Urteil des SozG Duisburg vom 22.01.2008
SozG Duisburg: angemessenheit der kosten, unterkunftskosten, wohnraum, stadt, heizung, verfügung, mietzins, deckung, bezirk, nebenkosten
Sozialgericht Duisburg, S 7 (7,25) AS 110/06
Datum:
22.01.2008
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 7 (7,25) AS 110/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 19 AS 19/08
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2006 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 verurteilt,
dem Kläger in der Zeit vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen
zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 466,45
Euro monatlich abzüglich der bereits geleisteten Zahlungen zu
gewähren. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen
Kosten des Klägers dem Grunde nach.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Höhe der Leistungen zur Deckung der Kosten für
Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II).
2
Der am 01.03.1953 geborene Kläger war in der Vergangenheit seit längerer Zeit
erwerbslos und lebte alleine in einer Mietwohnung im Zuständigkeitsbereich des
Beklagten, der sich auf das Gebiet der kreisfreien Stadt Duisburg bezieht.
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Das Stadtgebiet erstreckt sich auf eine Gesamtfläche von 232,82 qkm. Bei einer
Einwohnerzahl von etwa 500.000 beträgt die Bevölkerungsdichte 2.144 Einwohner pro
qkm (zu diesen und den übrigen noch folgenden Angaben betreffend die
Kommunalstatistik und die geografischen Gegebenheiten vgl. www.duisburg.de sowie
das Urteil der 27. Kammer des Sozialgerichts Duisburg vom 20.09.2007, Az. S 27 AS
357/05). Das Stadtgebiet ist aufgeteilt in 46 Ortsteile, die wiederum zu 7 Stadtbezirken
(Walsum, Hamborn, Meiderich/Beeck, Homberg-Ruhr-Baerl, Rheinhausen, Stadtmitte
und Süd) zusammengefasst sind. Geografische Besonderheit ist, dass die Stadtfläche
vom den Rhein durchschnitten wird. Dabei liegen die Bezirke Homberg-Baerl und
Rheinhausen linksrheinisch. Die übrigen Bezirke befinden sich auf der rechten
Rheinseite. Der flächenmäßig größte Stadtbezirk Süd (49,84 qkm) weist eine
Einwohnerzahl von 74.000 auf. Der Bezirk Homberg-Ruhrort-Baerl erfasst eine Fläche
von 37 qkm mit 43.000 Einwohnern. In dem Bezirk Rheinhausen wohnen 79.600
Menschen auf einer Fläche von 38,68 qkm. Im nördlichsten Stadtbezirk Walsum leben
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52.000 Menschen und im Bezirk Hamborn 73.000 Einwohner. Der Bezirk Meiderich-
Beeck umfasst 76.000 Einwohner und schließlich der Bezirk Mitte 107.000 Einwohner.
Der Kläger bewohnte seit Juli 1995 eine Wohnung in dem Stadtteil Rheinhausen. Die
Wohnung befand sich in einem Haus, welches im Jahre 1922 erbaut wurde. Die
Wohnfläche belief sich auf 64,58 qm, verteilt auf 3 Wohnräume zuzüglich Küche und
Bad. Gesondert war ein Mansardenzimmer als Abstellraum angemietet. Der
Gesamtmietzins für die Wohnung belief sich im Jahre 2006 auf 466,45 Euro (304,82
Euro Grundmiete zuzüglich 2,56 Euro Mietzins für den Mansardenraum sowie 71,85
Euro Neben- und 87,49 Euro Heizkostenvorauszahlung).
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Bis Mitte des Jahres 2003 bezog der Kläger Arbeitslosengeld I (Alg I) und anschließend
bis zum 31.12.2004 Arbeitslosenhilfe (Alhi) von der Agentur für Arbeit (AA). Danach
stand er laufend im Leistungsbezug bei der Beklagten, die ihm Arbeitslosengeld II (Alg
II) gewährte. In diesem Zeitraum war er einkommenslos. Wesentliche
Vermögensgegenstände waren nicht vorhanden. Im Rahmen der Leistungsberechnung
berücksichtigte die Beklagte zunächst die tatsächlich anfallenden Kosten für Unterkunft
und Heizung in voller Höhe. Mit Datum vom 14.10.2005 übersandte sie dem Kläger ein
Schreiben, mit dem sie ihn darauf hinwies, dass die in seinem Fall als angemessen
anzusehenden Unterkunftskosten (Grundmiete, einschließlich Betriebskosten ohne
Heizkosten) eine Summe in Höhe von 257,85 Euro nicht übersteigen dürften. Die
Kosten für die aktuell angemietete Wohnung seien damit um 121,11 Euro zu hoch.
Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den angemessenen Umfang überstiegen,
könnten sie nur so lange berücksichtigt werden, als es dem Kläger nicht möglich oder
nicht zuzumuten sei, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere
Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate. Da
eine dauerhafte Berücksichtigung der bisherigen Miete nicht möglich sei, hielt sie ihn
dazu an, sich kurzfristig um angemessenen Wohnraum zu bemühen bzw. anderweitig
zur Reduzierung der Unterkunftskosten beizutragen. Insbesondere solle er sich bei der
kommunalen Wohnungsvermittlung und den großen Wohnungsgesellschaften nach
preisgünstigeren Wohnungen erkundigen sowie entsprechende Zeitungsanzeigen
auswerten. Eine Beschränkung auf den bisherigen Wohnbereich sei dabei nicht
zulässig. Zur Klärung von Fragen bestehe die Möglichkeit, anzurufen oder ggfs. einen
Beratungstermin abzusprechen. Grundsätzlich könne die Miete in der bisherigen Höhe
lediglich bis zum 30.04.2006 bei der Berechnung der laufenden Leistungen
berücksichtigt werden. Danach käme nur noch eine Anerkennung der als angemessen
anzusehenden Miete als Bedarf in Betracht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der
Senkungsauffordung wird auf Blatt 14/15 der Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Dagegen legte der Kläger "Einspruch" ein, wobei er zur Begründung ausführte, er sei
grundsätzlich zum Umzug bereit. Ihm bekannte Wohnungen innerhalb der von der
Beklagten festgelegten Angemessenheitsgrenze seien derzeit jedoch nicht frei oder
vorgemerkt. Außerdem müsse die Beklagte die Kosten für den Um- bzw. Auszug
übernehmen. Mit Widerspruchsbescheid vom 18.01.2006 wies die Beklagte den
Widerspruch zurück. In der Begründung führte sie aus, es habe sich bei dem Schreiben
vom 14.10.2005 nicht um einen Verwaltungsakt gehandelt, so dass ein Widerspruch
unzulässig sei. Zwischenzeitlich hatte sie den Kläger nach einem Telefonat am
02.01.2006 schriftlich darüber informiert, dass die Möglichkeit bestehe, für den Umzug
eine Kostenpauschale in Höhe von 92,00 Euro und ggf. darlehensweise die Mietkaution
für eine neu anzumietende Wohnung zu übernehmen.
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Am 25.01.2006 legte der Kläger der Beklagten ein Angebot für die Anmietung einer
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45,57 qm großen Wohnung zu einem Grundmietzins von 210,00 Euro zzgl.
Nebenkosten in Höhe von 75,00 Euro vor, welches die Beklagte mit der Begründung
ablehnte, es übersteige die zu berücksichtigenden Angemessenheitsgrenzen. In der
Folgezeicht unterbreitete das Amt für Kommunale Wohnraumvermittlung bzw. die
Beklagte dem Kläger am 30.01.2006 und 16.05.2006 zwei Wohnungsangebote, die von
den Kosten her innerhalb der in dem Schreiben vom 14.10.2005 genannten
Angemessenheitsgrenzen lagen. Die Wohnungen befanden sich in dem Stadtteil
Rheinhausen bzw. angrenzenden Stadtteilen.
Mit Bescheid vom 29.03.2006 bewilligte die Beklagte dem Kläger weitere Leistungen für
den Zeitraum vom 01.05. bis zum 31.10.2006 in Höhe von 690,34 Euro monatlich. Der
Betrag ergab sich aus der Summe der Regelleistung für Alleinstehende (345,00 Euro)
zuzüglich Leistungen zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von
345,34 Euro. Dieser Betrag setzte sich wiederum zusammen aus den tatsächlich
anfallenden Heizkosten (87,49 Euro), der Nebenkostenvorauszahlung einschließlich
des Mietzinses für den Mansardenraum (71,58 Euro + 2,56 Euro = 74,14 Euro) und
einem Betrag zur Abdeckung der Grundmiete (183,71 Euro) (vgl. Bl. 79 der
Verwaltungsvorgänge). Mit seinem dagegen eingelegten Widerspruch machte der
Kläger geltend, ihm müsse ausnahmsweise eine längere Frist für die Anmietung einer
Unterkunft im Rahmen der festgelegten Angemessenheitsgrenzen zuerkannt werden.
Denn es sei entscheidend, ob tatsächlich Unterkünfte innerhalb dieser Grenzen zur
Verfügung stünden. Dies sei nicht der Fall, weil er nachweislich allen privaten,
städtischen und öffentlich geförderten Mietangeboten nachgegangen sei, aber keine
Unterkunft im Rahmen der Angemessenheitsgrenzen gefunden habe. Als Beleg hierfür
legte er eine von ihm selbst erstellte Dokumentation vor, aus der sich im Einzelnen
beschriebene und datierte Bemühungen bei größeren Wohnungsbaugesellschaften um
anderen Wohnraum und die Auswertung privater Zeitungsinserate ergeben. Das aus
seiner Sicht angemessene Angebot für die Anmietung einer Wohnung zu einem
Grundmietzins einschließlich Nebenkostenvorauszahlung in Höhe von 285,00 Euro
habe die Beklagte zu Unrecht abgelehnt.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 11.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Darin führte sie zur Begründung aus, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Gewährung
höherer Leistungen zur Deckung der Kosten für Unterkunft und Heizung nicht zu. Bei
der Festsetzung der Angemessenheitsgrenze für die Unterkunftskosten orientiere sie
sich, was die Größe einer angemessenen Wohnung angehe, an den Richtlinien zum
Wohnungsbindungsrecht und hinsichtlich des qm-Preises am unteren Bereich des
örtlichen Mietspiegels. Zugrunde zu legen sei danach eine Fläche von 45 qm und ein
Grundmietzins pro qm von 3,94 Euro. Zuzüglich der als angemessen anzusehenden
Nebenkosten pro qm von 1,79 Euro ergebe sich damit ein Gesamtbetrag des
angemessenen Mietzinses ohne Heizkosten in Höhe von 257,85 Euro (45 qm x 3,94
Euro pro qm = 177,30 Euro) zuzüglich 80,55 Euro (45 qm x 1,79 Euro Nebenkosten pro
qm). Genau dieser Betrag sei mit dem Bescheid vom 29.03.2006 für die Zeit von Mai bis
Oktober 2006 bewilligt worden. Der Wert von 3,94 Euro sei vor Jahren auf der Basis der
Werte des öffentlich geförderten Wohnraums, für den ein Anspruch auf
Aufwendungszuschuss – Härteausgleich – bestanden habe, festgesetzt worden. Nach
Abschaffung des Härteausgleiches sei als Maßstab für die Angemessenheit der
Unterkunftskosten der Duisburger Mietspiegel herangezogen worden. Obwohl der
damals aktuelle Mietspiegel eine Herabsetzung des Betrages von 3,94 Euro
gerechtfertigt hätte, sei, um eine Verschlechterung für die Leistungsempfänger zu
vermeiden, davon abgesehen worden, die Angemessenheitsgrenze zu senken. Der
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Mietspiegel werde in der Regel im Zwei-Jahres-Rythmus aufgelegt. Sobald ein neuer
Mietspiegel erscheine, werde geprüft, ob weiterhin entsprechender Wohnraum für 3,94
Euro zu bekommen sei. Nach ständiger Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte seien
die unteren Preisgruppen (ältere Wohnungen, einfache und normale Wohnlage) für
Bezieher von Transferleistungen ausreichend. Dies entspreche den Gruppen I und II
des Mietspiegels. In diesem Segment befänden sich insgesamt nach internen
Schätzungen der Beklagten 90.000 Wohnungen. Nach Ziffer 5.2 der Anmerkungen zu
dem Mietspiegel könnten für einfache Wohnlagen Abschläge von 5 bis 10 % der in dem
Mietspiegel aufgeführten Beträge für normale Wohnlagen gemacht werden. Dies sei
nicht zu beanstanden, weil Marktbeobachtungen zeigten, dass in diesem Bereich
ausreichend Wohnraum vorhanden sei. Laufende Internetrecherchen ergäben zudem,
dass in allen Stadtteilen hinreichend Wohnraum zu den festgesetzten
Angemessenheitsgrenzen zur Verfügung stehe. Der Kläger habe insbesondere seine
Suchbemühungen nicht nur auf sein unmittelbares Wohnumfeld, sondern das gesamte
Stadtgebiet auszuweiten. Eine hierzu ausreichende Senkungsauffordung habe er vorab
erhalten.
Am 16.05.2006 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der er
sein Begehren auf Gewährung höherer Leistungen zur Deckung der Kosten für
Unterkunft und Heizung weiter verfolgt.
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Zur Begründung bezieht er sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen in dem
Widerspruchsverfahren. Im Hinblick auf den Einwand der Beklagten, er habe insgesamt
3 Wohnungsangebote der kommunalen Wohnungsvermittlung ohne zureichende
Begründung nicht angenommen, macht er geltend, er habe eines der von der Beklagten
genannten Wohnungsangebote überhaupt nicht erhalten. Auf ein weiteres Angebot
habe er sich bei dem Vermieter – eine größere Wohnungsbaugesellschaft – gemeldet,
woraufhin er die Mitteilung bekommen habe, die Wohnung stünde überhaupt noch nicht
zur Vermietung zur Verfügung und würde voraussichtlich auch nicht zur Vermietung
freigegeben, da sie verkauft werden solle. Das dritte Angebot hätte er gerne
wahrgenommen. Er habe jedoch nicht gewusst, wie er Umzugskosten und Kaution hätte
aufbringen sollen. Hinsichtlich der vom Gericht im Laufe des Verfahrens beigezogenen
Unterlagen bei dem Amt für Kommunale Wohnraumvermittlung des Oberbürgermeisters
der Stadt Duisburg vertritt der Kläger die Auffassung, die sich aus den Listen
ergebenden Wohnungsangebote seien nicht aussagekräftig. Außerdem ergäben sich
auch aus diesen Listen nur wenige unter Berücksichtigung der
Angemessenheitsgrenzen der Beklagten für den Kläger zumutbarerweise anzumietende
Wohnungen.
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Seit dem 01.08.2007 bewohnt der Kläger, der sich weiterhin im Leistungsbezug bei der
Beklagten befindet, eine neue Mietwohnung im Stadtbezirk Rheinhausen mit einer
Wohnfläche von 49 qm in einem Haus, welches im Jahre 1992 erbaut wurde. Die
Kosten für diese Wohnung belaufen sich auf insgesamt 342,00 Euro (189,00 Euro
Grundmiete, 80,00 Euro Nebenkosten – und 73,00 Euro Heizkostenvorauszahlung).
Diese Kosten berücksichtigt die Beklagte bei der Berechnung der Höhe der laufenden
Leistungen in vollem Umfang.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 29.03.2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.05.2006 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom
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01.05.2006 bis zum 31.10.2006 Leistungen zur Deckung der Kosten für Unterkunft und
Heizung in der tatsächlich angefallenen Höhe zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
16
Zur Begründung bezieht sie sich im Wesentlichen auf die Ausführungen in dem
Widerspruchsbescheid. Ergänzend bekräftigt sie ihre Ausführungen, wonach sich aus
Marktbeobachtungen ergebe, dass genügend freier Wohnraum innerhalb der
festgesetzten Angemessenheitsgrenzen zur Verfügung stehe. Es komme insoweit
ausschließlich auf die individuelle Verfügbarkeit an. Die Zahl der Alg II-Empfänger sei in
diesem Zusammenhang nicht erheblich. Insgesamt seien die von dem Kläger entfalteten
Bemühungen, günstigeren Wohnraum zu erhalten, nicht als ausreichend zu beurteilen;
zumal er verschiedene Angebote der kommunalen Wohnraumvermittlung ohne
nachvollziehbare Begründung nicht angenommen habe.
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Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhaltes eine informatorische Anfrage an den
Oberbürgermeister der Stadt Duisburg gerichtet. Außerdem sind Ermittlungsergebnisse
der 27. Kammer des Sozialgerichts Duisburg aus einem Paralellverfahren mit dem Az. S
27 AS 357/05 beigezogen und den Beteiligten zugänglich gemacht worden. Ferner hat
das Gericht den Mietpreisspiegel für den Zuständigkeitsbereich des Beklagten bei dem
Immobilienverband Deutschland (ivd) e.V. für den Zeitraum der Jahre 2000 bis 2006
beigezogen. Im Übrigen ist Beweis erhoben worden durch die Vernehmung der
Mitarbeiterin des Amtes für Soziales und Wohnen des Oberbürgermeisters der Stadt
Duisburg, Frau H., als Zeugin im Termin zur mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich des
Inhalts und des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf die
Niederschrift des Sitzungsprotokolls vom 22.01.2008.
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Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten,
der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der Bescheid vom 29.03.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
11.05.2006 ist rechtswidrig und der Kläger deswegen beschwert im Sinne von § 54 Abs
2 S 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Denn er hat nach den Vorschriften des SGB II
für den Zeitraum vom 01.05.2006 bis zum 31.10.2006 einen Anspruch auf die
Übernahme der tatsächlich angefallenen Unterkunfts- und Heizkosten.
22
Der Kläger war in dem hier fraglichen Zeitraum hilfebedürftig im Sinne des § 9 Abs 1
SGB II und damit grundsätzlich leistungsberechtigt nach § 19 S 1 SGB II. Maßgebend
für die Bemessung der hier einzig im Streit stehenden Höhe der zu berücksichtigenden
Unterkunfts- und Heizkosten sind die Regelungen des § 22 Abs 1 S 1 und 2 des SGB II
in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung, wonach Leistungen für Unterkunft und
Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendung erbracht werden, soweit diese
angemessen sind (Satz 1). Ferner sind, soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den
wegen der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als
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Bedarf des alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft solange zu
berücksichtigen, wie es dem alleinstehenden Hilfebedürftigen oder der
Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen
Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu
senken, in der Regel jedoch längstens für 6 Monate (Satz 2).
Die hier in dem streitgegenständlichen Zeitraum angefallenen Unterkunftskosten des
Klägers waren zwar unangemessen im Sinne von § 22 Abs 2 S 1 SGB II (dazu unten
1)). Es war dem Kläger jedenfalls in dem fraglichen Zeitraum aber nicht möglich bzw.
zumutbar, die unangemessen hohen Aufwendungen auf das als angemessen
anzusehende Maß zu senken (dazu unten 2)).
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1) Bei der Prüfung der Angemessenheit der Unterkunftskosten im Sinne des § 22 Abs 1
S 1 SGB II bzw. der Klärung der Frage, ab welchem Betrag im Einzelfall geltend
gemachte Unterkunftskosten nicht mehr als angemessen anzusehen sind, geht die
Kammer im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl.
Urteil vom 07.11.2006, Az: B 7 b AS 18/06 R mit Anmerkung Fuchsloch, SGb 2007, 550
f.) sowie der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - (vgl. Urteil
vom 17.11.1994, Az: 5 C 11/93) davon aus, dass die Bestimmung der
Angemesseneitsgrenze in zwei Stufen zu vollziehen ist. Insoweit ist zunächst "abstrakt"
ein Betrag zu bestimmen, der für Betroffene innerhalb des räumlichen
Vergleichsgebietes als angemessen anzusehen ist (dazu unten a)). Erst in einem davon
getrennten zweiten Schritt ist dann "konkret" zu bestimmen, ob es dem Betroffenen in
einem bestimmten Zeitraum auch möglich gewesen ist/wäre, eine vom Preis her
innerhalb des auf abstrakter Ebene festgesetzten Rahmens liegende Wohnung
tatsächlich anzumieten (dazu unten b)). Die Kammer hält den Einwand der Beklagten,
es komme bei der Prüfung der Angemessenheit im Rahmen des § 22 Abs 1 SGB II
lediglich darauf an, ob zu einem in bestimmter Höhe festgelegten
Angemessenheitsbetrag in einem bestimmten Zeitraum für den Betroffenen Wohnungen
auch konkret verfügbar gewesen sind, nicht für richtig. Vor dem Hintergrund der
genannten Entscheidungen ist vielmehr zunächst maßgebend, ob die "abstrakte"
Angemessenheitssschwelle zutreffend festgesetzt worden ist oder nicht (vgl. zu dieser
mehrstufigen Vorgehensweise auch Fuchsloch, aaO).
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a) Die Festsetzung der "abstrakten" Angemessenheitsgrenze hat dabei nach der aus
Sicht der Kammer in Rechtsprechung und Literatur (vgl. insbesondere Berlit in: LPK-
SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rz. 35 mwN) fast ausschließlich vertretenen sog
Produkttheorie zu erfolgen, der sich das BSG in verschiedenen Entscheidungen (vgl.
aaO sowie Urteil vom 07.11.2006, Az: B 7 b AS 7/07 R) angeschlossen hat.
Bezugsgröße für die abstrakte Angemessenheit der Kosten einer Unterkunft ist danach
das Produkt aus der für den oder die Betroffenen angemessenen qm-Zahl (dazu unten
aa)) und einem als angemessen anzusehenden qm-Preis (dazu unten bb)). Dabei
kommt es allein auf das Gesamtergebnis an. Denn Zweck der Regelung des § 22 Abs. 1
Satz 1 SGB II ist nur die Kostenbegrenzung für den kommunalen Träger. Wer in einer
nach den Maßstäben des SGB II zu großen Wohnung lebt, kann dennnoch
angemessene Kosten der Unterkunft haben, wenn der qm-Preis besonders niedrig ist.
Ebenso kann eine pro qm zu teuere Wohnung noch insgesamt angemessen sein, wenn
sie kleiner ist als für die Zahl der Bewohner eigentlich angemessen.
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aa) Die angemessene qm-Zahl für eine Wohnung ist abhängig von der Anzahl der
Bewohner bzw. der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft und richtet sich nach den
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landesrechtlichen Ausführungsbestimmungen für den sozialen Wohnungsbau (vgl. BSG
aaO). Betreffend den hier fraglichen Zuständigkeitsbereich der Beklagten ist danach für
den Kläger eine Wohnungsgröße von maximal 45 qm Wohnfläche grundsätzlich
angemessen. Dies folgt aus Ziffer 5.71 der Verwaltungsvorschriften zum
Wohnungsbindungsgesetz 1990 (Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen
1989, 1714 (1716)). Diese Regelung ist auch nach Aufhebung des
Wohnungsbindungsgesetzes weiter anwendbar, da unter Ziffer 2 der
Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz vom 05.07.2004
(Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen 2004, 660) geregelt ist, dass diese
Verwaltungsvorschriften auch für die Zeit nach Aufhebung des
Wohnungsbindungsgesetzes und nach Inkrafttreten des Gesetzes über die soziale
Wohnraumförderung vom 13.09.2001 ( Bundesgesetzblatt I, 2376) weiterhin
entsprechend anzuwenden sind. Die Festsetzung des Grenzwertes von 45 qm ist
zwischen den Beteiligten auch unstreitig.
bb) Die angemessenen qm-Kosten sind nach dem regionalen Mietpreisniveau zu
bestimmen. Dabei waren schon nach der Rechtsprechung des BVerwG die örtlichen
Verhältnisse insoweit maßgeblich, als auf die im unteren Bereich der für vergleichbare
Wohnung am Wohnort des Hilfebedürftigen marktüblichen Wohnungsmieten
abzustellen und auf dieser tatsächlichen Grundlage die sozialhilferechtlich maßgebliche
Mietpreisspanne zu ermitteln war (vgl. Urteil des BVerwG vom 30.05.1996, Az: 5 C
14/05 Rz. 2 zitiert nach Juris – mwN). Auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte
insbesondere des BSG hat sich bereits - ansatzweise - mit der Frage
auseinandergesetzt, was unter dem "marktüblichen qm-Preis in dem maßgeblichen
räumlichen Bezirk" zu verstehen ist (vgl. z.B. BSG Urteile vom 07.11.2006, Az: 7 b AS
10/06 R und 7 b AS 18/06). Danach ist in erster Linie der Wohnort des Betroffenen
maßgebend. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen
Umfeldes verbunden wäre, soll ihm im Regelfall nicht abverlangt werden. Dies bedeute
jedoch nicht, dass sich der räumliche Vergleichsmaßstab strikt am
kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der "Gemeinde" nach dem jeweiligen
landsrechtlichen Kommunalrecht zu orientieren habe. Bei der Bildung des räumlichen
Vergleichsmaßstabes könne es – insbesondere im ländlichen Raum – geboten sein,
größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen, wohingegen in größeren
Städten an eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete, die
kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten darstellen, gedacht
werden könne. Für eine Stadt der Größenordnung von 75.000 Einwohnern hat es das
BSG für zulässig gehalten, den räumlichen Bereich der gesamten Gemeinde als
Vergleichsmaßstab zugrunde zu legen. Im Einzelfall bedürfe dies jedoch einer Prüfung
der örtlichen Verhältnisse durch das erkennende Gericht (vgl. BSG aaO).
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Nach Auffassung der vollständig mit ortskundigen Richtern besetzten Kammer ist es
unter Berücksichtigung der im Tatbestand wiedergegebenen statistischen Informationen
und geografischen Angaben gerechtfertigt, als örtlichen Vergleichsmaßstab für die
Festsetzung des als angemessen anzusehenden qm-Preises einer Mietwohnung in
dem hier zur Entscheidung stehenden Fall des Klägers das gesamte Gebiet der Stadt
Duisburg mit Ausnahme der Ortsteile Baerl, Walsum, Hamborn und Bissingheim
zugrunde zu legen. Denn trotz der linksrheinischen Lage des Stadtbezirks
Rheinhausen, ist dieser verkehrstechnisch gut angebunden, so dass auch eine
Verlagerung des Wohnsitzes in einen anderen Ortsteil mit Ausnahme der vorgenannten,
eine zwangsläufige Aufgabe der gewohnten sozialen Kontakte nicht mit sich bringen
muss. Zudem ist aus Sicht der Kammer die Rechtsprechung des BSG nicht so zu
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interpretieren, dass jede Erschwernis der Aufrechterhaltung gewohnter sozialer
Kontakte zu einer Unzumutbarkeit eines Umzuges führt.
Was die Festlegung des als angemessen anzusehenden Mietzins innnerhalb des
genannten örtlichen Vergleichsmaßstabes angeht, ist bereits in der Rechtsprechung des
BVerwG (vgl. Urteil vom 17.11.1994, Az: 5 C 11/93 Rz. 11) darauf hingewiesen worden,
dass die Besonderheiten des Wohnungsmarktes und die Unschärfe des ihn
beherrschenden Preisbildungsmechanismus sowie der einzelnen Preisbildungsfaktoren
Mietpreise bedingen, die sich in gewissen Spannbreiten bewegen, so dass das Maß
des sozialhilferechtlich angemessenen insoweit zunächst nur als gleichsam abstrakte
Spannbreite bestimmt werden kann. Was die Kriterien angeht, nach denen die abstrakte
Spannbreite des sozialhilferechtlich – hier grundsicherungsrechtlich – Angemessenen
zu bestimmen ist, hat die Rechtsprechung (sowohl der Verwaltungs- als auch der
Sozialgerichte) bisher keine konkreten Vorgaben gemacht. Erkennbar ist aber, dass
jedenfalls die Zugrundelegung eines (qualifizierten) Mietspiegels im Sinne der § 558 c
ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht zu beanstanden ist (vgl. BVerwG aaO
sowie BSG Urteil vom 07.11.2006, Az: B 7 b AS 18/06 R Rz. 23). Ein Rückgriff auf die
Tabelle zu § 8 des Wohngeldgesetzes (WoGG) ist nicht gerechtfertigt, wenn konkretere
bzw. verlässlichere Quellen zur Bestimmung der Angemessenheitsgrenze vorliegen
(BSG aaO Rz. 17). Nach einem Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (Urteil vom
12.03.2007, Az. L 9 AS 260/06) ist für die Bemessung der abstrakten
Angemessenheitsgrenze in erster Linie auf örtliche Mietspiegel oder Mietdatenbanken
im Sinne der §§ 558c - 558e BGB zurückzugreifen. (Nur) Wenn diese nicht vorliegen,
kann auf grundsicherungsrelevante Mietspiegel oder -Tabellen der
Grundsicherungsträger selbst abgestellt werden. Diese müssen aber auf einer
hinreichenden validen Datenbasis beruhen.
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Nach den vorstehenden Ausführungen – insbesondere der Rechtsprechung des BSG –
haben die Träger der Grundsicherungsleistung und damit hier die Beklagte die
Möglichkeit, sich für die Festlegung der Angemessenheitsgrenze an qualifizierten
Mietspiegeln zu orientieren oder aufgrund eigener hinreichend stichhaltiger
Erkenntnisse den abstrakt als angemessen anzusehenden Mietzins für den örtlichen
Vergleichsbereich festzulegen (vgl. Urteil vom 07.11.2006, Az: B 7 b AS 18/06 R Rz.
23). Der von der Beklagten hier herangezogene Wert von 3,94 Euro steht aber weder mit
den Feststellungen des einschlägigen qualifizierten Mietspiegels in Einklang (dazu
unten (1)) noch beruht er auf anderen objektivierbaren Erkenntnissen bzw. einer
hinreichend sicheren Datenlage (vgl. im Ergebnis ebenso schon Urteil des
Sozialgerichts Duisburg vom 20.09.2007, Az: S 27 AS 357/05) (dazu unten (2)). Es
bedarf daher im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob der Grundsicherungträger
bei Vorliegen eines (qualifizierten) örtlichen Mietspiegels sogar verpflichtet sein könnte,
sich an diesem zu orientieren (so wohl Hessiches Landessozialgericht aaO, wofür
insbesondere im Hinblick auf die Vermutungsregelung des § 558 d Abs 3 BGB und die
tatsächlichen Schwierigkeiten, die sich bei der (nachträglichen) Ermittlung der
tatsächlichen Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarktes ergeben, auch einiges
spricht).
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(1) Was die Orientierung an dem einschlägigen qualifizierten Mietspiegel aus dem Jahr
2005 angeht, ist bereits methodisch zu beanstanden, dass die Beklagte den genannten
Wert nicht unmittelbar aus dem Mietspiegel hergeleitet, sondern sich an einem Betrag
orientiert hat, der vor Jahren im Bereich des öffentlich geförderten Wohnraums einen
Anspruch auf Aufwendungszuschuss (Härteausgleich) auslöste. Die Festsetzung knüpft
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damit nicht – wie dies nach den vorstehenden Ausführungen für eine Orientierung an
dem örtlichen Mietspiegel zu fordern ist – an die örtlichen Gegebenheiten des
Wohnungsmarktes, sondern an andere Kriterien an. Ferner rechtfertigt aus Sicht der
Kammer auch die Überlegung der Beklagten, dass sich unter Heranziehung der Ziffer
5.2 aus den Vorbemerkungen zu dem Mietspiegel 2005 der Wert von 3,94 Euro
rechnerisch als ein Betrag leicht unterhalb des Mittelwertes für einfache Wohnungen,
die vor 1948 bezugsfertig waren ergibt und damit formal innerhalb der Werte des
Mietspielgels liegt, nicht die Festsetzung dieser Angemessenheitsgrenze. Denn nach
den vorstehenden Ausführungen handelt es sich hierbei letztlich nur um eine eher
zufällige Übereinstimmung mit dem Mietspiegel. Zudem hat die Kammer (ebenso Urteil
der 27. Kammer vom 20.09.2007 aaO) erhebliche Zweifel, ob diese Reduzierung auf ein
Kleinstsegment im untersten Bereich des Mietspiegels den Vorgaben des BSG und
auch des BVerwG entspricht. Denn nach dieser Rechtsprechung ist nicht auf den
untersten, sondern den unteren Bereich der für vergleichbare Wohnungen am Wohnort
des hilfesuchenden marktüblichen Wohnungsmieten abzustellen (vgl. Lang in:
Eicher/Spellbrink, SGB II, § 22 Rz. 45 mwN). Es bestehen schließlich auch Bedenken
dagegen, ob das den Betroffenen durch die Festlegung des Beklagten zugebilligte
Marktsegment eine hinreichende Größe aufweist. Die in dem Widerspruchsbescheid der
Beklagten auf Seite 3 im 3. Absatz von oben dargestellte schätzweise Ermittlung des in
diesem Marktsegment angeblich vorhandenen Wohnungsbestandes von ca. 90.000 war
auch auf Nachfrage des Gerichts und Befragung der Zeugin Hackmann in keiner Weise
verifizierbar. Da insofern also keine nachprüfbaren Angaben über den konkreten
Wohnungsbestand in diesem Segment vorliegen, kann aus Sicht der Kammer dies auch
nicht zur Grundlage der Festsetzung einer Angemessenheitsgrenze gemacht werden,
die für zumindest alle Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften im Zuständigkeitsbereich
der Beklagten maßgebend ist. Dies gilt umso mehr, wenn man sich vor Augen führt,
dass schon nach den Angaben der Beklagten in ihrem Zuständigkeitsbereich im Jahr
2006 knapp 20.000 Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaften existierten und die erste
Zeile des Mietspiegels Wohnungen mit einer Größe von bis zu 50 qm erfasst, dem
Kläger unter Zugrundelegung des genannten Grenzwertes aber nur eine Wohnung mit
einer Größe von bis zu 45 qm zugestanden wird.
(2) Es liegen auch sonst keine hinreichend verlässlichen und validen Informationen vor,
die es gerechtfertigt erscheinen ließen, den von der Beklagten angenommen Wert von
3,94 Euro pro qm als angemessen anzusehen. In Übereinstimmung mit der
Rechtsprechung des Hessischen Landesozialgerichts (aaO) sind - gerade wenn es wie
hier um eine Abweichung von den Feststellungen eines qualifizierten Mietspiegels geht
- in diesem Zusammenhang Informationen über Mietangebote zu fordern, die zwar
möglicherweise auf einer schwächeren Datenbasis als ein (qualifizierter) Mietspiegel
beruhen, den örtlichen Wohnungsmarkt aber dennoch nachvollziehbar abbilden. Das ist
nur der Fall, wenn Angaben vorliegen über Wohnort, Wohnfläche sowie Netto- und
Bruttokaltmiete. Zu entnehmen sein muss außerdem der Anmietungszeitpunkt, da nicht
Bestands- sondern nur Angebotsmieten das Mietpreisniveau abbilden können, zu dem
eine Wohnung zu beschaffen ist. Ebenso müssen die Datenquellen und das
Erhebungsverfahren erkennbar sein, damit die Datenerhebung nachvollziehbar geprüft
werden kann. Die Datenerhebung hat durch den Grundsicherungsträger auch
fortlaufend und nicht nur sporadisch zu erfolgen. Eine Überprüfung muss regelmäßig - in
Anlehnung an die Regelungen der §§ 558 c Abs. 3 und 558 d Abs. 2 Satz 1 BGB -
spätestens alle zwei Jahre stattfinden.
33
Die von der Beklagten im Laufe des Verfahrens übersandten Tabellen und sonstigen
34
Informationen sowie die weiteren innerhalb dieses Klageverfahens gewonnenen
Ermittlungsergebnisse hinsichtlich der örtlichen Gegebenheiten des Wohnungsmarktes
in dem hier fraglichen Zeitraum sind aus Sicht der Kammer nicht hinreichend stichhaltig,
um vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen nachvollziehbare
Ansatzpunkte für die Festsetzung der Angemessenheitsgrenze auf einen Betrag von
3,94 Euro für Ein-Personen-Haushalte (bzw. Bedarfsgemeinschaften) zu liefern (Wie
sich die Daten- und Beweislage für größere Haushalte bzw. Bedarfsgemeinschaften im
Zuständigkeitsbereich des Beklagten darstellt, ist nicht Gegenstand der vorliegenden
Entscheidung). Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus den von der
Beklagten zur Verfügung gestellten Tabellen zwar eine durchaus nennenswerte Anzahl
von Wohnungen innerhalb der von der Beklagten angenommen
Angemessenheitsgrenze, die ihm auch konkret zumutbar gewesen wären. Aus Sicht der
Kammer ist aber insbesondere nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Termin zur
mündlichen Verhandlung nicht davon auszugehen, dass allein auf Grundlage dieser
eher stichprobenhaft und wenig fundiert geführten Listen die Annahme eines
Grenzwertes von 3,94 Euro gerechtfertigt werden könnte. Denn zum Einen ist nicht
erkennbar, für welchen Zeitraum sich die in den Listen geführten Wohnungen
tatsächlich im Angebot befunden haben und ob diese in dem hier fraglichen Zeitraum
überhaupt noch verfügbar gewesen sind. Insofern fehlt es insbesondere nach den
Ausführungen der Zeugin Frau Hackmann im Termin zur mündlichen Verhandlung an
jeglicher internen Kontrolle des Beklagten bzw. des Amtes für Soziales und Wohnen
des Oberbürgermeisters der Stadt Duisburg, ob die Wohnungen noch konkret auf dem
Wohnungsmarkt vorhanden sind oder nicht. Des Weiteren ergeben sich aus der von der
27. Kammer des Sozialgerichts Duisburg beigezogenen "Sonderauswertung aus der
Wohnungsmarktbeobachtung NRW auf Basis einer Zeitungsanalyse" aus dem Jahr
2007 (basierend auf einer umfassenden Auswertung von Zeitungsinseraten an drei
Wochenenden im Herbst 2005 und Frühjahr 2006 - also betreffend den hier fraglichen
Zeitraum), die von der Wohnungsbauförderungsanstalt Nordrhein-Westfalen (Wfa)
durchgeführt wurde, erhebliche Zweifel daran, ob der von der Beklagten letztlich nur
gegriffene Wert von 3,94 Euro auf einer validen Grundlage beruht. Dabei ist zunächst zu
berücksichtigen, dass es keine fassbaren Zahlen über potenzielle "Nachfrager" in
diesem Marktsegment gibt. Denn mit Betroffenen aus dem "Hartz-IV-Bereich
konkurrieren um Wohnungen in diesem Segment auch andere Alleinstehende mit
geringen Einkünften und ähnlichem Bedarf – beispielsweise Studenten oder
Erwerbstätige mit geringem Einkommen sowie Rentner. Zudem ergibt sich aus der
Auswertung der Wfa, dass in dem hier fraglichen Zeitraum in den Zeitungsannoncen
kleine Wohnungen insgesamt nur 10 % des Gesamtangebotes ausmachten und unter
zusätzlicher Berücksichtigung der Angemessenheitsschwelle der Beklagten lediglich 89
"angemessene" Wohnungen an den drei Wochenenden am Markt zur Verfügung
standen. Vor diesem Hintergrund kommt die Auswertung nachvollziehbarerweise zu
dem Ergebnis, dass absolut und in Bezug auf den zahlenmäßig hohen Anteil von Ein-
Personen-Bedarfsgemeinschaften, der nach Angaben der Beklagten über 50 % der
Hartz-IV-Empfänger ausmachte, das Angebot recht gering gewesen sei. Dies gilt um so
mehr, wenn man die Erkenntnisse der Wfa berücksichtigt, wonach der weit
überwiegende Teil - wohl etwa um die 70 % - der Mietwohnungen auf dem freien
Wohnungsmarkt über Zeitungsannoncen vergeben wird und das Internet hier noch eine
relativ geringe Bedeutung hat. Auch der durch das Gericht bei dem "ivd" beigezogene
Mietpreisspiegel für den Bereich der Stadt Duisburg aus den Jahren 2000 bis 2006, aus
dem sich die Höhen der in dem fraglichen Zeitraum abgeschlossenen neuen
Mietverträge ergeben, kann den von der Beklagten zugrunde gelegten Wert von 3,94
Euro nicht stützen, da sich die Auswertung lediglich auf Wohnungen mit ca. 70 qm
Wohnfläche bezieht und somit für den hier fraglichen Bereich der Wohnungen bis zu 45
qm keine Aussagekraft hat.
(3) Nach alledem hat sich aus Sicht der Kammer mangels anderer hinreichend
schlüssiger und nachvollziehbarer Erkenntnisse die Festsetzung der abstrakten
Angemessenheitsgrenze an dem einschlägigen Mietspiegel für das Jahr 2005 zu
orientieren. Bei sachgerechter Einschätzung der sich aus dem Mietspiegel 2005
ergebenden Werte kann nach Auffassung der Kammer für den hier fraglichen Zeitraum
von Mai bis Oktober 2006 ein (Grund-)Mietzins in Höhe von 4,33 Euro pro qm zugrunde
gelegt werden. Da nach den vorstehenden Ausführungen (s.o. 1), a), bb)) zumindest
wesentliche Teile des Stadtgebietes den örtlichen Vergleichsmaßstab bilden, hat die
Kammer jedenfalls im vorliegenden Fall auch keine Bedenken dagegen, den
Mietspiegel, der sich auf das gesamte Stadtgebiet bezieht, ohne innerörtliche
Differenzierung bzw weitere Sachaufklärung ihrer Beurteilung zugrunde zu legen. Was
die Ermittlung der konkreten Höhe der Angemessenheitsgrenze anhand des
Mietspiegels angeht, hält es die Kammer im Hinblick auf die dargestellten
unvermeidbaren Unschärfen bei der der Mietpreisbildung sowie der unklaren Anzahl
sowohl der dem Markt konkret zur Verfügung stehenden Wohnungen als auch der
Bewerber um solche Wohnungen auf Nachfrageseite für gerechtfertigt, die Werte des
Mietspiegels der Gruppen I. bis IV. zu berücksichtigen, womit es dem Betroffenen
ermöglicht wird, Wohnungen bis zu einer Bezugsfertigstellung im Jahre 1984
anzumieten. Die Kammer hält dies mit dem Grundsatz für vereinbar, dass Empfängern
von Transferleistungen nach der Rechtsprechung nur Wohnungen im unteren – nicht
untersten – Bereich vergleichbarer Wohnungen im örtlichen Bezugsbereich zugänglich
sein müssen. Die in dem einschlägigen Mietspiegel vorgenommene Aufteilung nach
Wohnaltersgruppen stellt nicht vorrangig eine qualitative Staffelung der Wohnungen dar,
weil auch ältere, gut gepflegte Wohneinheiten einen besseren Wohnstandard bieten
können, als jüngere, weniger gut gepflegte. Auszuscheiden sind demnach nur solche
Wohneinheiten, bei denen der Gesichtspunkt der Wohnqualität im Vordergrund steht.
Dies sind aus Sicht der Kammer nur solche mit einer Bezugsfertigstellung ab dem Jahr
1984. Im Rahmen der bis 1984 bezugsfertig gewordenen Wohnungen erscheint es
gerechtfertigt, es den Betroffenen zu ermöglichen, Wohnungen zu suchen, die vom Preis
her bis an das Segment "normale Wohnlage" heranreichen. Dies kann rechnerisch
dadurch geschehen, indem man jeweils den untersten Wert in den jeweiligen Gruppen
für Wohnungen in normaler Wohnlage (dh hier 3,91 Euro - Gruppe I, 4,13 Euro - Gruppe
II, 4,48 - Gruppe III und 4,80 Euro - Gruppe IV) zugrunde legt. Die jeweiligen Werte sind
zu addieren und durch die Anzahl der Gruppen zu teilen, um hieraus einen
entsprechenden Mittelwert zu bilden. Die Betroffenen erhalten damit die Möglichkeit,
Wohnungen innerhalb des gesamten Segments einfacher Wohnungen in den
genannten Gruppen zu suchen und ggf. anzumieten. Die Kammer hält diese eher
großzügige Bemessung der Angemessenheitsgrenze auch deswegen für geboten, weil
sich zum Einen aus dem aktualisierten Mietspiegel nach § 558 d BGB vom 01.11.2007
für den Bereich der Stadt Duisburg indiziell ergibt, dass es zumindest in den unteren
Baualtersgruppen zu einer Erhöhung des örtlichen Mietpreisniveaus gekommen ist (im
Bereich der normalen Wohnlagen in der Gruppe I um 0,11 Euro, im Bereich der
normalen Wohnlagen der Gruppe II um 0,14 Euro vom Mittelwert) und zum Anderen
gewährleistet sein muss, dass alle Hilfeempfänger jederzeit auf dem örtlichen
Wohnungsmarkt eine unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles
kostenangemessene, bedarfsgerechte menschenwürdige Unterkunft anmieten können
(Berlit in: LPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 22 Rz. 37 mwN).
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b) Die Kammer hat keine Zweifel daran, dass im Rahmen der zweiten Stufe, dh der
Prüfung, ob dem Kläger zu dem als angemessen angesehenen Mietzins eine Wohnung
konkret verfügbar gewesen wäre, hinreichende Angebote vorgelegen haben. Hierzu
stützt sie sich auf die für diesen Zweck hinreichend plausiblen von der Beklagten
vorgelegten Listen und die von ihr dem Kläger konkret gemachten Mietangebote sowie
darauf, dass der Kläger inzwischen auch tatsächlich eine Wohnung bewohnt, die im
Rahmen der hier nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigenden
Angemessenheitsgrenze liegt, aber die Angemessenheitsgrenze der Beklagten
überschreitet.
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Demnach war der Mietzins, den der Kläger in dem fraglichen Zeitraum zu entrichten
hatte, tatsächlich unangemessen im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB II.
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2) Dennnoch steht ihm für den fraglichen Zeitraum eine Übernahme der vollen
tatsächlich angefallenen Kosten durch die Beklagte zu. Denn ihm war es gem § 22 Abs
1 S 2 in der bis zum 31.07.2006 gültigen Fassung nicht möglich bzw. zumutbar, die
Aufwendungen für die Unterkunfts- und ggf. Heizkosten auf das angemessene Maß zu
senken. Dies ergibt sich daraus, dass die Beklagte ihn nach den vorstehenden
Ausführungen zu Ziffer 1) unzutreffend über die maßgebliche Angemessenheitsgrenze
der Unterkunftskosten informiert hat. Die Fehlerhaftigkeit der Senkungsauffordung ergibt
sich dabei jedoch nicht bereits aus dem Umfang der Angaben als solches. Insoweit
reicht es nach Auffassung der Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
BSG (vgl. Urteil vom 07.11.2006, Az: B 7 b AS 10/07 R Rz. 29 – zitiert nach Juris)
nämlich regelmäßig aus, wenn die Senkungsauffordung die Angabe des als
angemessen angesehenen Mietpreises enthält und erkennbar ist, auf welche
Mietbestandteile sich der angegebene Betrag bezieht. Die Senkungsauffordung, die
nicht gesetzliche Tatbestandsvoraussetzung für das Ingangsetzen der Frist nach § 22
Abs 1 S 2 aF SGB II ist, hat Aufklärungs- und Warnfunktion, damit der Hilfebedürftige
Klarheit über die aus Sicht des Leistungsträgers angemessenen Aufwendungen für die
Unterkunft und ggf. die Heizung und einen Hinweis auf die Rechtslage erhält. Diese
Voraussetzungen erfüllt der Hinweis in dem Schreiben der Beklagten vom 14.10.2005.
Insbesondere war für den Kläger erkennbar, dass es sich bei dem Wert um den Betrag
der Grundmiete einschließlich der Nebenkosten handelt, der regelmäßig auch Inhalt von
Mietangeboten in Zeitungen oder sonstigen Medien ist. Es war ihm damit auf Grundlage
dieses Hinweises grundsätzlich möglich und auch zumutbar, Bemühungen zur Suche
einer anderweitigen Unterkunft bzw. zur Senkung der Kosten für die bestehende
Unterkunft zu entfalten.
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Unzutreffend war lediglich die in der Senkungsaufforderung angegebene Höhe des
Mietzinses einschließlich der Nebenkosten. Aus diesem Grunde konnte der Kläger nur
nicht erkennen, in welchem Marktsegment er sich konkret um neuen Wohnraum zu
bemühen hatte. Er hat sich, wie er schriftsätzlich und auch im Termin zur mündlichen
Verhandlung für die Kammer glaubhaft und nachvollziehbar dargelegt hat, jedoch in
dem von der Beklagten gesetzten Rahmen – wenn auch örtlich beschränkt –
hinreichend intensiv um neuen kostengünstigeren Wohnraum bemüht. Unter
Berücksichtigung des unzutreffenden Hinweises war ihm daher eine Senkung der
Unterkunftskosten nicht zumutbar bzw. möglich (vgl. Sozialgericht Oldenburg,
Beschluss vom 28.11.2005, Az: S 47 As 787/05 ER; Sozialgericht Lüneburg, Beschluss
vom 01.03.2006, Az: S 25 AS 165/05 ER). Auch unter Berücksichtigung der von der
Beklagten gemachten nach ihren Angaben drei Mietangeboten, ergibt sich im Ergebnis
nichts anderes, da der Kläger insoweit hinsichtlich eines Angebotes unwiderlegt
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vorgetragen hat, dieses habe er nicht erhalten. Hinsichtlich des anderen Angebotes hat
er wiederum unwiderlegt und im Hinblick auf das Ergebnis der Ermittlungen betreffend
die von der Beklagten vorgelegten Listen verfügbaren Wohnraums für die Kammer
nachvollziehbar vorgetragen, dass er sich auf dieses Angebot bei der dortigen
Wohnungsbaugesellschaft gemeldet, die Wohnung aber nicht zur Vermietung zur
Verfügung gestanden habe. Im Hinblick auf die nicht der Rechtslage entsprechende
Mitteilung der Beklagten an den Kläger in dem Schriftsatz vom 02.01.2006, es könne
lediglich eine Umzugskostenpauschale von 92,00 Euro gewährt werden bzw darüber
hinaus sei eine weitere Gewährung von Umzugskostenbeihilfen keinesfalls möglich,
kann ihm schließlich im Hinblick auf das dritte Angebot auch nicht vorgehalten werden,
er habe dieses nicht angenommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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