Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 22.07.2010

SozG Frankfurt: stadt, örtliche zuständigkeit, grobe fahrlässigkeit, die post, wohnung, unterkunftskosten, aufenthalt, anschrift, verwaltungsakt, rechtsgrundlage

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 22.07.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 24 AS 1080/08
Hessisches Landessozialgericht L 7 AS 462/10
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Aufhebung einer belastenden Entscheidung der Beklagten.
Der Kläger bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II), die durch die Beklagte erbracht wurden. Zuletzt waren ihm mit Bescheid vom 05.04.2007 Leistungen für den
Zeitraum vom 01.04.2007 bis 30.09.2007 in Höhe von monatlich 454,44 EUR bewilligt worden, bestehend aus einer
Regelleistung nach § 20 SGB II i. H. v. 345,- EUR und Unterkunftskosten nach § 22 SGB II i. H. v. 109,44 EUR.
Zudem zahlte die Beklagte die Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. 127,50 EUR.
Der Kläger bewohnte seit dem Beginn seines Leistungsbezugs bei der Beklagten eine Wohnung in der C-Straße in C-
Stadt.
Durch eine Nachricht des Nachsendezentrums der Deutschen Post AG erhielt die Beklagte am 04.06.2007 die
Mitteilung, dass der Kläger verzogen sei nach: "Bei D. D., D Straße, D-Stadt" und stellte daraufhin die Zahlungen an
den Kläger vorläufig ein (Schreiben vom 12.07.2007 an den Kläger unter der neuen Anschrift, Bl. 67 Verwaltungsakte).
Auf dieses Schreiben, das eine Anhörung beinhaltete, meldete sich der Kläger bei der Beklagten nicht. Am
15.08.2007 ergab eine Anfrage der Beklagten beim Einwohnermeldeamt, dass der Kläger noch unter seiner alten
Anschrift gemeldet war (Bl. 68 R Verwaltungsakte).
Am 30.08.2007 meldete sich der Kläger telefonisch bei der Beklagten und fragte ausweislich einer von der Beklagten
angefertigten Aktennotiz (Bl. 70 Verwaltungsakte) nach, warum seine Leistungen eingestellt worden seien. Er teilte
der Beklagten mit, dass er seine Wohnung verloren habe, weil die Beklagte ihm kein Geld mehr gezahlt habe. In D-
Stadt habe er sich zur Arbeitssuche aufgehalten. Heute sei er in D-Stadt, weil er dort seine Post abholen wolle.
Am 15.01.2008 (Bl. 79 Verwaltungsakte) äußerte sich der Kläger auf ein Anhörungsschreiben der Beklagten
dahingehend, dass er zum 01.11.2007 nach E-Stadt umgezogen sei. Er legte eine Meldebescheinigung der Stadt E-
Stadt vor. Die Behauptung der Beklagten, er sei schon im Juni 2007 aus C-Stadt weggezogen, sei irrig.
Durch ein Telefonat der Beklagten mit dem ehemaligen Vermieter des Klägers am 30.01.2008 erfuhr die Beklagte,
dass der Kläger die Wohnung in der C-Straße in C-Stadt zum 31.05.2007 gekündigt hatte (Aktennotiz Bl. 81 R
Verwaltungsakte).
Mit Schreiben vom 14.02.2008 (Bl. 83 Verwaltungsakte) teilte der Kläger der Beklagten daraufhin mit: "ich war im Juni
2007 durch ein Problem im Zusammenhang mit der Arbeitssuche, die nicht von mir zu vertreten war, in
Obdachlosigkeit geraten, (Näheres hierzu auf Anfrage), nicht jedoch von C-Stadt ausgezogen! Zur Übernachtung ging
ich zu meinem Freund, Herrn F., in seiner Wohnung, in F-Straße, C-Stadt."
Dem Schreiben war ein Bestätigungsschreiben Herrn F.s vom 04.02.2008 (Bl. 84 Verwaltungsakte) beigefügt.
Mit Bescheid vom 17.04.2008 (Bl. 90 Verwaltungsakte) traf die Beklagte folgende Regelung: "die Entscheidung vom
05.04.2007 über die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) wird ab
01.06.2007 für Sie in folgender Höhe ganz aufgehoben:
Leistungen für D., A. - geb. am 14.10.1982 Erstattungszeitraum: 01.06.2007 - 30.06.2007 Arbeitslosengeld II
(Regelleistung) 345,00 EUR Leistungen für Unterkunft und Heizung 109,44 EUR Beiträge zur Krankenversicherung
113,05 EUR Beiträge zur Pflegeversicherung 14,45 EUR Es ergibt sich somit eine Gesamtforderung in Höhe von
581,94 EUR."
Zur Begründung führte die Beklagte in dem Bescheid aus, dass der Kläger umgezogen und der Beklagten die neue
Anschrift nicht oder nicht rechtzeitig mitgeteilt habe. Die Anmeldung in E-Stadt sei zwar erst zum 01.11.07 erfolgt,
jedoch sei die Wohnung in der C-Straße bereits zum 31.05.07 gekündigt worden. Der zwischenzeitliche Aufenthalt des
Klägers sei völlig unklar. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, der Beklagten alle Änderungen in den Verhältnissen
mitzuteilen, die für die Leistung erheblich seien. Dieser Verpflichtung sei der Kläger zumindest grob fahrlässig nicht
nachgekommen. Die in der Zeit vom 01.06.2007 bis 30.06.2007 empfangenen Leistungen inklusive der Beiträge zur
Kranken- und Pflegeversicherung seien von dem Kläger zu erstatten.
Den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 17.04.2008 (Bl. 93 Verwaltungsakte) wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 16.06.2008 (Bl. 97 Verwaltungsakte) zurück. Hinsichtlich der Begründung des
Widerspruchsbescheids verweist das Gericht auf die Verwaltungsakte.
Der Kläger hat am 21.07.2008 (Bl. 1 Gerichtsakte) Klage zum Sozialgericht Frankfurt/Main erhoben.
Der Kläger trägt vor, er habe im Juni 2007 noch in C-Stadt gewohnt. Erst im November sei er aus C-Stadt
weggezogen. Die Adresse seiner Schwester [D. D., Anm. d. Verf.] in D-Stadt habe der Kläger nur angegeben, um eine
sichere Postadresse zu haben, falls wichtige Post komme. Der Kläger habe im Juni 2007 auch telefonischen Kontakt
zur Beklagten gehabt. Da er sich auch nach dem Auszug aus der Wohnung in der C-Straße noch in C-Stadt
aufgehalten habe, sei keine wesentliche Änderung in der Verhältnissen eingetreten. Der Kläger habe jeden
Vermittlungsvorschlag und jede Nachricht der Beklagten sofort befolgen können.
Zum Nachweis der Tatsache, dass der Kläger sich im Juni 2007 tatsächlich in C-Stadt aufgehalten hat, bietet er
Beweis an durch Vernehmung des Zeugen F ...
Der Kläger beantragt, den Bescheid vom 17.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.06.2008
aufzuheben und die Berufung zuzulassen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält ihre Entscheidung für rechtmäßig.
Das Gericht hat im Rahmen der Sachverhaltsermittlungen die Verwaltungsakte der Beklagten zu dem Rechtsstreit
beigezogen und hat den Kläger in der mündlichen Verhandlung persönlich gehört. Insoweit wird auf die
Sitzungsniederschrift verwiesen. Die Vernehmung des Zeugen F. konnte nicht durchgeführt werden, weil der Zeuge
trotz Ladung dem Termin ferngeblieben ist.
Hinsichtlich der Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte
verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung war.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht Frankfurt/Main
eingelegt worden.
Die statthafte Anfechtungsklage führt jedoch in der Sache nicht zum Erfolg.
Die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Beklagte hat zu Recht die Leistungsentscheidung für Juni 2007 [der Wortlaut des Bescheids und des
Widerspruchsbescheids ist insoweit etwas missverständlich, Anm. d. Verf.] aufgehoben und von dem Kläger
Erstattung gefordert.
Rechtsgrundlage der Aufhebungsentscheidung ist, soweit die Unterkunftskosten betroffen sind, § 40 Abs. 1 Satz 1
SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1
Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung vom Zeitpunkt
der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht
zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht
nachgekommen ist.
Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger vor:
Der Bewilligungsbescheid vom 05.04.2007 ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, weil er eine Leistungsbewilligung
für einen längeren Zeitraum darstellt. Durch die Aufgabe seines (der Beklagten bekannten) Wohnsitzes in der C-
Straße in C-Stadt (vgl. zum Begriff des Wohnsitzes § 30 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I –) ist
bei dem Kläger zum 01.06.2007 eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten, die für ihn insoweit nachteilig
war, als er mangels Anfall (vgl. Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung) Unterkunftskosten durch die
Beklagte nicht mehr beanspruchen konnte. Die Rechtsvorschrift, aus der sich die Pflicht zur Mitteilung dieses
Umstandes ergab, ist § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I. Danach hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält,
Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung
Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen.
Der Kläger hatte bei seiner ersten und jeder weiteren Antragstellung angegeben, in der C-Straße in C-Stadt wohnhaft
zu sein, mithin eine diesbezügliche Erklärung im Zusammenhang mit der Leistung abgegeben. Ausweislich der
Verwaltungsakte teilte der Kläger erst bei einem Telefonat am 30.08.2007 der Beklagten die Aufgabe des Wohnsitzes
mit. Eine frühere telefonische Mitteilung durch den Kläger konnte durch denselben nicht nachgewiesen werden.
Die eingetretene Änderung in den Verhältnissen war auch für die Leistung erheblich, weil durch den Auszug aus der
Wohnung in der C-Straße in C-Stadt Hilfebedürftigkeit in Bezug auf die Unterkunftskosten nicht mehr vorhanden war
(§ 9 SGB II).
Der Kläger ist seiner Pflicht aus § 60 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGB I zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen.
Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte
die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Maßgebend dafür ist ein subjektiver
Sorgfaltsmaßstab. Die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße hat danach verletzt, wer schon einfachste,
ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten
muss (st. Rspr. seit BSGE 42, 184 = SozR 4100 § 152 Nr 3; BSGE 62, 32 = SozR 4100 § 71 Nr 2; Steinwedel in
KassKomm, SGB X § 45 Rn 39; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X § 45 Rn 42; zitiert nach Schütze in von
Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 Rn. 54).
Der Kläger war ausweislich verschiedener Aktennotizen der Beklagten (zumindest zeitweise) Student. Mit diesem
intellektuellen Hintergrund musste es dem Kläger einleuchten, dass die Aufgabe des Wohnsitzes ein für die Leistung
erheblicher Umstand war.
Aber auch, was die Regelleistung anbetrifft, ist die Aufhebungsentscheidung der Beklagten rechtmäßig.
Rechtsgrundlagen ist ebenfalls § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch
Zehntes Buch (SGB X) i. V. m. § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III).
Es gilt zunächst das oben Ausgeführte. Die Änderung der Verhältnisse liegt in diesem Fall darin begründet, dass für
den Kläger mit der Aufgabe seines Wohnsitzes ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 a SGB II eintritt (zum
Verfahren vgl. Fahlbusch in Beck´scher Online-Kommentar, Hrsg.: Rolfs/Giesen/Kreikebohn/Udsching, Stand
01.06.2010, § 7 Rz. 22 b: Die Rechtsfolgen des Leistungsausschlusses müssen durch einen Verwaltungsakt
hergestellt werden, der den Bewilligungsbescheid aufhebt).
Nach § 7 Abs. 4 a SGB II erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, "wer sich ohne Zustimmung des persönlichen
Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685),
geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches
aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend."
§ 2 der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) definiert den Aufenthalt innerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs. Diese
Vorschrift lautet:
"Der Arbeitslose kann sich vorübergehend auch von seinem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt entfernen, wenn
1. er dem Arbeitsamt rechtzeitig seine Anschrift für die Dauer der Abwesenheit mitgeteilt hat, 2. er auch an seinem
vorübergehenden Aufenthaltsort die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 erfüllen kann und 3. er sich im Nahbereich des
Arbeitsamtes aufhält. Zum Nahbereich gehören alle Orte in der Umgebung des Arbeitsamtes, von denen aus der
Arbeitslose erforderlichenfalls in der Lage wäre, das Arbeitsamt täglich ohne unzumutbaren Aufwand zu erreichen."
Es ist unklar, welche Rechtsfolgen die Verweisung des § 7 Abs. 4 a SGB II auf die Vorschriften der
Erreichbarkeitsanordnung im Einzelnen hat (vgl. nur Eicher/Spellbrink, SGB II, Kommentar, 2. Auflage 2008, § 7 Rz.
76 ff.; SG Hildesheim, Urteil vom 18.02.2009, S 43 AS 1230/07, Rz. 19 ff. des Juris-Ausdrucks m. w. N.; auch die
Gesetzesbegründung – BT-Drucksache 16/1696, Zu Nr. 3 Buchstabe b, S. 26 – ist wenig erhellend). Jedenfalls aber
ist vom Wortlaut der Vorschrift gedeckt und – soweit ersichtlich – unstreitig, dass zumindest § 2 EAO durch die
direkte Inbezugnahme in § 7 Abs. 4 a SGB II unmittelbar anwendbar ist.
Wer sich also ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der EAO definierten zeit- und
ortsnahen Bereichs aufhält, erhält keine Leistungen nach dem SGB II.
Der Kläger hat sich seit dem 01.06.2007 ohne Zustimmung seines persönlichen Ansprechpartners nicht nur
vorübergehend, sondern dauerhaft von seinem Wohnsitz in der C-Straße in C-Stadt entfernt, indem er seinen
Wohnsitz aufgegeben hat. In diesem Fall tritt im Wege des Erst-Recht-Schlusses die Rechtsfolge des § 7 Abs. 4 a
SGB II ein.
Entgegen der Rechtsauffassung des Klägervertreters kommt es nicht darauf an, wo der Kläger im Juni 2007 seinen
gewöhnlichen Aufenthalt hatte und dass er sich im Juni 2007 tatsächlich in C-Stadt aufgehalten haben soll. Aus
diesem Grund ist auch die Vernehmung des Zeugen F. entbehrlich.
Auf den "gewöhnlichen Aufenthalt" (vgl. zur Definition § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I) ist im Zusammenhang mit § 2 EAO
nur bei Wohnsitzlosen abzustellen (Steinmeyer in Gagel, SGB III, 38. Ergänzungslieferung 2010, § 119 Rz. 249;
zitiert nach beck-online). Der Kläger wurde aber erst durch die Aufgabe seines Wohnsitzes obdachlos; die Änderung in
den Verhältnissen ist in der der Obdachlosigkeit vorgelagerten Aufgabe des Wohnsitzes zu sehen.
Die Aufgabe des Wohnsitzes hat der Kläger wiederum zumindest grob fahrlässig der Beklagten erst verspätet
mitgeteilt, obwohl er eine Pflicht zur Mitteilung (aus § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I) hatte. Es musste dem Kläger
auch einleuchten, dass die Aufgabe des Wohnsitzes ein für die Leistung erheblicher Umstand war (s. o.).
An diesem Ergebnis ändert auch die Vorschrift des § 36 SGB II nichts, der die Zuständigkeit (für die Leistungen der
Grundsicherung) an den gewöhnlichen oder tatsächlichen Aufenthalt knüpft, denn § 36 SGB II regelt die örtliche
Zuständigkeit, wohingegen § 7 Abs. 4 a SGB II eine Sanktionsvorschrift darstellt, in der es darum geht, über die
Sanktionsregelungen des § 31 SGB II hinaus eine härtere Sanktion, nämlich den vollständigen Leistungsausschluss,
vorzunehmen (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drucksache 16/1696, aa0 und Eicher/Spellbrink, aa0, § 7 Rz. 78 a. E.).
Daher war die Beklagte nach den genannten Vorschriften berechtigt und verpflichtet, die Bewilligungsentscheidung
sowohl hinsichtlich der Unterkunftskosten als auch hinsichtlich der Regelleistung aufzuheben.
Die Rechtsgrundlage für die Erstattungsforderung ergibt sich hinsichtlich der Unterkunftskosten und der Regelleistung
aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 SGB X, hinsichtlich der Beiträge zur Kranken- und
Pflegeversicherung aus § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i. V. m. § 335 Absätze 1, 2 und 5 SGB III.
Ohne dass es aufgrund der hier vertretenen Rechtsauffassung hierauf ankäme, sei noch darauf hingewiesen, dass der
Kläger entgegen dem Vortrag der Klägervertreterin keineswegs Vermittlungsvorschläge oder Nachrichten der
Beklagten befolgen konnte. Da ihm die Post an seine Schwester nach D-Stadt nachgesandt wurde, konnte sie dort
erst mit mehrtägiger Verspätung eintreffen. Rechnet man die Reaktionszeit der Schwester und des Klägers hinzu, wird
deutlich, dass der Kläger eine zeitnahe Erledigung behördlicher Schreiben nicht leisten konnte, zumal sich ihm die
Schreiben offenbar durch alleiniges Vorlesen nicht erschlossen.
Beispielhaft hierzu: Auf das Anhörungsschreiben der Beklagten vom 18.12.2007 (Bl. 76 Va), gerichtet an die alte
Adresse des Klägers, meldete sich dieser am 02.01.2008 (Bl. 78 Va) bei der Beklagten und bat um Übersendung des
Schreibens an seine neue Anschrift in E-Stadt.
Und obwohl die Beklagte Schreiben an den Kläger sogar selbst an die neue Anschrift in D-Stadt adressierte (vgl.
Schreiben vom 12.07.2007 und 15.08.2007, Bl. 67 und 69 Verwaltungsakte) gelangten diese dem Kläger offenbar
nicht oder erst verspätet zur Kenntnis, denn der Kläger meldete sich erst am 30.08.2007 bei der Beklagten um
nachzufragen, warum seine Leistungen eingestellt worden seien, obwohl die Beklagte ihm in den Schreiben vom
12.07.2007 und 15.08.2007 hierüber Mitteilung gemacht hatte.
Da der Kläger bei der Beklagten auch keine Telefonnummer hinterlegt hatte, ist es unzutreffend, wenn vorgetragen
wird, er sei "jederzeit und sofort" erreichbar gewesen.
Nach alledem war die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Rechtsmittelbelehrung folgt aus §§ 143, 144 SGG. Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG wegen
grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.