Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 23.03.2010

SozG Frankfurt: vorbehalt des gesetzes, veröffentlichung, erste hilfe, delegation von rechtsetzungsbefugnissen, numerus clausus, staatliche tätigkeit, verfassungskonforme auslegung, pflege, internet

Sozialgericht Frankfurt
Beschluss vom 23.03.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 18 P 16/10 ER
Hessisches Landessozialgericht L 8 P 29/10 B ER
Die Antragsgegner werden verpflichtet, die Veröffentlichung der Prüfungsbewertung für die von der Antragstellerin
betriebene stationäre Pflegeeinrichtung C., zu unterlassen, bis über den zugrunde liegenden Unterlassungsanspruch
bestands- oder rechtskräftig entschieden ist, längstens bis zum 31.10.2010.
Es wird festgestellt, dass die Antragstellerin nicht verpflichtet ist, die Zusammenfassung der Ergebnisse der
Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 03.11.2009 in der stationären Pflegeeinrichtung der Antragstellerin C.
auszuhängen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, längstens bis zum bis zum 31.10.2010.
Die Antragsgegner tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Gegenstand des Antragsverfahrens ist die Frage, ob die Antragsgegner berechtigt sind, die für den 15.01.2010
angekündigte Veröffentlichung einer Prüfungsbewertung gemäß § 115 Abs. 1a Sozialgesetzbuch Elftes Buch, Soziale
Pflegeversicherung (SGB XI) im Internet vorzunehmen sowie die Frage, ob die Antragstellerin verpflichtet ist, die
Ergebnisse des Transparenzberichts in der vollstationären Einrichtung auszuhängen.
Die Antragstellerin ist Trägerin der stationären Pflegeeinrichtung C. mit 158 Pflegeplätzen. Die Antragsgegner sind die
Landesverbände in A-Stadt.
Am 03.11.2009 führte der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) XY. eine Qualitätsprüfung durch,
aufgrund derer der Prüfbericht vom 16.11.2009 erstellt wurde. Der MDK erstellt ferner einen vorläufigen
Transparenzbericht mit folgenden Noten:
3,5 ausreichend: Pflege und medizinische Versorgung, 3,5 ausreichend: Umgang mit demenzkranken Bewohnern, 2,7
befriedigend: Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung, 1,4 sehr gut: Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und
Hygiene, Gesamtergebnis: 3,0 befriedigend.
Mit Schreiben vom 27.11.2009 wurde der Antragstellerin im Rahmen eines schriftlichen Anhörungsverfahrens
Gelegenheit gegeben, zu den im Prüfbericht festgestellten Mängeln bis zum 21.12.2009 Stellung zu nehmen. In dem
Schreiben wurde auch der Erlass eines Maßnahmenbescheides gem. § 115 Abs. 2 SGB XI angekündigt. Mit
Schreiben vom 18.12.2009 äußerte sich die Antragstellerin zu den im Prüfbericht aufgezeigten Mängeln. Schwerpunkt
dieser Stellungnahme war die perspektivische Fortentwicklung der Einrichtung unter Vorlage eines Maßnahmeplanes.
Mit Schreiben vom 26.01.2010 erhob die Antragstellerin beim Antragsgegner zu 1 Widerspruch gegen den vorläufigen
Transparenzbericht gem. § 115 Abs. 1a SGB XI. Des Weiteren beantragte die Antragstellerin, die Frist zur
Stellungnahme über die vorgesehenen 28 Tage hinaus bis zum 02.03.2010 zu verlängern sowie die Veröffentlichung
des Transparenzberichtes im Internet sowie die Verpflichtung der Antragstellerin, den Transparenzbericht öffentlich
auszuhängen solange auszusetzen. Die Benotung der Einrichtung der Antragstellerin sei fehlerhaft, da der MDK eine
Bewertung zugunsten der Prozessqualität vorgenommen habe, obwohl dies so in § 115 Abs. 1a SGB XI nicht
vorgesehen sei, da nach dieser Vorschrift die Veröffentlichung vorrangig die tatsächliche Ergebnis- und Lebensqualität
zum Inhalt haben solle. Die Frage der Wundversorgung sei lediglich in Bezug auf einen Bewohner geprüft worden.
Damit erfolgte eine dreifache Bewertung bezogen auf ein- und denselben Sachverhalt. Dies werfe bereits die Frage
auf, ob eine solche Sachverhaltskonstellation der Bewertung der Gesamteinrichtung im Rahmen der
Transparenzkriterien zugrunde gelegt werden könne. Darüber hinaus habe der MDK bezüglich der Wundversorgung
eine fachlich falsche Bewertung vorgenommen. Auch in Bezug auf Maßnahmen bei Einschränkung der selbständigen
Nahrungs- und Flüssigkeitsversorgung habe der MDK eine falsche Bewertung vorgenommen. Hinsichtlich der
Durchführung der Pflege durch dieselben Pflegekräfte hätte der MDK von den Dienstplänen von drei vollen Monaten
ausgehen müssen. Demgegenüber hätte der MDK lediglich die Dienstpläne für den Monat September 2009
stichprobenartig bezogen auf neun Bewohner ausgewertet. Des Weiteren hätte der MDK behauptet, dass keine
nachvollziehbaren Nachweise für Schulungen im Bereich Erste Hilfe vorlägen. Tatsächlich habe die Antragstellerin
nachweislich jährliche Schulungen im Bereich Erste Hilfe und Notfallmaßnahmen durchgeführt. Auch würde die
Antragstellerin entgegen dem Prüfbericht neuen Bewohnern systematisch Hilfestellung bei der Eingewöhnung leisten.
Hinsichtlich des Kriteriums der Mitgestaltung der Gemeinschaftsräume habe der MDK in seiner Beurteilung die Anlage
3 zur Transparenzvereinbarung unberücksichtigt gelassen, wonach die Beantwortung der Frage durch die Befragung
einiger Bewohner oder des Heimbeirats zu verifizieren sei.
Mit Schreiben vom 01.03.2010 wiesen die Antragsgegner die von der Antragstellerin vorgebrachten Einwände gegen
den vorläufigen Transparenzbericht als unbegründet zurück. Im Ergebnis sei festzustellen, dass die Qualitätsprüfung
und die in diesem Zusammenhang erfolgte Sachverhaltsbewertung korrekt und sachgemäß stattgefunden hätten. Die
Vorgaben der Transparenzvereinbarung seien eingehalten worden. Die von der Antragstellerin eingereichten
Unterlagen enthielten Angaben, welche sich auf Daten nach der Prüfung beziehen würden und somit nicht in die
Bewertung einbezogen werden könnten. Der Antragstellerin wurde ein Kommentierungsrecht bis zum 09.03.2010
eingeräumt.
Am 03.03.2010 hat die Antragstellerin Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
Die Antragstellerin beantragt, die Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu verpflichten, die Veröffentlichung – im Internet oder in sonstiger Weise – der
Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 03.11.2009 über die vollstationäre Einrichtung der
Antragstellerin C., und dessen Freigabe an Dritte zum Zwecke der Veröffentlichung zu unterlassen,
festzustellen, dass die Antragstellerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht verpflichtet
ist, die Zusammenfassung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 03.11.2009 in der
vollstationären Einrichtung der Antragstellerin (vgl. oben) in der Pflegeeinrichtung auszuhängen,
hilfsweise, die Antragsgegner zu verpflichten, die Veröffentlichung – im Internet oder in sonstiger Weise – der
Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht) vom 03.11.2009 über die vollstationäre Einrichtung der
Antragstellerin C. und dessen Freigabe an Dritte bis zur Entscheidung des Gerichts in dem einstweiligen Verfahren zu
unterlassen,
weiter hilfsweise, bis zur Entscheidung des Gerichts in dem einstweiligen Verfahren festzustellen, dass die
Antragstellerin nicht verpflichtet ist, die Zusammenfassung der Ergebnisse der Qualitätsprüfung (Transparenzbericht)
vom 03.11.2009 in der vollstationären Pflegeeinrichtung der Antragstellerin auszuhängen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, der Transparenzbericht sei rechtmäßig zustande gekommen; daher
habe die Veröffentlichung nach Ablauf der Kommentierungsfrist zu erfolgen. Demzufolge bestehe auch kein
Anordnungsanspruch. Die nachträglich von der Antragstellerin mit Schriftsatz vom 26.01.2010 vorgelegten Unterlagen
seien nicht zu berücksichtigen; nachträglich vorgelegte unterlagen zur Klärung strittiger Fragen seien nicht zu
berücksichtigen; es gäbe lediglich die 28tägige Kommentierungsfrist. Unterlagen, die der Prüfung zu Grunde zu legen
seien könnten nur während der Prüfung bzw. spätestens im Abschlussgespräch vorgelegt werden. Darüber hinaus
bestehe aber auch kein Anordnungsgrund. Die Rechte der Antragstellerin seien ausreichend durch ihr
Kommentierungsrecht sowie die Möglichkeit, eine Wiederholungsprüfung zu beantragen, gewahrt.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG – der hier allein in Betracht kommt – kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige
Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese
Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend
gemachten Anspruchs bzw. des Rechtsverhältnisses und der Grund für eine notwendige vorläufige Regelung sind
glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. mit § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Im vorliegenden Fall erscheint eine schwere Verletzung der Antragstellerin in ihren Grundrechten wahrscheinlich, die
einen entsprechenden vorbeugenden Unterlassungsanspruch begründen kann. Betroffen ist insbesondere die Freiheit
der Berufsausübung gemäß Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, möglicherweise auch die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1
GG, sofern man das umstrittene Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb davon umfasst sieht,
sowie die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Die Antragsgegner üben bei der Veröffentlichung der
Prüfergebnisse hoheitliche Gewalt aus. Ihre Tätigkeit unterliegt deshalb gemäß Art. 1 Abs. 3 GG der Bindung an die
Grundrechte. Es liegt auf der Hand, dass die Veröffentlichung der Prüfergebnisse das Verhalten von möglichen
Kunden bei der Auswahl ihres Pflegedienstes massiv beeinflussen kann. Der Transparenzbericht, dessen
Veröffentlichung im vorliegenden Fall angekündigt ist, enthält zum Teil Einzelnoten auf der Skala von eins (sehr gut)
bis fünf (mangelhaft), die in der Lage sind, mögliche Kunden des Pflegedienstes abzuschrecken. So erhielt der
Pflegedienst für den Umgang mit Medikamenten nur die Note 4,8, für die Frage, ob die Medikamentenversorgung den
ärztlichen Anordnungen entspricht die Note 5,0, für die Frage nach einer differenzierten Dokumentation bei
chronischen Wunden oder Dekubitus die Note 5,0 und für die Frage, ob die Maßnahmen zur Behandlung von
chronischen Wunden oder Dekubitus auf dem aktuellen Stand des Wissens basieren ebenfalls die Note 5,0. Des
Weiteren erhielt der Pflegedienst für die Durchführung von Maßnahmen bei Einschränkungen der selbstständigen
Nahrungsversorgung die Note 5,0, für das Erfassen des individuellen Kontrakturrisikos die Note 5,0, für die
Durchführung der Pflege durch dieselben Pflegekräfte die Note 5,0, für die regelmäßige Schulung der Mitarbeiter in
Erster Hilfe und Notfallmaßnahmen die Note 5,0, für die Ermittlung des Wohlbefindens von Bewohnern mit Demenz
die Note 5,0, für das Speiseangebot für Bewohner mit Demenz die Note 1,0, für die Auswertung der
Eingewöhnungsphase sowie die Hilfestellungen zur Eingewöhnung jeweils die Note 5,0, für die Mitwirkung der
Bewohner an der Gestaltung der Gemeinschaftsräume die Note 5,0, für den Gesamteindruck der Einrichtung im
Hinblick auf Sauberkeit und Hygiene die Note 1,0, usw. Dass derartige Bewertungen mögliche Kunden abschrecken
können, bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Glykol-Entscheidung (Beschluss vom 26.06.2002 Az. 1 BvR
558/91) ausgeführt, marktbezogene Informationen des Staates beeinträchtigten den grundrechtlichen
Gewährleistungsbereich der betroffenen Wettbewerber aus Art 12 Abs 1 GG nicht, sofern der Einfluss auf
wettbewerbserhebliche Faktoren ohne Verzerrung der Marktverhältnisse nach Maßgabe der rechtlichen Vorgaben für
staatliches Informationshandeln erfolge (a. a. O., Ls. 1). Diese Entscheidung bezog sich jedoch auf die
Veröffentlichung von wissenschaftlich erwiesenen Tatsachenfeststellungen zum Glykolgehalt von Weinen, die
keinerlei Wertungscharakter aufwiesen. Dagegen beruhen die von den Prüfern im vorliegenden Fall vergebenen Noten
in hohem Maße auf subjektiven Werturteilen der Prüfer, und auch das Verhältnis, in dem die Einzelnoten zueinander
stehen bzw. welche Fragen überhaupt geprüft werden und damit die Gesamtnote beeinflussen, beruht auf
Wertentscheidungen der Konzepteure des Prüfverfahrens. Wie das Bundesverfassungsgericht unter Rn. 62 der
genannten Entscheidung ausgeführt hat, wird der Gewährleistungsbereich des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG
durch die staatliche Tätigkeit dann beeinträchtigt, wenn sie sich nicht darauf beschränkt, den Marktteilnehmern
marktrelevante Informationen bereitzustellen, auf deren Grundlage diese eigenbestimmte, an ihren Interessen
ausgerichtete Entscheidungen über ihr Marktverhalten treffen können. Insbesondere könne die staatliche
Informationstätigkeit eine Beeinträchtigung im Gewährleistungsbereich des Grundrechts sein, wenn sie in der
Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine staatliche Maßnahme sei, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren
wäre. Durch Wahl eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs könnten die besonderen Bindungen der
Rechtsordnung nicht umgangen werden; vielmehr müssten die für Grundrechtseingriffe maßgebenden rechtlichen
Anforderungen erfüllt sein (so auch SG München, Beschluss vom 13.01.2010, Az. S 19 P 6/10 ER).
Nach Ansicht des Gerichts spricht viel dafür, dass die Veröffentlichung der Prüfergebnisse gemäß § 115 Abs. 1a
SGB XI als Eingriff in die grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit oder zumindest als "funktionales Äquivalent
eines Eingriffs" im Sinne der eben zitierten Glykol-Entscheidung anzusehen ist, da es sich nicht wie bei der
Veröffentlichung einer Liste glykolhaltiger Weine um Tatsachenfeststellungen im reinsten Sinne handelt, sondern um
stark wertungsbezogene Feststellungen (so auch SG München, Beschluss vom 13.01.2010, Az. S 19 P 6/10 ER; SG
Nürnberg, Beschluss vom 18.02.2010, Az. S 9 P 16/10 ER).
Wenn es sich um Grundrechtseingriffe handelt, ist es sehr fragwürdig, ob die Regelung in § 115 Absatz 1a SGB XI
den für Grundrechtseingriffe geltenden Vorbehalt des Gesetzes erfüllt. Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG verlangt für Eingriffe
in die Berufsausübungsfreiheit, dass diese durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erfolgen. Soweit Grundrechte
den Vorbehalt des Gesetzes für Eingriffe nicht wie Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich formulieren, ergibt sich
dieser bereits aus allgemeinen rechtsstaatlichen Erwägungen zur Grundrechtsdogmatik (vgl. Grzeszick, in:
Maunz/Dürig, GG, 2009, Art. 20 Rn. 111). Der Gesetzgeber selbst ermächtigt die Landesverbände zur
Veröffentlichung von Prüfungsergebnissen in § 115 Abs. 1a Sätze 1 bis 4 SGB XI nur in allgemeiner Form, ohne
insbesondere für die Vergabe von Noten auch nur die Grundzüge zu regeln. Bezüglich der "Kriterien der
Veröffentlichung einschließlich der Bewertungssystematik" beschränkt sich der Gesetzgeber in § 115 Absatz 1a Satz
6 SGB XI darauf, den Spitzenverband, die Vereinigungen der Träger der Pflegeeinrichtungen auf Bundesebene, die
Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und die Bundesvereinigung der kommunalen
Spitzenverbände unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkasse zur
Schaffung einer Regelung im Wege einer Vereinbarung zwischen den genannten Körperschaften zu ermächtigen. Die
Verfassungsmäßigkeit dieser Ermächtigung zur Normsetzung begegnet massiven verfassungsrechtlichen Bedenken
insoweit, als Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG eine Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen seitens des
Bundesgesetzgebers nur auf die Bundesregierung, die Bundesminister oder die Landesregierungen ermöglicht. Eine
Delegation auf die in § 115 Abs. 1a Satz 6 SGB XI genannten Körperschaften sieht das Grundgesetz nicht vor.
Außerdem kennt Art. 80 GG nur die Delegation zum Erlass von Normen in der Form der Rechtsverordnung, nicht aber
die Delegation zur Schaffung von hoheitlichen Regelungen, die in die Rechte von Bürgern eingreifen, im Wege der
Vereinbarung zwischen Körperschaften des öffentlichen Rechts (so auch SG München, Beschluss vom 13.01.2010,
Az. S 19 P 6/10 ER; SG Nürnberg, Beschluss vom 18.02.2010, Az. S 9 P 16/10 ER).
Um den Vorbehalt des Gesetzes zu erfüllen, kommen neben Gesetzen im formellen Sinne und Rechtsverordnungen
gemäß Art. 80 GG auch Satzungen im Rahmen der Selbstverwaltungsautonomie von juristischen Personen des
öffentlichen Rechts und möglicherweise Gewohnheits- und Richterrecht in Betracht (Scholz, in: Maunz/Dürig, GG,
2009, Art. 12 Rn. 326 ff.). Auch diese Varianten entsprechen aber nicht der in § 115 Abs. 1a Satz 6 SGB XI
enthaltenen Ermächtigung (so auch SG WX., Beschluss vom 13.01.2010, Az. S 19 P 6/10 ER; SG Nürnberg,
Beschluss vom 18.02.2010, Az. S 9 P 16/10 ER).
Weiter begegnet die in § 115 Abs. 1a SGB XI getroffene Regelung gewichtigen Bedenken in Bezug auf die vom
Bundesverfassungsgericht sowohl aus dem Demokratie- (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) als auch dem Rechtsstaatsprinzip
(Art. 20 Abs. 3 GG) abgeleitete Wesentlichkeitstheorie, wonach der Gesetzgeber in grundlegenden normativen
Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, die
wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen hat (vgl. nur das Numerus-clausus-Urteil des BVerfG vom 18.07.1972,
BVerfGE 33, 345 f.). Diese Rechtsprechung besteht im Übrigen losgelöst von den in der Praxis fließenden
Abgrenzungsmerkmalen des Grundrechtseingriffs. Unabhängig davon, ob die Veröffentlichung der Prüfberichte gemäß
§ 115 Abs. 1a SGB XI dogmatisch als Grundrechtseingriff zu qualifizieren ist, ist doch nicht zu bestreiten, dass das
Zustandekommen der Berichte und insbesondere der in konkrete Punktzahlen mündenden Bewertungen für die
Ausübung des Grundrechts der Berufsfreiheit der Träger der Pflegeeinrichtungen von elementarer Bedeutung ist.
Deshalb hätte der Gesetzgeber die wesentlichen Fragen des Prüf- und Bewertungsverfahrens im Rahmen eines
formellen Gesetzes selbst zu regeln. Dazu gehören beispielsweise die Fragen, wie das Notensystem gestaltet wird,
wie die Noten benannt werden, ob überhaupt Punktwerte oder nur Bewertungen in Textform vergeben werden, ob und
wie Gesamtnoten und/oder Einzelnoten gebildet und veröffentlicht werden, aus welchen Einzelbeurteilungen sich die
Gesamtnoten wie und mit welcher Gewichtung berechnen, für welche Einzelanforderungen Einzelnoten vergeben
werden, ob und wie Stichproben gebildet werden und in welcher Größe (was von entscheidender Bedeutung für die
Signifikanz der Stichprobe insbesondere bei kleinen Einrichtungen ist), ob und wie Befragungen der Bewohner über
deren subjektive Befindlichkeit einzubeziehen sind und wie hierbei beispielsweise bei Demenzkranken vorzugehen ist.
Zu all diesen Fragen, die inzwischen durch eine am 17.12.2008 abgeschlossene Vereinbarung nach § 115 Abs. 1a
Satz 6 SGB XI (Pflege-Transparenzvereinbarung stationär – PTVS) geregelt sind, hätte der Bundesgesetzgeber
zumindest die Eckpunkte vorgeben müssen (so auch SG München, Beschluss vom 13.01.2010, Az. S 19 P 6/10 ER;
SG Nürnberg, Beschluss vom 18.02.2010, Az. S 9 P 16/10 ER).
Dem Gericht ist dabei klar, dass das SGB V eine Vielzahl von Regelungsermächtigungen enthält, die nicht klar in das
vom Grundgesetz klassisch vorgegebene Schema für hoheitliche Regelungen passen. Diese Regelungen sind
unproblematisch, soweit ihnen die Rechtsprechung keinen Vorrang vor dem Gesetz einräumt. Aber auch soweit die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts etwa den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses in
Einzelbereichen (wie etwa bei der Bewertung von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gemäß § 135
SGB V) normsetzenden Charakter zugeschrieben hat, kann daraus nicht eine allgemeine Ermächtigung des
Gesetzgebers zur Delegation von Regelungsbefugnissen unter Umgehung des Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitet
werden, da es einen erheblichen Unterschied macht, ob es sich um eine Regelung im Bereich der
Leistungsverwaltung (wie bei § 135 SGB V) handelt oder ob es um Eingriffe in Grundrechte (wie in § 115 Abs. 1a SGB
XI) geht (so auch SG München, Beschluss vom 13.01.2010, Az. S 19 P 6/10 ER).
Des Weiteren kann eine (verfassungskonforme) Auslegung des § 115 Abs. 1a SGB XI unter Beachtung der
aufgezeigten Maßstäbe des BVerfG (s.o.) nur zu dem Ergebnis führen, dass die vom Gesetz vorgesehene
Veröffentlichung von Berichten über Qualitätsprüfungen grundsätzlich nur auf der Grundlage zutreffender
Tatsachenfeststellungen erfolgen darf. Sind aufgrund eines substantiellen Vorbringens gegen die Feststellungen im
Prüfbericht erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Prüfergebnisses gerechtfertigt, haben die Antragsgegner die
Pflicht, diesen Zweifeln vor der Veröffentlichung etwa durch die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des MDK
oder durch eine weitere Qualitätsprüfung nachzugehen (so auch SG Münster, Beschluss vom 05.02.2010, Az. S 6 P
233/09 ER). Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin Nachweise vorgelegt, wonach die Mitarbeiter regelmäßig in
Erster Hilfe und Notfallmaßnahmen in der Vergangenheit geschult wurden. Dennoch wurde dieser Punkt im
Transparenzbericht mit der Note 5,0 bewertet. Die Antragsgegner waren nicht bereit aufgrund der nach der Prüfung
vorgelegten Nachweise die Bewertung in diesem Punkt zu ändern. Mithin ist der Transparenzbericht insoweit
nachweislich falsch. Auch in Bezug auf die Frage nach der Durchführung von erforderlichen Maßnahmen bei
Einschränkungen der selbständigen Nahrungsversorgung/ Flüssigkeitsversorgung, die Frage der Wundversorgung
sowie der Durchführung der Pflege durch dieselben Pflegekräfte u.a. hat die Antragstellerin substantielle Einwände
gegen die Feststellungen im Prüfbericht vorgebracht.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss
eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Entscheidend ist, ob es bei einer
Interessenabwägung für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 27a f.).
Ein Anordnungsgrund ist im vorliegenden Fall gegeben, weil der Antragstellerin im Falle der Veröffentlichung des
Transparenzberichtes, den die Antragsgegner mit Schriftsatz vom 15.03.2010 angekündigt haben, die Gefahr eines
erheblichen Reputationsschadens gefolgt von erheblichen Wettbewerbsnachteilen und einem erheblichen
wirtschaftlichen Schaden droht. Für den Qualitätsbereich "Pflege und medizinische Versorgung" weist der
Transparenzbericht die Note "ausreichend" aus. In diesem Bereich wird für 9 der 35 Einzelkriterien die Note
"mangelhaft" vergeben. Bereits das erste "mangelhaft" für das Kriterium "Entspricht die Medikamentenversorgung den
ärztlichen Anordnungen" (Frage Nr. 3) ist für sich allein geeignet, potentielle Heimbewohner abzuschrecken. Der
Antragstellerin steht als Betreiberin einer Pflegeeinrichtung das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG) zu. Ihre
hieraus folgenden Rechte könnten bei einer rechtswidrigen Veröffentlichung des Transparenzberichts irreversibel
verletzt werden.
Dementsprechend ist die Antragstellerin auch nicht verpflichtet, den Transparenzbericht vom 03.11.2009 in der
stationären Pflegeeinrichtung der Antragstellerin C. auszuhängen.
Die zeitliche Dauer der Untersagung war nach dem Ermessen des Gerichts gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. mit
§ 938 Abs. 1 ZPO bis zum 31.10.2010 zu beschränken.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1
Verwaltungsgerichtsordnung.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz (GKG).