Präsidenten vertreten.
Eine – auch einfache – Beiladung der Stadt Frankfurt am Main schließlich war nach Auffassung der Kammer nicht
angezeigt, da ein möglicher (alternativer) Kostenerstattungsanspruch der Klägerin nach § 107 BSHG erkennbar
verjährt ist und die Inanspruchnahme der Stadt Frankfurt seitens der Klägerin ausweislich ihrer Akten daher gar nicht
mehr in Betracht gezogen wird.
III. Die Klage ist auch begründet. Die Voraussetzungen für die geltend gemachte Kostenerstattung nach der Einreise
des Hilfebedürftigen aus dem Ausland liegen vor.
1. Nach Auffassung der Kammer – die offenbar auch die Beteiligten teilen – ist der vorliegende Streitfall noch nach
den Vorschriften des BSHG zu entscheiden.
So stellt das Bundessozialgericht bei der Beurteilung eines (originären) Ersatzanspruchs nach den Grundsätzen des
intertemporalen Rechts – für die Kammer überzeugend – auf die Rechtslage zum Zeitpunkt von dessen Entstehung
ab (vgl. BSG v. 27.08.2008, Az.: B 11 AL 11/07 R zu § 335 SGB III; ausf. zur Problematik auch Hess. LSG, Urtl. v.
14.12.2007, Az.: L 7 AL 183/06). Ein Rechtssatz sei grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach
seinem Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend habe das Bundessozialgericht in ständiger
Rechtsprechung entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw.
Rechtsverhältnisse nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände
gegolten habe, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimme. Zum gleichen Ergebnis
gelange man auch, wenn man den Grundsatz anwende, dass neues Recht immer schon, aber auch [nur dann] einen
Sachverhalt erfasse, wenn die maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts fallen
(Geltungszeitraumprinzip). Ganz in Übereinstimmung damit hat auch das Bundesverwaltungsgericht die weitere
Anwendung alten Rechts auf "abgeschlossene Erstattungsvorgänge" befürwortet, jedenfalls soweit es sich um
materiell-rechtliche Regelungen handelt (vgl. BVerwG, Urtl. v. 13.05.2004, Az.: 5 C 47/02, dort ging es um die
Einführung der Bagatellgrenze in § 111 Abs. 2 BSHG).
Die Kammer hält daher hier § 108 BSHG für anwendbar. Letztlich könnte dies aber sogar offen bleiben, da § 108
BSHG inhaltlich hinsichtlich der hier problematischen Fragen nicht von der Nachfolgevorschrift in § 108 SGB XII
abweicht.
2. Die Voraussetzungen des § 108 BSHG in der vom 01.01.1994 bis 31.12.2004 geltenden Fassung liegen vor. Nach
seinem Abs. 1 S. 1 sind, wenn jemand, der weder im Ausland noch im Geltungsbereich dieses Gesetzes einen
gewöhnlichen Aufenthalt hat, aus dem Ausland in den Geltungsbereich dieses Gesetzes übertritt und er innerhalb
eines Monats nach seinem Übertritt der Sozialhilfe bedarf, die aufgewendeten Kosten von dem überörtlichen Träger
der Sozialhilfe zu erstatten, der von einer Schiedsstelle bestimmt wird. Dies gilt nach Satz 3 nicht für Personen, die
im Geltungsbereich dieses Gesetzes geboren sind oder bei Eintritt des Bedarfs an Sozialhilfe mit einer solchen
Person als Ehegatte, Verwandte oder Verschwägerte zusammenleben. Die Verpflichtung zur Erstattung der für einen
Hilfeempfänger aufgewendeten Kosten fällt nach Abs. 5 weg, wenn dem Hilfebedürftigen zwischenzeitlich für einen
zusammenhängenden Zeitraum von 3 Monaten Sozialhilfe nicht zu gewähren war.
a) Der in Chile geborene Hilfeempfänger hatte zum Zeitpunkt seines Grenzübertritts weder im Ausland – seine
Existenz in Australien hatte er nach seinen von keiner Seite in Frage gestellten Angaben im Verwaltungsverfahren
aufgeben müssen, in Chile hatte er sich nur vorübergehend aufgehalten, jedenfalls aber das Land bei seiner Einreise
nach Deutschland dauerhaft verlassen wollen, einen möglichen gewöhnlichen Aufenthalt damit aufgegeben – noch im
Inland einen gewöhnlichen Aufenthalt. Nachdem dies von keinem Beteiligten in Frage gestellt wurde, sieht sich die
Kammer auch ohne weitere Ermittlungen zu dieser Frage nicht veranlasst, die diesbezüglichen Angaben des
Hilfebedürftigen bei der Antragstellung in Zweifel zu ziehen.
b) Innerhalb eines Monats nach seiner Einreise, dem "Übertritt" nach Deutschland am 11.08.1996 hatte er nicht nur
einen Sozialhilfebedarf geltend gemacht, sondern entsprechende Leistungen waren ihm seitens der Stadt Frankfurt
am Main auch für die Zeit ab 15.08.1996 bewilligt und erbracht worden.
c) Das beklagte Land ist unstreitig durch das Bundesverwaltungsamt, also durch die nach § 108 Abs. 2 BSHG
zuständige Schiedsstelle, als zur Kostenerstattung verpflichteter überörtlicher Träger bestimmt worden. Dabei war im
beklagten Freistaat das Land selbst – und ist dies nach wie vor – überörtlicher Träger der Sozialhilfe, wie sich aus § 2
des Thüringer Ausführungsgesetz zum Bundessozialhilfegesetz (vom 18.06.1993, GVBl. S. 321) ergab. Die
Bezeichnung der damals in diesem Rahmen zuständigen Behörde, nämlich des Landesamtes für Soziales und
Familie, durch das Bundesverwaltungsamt ist insofern nach Auffassung der Kammer ausreichend. Der in Anspruch
genommene Freistaat ist insofern auch der richtige Beklagte.
Die Kammer hat keine Bedenken, diese durch die Stadt Frankfurt am Main veranlasste Bestimmung durch das
Bundesverwaltungsamt als auch zu Gunsten der hiesigen Klägerin wirkend anzunehmen: Weder erfolgt die
Bestimmung im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens noch und vor allem haben die vom
Bundesverwaltungsamt zu berücksichtigenden Kriterien (vgl. dazu § 108 Abs. 1 S. 2 BSHG) einen Bezug zu den
konkreten Verhältnissen des kostenerstattungsberechtigten örtlichen Trägers, so dass eine diesbezügliche
Veränderung auch zu keiner Veränderung der Bestimmung führen muss.
d) Der Kläger ist weder in Deutschland geboren noch lebte er bei Eintritt des Hilfebedarfs mit einer in Deutschland
geborenen Person als Ehegatte, Verwandter oder Verschwägerter zusammen.
Der Kläger hielt sich zwar nach seinen Angaben bei der Antragstellung zunächst bei seiner Cousine – also bei einer
Verwandten, auf den Grad der Verwandtschaft kommt es im Rahmen von § 108 BSHG nach dem Gesetzeswortlaut
nicht an – auf. Schon bei der Antragstellung hat er allerdings verdeutlicht, dass diese auf Grund eigenen
Sozialhilfebezuges nicht in der Lage sei, ihn finanziell zu unterstützen. Dementsprechend ist er dort auch alsbald
wieder aus- und (nach ZZ.) umgezogen. Ein irgendwie geartetes familiales Zusammenleben vermag die Kammer
daher nicht zu erkennen, hält dies aber für notwendig, um den Kostenerstattungsanspruch nach § 108 Abs. 1 S. 3
BSHG auszuschließen (vgl. so auch – zu § 108 SGB XII – Steimer, in: Mergler/Zink, Handbuch der Grundsicherung
und Sozialhilfe, § 108 SGB XII, Rn. 12; anders offenbar VG Cottbus, Urtl. v. 19.05.2006, Az.: 5 K 1149/02). Grund für
die Vorschrift ist nämlich, dass bei einem Zusammenleben in Familiengemeinschaft mit einer in Deutschland
geborenen Person eine im Anwendungsbereich des § 108 BSHG sonst regelmäßig fehlende (örtliche) Verbindung mit
dem Bundesgebiet vorhanden ist. Lebt der Hilfebedürftige daher beim Eintritt des Hilfebedarfs bereits in
Familiengemeinschaft mit einer hier geborenen Person, so wird häufig die regionale Anbindung dieser Person für den
Aufenthaltsort maßgeblich sein, so dass es wegen dieser Fälle nicht zu einer herausgehobenen Kostenbelastung
(flug-)hafen- oder grenznaher Gemeinden kommen wird. Handelt es sich dagegen nur um eine "erste Anlaufstelle"
unmittelbar nach der Einreise und nah zum Einreiseort, so entfällt die ratio der Vorschrift nicht.
Ein derartiger Aufenthalt ist daher nicht als Zusammenleben im Sinne des § 108 Abs. 1 S. 3 BSHG zu qualifizieren.
e) Der Erstattungsanspruch ist schließlich auch nicht entfallen. Der insoweit einzige gesetzlich geregelte Fall (in § 108
Abs. 5 BSHG) einer dreimonatigen Unterbrechung des Leistungsbezugs ist insoweit erkennbar nicht einschlägig.
Die Kammer ist aber zudem und vor allem nicht der Auffassung, dass der Umzug des Hilfebedürftigen von EY. nach
ZZ. einer derartigen Unterbrechung gleichzustellen wäre, also vergleichbar dieser als Eintritt eines neuen Hilfefalles zu
qualifizieren wäre, oder aus Schutzzwecküberlegungen von einem weiteren Grund, der zum Wegfall des
Kostenerstattungsanspruch führen müsste, auszugehen wäre. Die Kammer geht vielmehr davon aus, dass § 108 Abs.
5 BSHG (und ebenso § 108 Abs. 4 SGB XII) die Wegfallgründe abschließend regelt (so auch Hauck/Noftz, Komm. z.
SGB XII, § 108, Rn. 17, allerdings ohne ausdrücklich auf die streitige Fallgruppe einzugehen).
Der Wortlaut des Gesetzes zunächst gibt für ein Entfallen des Anspruchs nichts her, insbesondere ist § 108 Abs. 1 S.
1 BSHG nicht zu entnehmen, dass der Hilfebedarf gerade und sofort bei dem um Kostenerstattung nachsuchenden
Träger entstanden sein müsste.
Auch der Zweck der Vorschrift rechtfertigt in der hier zur Entscheidung stehenden Fallkonstellation eine
entsprechende Einschränkung nicht, was allerdings nach Auffassung der Kammer keineswegs ausschließt, Fälle, die
dem vom OVG Rheinland-Pfalz (Urtl. v. 15.01.2004, Az.: 12 A 11814/03) und nachfolgend dem BVerwG (Urtl. v.
20.10.2005, Az.: 5 C 23/04) entschiedenen entsprechen, auch wie diese zu beurteilen. In einer Fallkonstellation wie
der hiesigen sprechen Sinn und Zweck der Vorschrift, die (flug-)hafen- oder grenznahen Gemeinden von
überproportionalen Aufwendungen zu entlasten, jedoch gerade nicht für eine Einschränkung der Vorschrift, sondern im
Gegenteil für ihre Anwendung. Der Hilfebedürftige ist hier nach kurzem – nur knapp über der Monatsgrenze liegenden
– Aufenthalt in EY. in die Nachbargemeinde ZZ. umgezogen. Die Kammer vermag dabei keine Hinweise darauf zu
erkennen, dass der Hilfebedürftige seine Lebenssituation in QQ. schon in irgendeiner Weise stabilisiert hätte, dass
man davon sprechen könnte, dass der Zuzugsvorgang in die Bundesrepublik als abgeschlossen gelten könnte und der
Umzug nunmehr Ausdruck einer Neuorientierung im Bundesgebiet sein könnte. Insofern und angesichts der Nähe von
ZZ. (und anderer Anrainerkommunen) zum Flughafen muss davon ausgegangen werden, dass ZZ. durch Umzüge wie
den hiesigen im Vergleich zu anderen, nicht flughafennahen Kommunen überproportional häufig belastet sein wird:
Geradezu regelmäßig wird der Hilfebedürftige am Ziel(-ort) der (Ein )Reise zunächst nur sehr kurzfristig bleiben, etwa
in einem Hotel oder bei Verwandten oder Bekannten, bei denen er sich für einige Tage wohnen kann, und von dort und
daher häufig in der Nähe dann eine erste nicht mehr nur vorübergehende Unterkunft suchen und finden. Ob er dabei
gleich in den ersten Tagen, während derer der Hilfebedürftige im Falle der Mittellosigkeit bei der Einreise – und gerade
das ist ja der von § 108 BSHG vorausgesetzte Fall – seinen Hilfebedarf regelmäßig bereits wird anmelden müssen,
gerade in der Gemeinde ankommt, in der er dann auch eine Bleibe für einen längeren und gewöhnlichen Aufenthalt
findet, oder ob ihm dies in einem Nachbarort gelingt, erscheint insofern geradezu zufällig. Wendet man diese
Überlegungen auf den hier zu entscheidenden Fall an, so vermag die Kammer dementsprechend im Hinblick auf Sinn
und Zweck der Vorschrift keine relevanten Unterschiede zwischen a) einem (hypothetischen) Fall, bei dem die
Cousine des Hilfebedürftigen ebenso flughafennah, aber in ZZ. gewohnt hätte und er nach dem Kurzaufenthalt dort –
wie tatsächlich geschehen – in eine (andere) Wohnung in ZZ. gezogen wäre (und daher ein
Kostenerstattungsanspruch der Klägerin unproblematisch wäre), b) einem weiteren (ebenso hypothetischen) Fall, bei
dem die Cousine – wie tatsächlich – in QQ. wohnt, der Hilfebedürftige aber anschließend eine nicht mehr nur
vorübergehende Unterkunft innerhalb der QQ.er Stadtgrenze gefunden hätte (und daher bei sonst unveränderter
Entwicklung des Hilfefalles ein die Gesamtkosten umfassender Erstattungsanspruch der Stadt Frankfurt zu Lasten
der Beklagten unproblematisch wäre) c) und dem (realen) Fall zu erkennen. Schutzzweckgesichtspunkte, die in
Fällen, wie dem hier zu entscheidenden, eine Einschränkung des § 108 BSHG rechtfertigen bzw. einen weiteren
Wegfallgrund, über den in Abs. 5 geregelten hinaus, begründen könnten, sind für die Kammer daher nicht ersichtlich.
Auch der – systematisch sicher relevante – Umstand, dass bei einem "Weiterzug" innerhalb Deutschlands ein
Anspruch nach § 107 BSHG im Raume steht, führt jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall zu keiner anderen
Bewertung. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass der Hilfebedürftige in QQ. bereits einen gewöhnlichen Aufenthalt
begründet hatte. Dies würde voraussetzen, dass er sich dort unter Umständen aufgehalten hätte, die hätten erkennen
lassen, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt, § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I. Dafür ist nichts erkennbar. Vielmehr ist
angesichts seiner Angaben bei der Antragstellung, die durch die alsbaldige Anmietung einer eigenen Wohnung in ZZ.
bestätigt werden, davon auszugehen, dass der Hilfebedürftige sich in EY. nur besuchsweise und erkennbar
vorübergehend, wenn auch noch ohne klares Ziel aufgehalten hat. Hinzu kommt – wobei offen bleiben kann, ob allein
dies als Grund ausreichen würde –, dass die Erstattung nach § 107 BSHG vor allem in zeitlicher Hinsicht enger
begrenzt ist als die nach § 108 BSHG.
Nach Auffassung der Kammer ist daher, da der Wortlaut ein entsprechende Einschränkung nicht hergibt – wenn auch
nicht ausschließt –, bei einem Umzug im Nahbereich des Ankunftsortes und kurz nach der Ankunft und jedenfalls
dann, wenn – wovon hier auszugehen ist – am unmittelbaren Ankunftsort ein gewöhnlicher Aufenthalt nicht begründet
wird, ein Kostenerstattungsanspruch des Trägers, in dessen Zuständigkeitsbereich der Hilfebedürftige weiterzieht, zu
bejahen. Ob dies auch in dem vom Beklagten angeführten und vom OVG Rheinland-Pfalz und vom BVerwG
entschiedenen bzw. entsprechenden Fällen zu gelten hätte, kann dabei offen bleiben. Die von den genannten
Gerichten angeführten Schutzzweckerwägungen sprechen nach Auffassung jedenfalls in der hier zu entscheidenden
Fallkonstellation nicht gegen, sondern für eine Anwendung des § 108 BSHG.
f) Der Beklagte hat auf die Einrede der Verjährung verzichtet. Da er sich auch im hiesigen Verfahren nicht auf
Verjährung berufen hat, kann offen bleiben, ob und welche (zeitliche) Grenze die Verzichtserklärung hatte.
g) Die Höhe der Kostenerstattung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Nachdem die Klägerin nur die ab dem
24.09.1996 entstandenen Kosten geltend macht, vermag auch die Kammer Fehler insoweit nicht zu erkennen.
Namentlich sind Anhaltspunkte dafür, dass die Hilfegewährung nicht dem Gesetz entsprochen hätte und eine
Erstattung der Aufwendungen daher nach § 111 Abs. 1 BSHG ausgeschlossen wäre, nicht ersichtlich.
3. Im Ergebnis ist das beklagte Land antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung folgt, da die Beteiligten sich hier in einem Erstattungsstreit gegenüberstehen und daher nach
§ 197a Abs. 3 SGG die Privilegierung der Sozialhilfeträger aus § 64 Abs. 3 S. 2 SGB X entfällt, aus § 197a Abs. 1 S.
1 SGG, wobei der Beklagte nach dessen Halbsatz 2 i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten zu tragen hat.
4. Die Berufung schließlich war auf der Grundlage von § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Die Rechtssache hat
grundsätzliche Bedeutung. Dabei kann offen bleiben, ob sich diese hier aus einer Abweichung von der Entscheidung
des Bundesverwaltungsgerichts vom 20.10.2005 – die als solche allerdings nicht zu einer Berufungszulassung wegen
Divergenz nach § 144 Abs. 2 Nr. 2 führen könnte – ergibt. Dafür spricht allerdings, dass das
Bundesverwaltungsgericht seine die genannten Entscheidung tragende Begründung, wonach § 108 BSHG nicht dem
Schutze eines Trägers diene, der infolge Zuzugs des Hilfebedürftigen zuständig geworden ist, ohne Einschränkungen
etwa für die hier zu entscheidende Fallkonstellation formuliert hat und bei einer Abweichung von der Entscheidung
eines obersten Bundesgerichts in der Regel grundsätzliche Bedeutung gegeben sein wird (vgl. für die Abweichung von
einer Entscheidung eines dem entscheidenden Gericht nicht übergeordneten Landessozialgerichts Leitherer, in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. z. SGG, 9. Aufl., § 144, Rn. 30). Auch unabhängig davon ergibt sich die
grundsätzliche Bedeutung aber – angesichts der im Vergleich von § 108 BSHG mit § 108 SGB XII unveränderten
Rechtslage – daraus, dass die Anwendbarkeit der Kostenerstattungsvorschrift in Fällen wie dem hiesigen eine nicht
abschließend geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt.