Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 22.09.2006

SozG Frankfurt: eltern, untätigkeitsklage, beratung, vollmacht, rechtsschutz, form, sperrfrist, arbeitslosenhilfe, behörde, berechnungsgrundlage

Sozialgericht Frankfurt
Gerichtsbescheid vom 22.09.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 47 AS 434/06
1. Der Beklagte wird verurteilt, die Überprüfungsanträge der Kläger vom 28.10.2005 zu bescheiden.
2. Der Beklagte trägt die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten der Kläger.
Tatbestand:
Die Kläger wenden sich im Wege der Untätigkeitsklage gegen die ausstehende Bescheidung ihrer (nach § 44 SGB X –
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) gestellten Überprüfungsanträge.
Der 1985 geborene Kläger zu 1. beendete zum 31.12.2004 seinen Wehrdienst und beantragte anschließend – wobei
der Formblattantrag am 06.01.2005 gezeichnet ist und einen entsprechenden Eingangsstempel trägt –
Arbeitslosengeld II bei dem Beklagten. Dieser bewilligte die bewilligten Leistungen mit Bescheid vom 09.02.2005 für
die Zeit vom 06.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 309,44 Euro für den vollen Monat (Leistungsakte des Klägers zu
1. – im Folgenden LA SK – Bl. 75). Dabei berücksichtigte er Einkommen der Eltern der Kläger und rechnete auf der
Grundlage von § 9 SGB II einen Betrag von 226,40 Euro monatlich an. Mit Bescheid vom 13.04.2005 (LA SK Bl. 93)
hob er im Hinblick auf einen dem Kläger zu 1. zugerechneten Kindergeldanspruch den Bescheid für die Zeit ab
01.05.2005 teilweise auf und senkte die bewilligte Leistung auf 155,44 Euro, wobei er weiterhin eine "Leistung nach §
9 SGB II" in Höhe von 226,40 berücksichtigte. Mit einem weiteren Bescheid vom 17.06.2005 (LA SK Bl. 112) stellte
er die Leistung ein und hob deren Bewilligung für die Zeit ab 01.06.2005 wegen des aus einer zwischenzeitlich
aufgenommenen geringfügigen Beschäftigung des Klägers zu 1. resultierenden Einkommens ganz auf.
Der 1982 geborene Kläger zu 2. stellte am 04.11.2004 einen Antrag auf Arbeitslosengeld II. Diesem entsprach der
Beklagte mit Bescheid vom 16.12.2004 (Leistungsakte des Klägers zu 2. – im Folgenden: LA DK – Bl. 6) für die Zeit
vom 01.01.2005 bis 30.06.2005 in Höhe von 191,- Euro monatlich, wobei er ausschließlich die Regelleistung abzüglich
dem Kläger zu 2. zugerechneten Kindergeldes von 154,- Euro in die Berechnung einfließen ließ. Mit einem weiteren
Bescheid vom 17.01.2005 (LA DK Bl. 14) hob er die Leistungsbewilligung teilweise auf und senkte den
Leistungsbetrag auf 155,44 Euro monatlich. Dabei berücksichtigte er bei der Bedarfsberechnung – erhöhend –
anteilige Kosten der Unterkunft und – mindernd – das Einkommen der Eltern als Leistung nach § 9 SGB II mit einem
Betrag von ebenfalls 226,40 Euro. Gegen diesen Bescheid legte der Kläger zu 2. mit Schreiben vom 28.01.2005 (LA
DK Bl. 21) Widerspruch ein, den der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 (LA DK Bl. 25) als
unbegründet zurückwies. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.
Unter dem 05.07.2005 stellte der Kläger zu 2. schriftlich einen Fortzahlungsantrag, dem der Beklagte durch Bescheid
vom gleichen Tage (LA DK Bl. 31) für die Zeit vom 01.07.2005 bis 31.12.2005 entsprach. Dabei berücksichtigte er
weiterhin einen Betrag von 226,40 Euro aus dem Einkommen der Eltern und Kindergeld in Höhe von 154,- Euro und
errechnete so einen monatlichen Leistungsbetrag von 77,44 Euro.
Beide Kläger gemeinsam wandten sich mit einem Schreiben vom 20.07.2005 (LA SK Bl. 119 und LA DK Bl. 40) an
den Beklagten, wobei sie Bezug auf den Widerspruchsbescheid vom 27.04.2005 nahmen. Sie wiesen darauf hin, dass
als Berechnungsgrundlage für das Einkommen ihrer Eltern eine Verdienstabrechnung aus 11/04 gedient habe, die
Weihnachtsgeld enthalten habe. Ihre Eltern verdienten aber sonst nicht so viel. Sie baten um Überprüfung des
Bescheides.
Der Kläger zu 1. nahm am 01.08.2005 eine Ausbildung als Kraftfahrzeugmechatroniker auf (LA SK Bl. 106).
Auch in den Akten des Klägers zu 2. findet sich ein Vermerk des Beklagten über eine Ausbildungsaufnahme ab
01.08.2005 (LA DK Bl. 37). Der Beklagte stellte daher zum 01.08.2005 mit Bescheid vom 03.08.2005 (LA DK Bl. 39)
die Leistungen ein und verwies den Kläger zu 2. auf Ansprüche nach dem BAFöG oder auf der Grundlage von §§ 60ff.
SGB III.
Mit Schreiben vom 13.09.2005 (LA DK Bl. 47) meldete sich Rechtsanwalt K. für beide Kläger und legte gegen nicht
näher bezeichnete Bescheide Widerspruch ein. Ferner beantragte er die Neufestsetzung des Hilfebedarfs seit Januar
2005, wobei er die Berücksichtigung des elterlichen Einkommens wegen dessen geringer Höhe und von Kindergeld
beanstandete.
Der Beklagte wies mit Schreiben vom 26.10.2005 (LA DK Bl. 49) darauf hin, dass hinsichtlich aller an beide Kläger
ergangener Bescheid die Rechtsbehelfsfristen abgelaufen seien.
Der Klägervertreter beantragte daraufhin mit Schreiben vom 28.10.2005 (LA DK Bl. 54), eingegangen bei dem
Beklagten am 31.10.2005, die Neubescheidung der bestandskräftigen Bescheide nach § 44 SGB X.
In den Akten des Beklagten ist daraufhin unter dem 29.11.2005 eine Übersendung der Schreiben vom 13.09.2005,
vom 26.10.2005 und vom 28.10.2005 an das Amt 50.13 vermerkt. Unter dem 09.12.2005 (LA DK Bl. 56 und LA SK Bl.
131) bestätigte der Beklagte dann den Eingang der Überprüfungsanträge und bat um etwas Geduld.
Der Klägervertreter hat mit Schriftsatz vom 02.05.2006, eingegangen bei Gericht am 08.05.2006, Untätigkeitsklage für
beide Kläger erhoben und darauf hingewiesen, dass die sechsmonatige Wartefrist nach § 88 Abs. 1 SGG
zwischenzeitlich abgelaufen sei.
Er hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, den Antrag der Kläger vom 28.10.2005 wegen der Neubescheidung über
die Grundsicherung für Arbeitsuchende zu bescheiden.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Zur Begründung hat er insbesondere geltend gemacht, zu dem Antrag vom 28.10.2005 sei mangels Notwendigkeit
keine weitere Verwaltungsentscheidung ergangen. Denn unter Berücksichtigung der bisherigen sozialhilferechtlichen
Rechts- und Gesetzeslage sowie der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sei eine Neubescheidung
nach § 44 SGB X auf Grund des Grundsatzes "gelebt ist gelebt" nicht vorgesehen. Denn nur aktuelle und tatsächlich
bestehende Bedarfe seien mit steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen zu decken. Hier sei auf Grund der sehr langen
zeitlichen Akzeptanz von mehreren Monaten davon auszugehen, dass die Kläger bzw. deren Eltern nicht hilfebedürftig
gewesen seien. Der Klageanspruch könne daher nicht anerkannt werden. Nach Ansicht des Beklagten lägen die
Voraussetzungen des § 44 SGB X nicht vor und dieser sei im Übrigen auch nicht anwendbar.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der zu den Klägern
geführten Leistungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Untätigkeitsklage ist zulässig und begründet.
Nach § 88 Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann, wenn ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsaktes
ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden ist, der Betroffene nach Ablauf
von sechs Monaten Klage erheben. Die Behörde ist dann nach § 131 Abs. 3 SGG dazu zu verurteilen, den Antrag des
Klägers zu bescheiden. Dagegen besteht ein Anspruch auf Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts nicht und ist
dementsprechend von den Klägern auch gar nicht beantragt worden.
Die Sperrfrist ist zwischenzeitlich abgelaufen.
Bereits mit Schreiben vom 20.07.2005 hatten beide Kläger sich an die Beklagte gewandt. Zwar haben sich die –
damals noch rechtlich unberatenen – Kläger in dem Schreiben auf den nur an den Kläger zu 2., D. K., gerichteten
Widerspruch bezogen und gebeten, "den Bescheid" zu überprüfen. Dennoch spricht (gerade wegen der fehlenden
rechtlichen Beratung der Kläger) viel dafür, dass das Schreiben als Überprüfungsantrag beider Kläger im Hinblick auf
die bereits ergangenen Bescheide zu werten ist, in denen Leistungen nur (noch) unter Berücksichtigung des
elterlichen Einkommens gewährt wurden. Jedenfalls aber dem Schreiben des Klägervertreters vom 28.10.2005 ist ein
Überprüfungsantrag ausdrücklich zu entnehmen, der, wenn man den vorangegangenen Schriftverkehr (vom
13.09.2005 und vom 26.10.2005) berücksichtigt, auch im Namen beider Kläger gestellt wurde. Im Übrigen hat offenbar
auch der Beklagte das Schreiben so verstanden, wie sich aus dessen Zuordnung zu beiden Akten und der
Eingangsbestätigung in beiden Akten ergibt. Auf die zunächst nur vom Kläger zu 2. vorgelegte Vollmacht kommt es
dabei schon deswegen nicht an, weil ein schriftlicher Vollmachtsnachweis nach § 13 Abs. 1 S. 2 SGB X nur auf
Verlangen beizubringen ist. Ein entsprechendes Verlangen des Beklagten ist aber nicht ersichtlich.
Ein zureichender Grund für die ausstehende Bescheidung ist nicht ersichtlich und vom Beklagten nicht vorgetragen.
Soweit sich der Beklagte mittlerweise gegenüber dem Bescheidungsverlangen darauf beruft, § 44 SGB X sei im
Bereich des SGB II nicht anzuwenden, kommt es auf die damit verbundene inhaltliche Frage im Rahmen einer
Untätigkeitsklage nicht an: Selbst wenn § 44 SGB X tatsächlich im Rahmen des SGB II nicht anwendbar sein sollte,
muss ein entsprechender Antrag beschieden – und dann eben abgelehnt – werden, schon um dem Betroffenen zu
ermöglichen, diese (keineswegs eindeutige und im Bereich der Arbeitslosenhilfe von der Praxis gerade
entgegengesetzt gehandhabte) Problematik zur gerichtlichen Prüfung zu stellen.
Im Übrigen sieht sich die Kammer zu dem Hinweis veranlasst, dass das entsprechende Vorbringen insoweit doch
überrascht, als den Klägern am 09.12.2005 eine Eingangsbestätigung erteilt und um etwas Geduld gebeten worden
ist. Eine prinzipielle Ablehnung – die dann sofortigen gerichtlichen Rechtsschutz ermöglich hätte –, Ansprüche nach §
44 anzuerkennen oder auch nur zu bescheiden, ist weder diesem Schreiben noch sonst den mit dem Schreiben vom
09.12.2005 endenden Akten zu entnehmen. Hätte die Beklagte sich (von vornherein) auf den jetzt eingenommenen
Standpunkt stellen wollen, wäre ein entsprechender Hinweis an die Kläger nach Auffassung der Kammer unbedingt
zwingend gewesen.
Sonstige Gründe für die fehlende Bescheidung sind vom Beklagten nicht vorgetragen worden. Die gegen die
inhaltliche Anwendbarkeit von § 44 SGB X vorgebrachten Argumente stehen einer Pflicht zur Bescheidung – wie
bereits ausgeführt – nicht entgegen, so dass die Kammer diesbezüglich zu weiteren Ausführungen derzeit keinen
Anlass hat und sich auf die Hinweise beschränkt, dass eine dem § 5 Bundessozialhilfegesetz, auf den die
entsprechende Rechtsauffassung gestützt war, entsprechende Vorschrift jedenfalls in dieser Form im SGB II nicht
enthalten ist und im Übrigen § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II ausdrücklich auf § 330 Abs. 1 SGB III verweist, der die
Anwendung von § 44 SGB X modifiziert, aber gerade nicht ausschließt.
Der Beklagte war daher antragsgemäß zur Bescheidung zu verurteilen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
SGG.