Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 18.12.2009

SozG Frankfurt: krankenpflege, schutz des lebens, gefährdung des lebens, versorgung, vorläufiger rechtsschutz, sachleistung, krankenversicherung, krankenkasse, behandlung, hauptsache

Sozialgericht Frankfurt
Beschluss vom 18.12.2009 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 18 KR 572/09 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum vom
10.11.2009 bis einschließlich 31.12.2009 häusliche Krankenpflege gem. § 37 Abs. 2 SGB V für 24 Stunden täglich zu
gewähren unter Anrechnung der Leistungen der Pflegekasse in Höhe von 1.470,00 EUR monatlich.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Antragstellers zu erstatten.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt eine vorläufige Regelung hinsichtlich Leistungen der häuslichen Krankenpflege für 24
Stunden täglich ohne Anrechnung von Grundpflegezeiten und ohne Anrechnung von Leistungen der Pflegestufe III.
Der 1979 geborene Antragsteller ist bei der Antragsgegnerin krankenversichert. Er leidet an amyotropher
Lateralsklerose, einer progredient verlaufenden neuromuskulären Erkrankung. Er ist tracheotomiert und muss rund um
die Uhr beatmet werden. Ernährt wird er über eine Sonde.
Der Antragsteller wurde aufgrund des Gutachtens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom
08.10.2009 in die Pflegestufe III eingestuft. Er bekommt von der Pflegekasse der BKK Gesundheit monatlich
Leistungen in Höhe von 1.470,00 EUR. In seinem Gutachten vom 08.10.2009 stellte der MDK einen für die
Grundpflege erforderlichen Zeitaufwand von 245 Minuten pro Tag und einen für die hauswirtschaftliche Versorgung
erforderlichen Zeitaufwand von 103 Minuten pro Tag fest. Die Grundpflege wird durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes
erbracht. Die hauswirtschaftliche Versorgung übernimmt die Lebensgefährtin des Antragstellers, die mit ihm
zusammenlebt und vollschichtig berufstätig ist.
Am 27.10.2009 verordnete die behandelnde Ärztin des Antragstellers für die Zeit vom 26.10.2009 bis einschließlich
31.12.2009 häusliche Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten ärztlichen Behandlung. Die häusliche
Krankenpflege beinhaltet die Beatmungspflege, Vitalzeichenüberwachung, endotracheale Absaugung bei Bedarf sowie
Trachealkanülenwechsel bei Bedarf. Die häusliche Krankenpflege ist 24 Stunden täglich notwendig. Die Person,
welche die häusliche Krankenpflege durchführt, benötigt medizinisches Fachwissen, um Komplikationen rechtzeitig
erkennen zu können. Durchgeführt wird die Behandlungspflege durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes. Dabei erbringt
der jeweilige Mitarbeiter des Pflegedienstes gleichzeitig auch die Grundpflege. Die Lebensgefährtin des Antragstellers
verfügt nicht über das notwendig Fachwissen für die Durchführung der Behandlungspflege; außerdem steht die
Lebensgefährtin des Antragstellers nicht 24 Stunden täglich zur Verfügung, da sie vollschichtig berufstätig ist.
Mit Bescheid vom 30.10.2009 bewilligte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme für häusliche Krankenpflege. In
dem Bescheid steht wörtlich: "wir übernehmen die Kosten zu den vereinbarten Vertragssätzen: 24 h Pflege a 31,50/h.
Abzüglich der Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe III". Gegen diesen Bescheid erhob der Antragsteller mit
Schreiben vom 10. November 2009 Widerspruch.
Am 10. November 2009 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Er trägt vor, der
Anspruch des Antragstellers auf häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich an 7 Tagen in der
Woche erfahre nicht deshalb eine Einschränkung, weil der Antragsteller zugleich pflegebedürftig im Sinne der sozialen
Pflegeversicherung sei und in die Pflegestufe III eingestuft sei. Etwas Anderes ergebe sich auch nicht aus den
Entscheidungen des BSG vom 28.01.1999, Az. B 3 KR 4/98 R und vom 10.11.2005, Az. B 3 KR 38/04 R, in denen
das BSG einen Vorrang der Grundpflege vor der zeitgleich erbrachten Behandlungspflege postuliert habe. Es fehle
bereits an einer gesetzlichen Regelungslücke, die einer Ausfüllung durch die Rechtsprechung zugänglich sein könnte,
da § 13 Abs. 2 SGB XI bestimme, dass die Leistungen der Pflegeversicherung die Leistungen der häuslichen
Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt lassen; die Leistungsansprüche nach § 37 SGB V und nach dem SGB XI
würden somit anrechnungslos nebeneinander bestehen. Dies entspreche auch einer wertenden Betrachtung der
Rechtsgüter, deren Schutz durch die Behandlungspflege einerseits und die Grundpflege andererseits sichergestellt
werden soll. Die Behandlungspflege diene als lebensnotwendige Maßnahme dem Schutz des Lebens des
Antragstellers. Die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sollen demgegenüber dem Pflegebedürftigen
ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben, das der Würde des Menschen entspricht, ermöglichen.
Diesbezüglich verweist er auf den Beschluss des BVerfG vom 06.12.2005, Az. 1 BvR 347/98. Des Weiteren würde
eine Anrechnung der auf die Grundpflege entfallenden Zeiten zu einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung führen:
Derjenige, der einer 24 stündigen Behandlungspflege bedarf, jedoch nicht pflegebedürftig im Sinne der
Pflegeversicherung ist, habe einen Anspruch auf Leistungserbringung im Umfang von 24 Stunden; eine
Kostenbelastung entstehe ihm nicht. Demgegenüber entstehe beim Antragsteller eine nicht unerhebliche
Kostenbelastung dadurch, dass ihm Leistungen der Behandlungspflege nur für 19 Stunden (unter Anrechnung von 5
Stunden für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung) als Sachleistung zur Verfügung gestellt würden. Um die
Behandlungspflege 24 Stunden am Tag zu ermöglichen, müsse der Antragsteller den Pflegedienst für 5 Stunden
täglich bei einem Stundensatz von 31,50 EUR finanzieren. Dadurch würden dem Antragsteller Kosten in Höhe von
4.725,00 EUR (5 h × 31,50 EUR × 30 Tage) pro Monat entstehen. Demgegenüber würden die Leistungen der
Pflegeversicherung bei Pflegestufe III lediglich 1.470,00 EUR pro Monat betragen. Mithin verbleibe beim Antragsteller
ein von ihm zu finanzierender Anteil in Höhe von 3.305,00 EUR pro Monat. Allein für die Zeit vom 10.11.2009 bis zum
31.12.2009 würden sich die vom Antragsteller zu finanzierenden Kosten auf 5.691,00 EUR belaufen. Aus dieser
Finanzierungslücke ergebe sich auch der Anordnungsgrund.
Der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller ab Antragstellung bis zur Rechtskräftigen Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers gegen
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.10.2009, längstens jedoch bis zum 31.12.2009, Krankenbeobachtung und
Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich ohne Anrechnung von Leistungen
der Pflegestufe III zu gewähren und den Antragsteller insoweit von den Kosten dieser Leistungen freizustellen.
Die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin trägt vor, der Antragsteller habe gegen die Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Grundpflege und
hauswirtschaftliche Versorgung. Diese Leistungseinschränkung gelte nur dann nicht, wenn die Intensivpflege aus
medizinischen Gründen zeitgleich zur Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung erbracht werden müsse. Dies
setze voraus, dass parallel zu einer Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung eine Behandlungspflege im
Sinne einer Intensivpflege erforderlich sei. Dies sei nicht der Fall, wenn die Pflegekraft, die die Behandlungspflege
durchführt, auch für Verrichtungen der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung eingesetzt werden könne.
Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass die Pflegefachkraft, welche die Behandlungspflege durchführt
zeitlich nicht auch in der Lage wäre, die Grundpflege durchzuführen.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG – der hier allein in Betracht kommt – kann das Gericht auf Antrag auch schon vor
Klageerhebung eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges
Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Die
tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs bzw. des Rechtsverhältnisses und der Grund für
eine notwendige vorläufige Regelung sind glaubhaft zu machen (§ 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i. V. mit § 86
b Abs. 2 Satz 4 SGG).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
Ob ein Anordnungsanspruch gegeben ist, hängt im allgemeinen von einer summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht
in der Hauptsache ab, wobei bei irreversiblen gesundheitlichen Beeinträchtigungen bzw. Gefährdung des Lebens, wie
das hier der Fall ist, nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch Fragen des
Grundrechtsschutzes (Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz) einzubeziehen sind (z.B. Bundesverfassungsgericht vom
19.03.2004, NJW 2004, 3100). Unter Beachtung der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz ist
vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile
entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre;
eine derartige Situation ist bei dem permanent beatmungspflichtigen Antragsteller gegeben (vgl. Bayerisches LSG,
Beschluss vom 16.02.2006, Az. L 4 B 48/06 KR ER).
Der Antragsteller hat Anspruch auf Behandlungspflege für 24 Stunden täglich. Gemäß § 37 Abs. 2 Sozialgesetzbuch
Fünftes Buch, Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als
häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich
ist. Da nach § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V Ziel der ärztlichen Behandlung die Heilung einer
Krankheit, Verhütung einer Verschlimmerung, Linderung der Krankheitsbeschwerden und nach der Rechtsprechung
auch die Verlängerung des Lebens ist (vgl. BSG, Urteil vom 10.10.1978, Az. 3 RK 81/77), gelten gemäß §§ 27 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 SGB V diese Leistungsziele auch für die häusliche Krankenpflege.
Die medizinische Notwendigkeit der Behandlungspflege für 24 Stunden täglich ergibt sich aus der vertragsärztlichen
Verordnung vom 27.10.2009 und wird von der Antragsgegnerin nicht bestritten. Die erforderliche Überwachung der
Atmung, die Kontrolle des Beatmungsgerätes und die Kontrolle der Sauerstoffwerte im Blut kann hier nicht durch eine
im Haushalt des Antragstellers lebende Person gemäß § 37 Abs. 3 SGB V durchgeführt werden. Auch dies ist
unstreitig.
Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Behandlungspflege hinter der Grundpflege zurücktritt. Hier ist rund um
die Uhr nach dem insoweit unstreitigen Vorbringen des Antragstellers, an dessen Richtigkeit nach Maßstäben
summarischer Prüfung im Eilverfahren nicht zu zweifeln ist, eine besondere Pflege zu leisten, welche besondere
Qualifikationen voraussetzt und die nicht von einer "normalen" Pflegekraft leistbar ist. Höherwertige
Pflegedienstleistungen treten nicht zurück, auch wenn dabei normale Pflegeleistungen mitgeleistet werden. Soweit
sich die Antragsgegnerin auf den Standpunkt stellt, sie erbringe dem Antragsteller gegenüber als Sachleistung 24h
Stunden-Behandlungspflege abzüglich der Pflegeleistungen entsprechend der Pflegestufe III, unterstellt die
Antragsgegnerin einfach, dass nicht wirklich 24h-Stunden-Behandlungspflege geleistet werden muss, sondern
vielmehr nur für den um die Grundpflegezeiten reduzierten Stunden- und Minutenanteil. Da die Behandlungspflege hier
nicht in den Hintergrund tritt, erbringt die Antragsgegnerin bislang die von ihr geschuldete Sachleistung nicht (so auch
LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2008, Az. L 1 B 346/08 KR ER).
Dem Antragsteller stünde jedoch Behandlungspflege als Sachleistung in Höhe von 24 Stunden zu, selbst wenn auch
hier während der Leistung von Grundpflege die Behandlungspflege zurückträte.
Es gibt keine Regelung im SGB V, welche die Sachleistung häuslicher Krankenpflege von einer Gebühr (wie
beispielsweise bei der Rezeptgebühr hinsichtlich der Versorgung mit Medikamenten) oder einer den
Sachleistungsanspruch begrenzenden Eigenleistung (wie beispielsweise beim Wunsch nach höherwertiger Zahnfüllung
nach § 28 Abs. 2 S. 2 und 3 SGB V) abhängig macht. Es gibt auch keine Kostendeckelung wie bei der Grundpflege
nach dem SGB XI. Damit sind nach dem Gesetz alle notwendigen Kosten häuslicher Krankenpflege zu übernehmen,
selbst wenn der Pflegedienst auch die Grundpflege mitleisten kann oder könnte. Der Antragsteller weist im Einklang
mit dem BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 10. März 2008, Az. 1 BvR 2925/07, Rn. 6) zutreffend darauf hin, dass
nach § 13 Abs. 2 SGB XI die Leistungen der häuslichen Krankenpflege unberührt bleiben. § 37 Abs. 2 Satz 4 bis 6
SGB V verbietet lediglich die Erbringung von Leistungen der Grundpflege als häusliche Krankenpflege durch die
Krankenkasse nach Eintritt von Pflegebedürftigkeit im Sinne des SGB XI, auch wenn dies ansonsten nach Maßgabe
der Satzung möglich wäre (so auch LSG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 23.10.2008, Az. L 1 B 346/08 KR ER).
Die Antragsgegnerin kann sich für ihre Haltung auch nicht auf das BSG berufen (vgl. hierzu LSG Berlin Brandenburg,
Beschluss vom 23.10.2008, Az. L 1 B 346/08 KR ER). Aus der Grundsatzentscheidung des BSG vom 28. Januar
1999, Az. B 3 KR 4/98 R ergibt sich eine solche Einschränkung des Sachleistungsanspruches nicht. Im dortigen
Verfahren hatte die beklagte Krankenkasse gerade anerkannt, dem dortigen Kläger die Behandlungspflege in der
Zukunft als Sachleistung zu gewähren. Der klagende Versicherte hatte lediglich mit seiner Revision keinen Erfolg,
soweit er die Krankenkasse darüber hinaus zu Leistungen der Grundpflege verurteilt wissen wollte. Alleine hierfür gibt
es nach Auffassung des 3. Senats des BSG in diesem Urteil keine Rechtsgrundlage. Im Verfahren B 3 KR 38/04 R
(Urteil vom 10. November 2005) stand von vornherein nur ein Anspruch auf 9,5 Stunden täglich als Sachleistung im
Streit. Auch das BVerfG betont, der Rechtssprechung des BSG könne kein allgemein geltender Rechtsatz in dem
Sinne entnommen werden, dass für die Zeiten, welche in die Leistungspflicht der Pflegekasse fielen, kein Anspruch
auf Leistungen der Sicherstellungspflege bestehe (Beschluss vom 10. März 2008, Az. 1 BvR 2925/07, Rn. 5).
Jedenfalls in der Interpretation der beiden Entscheidungen des BSG, wie sie die Antragsgegnerin vornimmt, wäre der
Grundsatz des Zurücktretens dagegen nicht mit dem Gesetz in Einklang. Diese verstößt gegen Art. 20 Abs. 3 GG,
indem sie eigenmächtig die Kostendeckelung der sozialen Pflegeversicherung ohne gesetzliche Grundlage auf die
gesetzliche Krankenversicherung überträgt. Dem Versicherten steht vielmehr gegenüber der Krankenversicherung
nach wie vor der volle Sachleistungsanspruch zur Verfügung, ohne dass dieser zur Leistung eines Eigenanteiles
verpflichtet wäre. Soweit die entsprechende Leistung nach dem SGB V sich auch als Grundleistung nach dem SGB
XI darstellt, kann die Krankenkasse von der Pflegekasse entsprechend Erstattung verlangen bzw. sind die Leistungen
der Pflegeversicherung auf den Anspruch des Antragstellers anzurechnen. Anzurechnen ist dabei der Geldwert der
Leistungen der Pflegeversicherung und nicht die für die Grundpflege aufzuwendende Zeit. Eine Anrechnung des
Geldwertes der Leistungen der Pflegeversicherung kann dabei erfolgen, solange die Grundpflege tatsächlich
gleichzeitig von der die Behandlungspflege erbringenden Pflegeperson durchgeführt wird.
Des Weiteren verstößt die Vorgehensweise der Antragsgegnerin auch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 GG, da die Anrechnung der Grundpflegezeit auf die Behandlungspflege zur Folge hat, dass die Antragsgegnerin für
die Behandlungspflege in immer geringerem Umfang aufkommt, je pflegebedürftiger der Versicherte ist. Je
pflegebedürftiger der Versicherte ist, umso höher sind die von ihm selbst zu tragenden Kosten für eine 24-Stunden
Behandlungspflege. Die Pflegekasse erbringt Versicherten, die der Pflegestufe III zugeordnet sind Pauschal
Sachleistungen im Wert von 1.470,00 EUR (§ 36 Abs. 3 Nr. 3a SGB XI), unabhängig davon, ob der Zeitaufwand für
die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung fünf Stunden oder sieben Stunden täglich beträgt. Nach der
Vorgehensweise der Antragsgegnerin würde dem Versicherten, bei dem der tägliche Zeitaufwand für die Grundpflege
und die hauswirtschaftliche Versorgung fünf Stunden beträgt, bei einer verordneten 24-Stunden Behandlungspflege
Kostenübernahme für 19 Stunden Behandlungspflege täglich gewährt; demgegenüber würde der Versicherte, bei dem
der tägliche Zeitaufwand für die Grundpflege und die hauswirtschaftliche Versorgung sieben Stunden beträgt, nur
Behandlungspflege von 17 Stunden erhalten. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund.
Der Erlass einer einstweiligen Anordnung muss für die Abwendung wesentlicher Nachteile nötig sein; d.h. es muss
eine dringliche Notlage vorliegen, die eine sofortige Entscheidung erfordert. Entscheidend ist, ob es bei einer
Interessenabwägung für den Betroffenen zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in:
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b Rn. 27a f.). Im Recht der gesetzlichen
Krankenversicherung setzt die Annahme eines Anordnungsgrundes voraus, dass anderenfalls mit schweren und
unzumutbaren Nachteilen zu rechnen ist, weil das Abwarten des Hauptsacheverfahrens zu einem Risiko irreversibler
gesundheitlicher Beeinträchtigungen führt, und der Betroffene nicht in der Lage ist, die Kosten vorläufig selbst zu
tragen (Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, § 86b Rn. 33a).
Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es ist nachvollziehbar, dass der Antragsteller nicht
in der Lage ist, monatlich Kosten in Höhe von 3.255 EUR (= 4.725 EUR - 1.470 EUR; siehe oben S. 3) zu tragen, um
eine 24-Stunden Behandlungspflege täglich zu ermöglichen. Dies gilt umso mehr im Hinblick darauf, dass die
Behandlungspflege mit dem Ablauf des hier streitgegenständlichen Zeitraums nicht abgeschlossen ist, sondern
Folgeverordnungen erforderlich sein werden. Mithin besteht die Differenz in der Finanzierung auf nicht absehbare Zeit.
Der Antragsteller hat auch nachvollziehbar dargelegt, dass sein Leben gefährdet ist, wenn keine 24-Stunden
Behandlungspflege erfolgt; dies hat die Antragsgegnerin auch nicht bestritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.