Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 17.03.2008

SozG Frankfurt: arbeitsausfall, gefahr, unternehmen, kündigung, krankenversicherung, risikoverteilung, begriff, betriebsrisiko, arbeitsamt, gesetzesänderung

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 17.03.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 30 AL 2265/04
Hessisches Landessozialgericht L 7 AL 80/08
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Zahlung von Kurzarbeitergeld.
Der Kläger ist als Hautarzt/Allergologe zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen und beschäftigte im hier
streitigen Zeitraum (09.02. bis 31.08.2004) 2 Mitarbeiterinnen namens C. D. und X. Z. Am 04.02.2004 reichte der
Kläger auf einem ihm von der Beklagten überlassenen Antragsvordruck einen Antrag auf Bewilligung von
Kurzarbeitergeld ein. Die Arbeitszeit der Mitarbeiterinnen verkürzte sich von 32 auf 21 bzw. von 15 auf 11 Stunden pro
Woche. Der Arbeitsausfall beruhe darauf, dass eine schleichende Reduzierung der kassenärztlichen Vergütungszeit
seit Jahren festzustellen sei. Jetzt akut nach in Kraft treten des GMG zum 01.01.2004 gäbe es einen massiven
Einbruch auch bei den Patientenzahlen. Diesbezüglich legte der Kläger Vergleichswerte vor, wonach die Fallzahl im
Quartal I/2003 384 Fälle betrug und im Quartal I/2004 284 Fälle.
Mit Bescheid vom 25.02.2004 lehnte die Beklagte den Antrag ab: die Gewährung von Kurzarbeitergeld sei nicht
zulässig, da der Arbeitsausfall nicht auf wirtschaftlichen Ursachen beruhe und nicht vorübergehender Natur sei.
Mit weiterem Bescheid vom 09.03.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dem Antrag auf Erstattung des
verauslagten Kurzarbeitergeldes für Februar 2004 könne nicht entsprochen werden, weil die in § 177 SGB III
geforderten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Mit weiteren Bescheiden vom 26.04.2004. 09.06.2004 und
22.07.2004 (Widerspruchsbescheide vom 16.07. und 11.08.2004) lehnte die Beklagte eine Erstattung auch für die
Monate März bis Juni 2004 ab.
Gegen den Bescheid vom 09.03.2004 legte der Kläger am 11.03.2004 Widerspruch ein: der Arbeitsausfall sei auf ein
unabwendbares Ereignis (Gesetzesänderung) zurückzuführen. Es handele sich ferner um einen vorübergehenden
Arbeitsausfall. Des Weiteren stützte sich der Kläger auf ein Schreiben des Berufsverbandes der Deutschen
Dermatologen e.V. vom 25.03.2004.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.04.2004 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Auf den
Inhalt der Entscheidung wird Bezug genommen.
Dagegen richtet sich die Klage vom 18.05.2004. Der Kläger trägt im Wesentlichen vor, der entstandene Arbeitsausfall
beruhe auf wirtschaftlichen Gründen sei nicht nur vorübergehend, stelle sich als unvermeidbar dar und erreiche die
erforderlichen Ausmaße im jeweiligen Kalendermonat.
Der Kläger beantragt, die Bescheide vom 25.02.2004, 09.03.2004, 26.04.2004, 09.06.2004, 22.07.2004 sowie die
Widerspruchsbescheide vom 21.04.2004, 16.07.2004 und 11.08.2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm
ab Februar 2004 Kurzarbeitergeld im gesetzlichen Umfang zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Darüber hinaus trägt sie vor, die gesetzlichen Regelungen seien
geschaffen worden, um langfristig strukturelle Veränderungen im Gesundheitswesen zu bewirken.
Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten beigezogen. Wegen des weiteren Sachvortrags der Beteiligten und
des Sachverhalts im Einzelnen wird auf den Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld.
Anspruch auf Kurzarbeitergeld haben Arbeitnehmer nach § 169 SGB III, wenn (1.) ein erheblicher Arbeitsausfall mit
Entgeltausfall vorliegt, (2.) die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, (3.) die persönlichen Voraussetzungen
erfüllt sind und (4.) der Arbeitsausfall dem Arbeitsamt angezeigt worden ist. Dem Anspruch des Klägers steht hier
bereits entgegen, dass der Arbeitsausfall nicht erheblich war. Ein Arbeitsausfall ist gemäß § 170 Abs. 1 Nr. 3 SGB III
erheblich, wenn er nicht vermeidbar ist. Nicht vermeidbar ist nach § 170 Abs. 4 SGB III ein Arbeitsausfall, wenn in
einem Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalles zu verhindern. Als
vermeidbar gilt insbesondere ein Arbeitsausfall der u. a. ausschließlich auf betriebsorganisatorischen Gründen beruht
(Nr. 1) oder bei Nutzung von im Betreib zulässigen Arbeitszeitschwankungen ganz oder teilweise vermieden werden
kann (Nr. 3). Das Erfordernis der Vermeidbarkeit des Arbeitsausfalls beruht auf dem Grundgedanken, dass den
Arbeitgeber eine Schadensminderungspflicht trifft. Nur wenn er seiner Verpflichtung zur Schadensminderung
nachgekommen ist und gleichwohl Abreitsausfall unvermeidbar ist, soll nach der Intention des Gesetzes
Kurzarbeitergeld gezahlt werden (Niesel, SGB III, § 170 Rdnr. 24).
An das Kriterium der Vermeidung des Arbeitsausfalles stellt die Rechtsprechung strenge Anforderungen (das BSG hat
dazu im Zusammenhang mit dem verwandten Begriff des unabwendbaren Ereignisses nach § 170 Abs. 3 SGB III
ausgeführt, dass mit den Regelungen des Kurzarbeitergeldes den Betrieben nicht die Verantwortung dafür
abgenommen werden sollte, vor und während des Arbeitsausfalls alles in ihrer Kraft stehende zu unternehmen, den
Arbeitsausfall zu vermeiden und zu beheben und nicht das gesamte Betriebs- und Wirtschaftsrisiko von der
Solidargemeinschaft übernommen werden sollte. Daher müssen bei der Auslegung des Begriffes des unabwendbaren
Ereignisses die vom Gesetzgeber übernommenen Risiken von denjenigen abgegrenzt werden, die beim Arbeitgeber
verblieben sind. Daher bleibt dem Arbeitgeber das Betriebs- und Wirtschaftsrisiko – auch auf die Gefahr, das
Arbeitnehmern gekündigt wird – es sei denn, der Betrieb insgesamt habe alles ihm zumutbare getan, den
Arbeitsausfall zu vermeiden (SozR 3-4100 § 64 Nr. 3).
Diesen Anforderungen genügt das Verhalten des Klägers nicht. Denn die Verantwortung für den aus über das 1.
Quartal 2004 hinaus bestehenden zu großen Personalstamm liegt bei dem Kläger selbst. Er hätte es selbst in der
Hand gehabt, das Arbeitsverhältnis mit der geringfügig beschäftigten X. Z. wirksam aufzulösen. Allein die Tatsache,
dass der Kläger einer Mitarbeiterin dann hätte kündigen müssen, die er wo möglicherweise auf Dauer fortbeschäftigen
wollte, erlaubt es nicht, die dadurch entstehenden Kosten auf die Allgemeinheit überzuwälzen. Allein durch diese
Kündigung hätte für die Mitarbeiterin C. D. ohne weiteres eine 32 Stunden Woche weiter aufrechterhalten werden
können. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass eventuell bestehende Personalüberhänge zu dem Betriebsrisiko des
Klägers gehören.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit der Budgetierung ärztlicher Leistungen zum Schutz der Beitragszahler der
gesetzlichen Krankenversicherung das wirtschaftliche Risiko der Mengenausweitung den Ärzten auferlegt hat. Es ist
zulässig, diese gesetzliche Regelung durch die Gewährung von Kurzarbeitergeld z Lasten derselben Beitragszahler zu
unterlaufen. Denn insoweit sind die Regelungen des SGB V Spezialvorschriften, die den Bestimmungen für die
Beurteilung der Risikoverteilung für die Kurzarbeitergeldgewährung vorgehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.