Urteil des SozG Duisburg vom 29.10.2002

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Sozialgericht Duisburg, S 12 AL 278/01
Datum:
29.10.2002
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
12. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 12 AL 278/01
Sachgebiet:
Arbeitslosenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2001 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.08.2001 verurteilt, der
Klägerin Arbeitslosengeld für die Zeit vom 30.03.2001 bis 07.05.2001 zu
bewilligen. Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen
Kosten der Klägerin.
Tatbestand:
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Die Klägerin wendet sich gegen den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit.
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Die 1978 geborene Klägerin meldete sich am 15.03.2001 arbeitslos und beantragte
Arbeitslosengeld. Zuvor war sie vom 00.00.1998 bis 00.00.2000 als kaufmännische
Angestellte bei der Firma I Immobilien, N, beschäftigt gewesen. Dieses Arbeitsverhältnis
hatte die Klägerin selbst durch Kündigung vom 15.08.2000 beendet. Vom 00.00.2000
bis 00.00.2001 war sie als Feinwerkerin bei der T AG, L, beschäftigt. Das
Arbeitsverhältnis war bei Abschluss des Arbeitsvertrages bis zum 00.00.2001 befristet.
Als Grund für den Arbeitgeberwechsel nannte die Klägerin bessere
Verdienstmöglichkeiten bei der T AG verbunden mit dem Wunsch beruflicher
Veränderung.
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Seit dem 08.05.2001 ist die Klägerin wieder durchgehend beschäftigt.
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Mit Bescheid vom 27.04.2001 und Widerspruchsbescheid vom 20.08.2001 stellte die
Beklagte den Eintritt einer zwölfwöchigen Sperrzeit für die Zeit vom 30.03. bis
21.06.2001 fest. Ihre auf § 144 Abs. 1 SGB III gestützte Entscheidung begründete die
Beklagte damit, dass die Klägerin das unbefristete Arbeitsverhältnis bei der Firma I
Immobilien gekündigt habe und lediglich ein befristetes Arbeitsverhältnis bei der T AG
eingegangen sei. Dadurch habe sie ihre Arbeitslosigkeit zumindest grobfahrlässig
herbeigeführt, weil damit der Eintritt der Arbeitslosigkeit nach Ende des befristeten
Vertrages bereits festgestanden habe. Sie habe für ihr Verhalten auch keinen wichtigen
Grund gehabt. Es sei ihr zuzumuten gewesen, das Beschäftigungsverhältnis so lange
fortzusetzen, bis sie nahtlos ein neues (unbefristetes) Arbeitsverhältnis hätte eingehen
können, so dass der Eintritt der Arbeitslosigkeit vermieden worden wäre. Die T AG habe
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auf Nachfrage mitgeteilt, dass der Klägerin weder mündlich noch schriftlich Zusagen
über eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gemacht worden sei. Auch
die Tatsache, dass sie bei der T AG ein höheres Entgelt erzielt habe, rechtfertige es
nicht, die Versichertengemeinschaft mit den Folgen der eingetretenen Arbeitslosigkeit
zu belasten. Dies gelte gleichermaßen für den Wunsch nach beruflicher Veränderung.
Härtegesichtspunkte seien nicht erkennbar.
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Zur Begründung ihrer am 20.09.2001 erhobenen Klage meint die Klägerin, es sei nicht
hinreichend berücksichtigt worden, dass sie begründeten Anlass zu der Annahme
gehabt habe, dass sie nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der T AG in
ein festes Arbeitsverhältnis übernommen werde. Auch wenn sie keine entsprechende
Zusage gehabt habe, habe sie das Risiko eingehen dürfen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2001 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.08.2001 zu verurteilen, ihr Arbeitslosengeld für die
Zeit vom 30.03.2001 bis 07.05.2001 zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den im Widerspruchsbescheid genannten
Gründen für rechtmäßig. Nach der Auskunft der T AG vom 06.08.2001 könne nicht
davon ausgegangen werden, dass die Klägerin mit einer Verlängerung des befristeten
Arbeitsvertrages oder einer Übernahme habe rechnen können.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der Prozessakten und der die Klägerin betreffenden Leistungsakten der
Beklagten. Diese Akten haben vorgelegen und sind ihrem wesentlichen Inhalt nach
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Arbeitslosengeld für
den zuerkannten Zeitraum. Für diese Zeit sind alle Voraussetzungen für einen Anspruch
auf Arbeitslosengeld erfüllt. Der Anspruch ruht auch nicht wegen Eintritt einer Sperrzeit.
Die Klägerin hat keinen Sperrzeittatbestand verwirklicht.
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Nach § 144 Abs. 1 Ziff. 1 SGB III tritt eine Sperrzeit von zwölf Wochen ein, wenn der
Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst hat und dadurch vorsätzlich oder
grobfahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeiführt (Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe), ohne
für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Das Beschäftigungsverhältnis bei
der T AG hat die Klägerin nicht gelöst. Es war von vornherein befristet. Gelöst hat die
Klägerin durch ihre Kündigung vom 15.08.2000 zum 30.09.2000 ihr
Beschäftigungsverhältnis bei der Firma I Immobilien. Es ist zweifelhaft, dass die
Klägerin durch die Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der Firma
Hoffmann Immobilien bereits ihre Arbeitslosigkeit zum 30.03.2001 herbeigeführt hat.
Zum Zeitpunkt ihrer Kündigung hatte sie bereits einen Arbeitsvertrag der T AG
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unterzeichnet also den geforderten Anschlussarbeitsplatz sicher. Kausal für den Eintritt
der Arbeitslosigkeit war dann nicht die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses
bei der Firma I Immobilien, sondern die Nichtverlängerung des befristeten
Arbeitsverhältnisses durch die T AG. Dies kann jedoch im Ergebnis offen bleiben, denn
selbst wenn hier noch eine (mittelbare) Kausalität zu bejahen wäre, so hat die Klägerin
die Arbeitslosigkeit ab 30.03.2001 jedenfalls nicht schuldhaft im Sinne von § 144 Abs. 1
Ziff. 1 SGB III herbeigeführt.
Vorsätzliche Herbeiführung der Arbeitslosigkeit liegt nicht vor. Die Klägerin hat das
Beschäftigungsverhältnis bei der Firma I Immobilien nicht beendet, um ab 30.03.2001
arbeitslos zu werden. Ihr ist auch nicht der Vorwurf grobfahrlässig herbeigeführter
Arbeitslosigkeit zu machen. Grobe Fahrlässigkeit im Bezug auf die Herbeiführung der
Arbeitslosigkeit erfordert eine Verletzung der erforderlichen Sorgfalt im besonders
schwerem Maße. Dies wäre anzunehmen, wenn die Klägerin bei Anstellen einfachster
Überlegungen nicht mit einer Fortsetzung ihres Beschäftigungsverhältnisses bei der T
AG über den Zeitraum der Befristung hinaus hätte rechnen dürfen. Die Klägerin durfte
die berechtigte Hoffnung haben, dass ihr Beschäftigungsverhältnis bei der T AG über
den Zeitraum der Befristung hinaus verlängert werden würde. Nach Auskunft der T AG
vom 06.08.2001 an die Beklagte schließt dieses Unternehmen regelmäßig befristete
Arbeitsverträge unter Berücksichtigung der gesetzlichen Möglichkeiten. Im Schreiben
vom 06.08.2001 heißt es wörtlich: "Grundsätzlich schließen wir nicht aus, dass eine
Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Befristungszeiträume
erfolgen kann. Mündliche bzw. schriftliche Zusagen auf Übernahme in ein unbefristetes
Arbeitsverhältnis werden allerdings nicht gemacht und sind auch im Falle von Frau S
nicht erteilt worden." Es liegt auf der Hand, dass die T AG mündliche bzw. schriftliche
Zusagen auf Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nicht macht. Wenn sie
dies täte, müsse sie sich ohnehin fragen lassen, warum sie dann nicht von vorneherein
unbefristete Arbeitsverhältnisse abschließt. Wenn aber andererseits grundsätzlich nicht
ausgeschlossen wird, dass eine Übernahme in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis nach
Ablauf der Befristungszeiträume erfolgen kann, besteht für den Arbeitnehmer, der ein
solches befristetes Arbeitsverhältnis abschließt, immer auch die berechtigte Hoffnung
auf Verlängerung des befristeten Arbeitsverhältnisses bzw. Übernahme in ein
unbefristetes Arbeitsverhältnis. Angesichts dessen und der weiteren Auskunft der T AG,
dass es sicher zutreffend sei, dass bei Abschluss des befristeten Arbeitsvertrages mit
der Klägerin die Verhältnisse am Standort nicht ungünstig gewesen seien, ist die
Einlassung der Klägerin, dass sie begründeten Anlass zu der Annahme gehabt habe,
dass sie nach Ablauf des befristeten Arbeitsverhältnisses bei der T AG in ein festes
Arbeitsverhältnis übernommen werde, glaubhaft und nachvollziehbar. Das Vertrauen
darauf begründet nicht den Schuldvorwurf grober Fahrlässigkeit, sondern lediglich
einfacher Fahrlässigkeit.
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Der von der Beklagten aufgestellte Maßstab und die im Widerspruchsbescheid
vertretene Ansicht, der Klägerin sei zuzumuten gewesen, ihr Beschäftigungsverhältnis
mit der Firma I Immobilien so lange fortzusetzen, bis sie nahtlos ein neues unbefristetes
Arbeitsverhältnis hätte eingehen können, berücksichtigt die in den letzten Jahren
eingetretenen Veränderungen in der Arbeitswelt nicht und erschwert darüber hinaus die
berufliche Mobilität von Arbeitnehmern in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen.
Seit dem Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.09.1996 und dem dieses Gesetz
ablösenden Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge vom 21.12.2000,
durch die die Befristung von Arbeitsverträgen bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig
wurden, ist diese Möglichkeit von Arbeitgebern in immer weiterem Maße benutzt
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worden. Auch die Beklagte macht bei Neueinstellungen davon Gebrauch. Ein
Arbeitnehmer, der sich beruflich verändern will, hat regelmäßig nur die Wahl, den
angebotenen befristeten Arbeitsvertrag zu schließen oder eben nicht. Ein Arbeitgeber,
der die Möglichkeit zum Abschluss von befristeten Arbeitsverhältnissen nutzen will, wird
sich regelmäßig insoweit nicht auf Vertragsverhandlungen einlassen.
Da die Klägerin die Arbeitslosigkeit ab 30.03.2001 jedenfalls nicht schuldhaft im Sinne
des Gesetzes herbeigeführt hat, brauchte das Gericht nicht mehr zu prüfen, ob die
Klägerin für ihr Verhalten auch noch einen wichtigen Grund hatte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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