Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 28.11.2008

SozG Frankfurt: besondere härte, häusliche gemeinschaft, schmerzensgeld, sozialhilfe, neues recht, erbe, kostenersatz, freibetrag, beschränkung, materialien

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 28.11.2008 (rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 36 SO 212/05
1. Der Bescheid des Beklagten vom 17.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 wird
insoweit aufgehoben, als der Beklagte darin eine Kostenerstattung von mehr 24.696,60 Euro geltend macht.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Der Beklagte hat der Klägerin ein Fünftel der zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Kostenerstattungsanspruch des Beklagten gegen die Klägerin als Erbin der
verstorbenen Hilfeempfängerin Fr. I. W. in Höhe von 30.696,60 Euro.
Die Klägerin ist die Tochter – und Alleinerbin – der 1946 geborenen I. W ...
Diese litt, wobei die Diagnose seit August 1973 gesichert war, an Multipler Sklerose, die eine links- und beinbetonte
Tetraparese nach sich zog. Sie war – zumindest – seit 1991 erheblich pflegebedürftig.
Durch Bescheid vom 20.10.1995 bewilligte die Pflegekasse der DAK für die Zeit ab 01.04.1995, also dem Beginn der
Leistungserbringung aus der gesetzlichen Pflegeversicherung, Leistungen für häusliche Pflegehilfe nach der
Pflegestufe III. Grundlage war ein sozialmedizinisches Gutachten des MdK vom 25.09.1995, wonach die Versicherte
Hilfe in allen Bereichen benötige. Der tägliche Pflegebedarf überschreite fünf Stunden bei weitem. Der nächtliche
Pflegebedarf sei ebenfalls immens, da die Versicherte mehrfach umgelagert werden müsse.
Im Jahre 1997 kam es während eines Klinikaufenthalts in den Kliniken des M.-T.-K. zu einer Intoxikation durch einen
Funktionsfehler einer Lioresal-Pumpe mit nachfolgender schwerer Ateminsuffizienz.
Auf Grund dessen mussten durch Beschluss des Amtsgerichts XY., Abteilung H., vom 20.10.1997 Hr. RA Dr. G. – für
die Vermögenssorge – und die Klägerin – für die Sorge für die Gesundheit und die Aufenthaltsbestimmung – als
Betreuer für Fr. W. bestellt werden.
Am 02.12.1997 wurde Fr. W. zunächst im Rahmen einer Kurzzeitpflege in das L.-M.-H., ein Altenzentrum der C. in F.,
aufgenommen. Am 05.01.1998 wurde der Heimvertrag über die dauerhafte Heimunterbringung geschlossen.
In diesem Zusammenhang beantragte Hr. Dr. G. unter dem 01.12.1997, eingegangen bei dem Beklagten am
04.12.1997, Sozialhilfeleistungen, namentlich im Hinblick auf die durch die Pflegekasse der DAK – diese bewilligte mit
Bescheid vom 10.12.1997 zunächst 2.800 DM für die Kurzzeitpflege, mit Bescheid vom 08.01.1998 Leistungen nach
der Pflegestufe III für die vollstationäre Pflege der Klägerin – nicht vollständig übernommenen Pflegekosten.
Antragsgemäß gewährte der Beklagte Fr. W. durch Bescheid vom 26.02.1998 Hilfen zur Pflege ab 02.12.1997 für die
Pflege im L.-M.-H. in der Pflegesatzgruppe 3. Die Leistungen wurden anschließend durchgehend bis zum Tode der
Hilfeempfängerin gewährt.
Mit Schreiben vom 12.04.2000 an Hr. Dr. G. erklärte sich die GVV-K.VVaG auf Grund des Schadensfalles während
des Klinikaufenthaltes dem Grunde nach regulierungsbereit und überwies einen Betrag von 30.000,- DM an Fr. W ...
Der Beklagte meldete daraufhin mit Schreiben vom 29.04.2000 einen Erstattungsanspruch nach § 116 SGB X bei
dem GVV an. Diese lehnte das Erstattungsbegehren dem Beklagten gegenüber durch Schreiben vom 22.03.2001 ab,
da Fr. W. bereits vor dem Schadensfall in die Pflegestufe 3 eingestuft gewesen sei. Hieran habe sich trotz des
Vorfalls nicht geändert. Ob die Leistungen für eine Person in Stufe 3 ambulant oder stationär erbracht würden, sei für
die Prüfung der Übergangsfähigkeit nicht von Bedeutung. Ohnehin sei bereits nach einem ersten operativen Eingriff
am 30.06.1997 mit der Tochter von Frau W. [also der Klägerin] über eine spätere Unterbringung in einem Pflegeheim
gesprochen worden.
Über den – bereits gerichtlich geltend gemachten – Anspruch auf Schmerzensgeld schlossen Hr. RA G. für Fr. W. und
der GVV im Mai 2001 einen Vergleich, auf Grund dessen Fr. W. unter Anrechnung bereits geleisteter Vorschüsse von
50.000,- DM einen Betrag in Höhe von 90.000,- DM zur Abgeltung des gegenwärtigen und zukünftigen immateriellen
Schadensersatzanspruchs aus der ärztlichen Behandlung in den Kliniken des M.-T.-K. erhielt.
Am 10.08.2003 verstarb Fr. W ... Sie wurde von der Klägerin allein beerbt.
Der Beklagte wandte sich danach mit Schreiben vom 18.08.2003 an die Klägerin und bat um Auskünfte, um einen
Anspruch auf Kostenersatz aus dem Nachlass prüfen zu können. In einer Erklärung über den Nachlass teilte die
Klägerin daraufhin u.a. mit, dass – am Sterbetag – die Verstorbene ein Girokonto mit einem Guthaben von 1.740,63
Euro und ein Sparkonto mit einem Guthaben von 38.302,33 Euro innegehabt habe.
Der Beklagte erließ auf dieser Grundlage am 17.11.2003 den angefochtenen Bescheid, mit dem er bei der Klägerin
Kostenersatz nach § 92c Bundessozialhilfegesetz (BSHG) in Höhe von 30.696,60 Euro geltend machte. Bei der
Berechnung des Nachlasses setzte er von dem mitgeteilten Vermögen von 40.042,96 Euro die von der Klägerin im
Rahmen der Erklärung mitgeteilten Verbindlichkeiten – mit Ausnahme eines Betrages von ca. 3.500 Euro für die
Dauer-Grabpflege – ab. Wegen der Einzelheiten wird auf Bl. 204 der Leistungsakte (im Folgenden: LA) Bezug
genommen.
Mit ihrem Widerspruch vom 26.11.2003, näher begründet durch Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom
30.04.2004, rügte die Klägerin zunächst die Rechtmäßigkeit der erbrachten Sozialhilfe. Vor allem aber machte sie
geltend, ihre Inanspruchnahme verstoße gegen § 92c Abs. 3 Ziff. 2 BSHG. Sie habe zwar nicht bis zum Tod ihrer
Mutter mit ihr in häuslicher Gemeinschaft gelebt. Der Ausnahmetatbestand greife aber auch dann ein, wenn die Erbin
die Hilfeempfängerin bis zu ihrem Tode in erheblichem Umfange gepflegt habe, eine häusliche Gemeinschaft aber
nicht habe hergestellt werden können. Als ersichtlich geworden sei, dass ihrer Mutter ein eigenständiges Leben in
ihrer Wohnung nicht länger möglich sein würde, habe sie zunächst eine Unterbringung bei sich zuhause in Betracht
gezogen. Es habe sich jedoch herausgestellt, dass ein behindertengerechte Umbau der Räumlichkeiten nicht möglich
sei. Des Weiteren habe sie feststellen müssen, dass ihre Mutter einer ununterbrochenen Aufsicht bedurft habe. Sie
sei jedoch halbtags einer Bürotätigkeit nachgegangen. Ihr Ehemann sei selbstständig und befinde sich tagsüber im
Wesentlichen auf Baustellen. Die erforderliche ununterbrochene Aufsicht ihrer Mutter habe sie folglich nicht
gewährleisten können. Eine vergleichbare besondere Härte entsprechend dem in § 92c Abs. 3 Ziff. 2 BSHG
geregelten Fall ergebe sich dennoch insbesondere auch aus der Tatsache, dass sie sich jeden zweiten Tag bei ihrer
Mutter eingefunden und sie bei den Dingen des täglichen Lebens unterstützt und für Abwechslung gesorgt habe. So
habe sie ihre Mutter regelmäßig gefüttert, Hygienemaßnahmen ausgeführt, insbesondere ihre Mutter regelmäßig die
Haare gewaschen und Einkäufe erledigt. Sowohl die Einkäufe als auch den monatlichen Friseurbesuche ihrer Mutter
habe sie aus eigenen Mitteln finanziert. Sie sei mit ihrer Mutter regelmäßig Kaffeetrinken gegangen und habe dies
unter Zuhilfenahme eines Rollstuhlstuhles häufig auch mit einem Spaziergang verbunden. Auch habe sie gemeinsam
mit ihrem Ehemann ihre Mutter des Öfteren mit dem Pkw abgeholt, um essen zu gehen. Auch habe sie die
Vormundschaft für den Bereich Betreuung und Pflege übernommen. Zur Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs
der Hilfeempfängerin gegen ihren geschiedenen Ehemann sei zunächst ein weiterer Vormund bestellt worden, da sie
aus nachvollziehbaren Gründen nicht daran interessiert gewesen sei, den Unterhaltsanspruch ihrer Mutter gegen ihren
Vater gerichtlich geltend zu machen. Nach Abschluss dieses Unterhaltsverfahrens habe sie vollumfänglich die
Vormundschaft übernommen. In der Folgezeit habe sie die Geltendmachung eines Schmerzensgeldanspruchs ihrer
Mutter angestrengt. Nach einem langen Rechtsstreit über drei Jahre und der Einholung mehrerer
Sachverständigengutachten, gegen welche sie teilweise auch Widerspruch eingelegt habe, habe sie im
Vergleichswege die Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe on 80.000 DM erreicht. Eine ihre Inanspruchnahme
ausschließende besondere Härte ergebe sich unter diesem Gesichtspunkt auch aus § 92c Abs. 3 Ziff. 3 BSHG. Der
Wert des Nachlasses sei im Wesentlichen von dem Schmerzensgeld geprägt, welches ihre Mutter infolge des
ärztlichen Kunstfehlers erlangt habe. Der Einsatz von Schmerzensgeld als Vermögen bedeute eine Härte im Sinne
des § 88 Abs. 3 BSHG. Da es sich bei dem Anspruch auf Schmerzensgeld um einen vererblichen Anspruch handele,
bedeute auch ihre Inanspruchnahme eine besondere Härte. Ihre Mutter habe schließlich wiederholt und bis zu ihrem
Tode auch unter Anwesenheit von Zeugen erklärt, dass dieses Geld ihr, der Klägerin, zu Gute kommen solle.
Der Beklagte wandte sich in der Folgezeit nochmals – mit Schreiben vom 07.09.2004 – an den GVV, der eine
Regulierung mit Schreiben vom 21.09.2004 aber erneut ablehnte und sich nunmehr vorsorglich auch auf die Einrede
der Verjährung berief.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.04.2005 wies der Beklagte sodann den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte
er insbesondere aus, es sei für ihn nicht nachvollziehbar, dass die Rechtmäßigkeit der Hilfe, welche durch ihn gewährt
worden sei, infrage gestellt werde. Die in den Akten enthaltenen Unterlagen machten deutlich, dass die gewährte
Heimpflege erforderlich gewesen sei. Diese Auffassung habe sich auch die Pflegekasse der DAK angeschlossen,
indem Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz gewährt worden seien. Die Hilfeempfängerin sei auch nicht in
der Lage gewesen, die Heimkosten vollständig aus eigenen Mitteln zu erbringen, so dass sozialhilferechtliche
Bedürftigkeit vorgelegen habe. § 92c Abs. 3 Nr. 2 BSHG gestehe den Erben einen höheren Freibetrag zu, wenn der
Erbe mit dem Hilfeempfänger verwandt gewesen sei und nicht nur vorübergehend bis zum Tode des Hilfeempfängers
mit diesem in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn gepflegt habe. Eine häusliche Gemeinschaft habe jedoch nicht
vorgelegen, wenn die Klägerin ihre Mutter auch oft besucht haben möge. Die Pflege der Hilfeempfängerin sei während
der Zeit des Heimaufenthaltes überwiegend durch das dort vorgehaltene Fachpersonal übernommen worden. Wenn die
Klägerin darüber hinaus ihrer Mutter Zuwendungen persönlicher oder wirtschaftlicher Art gemacht habe, entspreche
dies einer sittlichen Verpflichtung, die sich aus dem engen Verwandtschaftsverhältnis einer Tochter zu ihrer Mutter
ergebe. Bezüglich der Zusammensetzung des Nachlasses sei dem Beklagten bekannt, dass dieser zum
überwiegenden Teil durch das seinerzeit gezahlt Schmerzensgeld geprägt sei. Die Schutzvorschrift, die der
Berücksichtigung von Schmerzensgeld im Rahmen der Sozialhilfe regelmäßig entgegenstehe, ende jedoch mit dem
Tode des Empfängers dieser Leistung. Schmerzensgeld sei als H. persönlicher Anspruch nur so lange geschützt, wie
der Geschädigte lebe. Die Zweckbestimmtheit des Schmerzensgeldes entfalle durch den Tod des Geschädigten.
Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 18.05.2005, eingegangen bei Gericht am
19.05.2005, Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem
Widerspruchsverfahren.
Sie hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 17.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
28.04.2005 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Verwaltungsentscheidung.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie auf die zur
Hilfeempfängerin geführte Leistungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und (nur) in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang auch begründet. Insoweit ist der
angefochtene Bescheid vom 17.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 rechtswidrig und
verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Verpflichtung zum Kostenersatz als Erbin war auf einen Betrag von
24.696,60 Euro zu beschränken und der angefochtene Bescheid (nur) insoweit aufzuheben, da (nur) eine noch darüber
hinaus gehende Inanspruchnahme der Klägerin eine rechtswidrige besondere Härte bedeuten würde. Die Klage war im
Übrigen abzuweisen, denn bis zu dem genannten Betrag erweist sich die Erstattungsentscheidung dagegen als
rechtsfehlerfrei.
I. Der Sozialrechtsweg ist – und zwar unabhängig von der Frage, ob der Rechtsstreit auf der Grundlage des BSHG
oder des Zwölfen Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) zu entscheiden ist – eröffnet, da die Sozialgerichte seit
dem 01.01.2005 angesichts der in § 51 Abs. 1 Nr. 6a Sozialgerichtsgesetz (SGG) uneingeschränkt für alle
Angelegenheiten der Sozialhilfe eröffneten Zuständigkeit auch über so genannte Altfälle nach dem BSHG zu
entscheiden haben.
II. Die Klage ist als reine Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht sowie nach Durchführung des notwendigen Vorverfahrens beim zuständigen Sozialgericht
erhoben (§§ 8, 78 Abs. 1 S. 1, 87 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, 90 SGG).
III. Die Klage ist (jedoch nur) insoweit begründet, als der Beklagte Kostenersatz über einen Betrag von 24.696,60 Euro
hinaus verlangt; nur insoweit bedeutet die Inanspruchnahme der Klägerin eine besondere Härte.
1. Die Kammer ist dabei der Auffassung, dass der Rechtsstreit noch anhand der Vorschriften des BSHG zu
entscheiden ist, namentlich die Rechtsgrundlage, auf die der Beklagte seine Entscheidung gestützt hat, also § 92c
BSHG weiter, § 102 SGB XII noch nicht anwendbar ist.
Bei Anfechtungsklagen ist zwar grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung des
Widerspruchsbescheides maßgeblich, der hier erst im Jahre 2005, also nach der Ablösung des BSHG durch das SGB
XII, erlassen wurde. Dies scheint für die Anwendung des SGB XII zu sprechen, noch dazu, da das BSHG
weitestgehend und auch hinsichtlich des § 92c BSHG ohne Übergangsvorschrift aufgehoben worden ist (vgl. Art. 68
Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch). Andererseits stellt das
Bundessozialgericht nach den Grundsätzen des intertemporalen Rechts bei der Beurteilung eines (originären)
Ersatzanspruchs – für die Kammer überzeugend – auf den Zeitpunkt von dessen Entstehung ab (vgl. BSG v.
27.08.2008, Az.: B 11 AL 11/07 R zu § 335 SGB III; ausf. zur Problematik auch Hess. LSG, Urtl. v. 14.12.2007, Az.:
L 7 AL 183/06). Ein Rechtssatz sei grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die nach seinem
Inkrafttreten verwirklicht werden. Dementsprechend habe das Bundessozialgericht in ständiger Rechtsprechung
entschieden, dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse
nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit
nicht später in Kraft getretenes Recht etwas anderes bestimme. Zum gleichen Ergebnis gelange man auch, wenn man
den Grundsatz anwende, dass neues Recht immer schon, aber auch [nur] einen Sachverhalt erfasse, wenn die
maßgeblichen Rechtsfolgen in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts fallen (Geltungszeitraumprinzip).
Ganz in Übereinstimmung damit hat auch das Bundesverwaltungsgericht die weitere Anwendung alten Rechts auf
"abgeschlossene Erstattungsvorgänge" befürwortet, jedenfalls soweit es sich um materiell-rechtliche Regelungen
handelt (vgl. BVerwG, Urtl. v. 13.05.2004, Az.: 5 C 47/02, dort ging es um die Einführung der Bagatellgrenze in § 111
Abs. 2 BSHG). Da der einzig relevante Unterschied zwischen § 92c BSHG und der aktuell geltenden Rechtsgrundlage
für den Kostenerstattungsanspruch gegen den Erben in § 102 SGB XII die Erhöhung des Grundfreibetrags für den
Erben nach §§ 92c Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. 81 Abs. 1 BSHG einerseits bzw. § 102 Abs. 3 Nr. 1 SGB XII ist und es sich
dabei zweifellos um eine materiell-rechtlich zu qualifizierende Regelung handelt, gelangt man auch auf Grundlage
dieser Rechtsprechung zur fortdauernden Anwendung von § 92c BSHG auf den hier zu entscheidenden Fall. (Aus
diesem Grunde könnte die Frage letztlich im Übrigen wohl sogar offen bleiben, da sich die Kammer bei der
Bemessung des nach § 92c Abs. 3 Nr. 3 BSHG (bzw. insoweit unverändert § 102 Abs. 3 Nr. 3 SGB XII) nicht einer
Relation zum Grundfreibetrag nach der jeweiligen Nr. 1, sondern zu dem für den speziellen Härtefall nach der
jeweiligen Nr. 2 gesetzlich festgeschriebenen Betrag hat leiten lassen.)
2. Der angefochtene Bescheid ist zunächst formell rechtmäßig.
Die Berechtigung des Sozialhilfeträgers, über den Kostenerstattungsanspruch durch Verwaltungsakt zu entscheiden,
ist unstreitig (vgl. nur Steimer, in: Mergler/Zink, Hdb. der Grundsicherung u. Sozialhilfe, § 102, Rn. 35, Conradis, in:
LPK-SGB XII, § 102, Rn. 21 unter Verweis auf die Kommentierung bei § 103, Rn. 22).
Eine ausreichende Anhörung im Sinne des § 24 SGB X ist nach Auffassung der Kammer bereits durch das Schreiben
vom 18.08.2003 (LA Bl. 187) erfolgt. Überdies hatte die Klägerin die Möglichkeit, sich im Widerspruchsverfahren zu
äußern – und hat dies auch getan –, so dass die Anhörung, selbst wenn man das Schreiben vom 18.08.2003 nicht für
ausreichend erachten sollte, jedenfalls mit heilender Wirkung (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X) nachgeholt wurde.
Auch im Übrigen sind Bedenken hinsichtlich der formellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht
ersichtlich.
3. Diese ist darüber hinaus im Wesentlichen, konkret hinsichtlich der Inanspruchnahme der Klägerin mit einem Betrag
von 24.696,60 Euro, auch materiell rechtmäßig.
a) Nach § 92c Abs. 1 BSHG (insoweit im Wesentlichen unverändert: § 102 SGB Abs. 1 S. 1 SGB XII) ist der Erbe
des Hilfeempfängers zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe mit Ausnahme der vor dem 01.01.1987 entstandenen
Kosten der Tuberkulosehilfe verpflichtet. Die Ersatzpflicht besteht nur für die Kosten der Sozialhilfe, die innerhalb
eines Zeitraumes von zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewendet worden sind und die das Zweifache des
Grundbetrages nach § 81 Abs. 1 BSHG übersteigen.
b) Die Klägerin ist Alleinerbin ihrer Mutter, der verstorbenen Hilfeempfängerin I. W ... Die Zehn-Jahres-Grenze
hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten ist unproblematisch gewahrt, nachdem die Sozialhilfe hier erst im Jahre
1997 einsetzte.
c) Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, aus welchen Gründen die gewährte Sozialhilfe hier nicht als
rechtmäßig anzusehen wäre. Dies ist von Klägerseite auch nicht substantiiert in Frage gestellt worden, so dass
insoweit nur auf Folgendes hinzuweisen ist. Die Notwendigkeit der Heimunterbringung – und dementsprechend der
Übernahme der dadurch anfallenden Kosten – ergibt sich zur Überzeugung aus dem für das Betreuungsverfahren von
Dr. A. F., H., erstellte neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 30.09.1997 und insbesondere auf Grund der
unstreitig vorliegenden Pflegebedürftigkeit der Klägerin nach Pflegestufe III. Auch ist nicht erkennbar, dass unter den
gegebenen Umständen die notwendige Betreuung der Klägerin sich kostengünstiger hätte realisieren lassen. Auch ist
nicht ersichtlich, dass der Hilfeempfängerin hier ihre Bedürftigkeit ausschließende Schadensersatzansprüche
(hinsichtlich eines materiellen, aus dem Behandlungsfehler in den M.-T.-K. resultierenden Schadens) oder
Unterhaltsansprüche gegen ihren geschiedenen Ehemann als bereite – und damit die Hilfebedürftigkeit
ausschließende – Mittel zur Verfügung gestanden hätten. Dies gilt namentlich hinsichtlich des
Schadensersatzanspruchs gegen die Klinik. Der zuständige Versicherer hat sich insoweit angesichts der
gesundheitlichen Situation nachvollziehbar – insofern hat auch die Klägerin nicht in Abrede gestellt, über die
Heimunterbringung ihrer Mutter habe schon vor dem Schadensfall gesprochen werden müssen – darauf berufen, durch
die Schädigung hätten sich die für die Pflege aufzubringenden Aufwendungen nicht erhöht.
Auch vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass der Kostenerstattungsanspruch nach § 92c BSHG im Verhältnis
zu einem Erstattungsanspruch nach 116 SGB X gegen den Krankenhausträger nachrangig wäre; insbesondere führt
ein möglicher Erstattungsanspruch nicht zur Rechtswidrigkeit der gewährten Hilfe.
d) Die sich aus § 92c Abs. 2 BSHG ergebende Begrenzung des Erstattungsanspruchs auf den Wert des Nachlasses
hat der Beklagte respektiert. Diesbezüglich sind auch von Klägerseite – nachdem die Beklagte die von der Klägerin
gemachten Angaben ihrer Berechnung zugrunde gelegt hat – keine konkreten Rügen vorgebracht worden. Der
Beklagte hat dabei zwar die von der Klägerin angeführten Kosten für die Dauergrabpflege nicht berücksichtigt. Dies ist
jedoch nicht zu beanstanden. Der Wert des Nachlasses wird (nur) durch die Nachlassverbindlichkeiten, also nach §
1967 Abs. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) die vom Erblasser herrührenden Schulden und die den Erben als
solchen treffenden Verbindlichkeiten, geschmälert. Rechtlich bindend hat der Erbe nach § 1968 BGB nur die
Beerdigungskosten aufzubringen. Dazu gehört zwar die Erstanlage des Grabes, aber nicht mehr die Grabpflege (vgl.
für die ständige zivilgerichtliche Rechtsprechung, von der abzuweichen die Kammer umso weniger Anlass hat, als §
1968 BGB eben nur von der Beerdigung spricht, nur das Urtl. d. Bundesgerichtshofs v. 20.09.1973, Az.: III ZR
148/71).
Auch § 92c Abs. 3 Nr. 1 BSHG hat der Beklagte beachtet. Danach ist ein Kostenerstattungsanspruch nicht geltend zu
machen, soweit der Wert des Nachlasses unter dem Zweifachen des Grundbetrages nach § 81 Abs. 1 BSHG liegt.
Dies führt zu einer entsprechenden teilweisen Freistellung ("soweit"), wenn Betrag darüber liegt (vgl. BVerwG, Urtl. v.
23.09.1982, Az.: 5 C 109/81).
Auch ergibt sich eine weitere Beschränkung nicht etwa daraus, dass das dem Vermögen maßgeblich zu Grunde
liegende Schmerzensgeld erst ab dem Jahr 2000 – die erste Abschlagszahlung von 30.000 DM erfolgte offenbar nach
dem Anerkenntnis dem Grunde nach durch den GVV im Schreiben vom 12.04.2000 – ausgezahlt wurde. Dabei kann
die Kammer angesichts entsprechender Hinweise in der Gesetzesformulierung bereits nicht erkennen, dass die
Erstattung auf die Sozialhilfeleistungen zu beschränken wäre, die noch nach Vermögenserwerb erbracht wurde (vgl.
ausf. OVG NRW, Urtl. vom 20.02.2001, Az.: 22 A 2695/99 und OVG Berlin, Urtl. v. 23.06.2005, Az.: 6 B 23.03, zu
dieser Streitfrage auch Conradis, in: LPK-SGB XII, § 102, Rn. 15). Letztlich kann dies hier aber nach Auffassung des
Gerichts sogar offen bleiben, da jedenfalls der Anspruch auf Schadensersatz schon vor dem Einsetzen der Sozialhilfe
entstanden, der Schadensfall im Jahre 1997 vor der Antragstellung auf Sozialhilfe eingetreten war. Bereits der
Anspruch selbst – der nicht etwa konstitutiv durch die vergleichsweise Realisierung begründet wurde – aber stellt
einen Vermögenswert dar, so dass im vorliegenden Fall offen bleiben kann, ob der Kostenerstattungsanspruch
grundsätzlich auf die Sozialhilfeleistungen zu begrenzen ist, die nach dem Vermögenserwerb angefallen sind.
e) Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich keine weitere Begrenzung aus § 92c Abs. 3 Nr. 2 BSHG. Danach
ist der Anspruch nicht geltend zu machen, soweit der Wert des Nachlasses unter dem Betrage von 15.340 Euro liegt,
wenn der Erbe der Ehegatte des Hilfeempfängers oder mit diesem verwandt ist und nicht nur vorübergehend bis zum
Tode des Hilfeempfängers mit diesem in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn gepflegt hat
Eine häusliche Gemeinschaft der Klägerin mit ihrer Mutter lag unstreitig nicht vor. Die Klägerin macht
dementsprechend auch nur die Vergleichbarkeit ihrer Situation mit der gesetzlich geregelten geltend und beruft sich
dabei namentlich auf eine Entscheidung des Hess. Verwaltungsgerichtshofs (Urtl. v. 26.11.1998, Az.: 1 UE 1276/95).
Der der dortigen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt war aber gerade dadurch gekennzeichnet, dass der
pflegebedürftige Hilfeempfänger nicht in Heim, sondern in häuslicher Umgebung und durch die Erbin als primärer
Pflegeperson gepflegt wurde – die Pflege nur eben nicht unter einem Dach erfolgte. Maßgeblich für den VGH war
insofern, dass bereits in der Amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf des Zweiten Änderungsgesetzes zum
Bundessozialhilfegesetz (BT-Drs. V/3495) ausgeführt worden war, dass die Inanspruchnahme eines Erben bis zu dem
in § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG genannten Betrag für ihn eine besondere Härte bedeute, wenn die Voraussetzungen der
Nr. 2 nicht alle erfüllt seien, der zu beurteilende Einzelfall aber dem dort geregelten vergleichbar ist. Eine derartige
Vergleichbarkeit sei gerade dann, wenn es nur an der häuslichen Gemeinschaft fehle, durchaus gegeben. Denn durch
das Abstellen auf die häusliche Gemeinschaft werde nur eine besondere örtliche Nähe betont, welche die
Pflegeperson zur Betreuung des Hilfeempfängers veranlasse. Eine solche "Nähe" bestehe aber auch dann, wenn die
Pflegeperson unter Einsatz eigener finanzieller Mittel und unter erheblichem Zeitaufwand (viermal wöchentlich) eine
Entfernung von 39 km überwinde, um die häusliche Gemeinschaft gleichsam zu ersetzen. Diese Annahme der
Vergleichbarkeit des Falles der dortigen Klägerin mit den in § 92c Abs. 3 Nr. 2 BSHG geregelten Fällen sei auch nach
dem Sinn der gesetzlichen Regelung in dieser Bestimmung durchaus gerechtfertigt, der darin bestehe, einen Anreiz
zur häuslichen Pflege Hilfebedürftiger zu schaffen. Nehme eine Pflegeperson die zusätzlichen Strapazen auf sich, die
mit der Entfernung zwischen Pflegeort und ihrem Aufenthaltsort verbunden seien, so erscheine es gerechtfertigt, im
Ergebnis also in analoger Anwendung des § 92 c Abs. 3 Nr. 2 BSHG, die Pflegeperson in gleicher Weise zu
begünstigen wie eine Verwandte, die mit dem Hilfeempfänger in häuslicher Gemeinschaft gelebt und ihn gepflegt hat
(vgl. hierzu auch VGH Baden-Württemberg, Urtl. v. 14.03.1990, FEVS 41, 205 betreffend einen Fall fehlender
Verwandtschaft).
Dem entspricht die hier zu beurteilende Situation nicht, wobei sogar offen bleiben kann, ob vergleichbare Fälle im
Rahmen von Nr. 2 selbst unterzubringen sind oder auf die allgemeine Härteklausel zurückzugreifen ist (vgl. auch dazu
die Entscheidung des Hessischen VGHes). Dies ergibt sich im Grunde schon daraus, dass hier durch das – von der
Kammer gar nicht in Frage gestellte – Engagement der Klägerin eine Heimunterbringung (und eine entsprechende
Kostenbelastung des Beklagten) gerade nicht vermieden werden konnte. Auch hinsichtlich der psychischen und
physischen Belastung sieht die Kammer aber darüber hinaus erhebliche Unterschiede zwischen einer für die Pflege
primär zuständigen Pflegeperson und einer nahen Angehörigen wie der Klägerin, die selbstverständlich durch derart
schwere Erkrankungen nächster Angehöriger wie hier auch in hohem Maße betroffen ist, aber wegen der primären
Verantwortung fachlich geschulten Heimpersonals doch ganz andere Möglichkeiten hat, eigene Freiräume – etwa
hinsichtlich einer fortgeführten Berufstätigkeit oder der Zuständigkeit für nächtlichen Pflegebedarf – zu behalten, als
dies bei einer häuslichen Gemeinschaft häufig der Fall ist.
f) Die Kammer sieht aber in der – abgesehen von dem Freibetrag nach § 92c Abs. 3 Nr. 1 BSHG vollen –
Inanspruchnahme des Nachlasses eine besondere Härte im Sinne des § 92c Abs. 3 Nr. 3 BSHG. Um diese zu
vermeiden, hat der Beklagte einen weiteren Betrag von 6.000 Euro zu Gunsten der Klägerin freizulassen.
Dabei sieht die Kammer durchaus, dass die Vorschrift grundsätzlich – auf Grund der Beschränkung auf eine
besondere Härte – eng auszulegen ist. Daher genügt die Stellung als Ehegatte (vgl. BVerwG, BVerwG, Urtl. v.
23.09.1982, Az.: 5 C 109/81) oder eine enge Verwandtschaft nicht, um diese zu begründen. Ebenso wenig ist
ausreichend, dass das Vermögen bei dem Hilfeempfänger zum Schonvermögen gehörte (vgl. so auch Grote-Seifert,
in: jurisPK-SGB II, 2. Aufl. 2007, § 35, Rn 27 zur vglb. Vorschrift in § 35 SGB II). Dies ergibt sich nach Auffassung
der Kammer im Grunde schon daraus, dass andernfalls kaum je eine Kostenerstattung in Betracht käme, da der
Hilfeempfänger dann regelmäßig das Vermögen selbst schon hätte einsetzen müssen (vgl. zu dieser Überlegung auch
BVerwG, Urtl. v. 23.09.1982, Az.: 5 C 109/81). Das BVerwG (Beschl. v. 19.05.2005, Az.: 5 B 106/04) hat
dementsprechend auch ausdrücklich die weitere Verschonung von Schmerzensgeld in der Person des Erben
abgelehnt. Die Kammer folgt dem Bundesverwaltungsgericht dabei in der Überlegung, dass das zum Ausgleich eines
immateriellen Schadens und zur Genugtuung erlittenen Unrechts erhaltene Schmerzensgeld zum Schonvermögen des
Geschädigten gehört, weil sein Einsatz zur Deckung sozialhilferechtlicher Bedarfe angesichts der Ausgleichs- und
Genugtuungsfunktion des Schmerzensgeldes eine Härte im Sinne des § 88 Abs. 3 Satz 1 BSHG bedeuten würde. Mit
dem Tod des Geschädigten entfällt dementsprechend aber auch die Rechtfertigung dafür, Schmerzensgeld als
einzusetzendes Vermögen unberücksichtigt zu lassen. Das Schmerzensgeld erfüllt seinen Ausgleichs- und
Genugtuungszweck nicht (auch) gegenüber den Erben des Geschädigten. Auch der Vortrag der Klägerin zur
Zweckbestimmung, namentlich also zu den behaupteten Äußerungen der verstorbenen Hilfeempfängerin, das Geld
solle einmal ihr, der Klägerin, zugute kommen, kann als wahr unterstellt werden, ohne dass sich daraus eine Härte
ergeben würde: Es wird in aller Regel so sein, dass der Hilfeempfänger sein Vermögen lieber den Nachkommen
hinterlassen möchte, als es an den Sozialhilfeträger fließen zu sehen. Dementsprechend handelt es sich bei § 92c
BSHG bzw. § 102 SGB XII zweifellos auch nicht um Normen, die einem vermuteten Willen des Verstorbenen zur
Geltung verhelfen wollten o.Ä., sondern um eine vom Gesetzgeber vorgenommene Interessenbewertung, nach denen
die Interessen der Sozialhilfeträger, für ihre Aufwendungen Ersatz zu erhalten, höher bewertet werden als die
Interessen der Erben, aber auch die Interessen des bzw. der Verstorbenen, dass etwaige Verfügungen von Todes
wegen wirtschaftlich tatsächlich dem Begünstigten zu Gute kommen (dies führt im Übrigen nicht zur
Verfassungswidrigkeit der Norm wegen der damit verbundenen Beschränkung des durch Art. 14 Abs. 1 S. 1
Grundgesetz gewährleisteten Erbrechts, vgl. dazu ausf. OVG NRW, Urtl. v. 20.02.2001, Az.: 22 A 2695/99). Es ist
daher nicht ersichtlich, dass der gesetzlichen Regelung in § 92c BSHG bzw. § 102 SGB XII entgegen stehende
Wünsche des Erblassers bzw. der Erblasserin zu einer Härte bei deren Anwendung führen könnten. Wenn dem aber
so ist, ist in einem weiteren Schritt nach Auffassung der Kammer nicht begründbar, dass die – auch wiederholte –
Äußerung entsprechender Wünsche zur Annahme einer Härte führen könnte.
Insgesamt ist die Kammer aber dennoch zu der Überzeugung gelangt, dass die (weitgehend) volle Inanspruchnahme
des Erbes durch den Beklagten eine besondere Härte für die Klägerin bedeuten würde. Die Härtegesichtspunkte –
dazu sogleich – sind aber nach Auffassung der Kammer im Vergleich zu dem einen Maßstab vorgebenden, gesetzlich
geregelten Härtefall der Nr. 2 als weniger gewichtig zu bewerten. Eine vollständige Freilassung des ererbten
Vermögens (oder auch nur die Freilassung des in Nr. 2 vorgesehenen Betrages) scheidet daher aus. Dies führt jedoch
nach Auffassung der Kammer auch nicht dazu, dass die Anwendung von Nr. 3 gänzlich ausscheiden müsste. Die
Kammer hält vielmehr angesichts der Ausgestaltung von § 92c Abs. 3 Nr. 3 BSHG auch eine Teilverschonung für
zulässig (vgl. Conradis, in: LPK-SGB XII, § 102, Rn. 14). Dort heißt es nämlich, der Anspruch auf Kostenersatz sei
nicht geltend zu machen, soweit die Inanspruchnahme des Erben nach der Besonderheit des Einzelfalles eine
besondere Härte bedeuten würde. Kann die besondere Härte durch die Einräumung eines weiteren Freibetrags
vermieden werden ("soweit"), dann ist nach Auffassung der Kammer dem Erben eben (nur) ein entsprechend erhöhter
Freibetrag zu belassen. Da die Vorschrift nicht als Ermessensvorschrift ausgestaltet ist (vgl. in diesem Sinne auch
Conradis, in: LPK-SGB XII, § 102, Rn. 14 und Schellhorn/Schellhorn, Komm. z. BSHG, 16. Aufl., § 92c, Rn. 25), ist
die Kammer weiter der Auffassung, dass die Höhe des weiteren Freibetrags (bzw. dessen Fehlen) durch das Gericht
in vollem Umfang zu prüfen und ggf. der einen zu hohen Betrag anfordernde Bescheid zu korrigieren, nicht aber der
Bescheid (ganz) aufzuheben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Ausübung von Ermessen hinsichtlich eines
weiteren Freibetrags zu verpflichten ist.
Für die Annahme einer besonderen Härte waren dabei insbesondere der von der Klägerin glaubhaft vorgetragene und
von dem Beklagten auch nicht in Frage gestellte Einsatz für die Pflege ihrer Mutter einerseits, ihr Einsatz bei der
Realisierung des Schmerzensgeldanspruchs andererseits maßgeblich. Dabei kann der Gesichtspunkt der Pflege,
wenn auch in Nr. 2 speziell geregelt, durchaus auch im Rahmen der Nr. 3 berücksichtigt werden (vgl. in diesem Sinne
neben den sogleich zitierten Materialien etwa Steimer, in: Mergler/Zink, Hdb. der Grundsicherung und SH, § 102 SGB
XII, Rn. 25). So heißt es in den Materialien (vgl. BT-Drs. V/3495, S. 16), durch Nr. 3 seien alle in Betracht
kommenden Fälle einer besonderen Härte erfasst. Dies gelte z.B. auch dann, wenn im Einzelfalle Umstände vorlägen,
welche die Voraussetzungen der Nr. 2 nicht erfüllten, ihnen aber vergleichbar seien. Für das Vorliegen einer
besonderen Härte könnten Gründe in der Person des Erben ebenso maßgebend sein wie Gesichtspunkte
wirtschaftlicher Art.
Die Kammer hielt es vor diesem Hintergrund für geboten, die doch eindrucksvoll und glaubhaft geschilderte
Pflegetätigkeit der Klägerin und die damit angesichts der schweren Erkrankung der Hilfeempfänger notwendig
verbundene erhebliche Belastung als Härtegesichtspunkt zu würdigen. Hinzu kommt das Betreiben des
Schmerzensgeldprozesses. Hier ist zwar nicht zu übersehen, dass bis zu der vergleichsweisen Einigung Hr. RA G.
als Betreuer für die Vermögenssorge bestellt und dementsprechend auch bis zum Abschluss des
Schadensersatzprozesses tätig war, wie sich aus den entsprechenden Unterlagen ergibt. Dementsprechend kann
auch Darstellungen wie etwa in der Widerspruchsbegründung, die den Eindruck erwecken, die Klägerin habe den
Schmerzensgeldprozess (allein) geführt, nach Überzeugung der Kammer nicht gefolgt werden. Dennoch hält es die
Kammer für glaubhaft, dass die Klägerin mit erheblichem Engagement auch als Betreuerin tätig war und entscheidend
dazu beigetragen hat, die nicht unerhebliche Schmerzensgeldzahlung im Vergleichswege zu realisieren. Nach
Auffassung der Kammer würde es aber eine besondere Härte bedeuten, wenn dieses Engagement im Ergebnis
weitestgehend dem Beklagten zu Gute kommen würde, ohne dass die Klägerin daran wenigstens anteilig partizipieren
könnte (vgl. zu dem Aspekt, dass der Erbe den Wert des Nachlasses erhöht hat, auch Conradis, in: LPK-SGB XII, §
102, Rn. 14; das SG Berlin, Urtl. v. 12.06.2006, Az.: 88 SO 233/06 thematisiert dies als ‚enges’, aber rechtlich nicht
abgesichertes ‚Verhältnis’ des Erben zu dem ererbten Vermögen).
Die Bemessung der Summe, die notwendig, aber auch hinreichend ist, um eine besondere Härte zu vermeiden, lässt
sich zweifellos nicht bis auf den Cent genau begründen. Um die entsprechende Entscheidung des Gerichts aber
wenigstens grundsätzlich rational nachvollziehbar zu machen, hält die Kammer eine Orientierung an dem vom
Gesetzgeber in Nr. 2 geregelten speziellen Härtefall (vgl. für diese Einordnung nochmals die Materialien, a.a.O., S.
16) für geboten (vgl. in diesem Sinne auch Schoenfeld, in: Grube/Wahrendorf, Komm. z. SGB XII, 2. Aufl., § 102, Rn.
15 und auch Steimer, in: Mergler/Zink, Hdb. der Grundsicherung und SH, § 102 SGB XII, Rn. 28). Im konkreten Falle
erscheint es dabei angemessen, der Klägerin einen Freibetrag einzuräumen, der etwa der Hälfte der in Nummer 2
vorgesehenen Summe von 15.340 Euro entspricht. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beklagte nach
Nummer 1 bereits einen Betrag von 1.706 Euro freigelassen hatte, ist es im Ergebnis gerechtfertigt, zu Gunsten der
Klägerin einen weiteren Betrag von 6.000 Euro anzusetzen.
IV. Die Entscheidung des Beklagten war entsprechend zu korrigieren und also der angefochtene Bescheid vom
17.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.04.2005 insoweit aufzuheben, als der Beklagte darin eine
Kostenerstattung von mehr als (30.696,60 Euro minus 6.000 Euro gleich) 24.696,60 Euro geltend gemacht hat.
Da dieser Betrag notwendig, nach Auffassung der Kammer aber auch ausreichend ist, um den Eintritt einer
besonderen Härte zu vermeiden, war der streitige Bescheid nach der dadurch bewirkten Korrektur nicht weiter zu
beanstanden und die Klage daher im Übrigen abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt namentlich das Verhältnis des Obsiegens und
Unterliegens.