Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 18.08.2008

SozG Frankfurt: vermieter, nachträgliche bewilligung, heizung, nebenkosten, ehepaar, nachforderung, lebenshaltungskosten, bezahlung, zukunft, rückzahlung

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 18.08.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 26 AS 1333/07
1. Den Bescheid der Beklagten vom 30.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.09.2007 wird
aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 562,86 Euro für die Nebenkostennachzahlung 2006 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Erstattung einer Nebenkostennachzahlung der Klägerin für das Kalenderjahr 2006.
Die Klägerin steht seit dem 01.01.2005 im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. Auf Folgeanträge der
Klägerin vom 13.09.2005 für den Zeitraum ab 01.09.2005, vom 28.03.2006 für den Zeitraum ab 01.05.2006 und vom
10.10.2006 für den Zeitraum ab 01.11.2006 wurden ihr mit Bescheid vom 13.09.2005 Leistungen für den Zeitraum
07.09.2005 bis 30.04.2006, mit Bescheid vom 03.05.2006 Leistungen für den Zeitraum 01.05.2006 bis 31.10.2006 und
mit Bescheid vom 12.10.2006 Leistungen für den Zeitraum 01.11.2006 bis 30.04.2007 bewilligt. Die bewilligten Kosten
der Unterkunft und Heizung für den Zeitraum ab 01.10.2005 bis 30.02.2006 lagen bei 599,75 EUR und für den
Zeitraum ab 01.05.2006 bei 641,00 EUR.
Am 15.03.2006 stellte die Klägerin einen Antrag auf Übernahme der Nebenkostennachzahlung für das Kalenderjahr
2005, der mit Bewilligungsbescheid vom 03.05.2006 in Höhe von 306,74 EUR positiv beschieden wurde.
Die auf den 29.01.2006 datierte Nebenkostennachforderung ihrer Vermieter, des Ehepaares B., für das Kalenderjahr
2006 in Höhe von 562,86 EUR beglich die Klägerin bereits am 02.02.2006. Mit Beschluss des Amtsgerichts B. H.
vom 05.02.2007 wurde das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
Am 09.02.2007 – so der Beklagte selbst in einem Schreiben an die Klägerin vom 05.03.2007 - oder erst am
01.03.2007 – Schreiben der Klägerin mit Eingangsstempel des Beklagten vom 01.03.2007 - beantragte die Klägerin
die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für das Jahr 2006 in Höhe von 562,86 EUR. Mit Ablehnungsbescheid
vom 30.03.2007 lehnte der Beklagte die Übernahme der Nebenkostennachzahlung für 2006 ab, weil der
Rechnungsbetrag bereits beglichen worden sei. Gemäß § 3 SGB II würden Leistungen aber nur erbracht, wenn eine
Hilfebedürftigkeit nicht anderweit beseitigt werden könne. Am 27.02.2007 erhob die Klägerin hiergegen Widerspruch
und erklärte die Zahlung aus 600,00 finanziert zu haben, die ihr die befreundet Familie S. geliehen habe. Die "abrupte
Zahlung" im Februar 2007 sei gezwungenermaßen erfolgt, weil das Insolvenzverfahren spruchreif wurde. Die
Vermieter hätten auf sofortige Zahlung gedrungen, um nicht in das Insolvenzverfahren hineingezogen zu werden. Die
Klägerin legte hierzu eine entsprechende Bestätigung der Vermieterin vom 01.06.2007 vor. Mit Widerspruchsbescheid
vom 24.09.2007 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.
Mit ihrer am 01.10.2007 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.
Die Klägerin trägt vor, sie sei von ihren Vermietern gedrängt worden, die Nebenkostenrechnung sofort am 02.02.2007
zu bezahlen. Die Vermieter hätten nicht in das anstehende Verbraucherinsolvenzverfahren hinein gezogen werden
wollen. Das Geld habe sie sich darlehensweise von dem befreundeten Ehepaar S. besorgt. Schriftlich sei das
allerdings erst am 05.02.2007 in dem vorgelegten Vertrag über ein zinsloses, bis spätestens Dezember 2007
rückzahlbares Darlehen festgehalten worden.
Die Klägerin beantragt den Bescheid des Beklagten vom 30.03.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
24.09.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, 562,86 Euro für die Nebenkostennachzahlung 2006 zu
zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe den Antrag auf Erstattung der Nebenkosten erst zu einem
Zeitpunkt gestellt, als ihr Bedarf schon nicht mehr bestand, weil die Nebenkostenrechnung bereits von der Klägerin
bezahlt worden sei. Damit scheide eine Leistungspflicht des Beklagten aus. Die Klägerin sei insoweit nicht
hilfebedürftig. Ihr Vortrag, sie habe ein Darlehen bei dem befreundeten Ehepaar S. aufgenommen, um die Zahlung
erbringen zu könne, sei nicht überzeugend. Denn der Darlehensvertrag datiere auf den 05.02.2007, während die
Zahlung an die Vermieter schon am 02.02.2007 erfolgt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung des Betrags, den sie zur Begleichung der
Nebenkostennachzahlungsforderung für den Zeitraum 2006 an ihre Vermieter gezahlt hat.
Leistungen für Unterkunft und Heizung werden nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen
Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Gemäß § 22 Absatz 1 Satz 4 SGB II in der ab 01.01.2007
geltenden Fassung mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen
sind, die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstehenden Aufwendungen; Rückzahlungen, die sich
auf die Kosten für Haushaltsenergie beziehen, bleiben insoweit außer Betracht. Nach § 22 Absatz 5 SGB II können,
sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur
Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen
werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach §
12 Abs. 2 Nr. 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.
Unstreitig hat die Klägerin Anspruch auf Leistungen nach § 22 SGB II. Unstreitig hätte der Beklagte die
Nebenkostennachforderung der Vermieter für das Jahr 2006, ebenso wie schon für das Jahr 2005 auch bezahlt, wenn
die Klägerin den Antrag hierauf gestellt hätte, bevor sie selbst die Forderung tilgte. Denn auch nach Auffassung des
Beklagten sind Nachzahlungsbeträge für Nebenkosten, weil keine oder nicht ausreichende Vorauszahlungen geleistet
wurden, Kosten der Unterkunft und nicht etwa Mietschulden im Sinne des § 22 Abs. 5 SGB II, die nur darlehensweise
übernommen werden könnten. Die Nebenkostennachforderung der Vermieter der Klägerin für das Jahr 2006 fällt
vielmehr unter § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass die Klägerin mit der
Nachforderung Nebenkosten in unangemessener Höhe geltend macht. Vielmehr fehlt es nach dem Vortrag des
Beklagten allein an einer rechtzeitigen Antragstellung.
Grundsätzlich gilt im Bereich des SGB II nach § 37 Abs. 1 SGB II das Antragsprinzip. Nach § 37 Abs. 2 SGB II
werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nicht für Zeiten vor der Antragstellung erbracht. Es kann
dabei dahingestellt bleiben, ob die Klägerin ihren Antrag auf Nebenkostennachzahlung 2006 am 09.02.2006 gestellt
hat, so das Schreiben des Beklagten vom 05.03.2007, oder erst am 01.03.2006. In beiden Fällen liegt der
Antragszeitpunkt jedenfalls nach dem Termin, zu dem die Forderung der Vermieter bereits beglichen worden war,
nämlich dem 02.02.2007. Dies ist aber aus Sicht der Kammer unschädlich, weil der Zeitpunkt der Einreichung der
Nebenkostennachforderung bei dem Beklagten – abgesehen von Fällen der Verwirkung – unerheblich ist.
Die Klägerin hat ihren Erstantrag auf Leistungen nach dem SGB II am 11.12.2004 gestellt. Ob ein Antrag seine
konstituierende Wirkung auch nach Ablauf eines Bewilligungszeitraums behält und in die Zukunft für einen wie auch
immer zu definierenden Zeitraum fortwirkt, ist bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden (offen gelassen etwa
vom LSG B.-W., Urteil vom 26.06.2008, Az.: L 12 AS 407/08). Aber auch wenn man diese Rechtsauffassung nicht
teilt, so liegt doch jedenfalls in den Folgeanträgen der Klägerin vom 13.09.2005 für den Zeitraum ab 01.09.2005
(Bewilligung für den Zeitraum bis 30.04.2006) und vom 28.03.2006 für den Zeitraum ab 01.05.2006 (Bewilligung für
den Zeitraum bis 31.10.2006) und vom 10.10.2006 für den Zeitraum ab 01.11.2006 (Bewilligung für den Zeitraum bis
30.02.2007) jeweils zugleich ein Antrag auf Erstattung auch etwaiger Nebenkostennachforderungen. Denn der Antrag
zielt auf die komplette Abdeckung der Lebenshaltungskosten (Regelleistung) wie auch der angemessenen Kosten der
Unterkunft und Heizung. Typischerweise erfasst der auf den Antrag ergehende Bewilligungsbescheid im Zeitpunkt
seines Erlasses wegen ständig steigender Energiekosten in absehbarer Weise nicht die vollen Kosten der Unterkunft
und Heizung. Der Beklagte muss daher schon im Zeitpunkt des Erlasses des jeweiligen Bewilligungsbescheids damit
rechnen, dass dieser im Ergebnis nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X zu korrigieren sein wird. Diese Korrektur kann
der Leistungsträger allerdings erst dann vornehmen, wenn ihm die Nachzahlungsforderung des Vermieters vorgelegt
wird. Diese Nachforderung wird vom Vermieter nicht monatlich, sondern nur einmal jährlich im Nachhinein geltend
gemacht, weshalb auch die nachträgliche Bewilligung in einer Einmalzahlung und nicht in einer Abänderung der
monatlichen Bewilligungen zugunsten des Hilfebedürftigen besteht.
Die Mitteilung des Hilfebedürftigen über die tatsächlich angefallenen Kosten der Unterkunft ist damit kein neuer
Antrag, für den § 37 Abs. 2 SGB II eine Leistungsgewährung für die Zeit vor der Antragstellung ausschließt. Der
jeweilige Antrag/Folgeantrag auf Leistungen nach dem SGB II enthält vielmehr seinem Sinn und Zweck nach schon
den Antrag auf Tragung der naturgemäß erst später, im Nachhinein genau zu beziffernden Nebenkosten für den
jeweiligen Bewilligungsabschnitt (ebenso SG D., Gerichtsbescheid vom 02.04.2007, Az.: S 35 AS 41/07).
Auch § 3 Abs. 3 SGB II und § 9 Abs. 1 SGB II stehen einer Leistungspflicht des Beklagten entgegen dessen
Auffassung nicht entgegen. Nach § 3 Abs. 3 SGB II dürfen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nur
erbracht werden, soweit die Hilfebedürftigkeit nicht anderweit beseitigt werden kann. § 9 Abs. 1 SGB II definiert die
Hilfebedürftigkeit näher. Insbesondere ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus
eigenen Kräften und Mitteln sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen erhält.
Zu den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gehören neben der Regelleistung nach § 20 SGB II auch die
Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 SGB II. Das Argument des Beklagten, vorliegend habe es am
09.02.2007 bzw. am 01.03.2007 keinen Bedarf der Klägerin mehr gegeben, weil sie die Nebenkostennachforderung
2006 schon aus eigenen Mitteln getilgt habe, bevor sie den Beklagten überhaupt über die Höhe dieser Forderung
informierte, verkennt allerdings, dass § 22 SGB II gegenüber § 3 SGB II die speziellere Vorschrift ist. Der monatlich
zu berechnende Anspruch nach § 22 SGB II ist unabhängig davon, ob der Hilfebezieher vor oder nach Eingang der
monatlichen Leistung des SGB II-Trägers die Miete an den Vermieter überweist. Nach der Argumentation des
Beklagten müsste jeweils im Moment der Tilgung der monatlichen Mietzinsforderung des Vermieters durch den Mieter
dessen monatlicher Bedarf für Kosten der Unterkunft entfallen, so dass eine zeitlich nachfolgende Überweisung der
Leistungen für Kosten der Unterkunft zu Unrecht erbracht würde. Das kann für die normale Mietzinsleistung nicht
richtig sein und ist ebenso unrichtig für die Bezahlung einer Nebenkostennachzahlungsrechnung. Denn diese ist
nichts anderes als die Summierung und Geltendmachung monatlich angefallener Fehlbeträge in der Leistung des
Mieters über den Zeitraum eines Kalenderjahres. Sind die Nebenkosten von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst,
kommt es nicht darauf an, ob der Hilfebedürftige die Nebenkostennachzahlungsforderung begleicht, bevor oder
nachdem der Leistungsträger das Arbeitslosengeld II tatsächlich überweist. Dass der Antrag auf die Begleichung der
Nachzahlungsforderung bereits mit der Beantragung der Kosten der Unterkunft und Heizung gestellt ist, wurde bereits
erörtert.
Darüber hinaus hat die Klägerin die Forderung der Vermieter auch nur insoweit aus eigenen Mitteln getilgt, als sie sich
hierzu zuvor darlehensweise 600,- EUR bei einem befreundeten Ehepaar besorgte. Die Zweifel des Beklagten, ob das
Darlehen wirklich zur Zahlung der Nebenkosten aufgenommen wurde oder nicht, weil der schriftliche Vertrag auf einen
späteren Zeitpunkt datiert ist, teilt die Kammer nicht. Es kommt aber auch nicht darauf an. Denn selbst wenn die
Klägerin im Zeitpunkt der Nachzahlungsforderung ein Guthaben von ca. 600,- EUR auf ihrem Konto gehabt hätte, so
würde dies an ihrem Anspruch gegen den Beklagten nichts ändern. Denn ihr Anspruch ergibt sich aus § 22 SGB II
und ist unabhängig von der Zufälligkeit des Kontostandes des Hilfebeziehers im Zeitpunkt der Geltendmachung der
Nachzahlungsforderung durch den Vermieter.
Nach allem waren die rechtswidrigen Bescheide aufzuheben und der Beklagte zur Zahlung von 562,86 Euro für die
Nebenkostennachzahlung 2006 zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Berufung ist nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Buchst. a) SGG nicht zulässig. Gründe für die Zulassung der Berufung
sind nicht gegeben.