Urteil des SozG Frankfurt am Main vom 08.12.2006

SozG Frankfurt: arbeitsunfähigkeit, schwangerschaft, krankengeld, anfang, anfechtungsklage, leistungsanspruch, verfügung, abgrenzung, arbeitslosigkeit, zugang

Sozialgericht Frankfurt
Urteil vom 08.12.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Frankfurt S 33 AL 854/05
Hessisches Landessozialgericht L 7 AL 58/07
1. Die angefochtenen Bescheide vom 05.08.2005 und 06.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
22.09.2005 werden aufgehoben.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die zur Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem diese die Bewilligung von Arbeitslosengeld
vom 04.07.2005 bis 30.09.2005 wegen eines mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots aufgehoben hat.
Die 1979 geborene Klägerin war, soweit hier von Belang, bis 30.06.2005 bei der B.-Apotheke, B. O., als
pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte beschäftigt. Auf Grund von Erkrankungen, die mit einer bei ihr
ärztlicherseits am 30.05.2005 festgestellten Schwangerschaft einhergingen, war sie vom 30.05.2005 bis 14.06.2005
krankgeschrieben.
Sie meldete sich nach einer Kündigung vom 15.05.2005 am 19.05.2005 zum 01.07.2005 bei der Beklagten arbeitslos.
Mit Schreiben vom 04.07.2005 stellte der behandelnde Frauenarzt Dr. S. fest, dass für die Zeit vom 04.07.2005 bis
zum Beginn des Mutterschutzes ein mutterschutzrechtliches Beschäftigungsverbot auf der Grundlage von § 3 Abs. 1
MuSchG (Mutterschutzgesetz) eintrete. Arbeitsunfähigkeit liege nicht mehr vor. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf
Bl. 37 der Leistungsakte (im Folgenden: LA) Bezug genommen.
Die Beklagte bewilligte mit einem in den Akten nicht enthaltenen Bescheid (wohl vom 12.07.2005; die Aktenverfügung
stammt vom 11.07.2005; LA Bl. 34) Arbeitslosengeld für 360 Tage ab dem 01.07.2005. Zwischen den Beteiligten ist
streitig, ob die Klägerin bereits zuvor Mitteilung von dem Beschäftigungsverbot gemacht hatte; in den Leistungsakten
ist die Vorlage der Bescheinigung für den 02.08.2005 dokumentiert.
Die Beklagte hob wegen des Beschäftigungsverbots mit dem angefochtenen Bescheid vom 05.08.2005 zunächst die
Bewilligung von Arbeitslosengeld ab 04.07.2005 auf der Grundlage von § 48 SGB X i.V.m. 330 SGB III auf, da die
Klägerin dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stehe und sie gewusst habe oder habe wissen müssen, dass der
ihr zustehende Anspruch zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen sei. Mit dem weiter
angefochtenen Bescheid vom 06.09.2005 wiederholte sie die Aufhebung auf der Grundlage von § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4
SGB X und forderte ergänzend auf der Grundlage von § 50 SGB X die Erstattung von 585,63 Euro als zu Unrecht in
der Zeit vom 04.07.2005 bis 31.07.2005 bereits bezogener Leistungen.
Ihren Widerspruch der Klägerin vom 15.08.2005 (LA Bl. 45) stützte die Klägerin darauf, dass das
Beschäftigungsverbot nur für die zuletzt ausgeübte, nicht aber für alle Tätigkeiten gelte. Sie reichte ergänzend ein an
die Beigeladene gerichtetes Schreiben von Dr. S. vom 15.08.2005 zu den Akten, dem zu entnehmen ist, dass dieser
bei stabilem Schwangerschaftsverlauf eine leichte Tätigkeit für drei Stunden täglich für zumutbar hielt, er allerdings
auch die ggf. zu einer Beschäftigung führenden Maßnahmen zu berücksichtigen habe. Die Anzahl von Fahrten zum
Arbeitsamt, zu Vorstellungsgesprächen und Absagen sei nicht kalkulierbar und stellten auf Grund der Vorgeschichte
doch eine Gefährdung für das ungeborene Kind dar – deshalb sei das Beschäftigungsverbot erfolgt. Wegen der
Einzelheiten wird auf Bl. 47 Bezug genommen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.09.2005 zurück. Sie ging auf der Grundlage
des genannten Schreibens von Dr. S. weiterhin davon aus, dass die Klägerin für die Beschäftigungssuche nicht zur
Verfügung stehe.
Nach erneuter Arbeitslosmeldung bewilligte die Beklagte der Klägerin ab dem 01.10.2005 wiederum Leistungen.
Die Klägerin hat durch Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 17.10.2005, eingegangen bei Gericht am
20.10.2005 Klage erhoben, mit der sie ihre Ansprüche weiterverfolgt.
Am 04.02.2006 ist ihr Sohn geboren worden.
Die Klägerin macht weiter insbesondere geltend, dass sie dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe.
Sie hat beantragt, den Bescheid vom 05.08.2005 in Verbindung mit dem Bescheid vom 06.09.2006, beide in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 22.09.2005, aufzuheben, hilfsweise, die Beigeladene für die Zeit, für die eine
Aufhebung durch die Beklagte rechtmäßig gewesen sein sollte, zur Zahlung von Krankengeld zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hält daran fest, dass die Klägerin nicht verfügbar gewesen sei und ein Leistungsanspruch gegen sie auch nicht
auf Grund einer Rechtsfortbildung begründbar sei. Auch die Aufhebung für die Vergangenheit sei gerechtfertigt, da die
Klägerin gewusst habe, dass ihr Arbeitslosengeld nur zusteht, soweit sie bereit und auch in der Lage gewesen sei,
eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufzunehmen, an beruflichen Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen
und auch die Agentur für Arbeit (täglich) aufzusuchen.
Die mit Beschluss der Kammer vom 20.04.2006 beigeladene Krankenversicherung der Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 05.08.2005 in Verbindung mit dem Bescheid vom 06.09.2006, beide in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.09.2005 aufzuheben, hilfsweise, den Hilfsantrag der Klägerin abzuweisen.
Sie geht von einer durchgehenden Leistungspflicht der Beklagten aus, zunächst wohl auf der Grundlage von § 126
SGB III, nach dem Wegfall der möglicherweise zunächst anzunehmenden Arbeitsunfähigkeit, die am 01.08.2005,
spätestens aber am 15.08.2005 geendet habe, auf Grund einer fiktiv anzunehmenden Verfügbarkeit trotz des
bestehenden Beschäftigungsverbotes. Ein Anspruch gegen die Beigeladene selbst sei nicht begründbar.
Die Kammer hat Unterlagen des Klinikums der Stadt H. beigezogen und einen ausführlichen Befundbericht bei dem
behandelnden Gynäkologen Dr. S. eingeholt, den dieser am 03.06.2006 erstattet hat; wegen des Inhalts wird auf Bl.
44-46 der Gerichtsakte verwiesen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichts- und der zur
Klägerin geführten Leistungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Kammer konnte verhandeln und entscheiden, obwohl der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zum Termin nicht
erschienen ist. Er war jedoch ordnungsgemäß seit dem 20.11.2006 über den Termin am 08.12.2006 informiert und auf
die Möglichkeit, dass auch in seiner Abwesenheit verhandelt und entschieden werden könne, hingewiesen worden. Ein
Verlegungsantrag ist nicht gestellt worden; vielmehr hat erst die zur mündlichen Verhandlung allein erschienene
Klägerin mitgeteilt, sie sei letzte Woche von dem Rechtsberater aus dem Büro ihre Rechtsanwaltes angerufen
worden. Dieser habe ihr mitgeteilt, dass ihr Rechtsanwalt in Urlaub sei. Sie selbst müsse aber zu dem Termin
erscheinen. Er, der Rechtsberater, könne sie dort allerdings nicht vertreten, deswegen müsse sie alleine zum Termin
erscheinen. Auch ein Vertagungsgrund ist damit nicht erkennbar.
II. Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzten die Klägerin in
ihren Rechten, da es zu einer wesentlichen Änderung der bei Leistungsbewilligung vorliegenden Verhältnisse im
streitigen Zeitraum nicht gekommen ist. Der Klägerin stand vielmehr für den hier streitigen Zeitraum durchgehend ein
Anspruch auf Arbeitslosengeld zu.
1. Die Beklagte hat für die Zeit ab 01.10.2005 bindend wiederum Leistungen bewilligt. Die hier streitigen Bescheide
entfalten Wirkung daher nur für die Zeit vom 04.07.2005 bis 30.09.2005. Die Kammer hatte daher den sich aus dem
Befundbericht von Dr. S., ergebenden Hinweisen, dass es ab dem 27.10.2005 zu einer über sechs Wochen
Arbeitsunfähigkeit gekommen ist, der Anspruch auf Leistungsfortzahlung gegen die Beklagte damit möglicherweise
geendet hat und dafür ein Anspruch auf Krankengeld hätte geltend gemacht werden können, nicht nachzugehen.
2. Die Klage ist als (reine) Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 2 SGG) statthaft. Die Beklagte hatte mit Bescheid (wohl vom
12.07.2005) Leistungen bereits bindend für den gesamten hier streitigen Zeitraum bewilligt. Die Klägerin erreicht ihr
Klageziel damit bereits, wenn die Aufhebungsbescheide vom 05.08.2005 und 06.09.2005 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.09.2005 aufgehoben werden und die Leistungsbewilligung vom 12.07.2005 damit
wieder wirksam wird. Die Klägerin hat die Antragstellung dementsprechend in der mündlichen Verhandlung zu Recht
auf eine reine Anfechtungsklage beschränkt.
Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht sowie nach Durchführung des
notwendigen Vorverfahrens beim zuständigen Sozialgericht erhoben (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 4, 78 Abs. 1 S. 1, 87 Abs. 1
S. 1, Abs. 2, 90 SGG).
3. Sie ist auch begründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Leistungsbewilligung lagen nicht vor.
a) Als maßgebliche Rechtsgrundlage für die Aufhebungsentscheidung kommt dabei wie von der Beklagten
angenommen im Ausgangspunkt zutreffend angenommen allein § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X und, soweit die Aufhebung
für die Vergangenheit betroffen ist, § 48 Abs. 1 S. 2 Nrn. 2 oder 4 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 3 SGB III in
Betracht. Nach dem von der Beklagten zugrunde gelegten Sachverhalt – fehlende Verfügbarkeit allein auf Grund des
mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots ohne Arbeitsunfähigkeit bereits ab 04.07.2005 – wäre die
Entscheidung zwar auf § 45 SGB X (i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III) zu stützen gewesen, da dann die
Bewilligungsentscheidung auf der Grundlage der Aktenverfügung vom 11.07.2005 von Anfang an rechtswidrig
gewesen wäre. Allerdings muss, wie noch auszuführen sein wird, zumindest bis zum 20.07.2005 auch von einer
Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ausgegangen werden. Die Leistungsbewilligung, deren Bekanntgabe (§ 37 SGB X) und
– damit – deren Wirksamkeit (§ 39 Abs. 1 S. 1 SGB X) bereits um den 15.07.2005 zwischen den Beteiligten nicht
streitig ist und auch die Kammer insoweit keinen Anlass zu Zweifeln sieht, war daher, da bis zu diesem Zeitpunkt auf
der Grundlage von § 126 SGB III ein bei Arbeitsunfähigkeit zunächst fortzuzahlender Anspruch auf Arbeitslosengeld
bestand, jedenfalls nicht von Anfang an rechtswidrig. Im Übrigen muss diese Frage, da weder die Voraussetzungen
von § 45 SGB X noch von § 48 SGB X vorlagen, nicht vertieft werden.
b) Der Klägerin stand nämlich durchgehend ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, damit war die
Bewilligungsentscheidung weder von Anfang an rechtswidrig noch wurde sie dies auf Grund einer wesentlichen
Änderung der Verhältnisse.
aa) Die Kammer ist auf Grund des ausführlichen Befundberichts von Dr. S. vom 03.06.2003 der Überzeugung, dass
die Klägerin (zumindest) bis zum 20.07.2005 arbeitsunfähig war, diese Arbeitsunfähigkeit aber (spätestens) ab
15.08.2005, eher bereits ab 01.08.2005, entfallen war.
Die Kammer sieht dabei keinen Grund an den Angaben des Arztes zu zweifeln. Die im Ergebnis der Abgrenzung von
Arbeitsunfähigkeit und mutterschutzrechtlichem Beschäftigungsverbot (vgl. BSG vom 09.09.1999, Az.: B 11 AL 77/98
R) nicht entsprechende, weil den Vorrang der Arbeitsunfähigkeit nicht beachtende Bescheinigung eines
Beschäftigungsverbots am 04.07.2005 zieht dessen Glaubwürdigkeit und die Glaubhaftigkeit seiner ausführlichen
Angaben nicht in Zweifel. Er hat vielmehr seine Gründe für diese Entscheidung nachvollziehbar dargelegt, auch wenn
sie mit den rechtlichen Vorgaben im Ergebnis nicht im Einklang stehen dürften.
Dr. S. hat für den 04.07.2005 über eine zeitgerecht entwickelte Schwangerschaft, eine weiterhin starke psycho-soziale
Belastung, einen zunehmenden Schwangerschaftskonflikt, ernsthafte Überlegungen des Schwangerschaftsabbruchs
und unter Bezugnahme auf frühere Feststellungen über Cephalgien, Magenbeschwerden, Schlaflosigkeit und eine
Hyperemesis gravidarum, also übermäßiges Schwangerschaftserbrechen, berichtet. Er hat im Befundbericht die für
die Kammer überzeugende Einschätzung geäußert, diese Beschwerden hätten – neben einem uneingeschränkten
Beschäftigungsverbot, die Einwände der Klägerin vermögen insoweit angesichts der mitgeteilten Befunde nicht zu
überzeugen – auch Arbeitsunfähigkeit bedingt. Gleiches gilt für die auf Grund der Untersuchung am 20.07.2005
mitgeteilten Befunde.
Ab dem 04.07.2005 Zeitpunkt fehlte es damit an der Verfügbarkeit wegen der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin; bei
zutreffender Bescheinigung einer Arbeitsunfähigkeit durch Dr. S. hätte die Beklagte das Arbeitslosengeld allerdings
zunächst auf der Grundlage von § 126 SGB III fortzahlen müssen. Die Leistungsbewilligung war damit trotz der
Arbeitsunfähigkeit rechtmäßig.
Bereits für den 01.08.2005 berichtet Dr. S. allerdings von einer deutlichen Besserung der Beschwerden, einer
Akzeptanz der Schwangerschaft und dem Fehlen eines Schwangerschaftskonflikts. Ob angesichts dessen seine –
durch Verweis auf die Situation am 04.07.2005 geäußerte – Einschätzung, neben den Voraussetzungen für ein
Beschäftigungsverbot hätte weiterhin Arbeitsunfähigkeit vorgelegen, noch überzeugen kann, erscheint fraglich, kann
aber im Ergebnis offen bleiben.
Jedenfalls am 15.08.2005 – und damit noch innerhalb des maximal sechswöchigen Fortzahlungszeitraums nach § 126
SGB III – lag eine stabile psychische Situation vor; wesentliche Schwangerschaftsbeschwerden hat Dr. S. nicht mehr
festgestellt. Eine fortbestehende Arbeitsunfähigkeit ist damit nicht mehr ersichtlich; auch Dr. S. selbst erachtete eine
sitzende Tätigkeit von täglich 3-4 Stunden wieder als möglich. Allerdings hielt er – wie schon in seinem Schreiben
vom 15.08.2005 an die Beigeladene und erneut in seinem Befundbericht zum Ausdruck kommt – an dem generellen
Beschäftigungsverbot auf Grund der mit der Arbeitsplatzsuche potentiell verbundenen Belastungen fest. Diese
Einschätzung ist für die Kammer nachvollziehbar und überzeugend: Im Zentrum des Schwangerschaftskonflikts und
damit der psychischen Belastungen der Klägerin standen neben den schwierigen Erfahrungen während einer
vorangegangenen Schwangerschaft mit bereits einer Frühgeburt eine psycho-soziale Belastungssituation durch die
kurz vor der ärztlichen Feststellung der Schwangerschaft erfolgte Kündigung. Die von Dr. S. berichtete, mit diesen
Gründen anfangs verbundene Ablehnung der Schwangerschaft sowie die über eine drei- bis vierstündige sitzende
Tätigkeit u.U. hinausgehenden körperlichen und psychischen Belastungen einer intensiven Arbeitssuche lassen es für
die Kammer nachvollziehbar und überzeugend erscheinen, dass zwar Arbeitsunfähigkeit nicht mehr vorlag, dennoch
aber Anlass bestand, von den Voraussetzungen für (umfassendes) Beschäftigungsverbot auszugehen. Insofern trifft
es für die ganz überwiegende Mehrzahl der Fälle sicher zu, wenn das Bundessozialgericht in der bereits zitierten
Entscheidung (vom 09.09.1999, Az.: B 11 AL 77/98 R und im Anschluss daran etwa das SG Duisburg vom
03.04.2002, Az.: S 12 AL 374/01) die Auffassung vertritt, ein generelles Beschäftigungsverbot – die ‚gesamte
Berufstätigkeit als Angestellte’ umfassend – dürfte ohne die Verfügbarkeit ausschließende Arbeitsunfähigkeit nicht
denkbar sein. Im konkreten Fall ist die Kammer jedoch überzeugt, dass gerade diese Konstellation vorliegt, da die
Klägerin – nachvollziehbar – eben nicht mehr arbeitsunfähig war, sondern das Beschäftigungsverbot – begründet –
gerade im Hinblick auf die Belastungen der Arbeitssuche aufrecht erhalten wurde. Dabei hat es grundsätzlich auch
das Bundessozialgericht in der genannten Entscheidung nicht für ausgeschlossen erachtet, dass ein
Beschäftigungsverbot auch bei Arbeitslosen festzustellen sei, obwohl die einschlägige Vorschrift – § 3 Abs. 1
MuSchG – von Gefahren für Leben oder Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung spricht.
Dieses Beschäftigungsverbot führt vorliegend dazu, dass die Klägerin eine Beschäftigung nicht suchen (konnte und)
durfte, die Beklagte von ihr die mit der Beschäftigungssuche verbundenen Beschwernisse nicht abverlangen durfte.
Es fehlte insoweit an der tatsächlichen Verfügbarkeit der Klägerin.
bb) Der hier zu entscheidende Fall lässt sich danach nicht ohne Rechtsfortbildung zur Schließung der
Regelungslücke, die wegen des bei einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots nicht gegebenen
Anspruchs auf Krankengeld und des wegen der fehlenden Verfügbarkeit im Grunde nicht gegebenen Anspruchs auf
Arbeitslosengeld entsteht, lösen. Die vom Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom 09.09.1999 aufgezeigten
Lösungswege – die der Feststellung einer entscheidungserheblichen Regelungslücke entgegenstanden – sind hier
nicht gangbar.
Jedenfalls soweit der angegriffene Bescheid vom 05.08.2005 (auch) eine Aufhebung für die Zukunft beinhaltet, spielen
die möglicherweise fehlenden subjektiven Voraussetzungen hinsichtlich einer Aufhebung für die Vergangenheit keine
Rolle, da diese von § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X nicht vorausgesetzt werden. Unter dem Gesichtspunkt fehlender grober
Fahrlässigkeit oder fehlenden Vorsatzes sowohl bezüglich des Fortbestehens des Anspruchs als auch hinsichtlich
einer möglichen Verletzung der Mitteilungspflicht – die im Übrigen durchaus in Betracht zu ziehen wäre, nachdem eine
Mitteilung erst ab 02.08.2005 aktenkundig ist – kann der Klägerin ein Anspruch jedenfalls nicht über den Zugang des
Bescheides vom 05.08.2005 hinaus zugebilligt werden. Dieser trägt zwar keinen datierten Absendevermerk, aber
nachdem mit Schreiben vom 15.08.2005 Widerspruch eingelegt wurde, kann ein späterer Zugang ausgeschlossen
werden.
Einen Anspruch auf Krankengeld hatte die Klägerin im streitigen Zeitraum ebenfalls nicht: Arbeitsunfähigkeit lag, wie
bereits ausgeführt, jedenfalls ab dem 15.08.2005 nicht mehr vor (und lässt sich frühestens für die Zeit ab 27.10.2005,
also nach dem hier streitigen Zeitraum, wieder feststellen) – ob Arbeitsunfähigkeit bereits für die Zeit ab 01.08.2005
oder gar ab 21.07.2005 nicht mehr angenommen werden kann, kann trotz der Mahnung des Bundessozialgerichts, vor
der Annahme einer Regelungslücke zunächst die sozialrechtliche Lage vollständig aufzuklären, offen bleiben:
Nachdem ein Anspruch auf Krankengeld ausscheidet, da die Arbeitsunfähigkeit jedenfalls ab 15.08.2005 und damit
noch im Fortzahlungszeitraum des § 126 SGB III nicht mehr vorlag, kommt die Kammer an einer Entscheidung, ob
und welche Ansprüche einer Arbeitslosen bei Vorliegen eines generellen Beschäftigungsverbots ohne gleichzeitige
bzw. vorrangige Arbeitsunfähigkeit zustehen, ohnehin nicht vorbei; unter diesen Umständen ist eine taggenaue
Abgrenzung, für welchen Zeitraum eine Lösung (noch) ohne Rückgriff auf eine lückenschließende Rechtsfortbildung
möglich ist und ab wann dies unverzichtbar wird, nach Auffassung der Kammer nicht geboten.
cc) Der Klägerin stand auch während der Zeit, während derer sie allein wegen des mutterschutzrechtlichen
Beschäftigungsverbotes nicht verfügbar war, ein Anspruch auf Arbeitslosengeld auf Grund einer entsprechenden
Anwendung des § 11 MuSchG zu.
Die Kammer folgt insoweit nach Überprüfung und aus eigener Überzeugung der Entscheidung des Hessischen
Landessozialgerichts vom 14.10.1998 (Az.: L 6 AL 496/98, als Vorinstanz zu dem mehrfach zitierten Urteil des BSG
vom 09.09.1999), soweit sich eine anderweitige Lösung auch nach umfassender Aufklärung des Sachverhalts nicht
ergibt.
Das Hess. Landessozialgericht hat in der Entscheidung (noch zu den Vorschriften des Arbeitsförderungsgesetzes, die
allerdings insoweit inhaltlich von den nunmehr maßgeblichen Vorschriften in §§ 117ff. SGB III nicht abweichen)
ausgeführt, die dortige Klägerin habe trotz eines bestehenden Beschäftigungsverbotes nach § 3 Abs. 1 MuSchG
weiterhin einen Anspruch gegen die Beklagte auf Arbeitslosengeld. Zwar sei durch das sich auf alle
Angestelltentätigkeiten erstreckende ärztliche Beschäftigungsverbot ihre Verfügbarkeit entfallen, §§ 100 Abs. 1, 103
Abs. 1 Nr. 1 AFG (nunmehr: §§ 118 Abs. 1, 119 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 Nr. 1), da es keine berufliche Einsetzbarkeit der
Klägerin für die Dauer des Beschäftigungsverbotes mehr gegeben habe, jedoch führe dies zur Überzeugung des
erkennenden Senats - jedenfalls bei bestehendem Leistungsverhältnis - nicht zu einem Wegfall des bestehenden
Anspruchs auf Arbeitslosengeld. Gleiches muss nach Auffassung der Kammer gelten, wenn – wie hier – die
Arbeitslosigkeit nicht (nur) wegen der fehlenden Möglichkeit zur Beschäftigungsaufnahme, sondern (auch oder sogar
primär) wegen der fehlenden Möglichkeit zur Beschäftigungssuche in Frage steht. Zum Schutz der werdenden Mutter
und des Kindes sei, so das Hess. Landessozialgericht weiter, im Wege der lückenfüllenden Auslegung die fehlende
Verfügbarkeit (§ 103 Abs. 1 AFG, jetzt § 119 Abs. 5 SGB III) bei einem Beschäftigungsverbot nach § 3 Abs. 1
MuSchG zu fingieren. Gleiches muss auch hinsichtlich der – im AFG noch nicht in gleicher Weise herausgestellten –
Obliegenheit, Eigenbemühungen zu unternehmen (§ 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 SGB III), gelten. §§ 105 a, 105b und
105c AFG (jetzt: §§ 125, 126 und 428 SGB III) sowie der Rechtsgedanke des § 11 Abs. 1 MuSchG seien dabei
heranzuziehen, ferner die Androhung einer Geldbuße bis zu DM 30.000.- (jetzt: 15.000 Euro) zur Durchsetzung des
Beschäftigungsverbotes gegenüber dem Arbeitgeber in § 21 Abs. 1 Nr. 1 MuSchG. Dabei hat das Hess.
Landessozialgericht unter Verweis auf die Ausgangsentscheidung des SG Kassel (Urtl. vom 19.02.1998, Az: S 11 AL
1266/96) herausgestellt, dass sich aus §§ 105a-c AFG ergebe, dass dem Arbeitsförderungsrecht ein Fortbestehen
des Arbeitslosengeldanspruchs trotz tatsächlich fehlender Verfügbarkeit nicht unbekannt sei. Es hat – und dies ist
auch nach Auffassung der Kammer von zentraler Bedeutung – betont, dass nach § 105b AFG (jetzt: § 126 Abs. 2
SGB III) auch ohne Arbeitsunfähigkeit der Arbeitslosen bei Pflege oder Betreuung eines (bereits geborenen) Kindes
der Leistungsanspruch gegen die Beklagte trotz fehlender Verfügbarkeit fortbesteht.
Insgesamt wird deutlich, dass dem Leistungssystem des SGB III wie zuvor dem des AFG Ansprüche trotz fehlender
Verfügbarkeit nicht fremd sind.
Die Regelung des § 11 Abs. 1 MuSchG, die sich unmittelbar nur gegen den Arbeitgeber einer Schwangeren richtet,
ist, und auch hierin folgt die Kammer dem Hess. Landessozialgericht aus eigener Überzeugung, für die Feststellung
des Bestehens einer gesetzlichen Lücke und für deren Ausfüllung im Wege der Rechtsfortbildung ebenfalls mit
heranzuziehen. Der Anspruch auf den durchschnittlichen Arbeitslohn trotz Bestehens eines Beschäftigungsverbotes
nach § 11 Abs. 1 MuSchG soll verhindern, dass die schwangere Arbeitnehmerin entweder aus finanziellen Gründen
weiter arbeitet oder den vollständigen Ausfall des Arbeitslohnes zu tragen hat. Die schwangere Arbeitslose hingegen
würde – und genau dies wäre auch im hier zu entscheidenden Fall die Konsequenz – ohne die Lückenausfüllung
sowohl den Leistungsanspruch gegen die Beklagte verlieren (wegen fehlender Verfügbarkeit) als auch tatsächlich
keine Möglichkeit auf Erhalt von Arbeitseinkommen haben (da sie eine Beschäftigung ja nicht aufnehmen durfte), aber
auch keinen Anspruch gegen die zuständige Krankenversicherung erwerben und überdies noch ihren
Krankenversicherungsschutz verlieren. Es spricht viel dafür, dass gerade der hier zu entscheidende Fall, namentlich
die erneute Arbeitslosmeldung ab 01.10.2005 bei im Grunde unveränderter, ab 27.10.2005 sogar wieder
verschlechterter Situation, ein Beleg für die vom Hess. Landessozialgericht geäußerte Befürchtung ist, dass diese
rechtliche und tatsächliche Schutzlosigkeit der Schwangeren dazu führen würde, dass Beschäftigungsverbote nach §
3 Abs. 1 MuSchG von den Ärzten eher selten ausgesprochen oder von den Schwangeren missachtet würden mit dem
Ergebnis, dass bei erfolgreichen Arbeitsvermittlungen oder schon durch diese selbst die zu verhindernden Gefahren
für Mutter oder Kind zum Tragen kämen.
Gerade dies zwingt nach Auffassung der Kammer angesichts der verfassungsrechtlichen Vorgaben, namentlich
angesichts des aus Art. 6 Abs. 4 Grundgesetz sich ergebenden Schutzgebotes für die (werdende) Mutter dazu, die
sich hier ergebende Regelungslücke zu schließen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht ausgeführt, Art. 6 Abs. 4
GG führe nicht dazu, dass der Gesetzgeber gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft verbundene wirtschaftliche
Belastung auszugleichen (vgl. Beschluss v. 10.02.1982, Az.: 1 BvL 116/78), und das Bundessozialgericht hat sich
(zu einer Nichtzulassungsbeschwerde, Beschl. v. 03.07.2001, Az.: B 11 AL 210/00 B) in einem Streit um die
Fortzahlung von Unterhaltsgeld bei einem mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot darauf berufen. Nach
Auffassung der Kammer kann diese Überlegung aber für das Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit nicht gelten, da
dessen Wegfall die Betroffenen ohne jede das Arbeitsentgelt bzw. den Mutterschutzlohn aus § 11 MuSchG
ersetzende Sozialleistung ließe (das mag für das Unterhaltsgeld anders – gewesen – sein, da dieses nicht zwingend
an die Stelle des Arbeitsentgelts trat, was für das LSG Niedersachsen, Urtl. vom 22.08.2000, Az.: L 7 AL 404/97, als
Vorinstanz zu dem zitierten Beschluss des BSG vom 03.07.2001, maßgeblich gewesen war). Es geht also nicht um
den Ausgleich jeder mit der Mutterschaft verbundenen Einbuße, sondern um den Wegfall – abgesehen von
bedürftigkeitsabhängigen Sozialleistungen – aller typischerweise den Lebensunterhalt absichernden Leistungen. Diese
vollständig entfallen zu lassen, ist nach Auffassung der Kammer mit Art. 6 Abs. 4 GG und dem daraus sich
ergebenden Schutzgebot nicht vereinbar, noch dazu, da der Staat, an den sich das Gebot immerhin primär richtet, es
– zu Recht – für vertretbar hält, private Arbeitgeber insoweit über § 11 MuSchG in die Pflicht zu nehmen und zur
tatsächlichen Durchsetzung eines Beschäftigungsverbotes u.a. des § 3 Abs. 1 MuSchG sogar eine Geldbuße bis zu
15.000 Euro vorsieht (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 i.Vm. Abs. 2 MuSchG). Damit soll erreicht werden, dass vom Arbeitgeber kein
Druck auf die Schwangere ausgeübt wird, trotz eines Beschäftigungsverbotes zu arbeiten.
Nachdem auch nicht erkennbar ist, dass der Gesetzgeber den hier zu entscheidenden und wegen der regelmäßig mit
einem generellen Beschäftigungsverbot einhergehenden Arbeitsunfähigkeit eher seltenen – Fall bewusst ungeregelt
gelassen hätte, sieht sich die Kammer nicht gehindert, die entstandene Lücke durch eine Fiktion der Verfügbarkeit zu
schließen. Damit bleibt – wie nach § 11 MuSchG der Arbeitgeber beim Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses –
die Beklagte in der Pflicht, wenn ein solches nicht besteht.
dd) Im Ergebnis stand der Klägerin damit durchgehend ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu.
4. Der Bewilligungsbescheid aus dem Juli 2005 war damit weder von Anfang an rechtswidrig noch war er dies
geworden. Die Aufhebungsbescheide vom 05.08.2005 und 06.09.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
22.09.2005 waren vielmehr rechtswidrig und verletzten die Klägerin in ihren Rechten. Auf die Anfechtungsklage der
Klägerin hin waren sie aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.