Urteil des SozG Duisburg vom 10.02.2011

SozG Duisburg: zusicherung, eltern, heizung, angemessenheit der kosten, umzug, junger erwachsener, alleinstehende person, sozialer grund, unbestimmter rechtsbegriff, trennung

Sozialgericht Duisburg
Urteil vom 10.02.2011 (rechtskräftig)
Sozialgericht Duisburg S 5 AS 252/09
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 20.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
4.6.2009, sowie Abänderung des Bescheides vom 17.2.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.4.2009 verurteilt,
dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von
monatlich 231,00 EUR und für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2009 in Höhe von 351,00 EUR monatlich zu gewähren,
sowie für die Zeit vom 4.11.2008 bis einschließlich 31.1.2009 zusätzlich Leistungen der Unterkunft und Heizung in
Höhe von monatlich 337,50 EUR. 2. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens um die Höhe der dem Kläger für die Zeit vom
4.11.2008 bis 31.5.2009 zustehenden Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB
II).
Der 24jährige Kläger absolvierte im Jahre 2005 die Fachhochschulreife. Seitdem ist er arbeitssuchend. Nach eigenem
Bekunden hat er nach dem Schulabschluss den Anschluss an das reale Leben verloren und sich von der Welt
zurückgezogen. In der Zeit von Anfang bis Mitte 2005 hat er sich einer ambulanten psychiatrischen Therapie
unterzogen. Seither befindet er sich nicht mehr in Behandlung.
Der 1,96 cm große Kläger wohnte in einem ca. 15 qm großen und von Schimmel befallenen Kellerraum im Zwei-
Familienhaus seiner Eltern im Wintersellweg in Essen; die Deckenhöhe des Raumes betrug 1,80 cm. Die Eltern und
die erwachsene Schwester des Klägers bewohnten gemeinsam die ca. 65 qm große Erdgeschosswohnung des
Hauses. Die Wohnung in der oberen Etage ist ebenfalls ca. 65 qm groß und wird von der Großmutter des Klägers auf
Grund eines lebenslangen Wohnrechtes genutzt.
Die Mutter des Klägers bezog bis zum 31.12.2008 Kindergeld in Höhe von EUR 154,00 und ab dem 1.1.2009 in Höhe
von EUR 164,00. Das Kindergeld wurde an den Kläger weitergeleitet, ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge im
November und Dezember 2008 jedoch nur in Höhe von EUR 150,00.
Erstmalig am 4.11.2008 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen nach dem
SGB II. Zugleich legte er einen auf den 22.8.2008 datierenden Mietvertrag über seine jetzige Wohnung am W. 2 in E.
mit Mietbeginn zum 1.10.2008 vor. Der Mietvertrag war zunächst von der Mutter des Klägers unterschrieben, zum
1.10.2008 jedoch auf diesen umgeschrieben worden.
Die Wohnung am W. ist 40 qm groß. Die Warmmiete für die Wohnung betrug in der streitgegenständlichen Zeit EUR
352,00 bestehend aus einer Grundmiete in Höhe von EUR 232,00 monatlich, Heizkosten in Höhe von EUR 70,00 und
Nebenkosten in Höhe von EUR 50,00 monatlich.
Im Rahmen einer persönlichen Vorsprache vom 2.12.2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Zustimmung
zum Umzug. Das Jugendamt würde den Umzug befürworten. Ausweislich der vom Kläger unterschriebenen
Verhandlungsniederschrift vom selben Tage wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass die Grundmiete von EUR
232,00 für einen 1-Personen-Haushalt unangemessen und daher bereits aus diesem Grunde keine Zustimmung zu
erteilen sei und insoweit für die Wohnung, die der Kläger dennoch beziehen wolle, weder die laufenden Kosten noch
die Beschaffungskosten übernommen würden.
Im Laufe des Monats Dezember 2008 zog der Kläger in die Wohnung am W. ein.
Mit Schreiben vom 11.2.2009 teilte das Jugendamt der Stadt E. der Beklagten mit, dass sich der Kläger dort
vorgestellt habe. Es ergäben sich jedoch keine Anhaltspunkte zur Gewährung von Jugendhilfe. Der Kläger wirke im
Gespräch zurückhaltend, habe aber klare Zukunftsperspektiven. Es bestünde kein Hilfebedarf.
Mit Bescheid vom 17.2.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.5.2009
Grundsicherungsleistungen unter Berücksichtigung des Kindergeldes in Höhe von lediglich 80 % der Regelleistung,
sowie keine Leistungen der Unterkunft und Heizung.
Mit Schreiben vom 18.2.2009 erklärte die Beklagte dem Kläger den Bewilligungsbescheid vom 17.2.2009
dahingehend, dass die gekürzte Auszahlung der Regelleistung und die Nichtgewährung von Leistungen der Unterkunft
und Heizung darauf zurückzuführen sei, dass der Kläger als unter 25jähriger ohne die nach dem Gesetz erforderliche
Zusicherung des Leistungsträgers umgezogen und für den Umzug auch kein schwerwiegender sozialer Grund zu
erkennen sei.
Gegen dieses Schreiben legte der Kläger unter dem 1.4.2009 "Einspruch" ein und begehrte die Überprüfung seiner
Leistungen. Seine Familie breche auseinander. Die Mutter sei in ein kleines, möbliertes Appartement gezogen. Ihm
sei bei der Vorsprache vom 2.12.2008 eine mündliche Zusicherung erteilt worden.
Mit Aufhebungsbescheid vom 6.4.2009 hob die Familienkasse rückwirkend die Bewilligung von Kindergeld für die Zeit
vom 1.1.2009 bis 31.3.2009 auf und verlangte zugleich die Erstattung von EUR 492,00.
Aufgrund Bescheides vom 9.4.2009 kürzte die Beklagte die Regelleistung des Klägers wegen des Vorwurfes eines
Meldeversäumnisses für die Zeit vom 1.5.2009 bis 31.7.2009 um 10 %, im in die streitgegenständliche Zeit fallenden
Monat Mai 2009 konkret um EUR 28,00. Der Sanktionsbescheid ist bestandskräftig geworden.
Unter dem 17.4.2009 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Weiterbewilligungsantrag für die Zeit ab dem 1.6.2009.
Mit Bescheid vom 20.4.2009 lehnte die Beklagte den Überprüfungsantrag vom 1.4.2009 ab. Der Bescheid vom
17.12.2009 sei nicht zu beanstanden. Die Voraussetzungen einer rückwirkenden Anpassung für die Vergangenheit
lägen nicht vor. Die vom Kläger unterzeichnete Verhandlungsniederschrift belege, dass gerade keine Zusicherung
erteilt und der Kläger über die Unangemessenheit der Wohnung informiert worden sei.
Aufgrund Änderungsbescheides vom 21.4.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger bereits unter Berücksichtigung des
Fortfalles des Kindergeldes für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
in Höhe von EUR 281,00 und für den Monat Mai 2009 unter Berücksichtigung der Sanktion in Höhe von EUR 253,00.
Gegen den Bescheid vom 20.4.2009 legte der Kläger unter dem 28.4.2009 Widerspruch ein. Er sei nicht genügend
über die Folgen eines Verzichtes auf die Mietübernahme aufgeklärt worden. Seine Eltern seien nicht zahlungsfähig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4.6.2009 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die vom Kläger
bezogene Wohnung sei unangemessen, das Jugendamt habe die Notwendigkeit einer eigenen Wohnung nicht
bestätigt und das Auseinanderbrechen der Familie rechtfertige den Umzug ohne Zusicherung ebenfalls nicht, da der
Kläger nach wie vor bei einem Elternteil leben könne.
Mit seinem unter dem 28.5.2010 bei Gericht eingegangen Gesuch um einstweiligen Rechtsschutz hat der Kläger die
Übernahme der vollen Grundsicherungsleistungen beantragt. Dort machte er geltend, er sei über die Trennung seiner
Eltern depressiv geworden. Das Jugendamt habe seiner Mutter zur Anmietung einer eigenen Wohnung für ihn geraten,
da er so gezwungen sei, das Haus zu verlassen, um sich zu versorgen. Seine Eltern seien für ihn nicht mehr
unterhaltspflichtig. In den schimmeligen Keller seines Vaters könne er nicht zurückziehen. Das Eilverfahren war bei
der erkennenden Kammer unter dem Aktenzeichen S 5 AS 2109/10 ER anhängig. Das Verfahren endete durch
bestandskräftigen abweisenden Beschluss vom 25.6.2010. Die Akten zum Verfahren wurden beigezogen.
Mit seiner unter dem 1.7.2009 bei Gericht eingegangenen Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 4.6.2009
verfolgt der Kläger sein Anliegen weiter. Zur Begründung führt er aus, er könne nicht mehr bei seinen Eltern wohnen.
Die Mutter sei zum 1.3.2009 in ein 28 qm großes Ein-Raum-Appartement gezogen, wo sie bis einschließlich Mai 2010
gewohnt habe; mittlerweile sei sie zum 1.6.2010 in eine 64 qm große 3-Zimmer-Wohnung gezogen, bei der sie aus
beruflichen Gründen ein Zimmer als Büro nutzen müsse. Der Vater sei gemeinsam mit der erwachsenen Schwester in
der Erdgeschosswohnung des Zweifamilienhauses verblieben. Diese Wohnung verfüge weder über ein Schlaf- noch
ein Kinderzimmer für ihn. Der Kellerwohnraum sei wegen des Schimmelbefalles unzumutbar. Die Zusicherung der
Behörde habe wegen der Trennung der Eltern nicht vorher eingeholt werden können. Die Sanktion für den Monat Mai
2009 und die Höhe der Regelleistung für diesen Monat akzeptiere er.
Der Kläger beantragt zuletzt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.4.2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 4.6.2009, sowie Abänderung des Bescheides vom 17.2.2009 und des
Änderungsbescheides vom 21.4.2009 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.12.2008 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich 231,00 EUR und für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2009 in
Höhe von 351,00 EUR monatlich zu gewähren, sowie für die Zeit vom 4.11.2008 bis einschließlich 31.1.2009
zusätzlich Leistungen der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 337,50 EUR.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verweist auch im Klageverfahren auf die Begründung in ihrem Widerspruchsbescheid. Ergänzend trägt
sie vor, dass weder nachgewiesen sei, dass das Jugendamt den Umzug befürwortet habe noch dieser gesundheitlich
bedingt sei. Die Zustimmung zum Umzug sei zu Recht verweigert worden und auch nicht zu erteilen gewesen. Es sei
nicht einzusehen, wieso jahrelang vier Personen in der Erdgeschosswohnung des Wohneigentums hätten leben
können und nun nicht einmal mehr drei. Abgesehen davon, sei die vom Kläger bewohnte Wohnung unangemessen
teuer. Die maximale zu gewährende Kaltmiete für einen Ein-Personen-Haushalt in Essen läge bei EUR 217,50.
Aufgrund Änderungsmietvertrages vom 20.7.2010 hat der Vermieter des Klägers die Grundmiete ab August 2010 auf
EUR 217,50 reduziert.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Eltern des Klägers, der Zeugin S. E. (S) und des Zeugen H.
E. (H). Auf die Sitzungsniederschrift vom 10.2.2011 wird insoweit Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den der
beigezogenen Akte der Beklagten, sowie des beigezogenen Verfahrens S 5 AS 2109/10 ER Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist begründet.
I. Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 20.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2009,
mit dem die Beklagte die Korrektur des die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.5.2009 betreffenden bestandskräftigen
Bewilligungsbescheides vom 17.2.2009 abgelehnt hat. Hiergegen wendet sich der Kläger zulässiger Weise mit der
kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 29.9.2009 – B 8 SO 16/08 R
unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) nach § 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 und Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Dabei war bereits deswegen davon auszugehen, dass auch der die Zeit vom 1.1.2009 bis 31.5.2009 erfassende
Änderungsbescheid vom 21.4.2009 Gegenstand des Überprüfungsverfahrens geworden ist, weil er den Bescheid vom
17.2.2009 mit Wirkung ab dem 1.1.2009 ausdrücklich ersetzt hat. Auch dieser Bescheid ist als solcher
bestandskräftig geworden, da der Kläger hiergegen nicht mehr gesondert vorgegangen ist.
Streitgegenständlicher Zeitraum war entsprechend die von den zur Überprüfung gestellten Bewilligungsbescheiden
erfasste Zeit vom 4.11.2008 bis 31.5.2009.
Inwieweit die den Monat Mai 2009 erfassende Sanktion aufgrund des bestandskräftigen Sanktionsbescheides vom
9.4.2009 über den umsetzenden Änderungsbescheid vom 21.4.2009 ebenfalls noch Verfahrensgegenstand werden
konnte (vgl. zur Reichweite des Dogmas vom Höhenstreit BSG, Urteil vom 22.3.2010 – B 4 AS 68/09 R Rn. 9 unter
Bezugnahme auf Urteile zum SGB III unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) kann dahinstehen, da der Kläger in der
Sitzungsniederschrift vom 10.2.2011 ausdrücklich erklärt und seinen Klageantrag dahingehend beschränkt hat, dass
er diese Sanktion und die Höhe der Regelleistung für Mai 2009 nicht angreifen wolle; diese Beschränkung des
Klagegegenstandes ist auch nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung zulässig, da es sich bei der Festsetzung
der Höhe der Regelleistung für einzelne Monate um eine abtrennbare Verfügung handelt (vgl. BSG, Urteile v.
18.2.2010, B 14 AS 73/08 R Rn.17 und B 29/09 R Rn. 11; Urteil v. 7.11.2006, B 4 AS 68/09 R Rn. 9, je unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
II. Der Bescheid vom 20.4.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2009 war aufzuheben und der
ursprüngliche Bescheid vom 17.2.2009 und der Änderungsbescheid vom 21.4.2009 waren unter gleichzeitiger
Verurteilung der Beklagten zur Gewährung höherer Leistungen nach Maßgabe von § 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1
und Abs. 4 SGG abzuändern.
Danach ist ein Verwaltungsakt aufzuheben bzw. abzuändern und zugleich eine Verurteilung zu einer Leistung
vorzunehmen, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und auf die Leistungsgewährung ein Rechtsanspruch besteht.
Diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Ablehnung des Überprüfungsantrages aufgrund Bescheides vom 20.4.2009
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4.6.2009 war rechtswidrig. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom
17.2.2009 und der Änderungsbescheid vom 21.4.2009 waren insoweit abzuändern, als dem Kläger für die Zeit vom
4.11.2008 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von monatlich EUR 231,00
zustanden und für die Zeit vom 1.1.2009 bis 30.4.2009 in Höhe von monatlich EUR 351,00, sowie für die Zeit vom
4.11.2008 bis einschließlich 31.1.2009 zusätzlich Leistungen der Unterkunft und Heizung in Höhe von EUR 337,50
monatlich.
Im Einzelnen:
1. Der Bewilligungsbescheid vom 17.2.2009 und der Änderungsbescheid vom 21.4.2009 waren gem. § 44 Abs. 1 S. 1
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) insoweit abzuändern, als dem Kläger ein Leistungsanspruch im begehrten
Umfang zustand.
Nach § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig
angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb
Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.
Diese Voraussetzungen sind hinsichtlich der bestandskräftigen Bescheide vom 17.2.2009 und 21.4.2009 insoweit
erfüllt, als die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.4.2009 zu Unrecht nur 80 % der Regelleistung
bewilligt und in der Zeit vom 4.11.2008 bis 31.1.2009 keine Kosten der Unterkunft und Heizung gewährt hat.
a) Der Kläger war im streitgegenständlichen Zeitraum zunächst grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem SGB II. Er
erfüllt die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 19 S. 1 SGB II. Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II erhalten
Grundsicherungsleistungen Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet
haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind, sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Der 24jährige Kläger, mit gewöhnlichem Aufenthalt in E., war hilfebedürftig
im Sinne des § 9 Abs. 1 SGB II, weil er seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und
Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit, aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern konnte und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von
Trägern anderer Sozialleistungen erhielt. Im streitgegenständlichen Zeitraum lag auch keine Erwerbsunfähigkeit vor.
Insoweit stand dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes
einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung gem. §§ 19, 20 Abs. 2 SGB II zu.
b) Die Voraussetzungen für eine Kürzung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalt in der Zeit vom 4.11.2008
bis 31.4.2009 auf 80 % und eine völlige Versagung der Kosten für Unterkunft und Heizung in der Zeit vom 4.11.2009
bis einschließlich 31.1.2009 lagen nach Ansicht der Kammer nicht vor.
Nach § 20 Abs. 2a SGB II erhalten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne
Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a SGB II umziehen, abweichend von § 20 Abs. 2
S. 1 SGB II bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur 80 vom Hundert der Regelleistung.
§ 22 Abs. 2a SGB II sieht ergänzend vor, dass Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach dem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur
erbracht werden, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat.
Zwar ist eine ausdrückliche Zusicherung vorliegend nicht gegeben. Die Sitzungsniederschrift vom 2.12.2008 steht
insbesondere der Annahme einer mündlichen Zusage entgegen, da sie im Gegenteil ausdrücklich besagt, dass die
Zusicherung nicht zu erteilen war und ein Umzug daher auf eigenes Risiko erfolgt.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für die erkennende Kammer jedoch fest, dass die Beklagte zur
Zusicherung verpflichtet gewesen wäre.
Eine Zusicherungspflicht besteht nach § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II, wenn (1) der Betroffene aus schwerwiegenden
sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern verwiesen werden kann, (2) der Bezug der Unterkunft zur
Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder (3) ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt. Unter
diesen Umständen kann nach § 22 Abs. 2a S. 3 SGB II vom Erfordernis der Zusicherung abgewichen werden, wenn
es dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen.
Diese Voraussetzungen sind im Falle des Klägers gegeben.
aa) Die Kammer geht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon aus, dass dem Kläger aus schwerwiegenden
sozialen Gründen im Sinne von § 22 Abs. 2a S. 2 Nr. 1 SGB II der Verbleib in der elterlichen Wohnung bzw. den
elterlichen Wohnungen nicht zugemutet werden konnte.
Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Regelung des § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II bereits ihrem Wortlaut nach eine
Härtefallregelung darstelt. Allein dem Begriff "schwerwiegend" ist zu entnehmen, dass nur durchschnittliche soziale
Umstände für eine Verpflichtung zur Zusicherung nicht ausreichen, vielmehr müssen die sozialen Gründe ein
erhebliches Gewicht erreichen (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06.11.2007 – L 7 AS 626/07; LSG
Berlin-Brandenburg, Urteil vom 31.08.2007 – L 5 AS 29/06, je unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Entsprechend hat
das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 2.6.2004 ausgeführt, dass schwerwiegende soziale
Gründe in der Regel erst dann vorlägen, wenn Eltern und ein volljähriges Kind nach lang währenden tief greifenden
Auseinandersetzungen übereinstimmend das Zusammenleben in einer gemeinsamen Wohnung ausschlössen (B 7 AL
38/03 R zitiert nach juris zu § 64 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – SGB III -; zur Übertragbarkeit auf
§ 22 Abs. 2a S. 2 SGB II vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 31.8.2007 – L 5 AS 29/96 unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Kammer geht jedoch davon aus, dass bei der Familie des Klägers ein solches tiefgreifendes Zerwürfnis und
schwerwiegende Gesamtumstände vorliegen, die das weitere Zusammenleben in einer Wohnung ausschließen:
(1) Zunächst lebte die Familie bereits räumlich beengt. Die elterliche Wohnung wies kein eigenes, vom Wohnzimmer
getrenntes Schlafzimmer und nur ein von der erwachsenen Schwester des Klägers derzeit noch bewohntes
Kinderzimmer auf. Der Kläger verbrachte seine Kindheit in einem 15 qm großen Kellerraum mit einer Deckenhöhe von
1,80 cm, was die Kammer bei einer mittlerweile vom Kläger erreichten Körpergröße von 1,96 cm bereits für
unzumutbar hält. Abgesehen davon geht die Kammer davon aus, dass es dem Kläger nicht möglich war, in dem
schimmelbefallenen Keller soziale Kontakte zu pflegen, wie es für die Persönlichkeitsentfaltung von Kindern und
jungen Erwachsenen angemessen gewesen wäre.
(2) Zum anderen war das familiäre Klima nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stark belastet und belastend. Im
speziellen Fall der Familie des Klägers handelt es sich zwar nicht um eine von Aggressionen und Handgreiflichkeiten
geprägte Zerrüttung als etwas nach außen Tretendes, sondern eine auf Schweigen und emotionale Kälte basierende
und sich daher nach innen wendende Entfremdung. Die psychischen Folgen, die durch eine solche familiäre
Gleichgültigkeit, Isolation und fehlende Bindung insbesondere bei einem jungen Erwachsenen entstehen, hält die
Kammer für nicht weniger gravierend als die Folgen lautstarker Auseinandersetzungen und Gewalttätigkeiten.
Dass die Familie des Klägers in solchen Umständen einer eher "seelischen Grausamkeit" gelebt hat, haben der
Kläger selbst und die beiden Zeugen übereinstimmend bekundet. Der Kläger gab an, dass man sich über Jahre "auf
engstem Raum auseinandergelebt habe". Der Zeuge H erklärte, man sei sich "aus dem Weg gegangen", Reden sei
nicht "die Stärke" der Familie gewesen. Seine Ehefrau, die Zeugin S gab an, es habe "kein Familienleben" gegeben,
man habe in "unerträglichen Spannungen aneinander vorbeigelebt" und alles "runtergeschluckt". Dies habe
insbesondere den empfindsamen Kläger sehr belastet, der sich seit 2005 von der Außenwelt zurückgezogen und bis
2008 unter Depressionen als Folge seiner Gesamtlebensumstände gelitten hatte.
(3) Zu der räumlichen und familiären Grundsituation traten die von der Zeugin S ausgehenden Trennungsabsichten
bezüglich ihres Ehemannes hinzu. Die Zeugin S hat glaubhaft dargetan, dass sie allein das Bindeglied in der Familie
war und es ihr aus diesem Grunde wichtig war, dass ihr Sohn eine zumutbare Bleibe hatte, bevor sie selbst auszog, in
ihren Worten, um "als Letzte das sinkende Schiff zu verlassen." Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die Zeugin S
selbst erst zum März 2009 ausgezogen ist, während die Wohnung für den Kläger bereits im Oktober 2008 angemietet
wurde. Allerdings geht die Kammer davon aus, dass eine exakte Planbarkeit in einer eher emotional gesteuerten
Trennungssituation vermutlich nicht besteht. Die Zeugin S hat glaubhaft dargetan, dass dem Vater die Kinder
gleichgültig waren und es zwischen diesem und den Kindern weder eine Kommunikationsebene noch Verständnis gab.
Für die Kammer hat sich die das Verhältnis zwischen Vater und Sohn kennzeichnende Gleichgültigkeit eindrucksvoll
in der Tatsache manifestiert, dass der schimmelbefallene Keller in all den Jahren, in denen der Kläger dort als Kind,
Teenager und junger Erwachsener gelebt hat, trotz "massiven Befalles" wie der Vater selbst eingeräumt hat und die
zu den Akten gereichten Fotos nachhaltig bestätigen, keiner grundlegenden Schimmelbeseitigungsmaßnahme
unterzogen wurde. Diese fand vielmehr erst zu einem Zeitpunkt statt, als der Kläger bereits ausgezogen war. Dabei
hat die Zeugin S überzeugend geschildert, dass jegliche Verschönerungsmaßnahmen am Widerstand des Vaters
gescheitert seien, seit ihrer Trennung "eskaliere" der optische Zustand der ehemaligen Familienwohnung förmlich.
Dass es für eine Mutter vor dem Hintergrund der räumlichen und der persönlichen Situation zwischen dem Kläger und
dem Zeugen H unvorstellbar war, den Kläger mit dem Vater alleine zu lassen, hielt die Kammer für glaubhaft. Die
Zeugin S gab an, sie hätte den Kläger nicht allein lassen können, weil sie Angst gehabt habe, dass "etwas passiert".
Der Kläger selbst schilderte die Aussicht auf ein Zusammenleben mit dem Vater als "Hölle auf Erden". Die Tatsache,
dass der Zeuge H selbst geäußert hat, dass der Kläger notfalls, aber "nicht idealer Weise" hätte "auf der Couch"
schlafen können und er ihn jedenfalls nicht "vor die Türe gesetzt" hätte, relativiert die übereinstimmenden Aussagen
von Mutter und Sohn nicht entscheidend. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass es Vater und
erwachsenem Sohn bereits generell nicht und unter Berücksichtigung des entfremdeten Verhältnis erst recht nicht
zumutbar war, Wohn- und Schlafzimmer zu teilen.
Eine Alternative, dass der Kläger in den schimmelbefallenen Keller mit der niedrigen Decke zurückgekehrt wäre, war
für die Kammer nicht ersichtlich und zwar unabhängig davon, wie viele Jahre der Kläger es dort vorher mehr oder
weniger ausgehalten hat.
Zu dem Zeitpunkt als die Mutter bereits ausgezogen war, hat sich nach Auffassung der Kammer auch keine
Möglichkeit des Zusammenlebens mit dem Kläger eröffnet, weil die Zeugin S von März 2009 bis einschließlich Mai
2010 in einer 28 qm großen Ein-Raum-Wohnung gelebt hat. Der zum 1.6.2010 erfolgte Umzug in eine ca. 65 qm große
Drei-Raum-Wohnung ändert daran nichts. Es kann dahinstehen, ob angesichts des Verhältnis von Mutter und Sohn
und unter Berücksichtigung dieser größeren Wohnung ein Zusammenleben möglich gewesen wäre. Das Anmieten der
größeren Wohnung war in der streitgegenständlichen Zeit weder erfolgt noch absehbar und daher nicht in die
rückwirkende Beurteilung im Rahmen von § 44 SGB X einzubeziehen. Aus den Aussagen der Eltern hat sich vielmehr
ergeben, dass die größere Wohnung über ein Jahr später und außerhalb der streitgegenständlichen Zeit deswegen
angemietet wurde, weil das Ehepaar nach einer probeweisen Trennung nunmehr die endgültige Trennung beschlossen
hatte.
Die Kammer ist sich im Klaren darüber, dass der Beklagten die gewisse Koinzidenz zwischen dem Erstantrag auf
Grundsicherungsleistungen und dem Auszug des Klägers unglücklich erscheinen mag und das Vorgehen der Familie
aus Sicht des Steuerzahlers sicherlich nicht als ökonomisch zu beurteilen ist. Zu untersuchen ist jedoch allein, ob die
Situation es rechtfertigt, dem hilfebedürftigen Kläger, der der elterlichen Trennung letztlich ausgeliefert war, die
Regelleistung nachhaltig zu kürzen und die Unterkunftskosten ganz zu versagen.
Aufgrund der Gesamtumstände steht für die Kammer fest, dass es sich vorliegend nicht um einen solchen Fall
handelt, den die Regelung des § 22 Abs. 2a SGB II ihrem Zweck nach verhindern soll. Die Vorschrift ist geschaffen
worden, um zu vermeiden, dass junge Erwachsene, die ohne weiteres noch bei den Eltern leben könnten, die Anzahl
der Bedarfsgemeinschaften erhöhen und auf Kosten der Allgemeinheit eine eigene Wohnung beziehen bei
gleichzeitigem Bezug der vollen Regelleistung (BT-Drs. 16/688, S. 14).
Zur Überzeugung der Kammer hat die Mutter des Klägers die Wohnung am W. hingegen nicht zum Zwecke der
Gründung eines eigenen Haushaltes ihres Sohnes auf Kosten der Steuerzahler angemietet, sondern aus einer
ungeklärten, belastenden familiären Notsituation und in Unkenntnis der einschlägigen Grundsicherungsvorschriften.
Der Schimmelbefall, die niedrigen Decken, die psychische Vorgeschichte des Klägers und die familiäre
Gesamtsituation erfüllen nach alledem den Tatbestand eines Härtefalles, der die Beklagte zur Zustimmung zum
Umzug verpflichtet hätte.
bb) Aus denselben als wichtig zu erachtenden Gründen war es dem Kläger auch im Sinne von § 22 Abs. 2a S.3 SGB
II unzumutbar, die Zustimmung der Beklagten vor Abschluss des Mietvertrages einzuholen. Dies gilt insbesondere
deswegen, weil es sich bei der Anmietung der Wohnung nach dem Eindruck der Kammer um eine emotional geprägte
kurzfristige Entscheidung der Mutter gehandelt hat, die den Kläger mehr oder weniger vor vollendete Tatsachen
gestellt hat. Für die Kammer war nicht ersichtlich, dass der Kläger im Vorfeld in den Entscheidungsprozess der
Anmietung eingebunden wurde. Nach eigenem Bekunden dachte er sogar, die Mutter hätte die Wohnung am
Westbergkamp zunächst für sich selbst angemietet. Vielmehr hatte der Kläger am Ende nur die Wahl, die Wohnung
am Westbergkamp zu beziehen oder aber der Aussicht entgegenzusehen, nach dem Auszug der Mutter im
schimmeligen Keller der väterlichen Wohnung zu verbleiben.
c) Aufgrund der Nichtanwendbarkeit von §§ 20 Abs.2a und 22 Abs.2a verbleibt es bei den allgemeinen Regelungen:
aa) Demnach stand dem Kläger in der Zeit vom 4.11.2008 bis 31.4.2009 dem Grunde nach die volle Regelleistung
gem. § 20 Abs. 1 SGB II ausgehend von dem in dieser Zeit gültigen auf den Monat bezogenen Satz von EUR 351,00
zu (für November 2008 entsprechend anteilig für 26 Tage).
bb) Kosten für Unterkunft und Heizung standen dem Kläger in der Zeit vom 4.11.2008 bis 31.1.2009 dem Grunde nach
in Höhe von insgesamt EUR 337,50 auf den Monat bezogen zu (für November 2008 entsprechend anteilig für 26
Tage), ausgehend von einer angemessenen Kaltmiete von EUR 217,50, sowie den tatsächlichen Heizkosten von EUR
70,00 und Nebenkosten in Höhe von EUR 50,00.
Das Nichtvorliegen der Voraussetzungen von § 22 Abs.2a SGB II führt nicht zur Übernahmefähigkeit der
tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung. Vielmehr ist ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal von §§ 22 Abs.
2a und 20 Abs. 2a SGB II die Angemessenheit der Unterkunftskosten (vgl. Lang/Link in Eicher/Spellbrink, 2. Aufl.
2008, § 22 Rn. 80 u). Bei Vorliegen eines die Zusicherungspflicht auslösenden Härtefalles geht die Kammer daher
davon aus, dass der Leistungsträger nur zur Zusicherung der künftigen Übernahme der angemessenen
Unterkunftskosten im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II verpflichtet ist. § 22 Abs. 2a S. 2 SGB II überspielt insoweit nicht
die allgemeinen Voraussetzungen und Grenzen der Berücksichtigung von Unterkunftskosten (so ausdrücklich Berlit
in: LPK-SGB II, 3. Auf. 2009, § 22 Rn. 97; SG Berlin, Beschluss v. 16.2.2006 – S 37 AS 1301/06 ER zitiert nach
juris; vgl. auch BSG, Urteil vom 6.5.2010 - B 14 AS 7/09 R unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II unterliegt nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung als unbestimmter Rechtsbegriff in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle
(BSG, Urteil v. 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) und setzt eine Einzelfallprüfung
voraus (grundlegend: Urteil vom 07.11.2006 - B 7 b AS 7/07 R; Urteil v. 7.11.2006 - B 7b 18/06 R; abrufbar jeweils
unter www.sozialgerichtsbarkeit.de). Hierfür ist zunächst die maßgebliche angemessene Größe der Wohnung zu
bestimmen. Sodann ist der Wohnstandard festzulegen, wobei dem Hilfebedürftigen lediglich ein einfacher und im
unteren Segment liegender Ausstattungsgrad der Wohnung zusteht. Nach Festlegung der abstrakten
Angemessenheitsmaßstäbe muss im Rahmen einer konkreten Angemessenheitsprüfung (BSG, a.a.O., m.w.N.)
festgestellt werden, ob eine bedarfsgerechte und kostengünstigere Wohnung konkret verfügbar und zugänglich war.
Bei nicht angemessenen Unterkunftskosten ist in jedem Fall der Teil der Unterkunftskosten zu zahlen, der im Rahmen
der Angemessenheit liegt.
Die Wohnung des Klägers ist mit 40 qm angemessen. Für eine alleinstehende Person ist eine Wohnung von maximal
Die Wohnung des Klägers ist mit 40 qm angemessen. Für eine alleinstehende Person ist eine Wohnung von maximal
45 qm Wohnfläche als angemessen zu erachten. Dies folgt aus Ziffer 5.71 der Verwaltungsvorschriften zum
Wohnungsbindungsgesetz 1990 (Ministerialblatt für das Land NRW 1989, S. 1714, 1716). In Ziffer 2 der
Verwaltungsvorschriften zum Wohnungsbindungsgesetz vom 05.07.2004 (Ministerialblatt für das Land NRW 2004, S.
660) ist geregelt, dass diese Verwaltungsvorschriften auch für die Zeit nach Aufhebung des
Wohnungsbindungsgesetzes und nach Inkrafttreten des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom
13.9.2001 (Bundesgesetzblatt I, S. 2376) weiterhin entsprechend anzuwenden waren (vgl. BSG, Urteil v. 17.12.2009 -
B 4 AS 27/09 R Rn. 16; LSG NRW, Urteil v. 9.1.2008 - L 12 AS 77/06; a.A. noch LSG NRW, Beschluss v. 8.12.2008,
L 9 B 148/08 AS ER, je unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Die Kaltmiete des Klägers lag hingegen zum streitgegenständlichen Zeitpunkt mit EUR 232,00 über der absolute
Mietobergrenze in E. zum Zeitpunkt der begehrten Zusicherung in Höhe von EUR 217,50. Nach Auffassung und
ständiger Rechtsprechung der erkennenden Kammer, auf die ergänzend verwiesen wird (vgl. Urteil v. 31.3.2009 - S 5
AS 93/08; Urteil v. 30.4.2009 - S 5 AS 259/08), ist die Referenzmiete von EUR 217,50 auch nicht zu beanstanden.
Die E. Angemessenheitsgrenzen wurden bereits durch das LSG NRW (Urteil v. 16.2.2009 - L 19 AS 62/08) und das
BSG (Urteil v. 17.12.2009 - B 4 AS 27/09, beide unter www.sozialgerichtsbarkeit.de) bestätigt (vgl. in Anwendung
derselben Methodik für einen Ein-Personen-Haushalt ausdrücklich: SG Duisburg, Urteile v. 11.7.2007 – S 35 (2) AS
7/05; v. 11.6.2008 - S 7 (2) SO 23/05; v. 10.12.2008 – S 27 AS 221/06; v. 31.3.2009 - S 5 AS 93/08; v. 30.4.2009 - S
5 AS 259/08). Darüber hinaus hat der Kläger selbst seinen Klageantrag auf die angemessene Grundmiete von EUR
217,50 beschränkt.
Aus zahlreichen anderen Verfahren ist der erkennenden Kammer aufgrund ständiger Recherchen bei
immobilienscout24.de auch bekannt, dass in Essen in der streitgegenständlichen Zeit tatsächlich genügend für eine
Person geeigneter Wohnraum zur Referenzmiete von EUR 217,50 verfügbar war.
Anhaltspunkte dafür, dass die Heizkosten von EUR 70,00 monatlich und die Nebenkosten von EUR 50,00 monatlich
unangemessen sind, bestanden für die Kammer unter Berücksichtigung der Betriebskostenspiegel 2008/2009 und der
Heizkostenspiegel 2008/2009 nicht.
Die monatliche Gesamtmiete von EUR 337,50 (EUR 217,50 Grundmiete; EUR 70,00 Heizkosten und EUR 50,00
Nebenkosten) stand dem Kläger jedenfalls für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.1.2009 zu. Irrelevant ist dabei, dass der
Kläger letztlich erst im Dezember 2008 in die Wohnung am W. umgezogen ist. Ab dem 4.11.2008 waren Leistungen
für diese Wohnung beantragt, die bereits im August 2008 zum 1.10.2008 angemietet und für die der Mietvertrag unter
demselben Datum auch auf ihn umgeschrieben wurde. § 22 Abs. 1 SGB II stellt allein auf die "tatsächlichen
Aufwendungen" ab, die in der genannten Zeit vorliegend auch als Mietverbindlichkeit für die Wohnung am W.
angefallen sind. Die Verzögerung des Umzugs hängt schließlich auch damit zusammen, dass die Zusicherung (vgl.
Verhandlungsniederschrift vom 2.12.2008) verweigert wurde.
Für die Zeit ab dem 1.2.2009 bis einschließlich 31.5.2009 sind dem Kläger indes keine Mietverbindlichkeiten
entstanden und wurden vor dem Eindruck der Beweisaufnahme auch nicht mehr geltend gemacht. Der Vater des
Klägers, der Zeuge H, hat ausgesagt und auch auf Nachfrage ausdrücklich bekräftigt, dass er die Miete in dieser Zeit
für den Sohn übernommen hat und es sich insoweit um eine schenkungsweise erfolgte - also nicht rückzahlbare -
Leistung an seinen Sohn handelt.
2. Unter Berücksichtigung des vorhandenen anrechenbaren Einkommens war die Beklagte unter entsprechender
Abänderung des Bescheides vom 17.2.2009 und des Änderungsbescheides vom 21.4.2009 zu verurteilen, dem Kläger
für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.12.2008 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von EUR 231,00
(EUR 351,00 abzüglich EUR 150,00 weitergeleitetes Kindergeld minus EUR 30,00 Versicherungspauschale) monatlich
zu gewähren (im November 2008 entsprechend anteilig für 26 Tage); für die Zeit vom 1.1.2009 bis 31.4.2009 in Höhe
der ungeminderten Regelleistung von EUR 351,00 und schließlich für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.1.2009 zusätzlich
Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von EUR 337,50 monatlich (im November 2008 entsprechend anteilig für
26 Tage).
Nach § 11 Abs. 1 SGB II sind als Einkommen zu berücksichtigen Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Dies bedeutet
für den vorliegenden Fall im Einzelnen:
a) Eine Anrechnung der von der Mutter des Klägers in der Zeit vom 4.11.2008 bis 31.1.2009 übernommenen
Warmmiete als Einkommen des Klägers im Sinne von § 11 Abs. 1 SGB II scheidet nach Ansicht der Kammer aus.
Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sind Leistungen Dritter, die gleichsam aushilfsweise erbracht
werden, weil ein Leistungsträger gerade nicht zahlt, gerade nicht als Einkommen anrechenbar.
Unterstützungsleistungen unter Verwandten sind dabei konkret dann nicht als als zu berücksichtigendes Einkommen
im Gesetzessinne anzurechnen, wenn es sich zivilrechtlich um ein Darlehen handelt und der Darlehensnehmer einer
ernsthaften Rückzahlungsverpflichtung ausgesetzt ist (BSG, Urteil v. 19.8.2010 - B 14 AS 10/09 R; Urteil v.
17.6.2010 - B 14 AS 46/09 R m.w.N., je unter www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Zur Überzeugung der Kammer handelte sich bei den Mietzahlungen
der Zeugin S um ein Darlehen im Sinne von § 488 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Kläger und die Zeugen S und
H haben am Verhandlungstag übereinstimmend und glaubhaft bekundet, dass es sich bei der Mietübernahme durch
die Mutter um eine Unterstützung handelte, die mit der ernst gemeinten Maßgabe der Rückzahlungspflicht des
Klägers übernommen wurde, weil man von einer Leistungspflicht der Beklagten ausging. Besonders glaubhaft waren
diese Aussagen bereits deswegen, weil der Zeuge H für die Zeit seiner eigenen Mietübernahme im Gegensatz dazu
freimütig eingeräumt hat, dass es sich insoweit gerade nicht um ein Darlehen, sondern eine Schenkung handelte
(s.o.).
Darauf, inwieweit die von dem Kläger und den Zeugen ebenfalls als darlehensweise Unterstützung geschilderte
Mietübernahme durch die Großmutter aus ihrer Rente einzuordnen ist, kam es letztlich nicht mehr an, weil die
Beweisaufnahme ergeben hat, dass die Großmutter die Miete erst nach Ablauf des hier streitgegenständlichen
Zeitraumes (ab September 2009) übernommen hat.
b) Demgegenüber war auf den Leistungsanspruch des Klägers für die Zeit vom 4.11.2008 bis 31.12.2008 Kindergeld in
Höhe von EUR 150,- monatlich anzurechnen, abzüglich einer Versicherungspauschale in Höhe von monatlich EUR
30,00.
Dies folgt aus § 11 Abs. 1 S. 3 SGB II i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 8 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie
zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II / Sozialgeld (Alg ll-V) in der hier
maßgeblichen Fassung vom 17.12.2007. Nach den genannten Regelungen war das Kindergeld bei volljährigen nicht
im Haushalt der Eltern lebenden Kindern bei ihnen als Einkommen anzurechnen, wenn und soweit es nachweislich an
sie weitergeleitet wurde.
Ergänzend bestimmte § 6 Abs. 1 Nr. 1 der Alg II-V i.d.F. v. 17.12.2007 (Ermächtigungsgrundlage § 13 S. 1 Nr. 3 SGB
II; zur Verfassungs- und Gesetzeskonformität vgl. BSG, Urteil v. 18.6.2008 - B 14 AS 55/07 R unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de), dass von diesem Einkommen volljähriger nicht mit anderen volljährigen
Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft lebender Hilfebedürftiger ein pauschaler Betrag in Höhe von EUR 30,00
monatlich für die nach § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 SGB II vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu privaten
Versicherungen abzuziehen war, die nach Grund und Höhe angemessen waren (zum Absetzen von Kindergeld bei
volljährigen Kindern nach altem Recht generell vgl. insbesondere BSG, Urteil v. 18.6.2008 - B 14 AS 55/07 R unter
www.sozialgerichtsbarkeit.de).
Ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge hat die Mutter dem Kläger in der Zeit von November 2008 bis Dezember
2008 Kindergeld in Höhe von EUR 150,00 (statt EUR 154,00) zwar weitergeleitet (vgl. Bl. 73 GA). Da der Kläger im
November und teilweise auch noch im Dezember 2008 jedoch noch im Haushalt seiner Eltern und daher mit ihnen in
Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SGB II) gelebt hat, wären die Voraussetzungen zur Berücksichtigung
des Kindergeldes bzw. der Versicherungspauschale eigentlich entgegen den Festsetzungen der Beklagten im
Bewilligungsbescheid vom 17.2.2009 nicht gegeben.
Wenn jedoch aufgrund der vorliegenden Entscheidung die Zusicherung zum Umzug rückwirkend fingiert wird und dem
Kläger damit die volle Regelleistung und die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung zugesprochen
werden, wird er damit auch so gestellt, als ob er einen eigenständigen Haushalt gehabt hätte. Dann ist aber auch die
Anrechnung des Kindergeldes unter Abzug der Versicherungspauschale angezeigt.
Ab Januar 2009 bis Mai 2009 war hingegen kein Kindergeld mehr zu berücksichtigen, weil die Familienkasse die
Bewilligung von Kindergeld mit Bescheid vom 6.4.2009 rückwirkend für die Zeit ab dem 1.1.2009 aufgehoben und die
Beklagte den Fortfall auch bereits mit Änderungsbescheid vom 21.4.2009 berücksichtigt hat.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.