Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 20.07.2006

SozG Frankfurt: europäisches recht, ausländische rente, mitgliedschaft, eugh, versicherungspflicht, krankenversicherung, rentner, mindestbeitrag, leistungsanspruch, aufenthalt

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 20.07.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 9 P 40/06
Hessisches Landessozialgericht L 8 P 29/06
Bundessozialgericht B 3 P 13/07 R
Der Bescheid der Beklagten vom 05.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.02.2004 wird
aufgehoben, soweit er sich mit Leistungen und Rückforderung von Leistungen nach dem SGB XI sowie der
Mitgliedschaft in der Pflegekasse der Beklagten befasst. Die Beklagte hat dem Kläger Pflegegeld im gesetzlichem
Umfang ab dem 01.01.2003 weiterzubewilligen. Der Kläger ist seit dem 01.09.2002 freiwilliges weiterversichertes
Mitglied der beklagten Pflegekasse.
Die Beklagte zahlt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem in sein Heimatland zurückgekehrten Kläger Pflegegeld weiter zu bewilligen ist
und ob dieser freiwillig weiterversichertes Mitglied der Beklagten ist.
Der 1935 geborene Kläger - ein p Staatsbürger - ist Bezieher einer deutschen und einer p Altersrente. Seit 07.08.2001
hat er Leistungen der SPV (= Sozialen Pflegeversicherung) als Sachleistung erhalten. Im Hinblick auf einen zunächst
vorübergehenden Aufenthalt in P hat ihm die Beklagte Pflegegeld gewährt.
Nachdem der Beklagten am 31.01. 2003 bekannt geworden war, dass der Kläger zum 31.07.2002 seine Wohnung in
Deutschland abgemeldet hatte und er seinen Wohnsitz endgültig nach P verlegt hat, hat die Bank - BKK mit Bescheid
vom 05.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2004 das Ende der Mitgliedschaft festgestellt.
Die Beklagte hat mit Bescheid vom 12.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2004 verfügt, dass
die Mitgliedschaft des Klägers in der SPV zum 31.07.2002 geendet habe. Das für die Zeit vom 01.08.2002 bis
31.12.2002 in Höhe von 1.025 EUR gezahlte Pflegegeld hat sie gleichzeitig zurückgefordert. Der Kläger sei nach
seiner Rückkehr nach P nicht mehr pflegeversichert. Ohne Versicherung aber könne er auch keine Leistungen
bekommen.
Mit der am 11.02.2004 beim Sozialgericht Frankfurt eingegangenen Klage vertritt der Kläger die Auffassung, er wolle
Mitglied in der gesetzlich möglichen Form bleiben, da auch er eine Mitgliedschaft als Voraussetzung für den Erhalt
von Pflegeleistungen sehe. Das Pflegegeld sei ihm weiter zu gewähren. Hierbei stütze er sich auf die Rechtsprechung
des EuGH.
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 05.02.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2004
aufzuheben und an ihn Pflegegeld im gesetzlichen Umfang ab dem 01.01.2003 weiter zu bewilligen sowie
festzustellen, dass er über dem 31. Juli 2002 hinaus freiwillig versichert ist in der Pflegekasse der Beklagten.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bezieht sich in ihrer Erwiderung im Wesentlichen auf das bereits im Vorverfahren Erwähnte.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beteiligtenvorbringens wird auf die Gerichtsakten und die beigezogene
Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Unter Aufhebung ihrer Bescheide hat die Beklagte den Kläger weiterzuversichern
und ihm Pflegeleistungen zu gewähren.
Dies folgt aus § 26 Abs. 1 SGB XI. Nach dieser Vorschrift sind Personen, die aus der Versicherungspflicht nach § 20
oder 21 ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens 24 Monate oder
unmittelbar vor dem Ausscheiden mindestens 12 Monate versichert waren, auf Antrag in der SPV weiterzuversichern
Durch seinen Wohnsitzwechsel nach P ergibt sich für den Kläger, dass dieser nicht mehr in der SPV
versicherungspflichtig ist. Das Gericht folgt hier der Entscheidung des Bundessozialgerichts, das in seinem Urteil
vom 26.1.2005 B 12 P 4/02 R einen parallelen Fall entschieden hat. Nach dieser Entscheidung ist ein Rentner mit
Wohnsitz in S, der sowohl eine Rente des deutschen als auch des S Rentenversicherungsträgers bezieht, nicht mehr
in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig.
Unstreitig sind hier die Vorversicherungszeiten erfüllt.
Der Antrag ist mit dem Widerspruchschreiben vom 19.02.2003 auch innerhalb der Dreimonatsfrist des § 26 Abs. 1 S.
3 SGB XI gestellt worden. Dass der Antrag nicht ausdrücklich als Antrag auf Weiterversicherung formuliert worden ist,
ist unschädlich. Denn der Wille des Klägers als Voraussetzung für die begehrten Pflegeleistungen, den gesetzlich
möglichen Versicherungsschutz zu erlangen, ist deutlich geworden, was anerkanntermaßen ausreicht. Die Frage, ob
dieses Ergebnis auch mittels eines Herstellungsanspruchs zu erzielen wäre, braucht daher nicht geprüft zu werden.
An Stelle der Weiterversicherung gemäß § 26 Abs. 1 SGB XI ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht die
Weiterversicherung nach § 26 Abs. 2 SGB XI als lex specialis und damit als vorrangig anzusehen. Nach dieser
Vorschrift (des § 26 Abs. 2 SGB XI) können sich Personen, die wegen der Verlegung ihres Wohnsitzes oder
gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland aus der Versicherungspflicht ausscheiden, auf Antrag weiterversichern.
Wie der systematische Zusammenhang mit § 57 Abs. 5 SGB XI und § 34 SGB XI zeigt, ist die Vorschrift des § 26
Abs. 2 SGB XI vom Gesetzgeber lediglich als Anwartschaftsversicherung ausgestaltet worden. Das ergibt sich aus §
34 SGB XI, wonach der Anspruch auf Leistungen ruht, solange sich der Versicherte im Ausland aufhält. Ergänzend
regelt § 57 Abs. 5 SGB XI, dass für solche Versicherte lediglich ein Mindestbeitrag erhoben werden kann.
Im vorliegenden Falle aber geht es dem Kläger erkennbar nicht darum, ohne einen Leistungsanspruch zu haben, nur
anwartschaftsversichert zu sein. Vielmehr besteht sein Klageziel gerade darin, Leistungen aus der SPV zu
bekommen und den dafür nötigen Versicherungsschutz zu erhalten.
Dass hier § 26 Abs. 2 SGB XI die Vorschrift des § 26 Abs. 1 SGB XI nicht als lex specialis verdrängt, folgt aus einer
europarechtskonformen Auslegung dieser die Versicherung betreffenden Normen in ihrem Zusammenspiel mit den die
Leistung regelnden Normen. Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Dem Kläger steht mit Rücksicht auf Europäisches Recht und unter Abweichung von § 34 SGB XI ein
Leistungsanspruch auf Pflegegeld zu. Danach verstößt § 34 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI, wonach der Anspruch auf
Leistungen bei Aufenthalt des Versicherten im Ausland ruht, gegen Artikel 19 Abs. 1 Buchstabe b EWGV 1408/71.
Aus Artikel 19 Abs. 1 Buchstabe b EWGV 1408/71 wird ferner hergeleitet, dass die Zahlung von Geldleistungen wie
Pflegegeld selbst dann in dem Mitgliedstaat, in dem der Rentner wohnt, zu zahlen ist, wenn das Recht dieses
Mitgliedstaats derartige Leistungen nicht vorsieht. So EuGH vom 8.3. 2001 C-215/99. Nach P Recht sind
Pflegeleistungen nicht vorgesehen.
Der auch im Europäischen Recht geltende Gleichheitssatz verbietet bei dieser die Leistungen betreffenden Regelung,
dass § 26 Abs. 2 SGB XI hier als lex specialis gegenüber Abs. 1 dieser Vorschrift anzusehen ist.
Ansonsten wäre ein Pflegeleistungen beziehender Doppelrentner wie der Kläger nach seiner Rückkehr in sein
Heimatland in beitragsmäßiger Hinsicht nicht nur gegenüber seinen Pflegeleistungen beziehenden Landsleuten, die
ebenfalls Doppelrentner sind, aber in Deutschland wohnen bleiben, ohne sachlichen Grund privilegiert.
Diese Privilegierung würde entsprechend auch gegenüber den deutschen Normalrentnern bestehen. Denn der nach P
Zurückkehrende müsste anders als die in Deutschland bleibenden Rentner für die SPV lediglich den Mindestbeitrag
für eine Anwartschaftsversicherung zahlen.
Die freiwillige Weiterversicherung des Klägers ist auch nicht durch Artikel 15 Abs. 2 EWGV 1408/71 ausgeschlossen.
Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen nicht vor. Ein Zusammentreffen einer Pflichtversicherung und einer
freiwilligen Weiterversicherung bei einem oder mehreren Systemen ist hier nicht gegeben.
Der Kläger ist hier wie oben ausgeführt nicht in der SPV pflichtversichert (vergleiche BSG a.a.O). Er ist in P schon
deshalb nicht pflegepflichtversichert, weil eine solche Versicherung dort nicht existiert. Eine Versicherungspflicht in P
kann auch nicht unter dem Aspekt angenommen werden, dass die Leistung des Pflegegelds vom EuGH in seiner
Entscheidung vom 05.03.1998 - C-160/96 zu den Geldleistungen der Krankenversicherung zu zählen ist. Diese nur die
institutionelle Zuordnung der Pflegeleistungen bestimmende Entscheidung sagt nichts darüber aus, wie der
Leistungsberechtigte versichert ist.
Damit ist davon auszugehen, dass im vorliegenden Fall der Kläger gemäß § 26 Abs. 1 SGB XI nach seinem
Ausscheiden aus der Versicherungspflicht bei der Beklagten antragsentsprechend weiterzuversichern war. So
jedenfalls im Ergebnis auch die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 27.06.2003 - L 4 P 38/01.
Dem Kläger ist wegen des bei ihm unstreitig vorliegenden Versicherungsfalls auch nach seinem Wohnsitzwechsel
nach P das zuvor in Deutschland bewilligte Pflegegeld weiter zu gewähren. Das Gericht folgt hier den o. g.
Entscheidungen des EuGH vom 05.03.1998 und vom 8.3.2001, sowie den Urteilen des LSG Baden-Württemberg vom
27.06.2003 a.a.O. und des LSG für das Land Nordrhein-Westfalen vom 17.01.2002 - L 16 P 119/ 00.
Die Auffassung, dass Versicherte, die nur eine deutsche Rente beanspruchen können und zweifelsfrei bei Bestehen
einer gesetzlichen Krankenversicherung deswegen Mitglied der SPV bleiben, auch wenn sie ihren Wohnsitz im EG -
Ausland begründen, während derjenige, der zusätzlich eine (möglicherweise recht niedrige )ausländische Rente
bezieht, wegen des Wegfalls seiner Mitgliedschaft in einer deutschen Krankenversicherung nicht mehr freiwillig
pflegeversichert mit Anspruch auf Pflegeleistungen sein soll, verstößt zudem gegen das Grundgesetz , insbesondere
den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 GG.
Nach alldem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.