Urteil des SozG Duisburg vom 29.07.2004

SozG Duisburg (unterkunft und verpflegung, bundesrepublik deutschland, ausland, kommission der europäischen gemeinschaft, förderung, gesetz, träger, juristische person, waisenrente, schulausbildung)

Sozialgericht Duisburg, S 10 RA 5/03
Datum:
29.07.2004
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 10 RA 5/03
Sachgebiet:
Rentenversicherung
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten.
Tatbestand:
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Im Streit ist die Weitergewährung einer Halbwaisenrente für die Zeit eines Einsatzes im
Rahmen des Europäischen Freiwilligendienstes.
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Die am 28.09.1982 geborene Klägerin ist die Tochter des am 27.07.1996 gestorbenen
Versicherten J. Sie besuchte bis 29.06.2002 (Datum des Abschlusszeugnisses) das
Gymnasium. Die Beklagte bewilligte mit Bescheid om 27.09.1996 beginnend mit dem
27.07.1996 Halbwaisenrente zunächst bis zum 30.09.2000. Nach Vorlage einer
aktuellen Schulbescheinigung wurde der Klägerin am 30.08.2000 mitgeteilt, dass die
Halbwaisenrente bis zum voraussichtlichen Ende der Schulausbildung am 31.07.2002
weitergezahlt werde.
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Im Mai 2001 wurde die weitere Anspruchsberechtigung durch die Beklagte überprüft.
Die Klägerin legte eine Schulbescheinigung vor, aus der sich ergab, dass die
Schulausbildung voraussichtlich im Juni 2002 durch die Abiturprüfung abgeschlossen
werde. Die Klägerin verpflichtete sich, jede Änderung der Verhältnisse mitzuteilen, die
den Waisenrentenan-spruch beeinflußt. Mit Schreiben vom 16.08.2002 bat die Beklagte
um Übersendung des Abschlusszeugnisses, das am 27.08.2002 bei der Beklagten
einging.
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Gleichzeitig teilte die Klägerin mit, dass sie in der Zeit vom 01.09.2002 bis zum
31.08.2003 im Rahmen des EU-Aktionsprogrammes Jugend einen Europäischen
Freiwilligendienst in Innsbruck absolvieren werde. Sie legte eine Bescheinigung der
Deutschen Entsendeorganisation, der Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste
(ijgd) Landesverein Niedersachsen e.V. vor, mit der die Teilnahme an dem Euro-
päischen Freiwilligendienst bestätigt wurde. In der Bescheinigung wurde ausgeführt,
dass die Klägerin für die Dauer des Freiwilligendienstes ein monatliches Taschengeld
in Höhe von 175,00 EUR aus Mitteln des EU-Programmes sowie freie Unterkunft und
Verpflegung durch die Aufnahmeorganisation erhalten werde. Als
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Aufnahmeorganisation wurde die Stelle für Freiwillige Soziale Dienste/Diözese
Innsbruck angegeben. Es wurde durch die Entsendeorganisation bestätigt, dass die
Bestimmungen des Aktionsprogrammes zur Durchführung des Europäischen
Freiwilligendienstes beachtet würden und dass der Freiwilligendienst aus Mitteln des
Aktionsprogrammes gefördert würde.
Mit Bescheid vom 12.09.2002 wurde der Bescheid vom 27.09.1996 über die Bewilligung
der Waisenrente nach § 48 SGB X mit Wirkung zum 01.08.2002 aufgehoben, da durch
das Ende der Schulausbildung zum 31.07.2002 in den tatsächlichen Verhältnissen eine
wesentliche Änderung eingetreten sei. Für den Zeitraum der Ableistung des
Europäischen Freiwilligendienstes bestehe nach § 48 Abs. 4 Ziffer 2 a SGB VI kein
Anspruch auf Waisenrente. Die für den Monat August 2002 erfolgte Zahlung der
Waisenrente wurde nach § 50 SGB X zurückgefordert.
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Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 24.09.2002 Widerspruch und bat um
Überprüfung der Entscheidung, die Halbwaisenrente während des Europäischen
Freiwilligendienstes nicht weiter zu zahlen. Es wurde darauf hingewiesen, dass es sich
insoweit um eine Schlechterstellung gegenüber den Absolventen eines freiwilligen
sozialen Jahres handeln würde. Darüber hinaus wurde geltend gemacht, dass das
Kindergeld während des Europäischen Freiwilligendienstes weiter gezahlt würde. Mit
Bescheid der Beklagten vom 12.12.2002 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur
Begründung wurde ausgeführt, die Teilnahme am Europäischen Frei-willigendienst
junger Menschen begründe keinen Anspruch auf Waisenrente. Es liege insoweit kein
freiwilliges soziales Jahr oder freiwilliges ökologisches Jahr vor, da in der Vorschrift des
§ 48 Abs. 4 Ziffer a SGB VI ein Waisenrentenanspruch für den Europäischen
Freiwilligendienst nicht ausdrücklich geregelt sei.
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Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 17.01.2003 Klage erhoben. Während des
Klageverfahrens hat die Beklagte mit Bescheid vom 29.01.2004 für die Zeit ab dem
01.10.2003 bis zum 30.09.2007 die Halbwaisenrente wieder bewilligt, da die Klägerin
ab Oktober 2003 ein Hochschulstudium aufgenommen hat.
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Die Klägerin ist der Auffassung, sie habe auch für die Zeit vom 01.09.2002 bis zum
31.08. 2003 einen Anspruch auf Zahlung einer Halbwaisenrente, da es sich bei dem
Europäischen Freiwilligendienst um ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Geset-
zes zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres handele. Ein freiwilliges soziales
Jahr könne auch im europäischen Ausland geleistet werden, wenn der Träger seinen
Hauptsitz im Inland habe. Bei dem von der Klägerin ausgeübten Dienst handele es sich
insbesondere um eine ganztätige pflegerische, erzieherische bzw. hauswirtschaftliche
Hilfstätigkeit im Sinne des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen Jahres, da
sie bei der Altenhilfe der Caritas in Innsbruck eingesetzt werde.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid vom 12.09.2002 in Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom
12.12.2002 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass eine Gleichstellung des von der Klägerin absolvierten Euro-
päischen Freiwilligendienstes mit einem freiwilligen sozialen Jahr nicht im Gesetz
erfolgt sei. Der Gesetzgeber habe zwar im Bereich des Kindergeldrechtes eine solche
Gleichstellung ausdrücklich vorgenommen. Da jedoch eine entsprechende gesetzliche
Neuregelung im Bereich des § 48 SGB VI nicht erfolgt sei, könne ein
Waisenrentenanspruch nicht begründet werden.
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Das Gericht hat bei den Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten Landesverein
Niedersachsen e.V. eine schriftliche Auskunft vom 26.08.2003 eingeholt zur näheren
Ausgestaltung des von der Klägerin in Österreich absolvierten Europäischen
Freiwilligendienstes, insbesondere zu Art und Umfang der pädagogischen Begleitung
durch die Entsendeorganisation und zur Zulassung der Entsendeorganisation als
Träger eines freiwilligen sozialen Jahres im Ausland. Insoweit wird wegen der
Einzelheiten auf Bl. 21 ff. der Gerichtsakte Bezug genommen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der die
Klägerin betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der
mündlichen Verhandlung gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs.
2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), da die Klägerin in dem Zeitraum vom 01.08.2002 bis zum
30.09.2003 keinen Anspruch auf Gewährung einer Halbwaisenrente hat und die
Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X
erfüllt sind.
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Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben,
soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines
Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung
eintritt. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der - 5 -
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Verhältnisse aufgehoben werden, soweit der Betroffene wusste, dass der sich aus dem
Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz
oder teilweise weggefallen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X).
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Soweit die Beklagte den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 27.09.1996 für den
Monat August 2002 aufgehoben hat, handelt es sich um eine Aufhebung mit Wirkung für
die Vergangenheit. Da sich die Klägerin im August 2002 nicht mehr in Schulausbildung
befunden hat, lag eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen im
Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Da die Klägerin wusste, dass der Abschluss
der Schulausbildung für den Waisenrentenanspruch eine wesentliche Änderung
darstellte und der Nachweis der Beendigung der Schulausbil-dung erst Ende August bei
der Beklagten vorlag, konnte die Beklagte den Bewilli-gungsbescheid nach § 48 Abs. 1
Satz 2 Nr. 4 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben.
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Soweit die Beklagte eine Zahlung der Waisenrente für den Zeitraum von September
2002 bis August 2003 abgelehnt hat, liegt eine Aufhebung des Bewilligungsbeschei-des
mit Wirkung für die Zukunft im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X vor. Die Vor-
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aussetzungen für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides sind gegeben, da mit
dem Abschluss der Schulausbildung eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen eingetreten ist und die Aufnahme des Europäischen Freiwilligendienstes
keinen Umstand darstellt, der einen Weitergewährungsanspruch der Klägerin für die
Zeit vom 01.09.2002 bis zum 31.08.2003 begründet.
Nach § 48 Abs. 1 SGB VI haben Kinder nach dem Tod eines Elternteiles Anspruch auf
Halbwaisenrente, wenn sie noch einen Elternteil haben, der unbeschadet der
wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtig ist und der verstorbene Elternteil die
allgemeine Wartezeit erfüllt hat. Der Anspruch auf Halbwaisenrente besteht längstens
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1. bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres oder
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2. bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres, wenn die Waise
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a)sich in Schulausbildung oder Berufsausbildung befindet oder ein freiwilliges soziales
Jahr im Sinne des FSJG oder ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des FÖJG
leistet oder
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b) wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich
selbst zu unterhalten (§ 48 Abs. 4 SGB VI).
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Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 01.09.2002 bis zum 31.08.2003 keinen Anspruch
auf Halbwaisenrente, da der von ihr geleistete Europäische Freiwilligendienst kein
freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung des freiwilligen sozialen
Jahres (FSJG) darstellt und eine analoge Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI
auf den von ihr geleisteten Europäischen Freiwilligendienst nicht in Betracht kommt.
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Die Voraussetzungen eines freiwilligen sozialen Jahres sind im Gesetz zur Förderung
eines freiwilligen sozialen Jahres (FSJG) vom 17.08.1964 (BGBL 1. Seite 640 ff.)
geregelt, dass zuletzt durch das Gesetz zur Änderung des FSJG vom 27.05.2002
wesentlich geändert worden ist und insbesondere die Möglichkeiten der Ableistung des
freiwilligen sozialen Jahres im Ausland erheblich erweitert hat.
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In § 3 Abs. 1 FSJG ist zunächst grundsätzlich geregelt, dass ein freiwilliges soziales
Jahr auch im Ausland geleistet werden kann. Dabei müssen hinsichtlich der Art des zu
leistenden Dienstes (1), hinsichtlich der pädagogischen Begleitung (2) und hinsichtlich
der Berechtigung, ein freiwilliges soziales Jahr als Träger im Ausland durchführen zu
können (3), besondere Voraussetzungen erfüllt sein. Der von der Klägerin geleistete
Europäische Freiwilligendienst erfüllt zwar inhaltlich die an die Art eines freiwilligen
Dienstes im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres gestellten Anfor-derungen,
allerdings ist die pädagogische Begleitung nicht so ausgestaltet, wie es das Gesetz
erfordert. Zudem ist der Internationale Jugendgemeinschaftsdienst Landesverband
Niedersachsen e.V. kein nach § 5 Abs. 2 FSJG für die Durchführung des freiwilligen
sozialen Jahres im Ausland zugelassener Träger, was ebenfalls eine zwingende
gesetzliche Voraussetzung für die Anerkennung als freiwilliges soziales Jahr darstellt.
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1) Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 FSJG setzt ein freiwilliges soziales Jahr voraus, dass ein
freiwilliger Dienst ohne Gewinnerzielungsabsicht außerhalb einer Berufsausbildung und
vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung geleistet wird. Nach § 2 Abs. 2 FSJG wird der
freiwillige Dienst im Rahmen eines freiwilligen sozialen Jahres ganztätig als
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überwiegend praktische Hilfstätigkeit in gemeinwohlorientierten Einrichtungen,
insbesondere in Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, in Einrichtungen der Kinder- und
Jugendhilfe einschließlich der Einrichtungen für außer-schulische Jugendbildung und
Einrichtungen für Jugendarbeit und Einrichtungen der Gesundheitspflege und
kulturellen Einrichtungen (Einsatzstellen) geleistet.
Für das freiwillige soziale Jahr im Ausland ist ergänzend geregelt, dass es sich um
einen Dienst im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 FSJG handeln muss, zudem insbesondere
auch der Dienst für Frieden und Versöhnung gehört.
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Es bestehen keine Zweifel, dass der von der Klägerin in Innsbruck absolvierte
Europäische Freiwilligendienst diesen Anforderungen gerecht wird. Nach der
Bescheinigung der Entsendeorganisation vom 02.07.2002 sowie der
Aufnahmerganisation (Stelle für Freiwillige Soziale Dienste der Diözese Innsbruck)
absolvierte die Klägerin ihren Dienst bei der Al-tenhilfe der Caritas Innsbruck, erhielt ein
Taschengeld in Höhe von 175,00 EUR aus Mitteln des EU- Programmes sowie freie
Unterkunft und Verpflegung durch die Aufnahmeorganisation. Somit handelt es sich um
einen ohne Gewinnerzielungsabsicht außerhalb der Berufsausbildung geleisteten
Dienst in Ge-stalt einer überwiegend praktischen Hilfstätigkeit in einer
gemeinwohlorientierten Einrichtung.
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Dies entspricht auch dem Rahmen, in den der Europäische Freiwilligendienst
eingebunden ist. Er ist Teil des gemeinschaftlichen Aktionsprogrammes Jugend, der in
der Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2006 von der Kommission der Europäischen
Gemeinschaft durchgeführt wird. Das Aktionsprogramm dient unter anderem der
Förderung des aktiven Beitrages der Jugendlichen zum Aufbau Euro-pas durch deren
Teilnahme an grenzüberschreitenden Austauschprogrammen innerhalb der EU und mit
Drittländern, der Stärkung des Solidaritätsgedankens durch Ausweitung der Teilnah-me
der Jugendlichen an grenzüberschreitenden Tätigkeiten im Dienst der Allgemein-heit
innerhalb derEU und mit Drittländern sowie der Förderung des Unternehmungs- und
Unternehmergeistes und der Kreativität der Jugendlichen (Art. 2 Abs. 1 des Be-
schlusses des Europäischen Parlamentes und des Rates - zitiert bei Pauli Kommen-tar
zum EStG/BKGG § 32 EStG Rn. 126). Um diesen Zweck zu erreichen, wird neben
anderen Aktivitäten ein Europäischer Freiwilligendienst innerhalb der EU und in
Zusammenarbeit mit Drittländern gefördert, der von Jugendlichen im Alter von 18 bis 25
Jahren geleistet werden kann, dessen Dauer drei Wochen bis zu einem Jahr betragen
kann und in der Praxis zumeist zwischen 6 und 12 Monaten dauert. Nach den von den
Internationalen Jugendgemeinschaftsdiensten Landesverband Niedersachsen
vorgelegten Unterlagen finden die Einsätze in der Praxis überwiegend im gesamten
sozialen Bereich von der Kinder- und Jugendarbeit bis zur Alten- und
Behindertenpflege, aber auch im ökologischen und kulturellen Bereich statt. Auf diesem
Hintergrund handelt es sich um freiwillige Dienste, die ohne Gewinnerzielungsabsicht,
außerhalb einer Berufsausbildung und vergleichbar einer Vollzeitbeschäftigung
geleistet werden.
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(2) Eine Berücksichtigungsfähigkeit des von der Klägerin geleisteten Europäischen
Freiwilligendienstes als freiwilliges soziales Jahres scheitert jedoch daran, dass die
pädagogische Begleitung vor, während und nach dem Dienst nicht in der Weise
ausgestaltet ist, wie es in § 3 FSJG vorgeschrieben ist.
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Nach § 3 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 FSJG erfolgt die pädagogische Begleitung bei einem
freiwilligen sozialen Jahr im Ausland in Form von Bildungsmaßnahmen (Seminare oder
pädagogische Veranstaltungen), durch fachliche Anleitung durch die Einsatzstelle und
die individuelle Betreuung durch pädagogische Kräfte der Einsatzstelle und der
Trägerorganisation. Die Gesamtdauer der Bildungsmaßnahmen muss – bezogen auf
eine 12-monatige Teilnahme am freiwilligen Dienst im Ausland – mindestens 5 Wochen
betragen. Dabei soll die pädagogische Begleitung in der Weise erfolgen, dass jeweils in
der Bundes-republik Deutschland vorbereitende Veranstaltungen von mindestens 4-
wöchiger Dauer und nachbereitende Veranstaltungen von mindestens einwöchiger
Dauer stattfinden.
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Falls der Träger ein Zwischenseminar im Ausland sicherstellen kann, das regelmäßig
bis zu zwei Wochen dauern kann, verkürzen sich die vorbereitenden Veranstaltungen
entsprechend.
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Nach der vom Gericht eingeholten Auskunft der Internationalen
Jugendgemeinschaftsdienste Landesverband Niedersachsen e.V. sind als
vorbereitende Bildungsmaßnahmen im Entsendeland lediglich ein drei- bis viertägiges
Ausreiseseminar durchgeführt worden. Das ein- bis zweitägige Auswahlseminar kann
insoweit keine Berücksichtigung finden, weil es der Auswahl der zehn zu entsendenden
Kandidaten dient. Weder bei dem zweiwöchigen Einführungstraining im Aufnahmeland
noch bei dem einwöchigen Midterm-Meeting im Aufnahmeland handelt es sich um ein
von dem inländischen Träger des Europäischen Freiwilligendienstes sichergestelltes
Zwi-schenseminar im Sinne des § 3 Abs. 2 FSJG, so dass eine entsprechende
Verkürzung der in der Bundesrepublik Deutschland durchzuführenden vorbereitenden
Veranstaltungen nicht in Betracht kommt. Abgesehen davon wäre eine Verkürzung nur
um bis zu zwei Wochen möglich, so dass mindestens eine zweiwöchige in der
Bundesrepublik Deutschland durchzuführende Veranstaltung verbleiben müsste.
Insgesamt ist somit festzustellen, dass als vorbereitende Bildungsmaßnahme statt eines
vierwöchigen Seminars oder einer pädagogischen Veranstaltung von vier Wochen
Dauer lediglich ein viertägiges Ausreiseseminar vorgesehen ist, so dass die vom
Gesetz vorgeschriebenen Mindestanforderungen an die pädagogische Begleitung nicht
erfüllt sind. Auch die notwendige Gesamtdauer von 5 Wochen wird nicht erreicht, weil
am Ende lediglich noch ein drei- bis viertägiges Rückkehrseminar im Heimatland
stattfindet, so dass insgesamt nur sechs bis acht Tage berücksichtigungsfähige
Bildungsmaßnahmen durchgeführt werden.
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Die Durchführung von Bildungsmaßnahmen der genannten Art und Dauer ist nach dem
Gesetz zwingende Voraussetzung für die Anerkennung eines Dienstes als freiwilliges
soziales Jahr. Die intensive pädagogische Begleitung ist Wesenselement ei-nes
freiwilligen sozialen Jahres. Sie dient insbesondere dem mit dem freiwilligen sozialen
Jahr verfolgten Ziel, das Verantwortungsbewusstsein für das Gemeinwohl zu stärken,
sowie soziale und interkulturelle Erfahrungen zu vermitteln (§ 2 Abs. 3 Satz 3 FSJG).
Auch bei einem im Inland durchgeführten freiwilligen sozialen Jahr müssen Seminare
mit einer Mindestdauer von 5 Wochen durchgeführt werden, wobei es sich um
Einführungs-, Zwischen- und Abschlussseminare handelt. Die Bedeutung der
pädagogischen Begleitung in Form von Bildungsmaßnahmen für die Anerkennung des
freiwilligen sozialen Jahres wird auch dadurch vom Gesetz hervorgehoben, dass die
Teilnahme an den Bildungsmaßnahmen als Dienstzeit gilt und die Teilnahme zur Pflicht
erklärt wird (vgl. § 2 Abs. 3 für das soziale Jahr im Inland, § 3 Abs. 2 für das soziale Jahr
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im Ausland). Damit kann eine Anerkennung einer Dienstzeit als freiwilliges soziales
Jahr nicht erfolgen, wenn während des Dienstes nicht die vom Gesetz
vorgeschriebenen Bildungsmaßnahmen durchgeführt werden.
(3) Schließlich scheitert die Berücksichtigungsfähigkeit des von der Klägerin geleisteten
Freiwilligendienstes auch an dem formalen Kriterium, dass die Entsendeorganisation
Internationale Jugendgemeinschaftsdienste Landesverein Niedersachsen e.V. nicht
nach § 5 Abs. 2 FSJG als Träger des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland
zugelassen ist.
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Nach § 5 Abs. 2 FSJG sind als Träger des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland
juristische Personen zugelassen, die
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1. Maßnahmen im Sinne des § 3 durchführen und Freiwillige für einen Dienst im
Ausland vorbereiten, entsenden und betreuen, 2. Gewähr dafür bieten, dass sie
aufgrund ihrer nachgewiesenen Auslandserfahrungen ihre Aufgabe auf Dauer erfüllen
und den ihnen nach dem Gesetz obliegenden Verpflichtungen nachkommen, 3.
ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten Zwecken im Sinne der §§ 51 bis 68
der Abgabenordnung dienen, 4. ihren Sitz in der Bundesrepublik Deutschland haben.
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Über die Zulassung eines Trägers des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland
entscheidet die zuständige Landesbehörde.
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Auch insoweit handelt es sich um zwingende gesetzliche Voraussetzungen, deren
Nichterfüllung allein zur Folge hat, dass der von den Internationalen
Jugendgemeinschaftsdiensten Niedersachsen e.V. organisierte Europäische
Freiwilligendienst nicht als freiwilliges soziales Jahr anerkannt werden kann. Von dem
Erfordernis der Zulassung nach § 5 Abs. 2 FSJG kann insbesondere nicht deshalb
abgesehen werden, weil die Internationalen Jugendgemeinschaftsdienste anerkannte
Mitgliedsorganisa-tionen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes sind, der nach
zugelassener Träger des im Inland durchgeführten freiwilligen sozialen Jahres ist. Der
Gesetzgeber hat für die Zulassung der Träger im Inland und im Ausland in den
Absätzen 1 und 2 des § 5 FSJG unterschiedliche Kriterien aufgestellt. Die Zulassung für
die Trägerschaft des freiwilligen sozialen Jahres im Ausland ist insbesondere an
ausreichende, nachgewiesene Auslandserfahrungen geknüpft. Zudem muss
beispielsweise der Nachweis erbracht werden, dass es sich um eine juristische Person
handelt, die die im Gesetz vorgesehenen mehrwöchigen Bildungsmaßnahmen zur
Vorbereitung des im Ausland zu absolvierenden Dienstes durchführen kann bzw.
durchführt. Der Um-stand, dass der Gesetzgeber eine formelle Zulassung durch die
zuständige Landesbehörde vorgesehen hat, belegt, wie wichtig ihm die Einhaltung und
die Überprüfung der qualitativen Anforderungen eines im Ausland absolvierten Dienstes
im Rahmen der Anerkennung als freiwilliges soziales Jahr ist.
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Insgesamt erfüllt der von der Klägerin geleistete Europäische Freiwilligendienst ins
Innsbruck nicht die Voraussetzungen eines freiwilligen sozialen Jahres im Sinne des
FSJG.
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Eine entsprechende (analoge) Anwendung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI auf eine
Waise, die bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres einen Europäischen
Freiwilligendienst leistet, scheidet aus. Grundvoraussetzung einer Gesetzesanalogie ist
eine planwidrige, d.h. vom Gesetzgeber nicht gewollte Gesetzeslücke. Eine planwidrige
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Gesetzeslücke liegt bezogen auf den Europäischen Freiwilligendienst und bezogen auf
die damit verbundenen sozialrechtlichen Konsequenzen nicht vor.
Wie bereits ausgeführt, trat das Aktionsprogramm Jugend und damit der Europäische
Freiwilligendienst als Teil dieses Programmes ab 01.01.2000 in Kraft. Als flankierende
Maßnahme hat der Gesetzgeber das Gesetz zur Familienförderung vom 22.12.1999
(BGBL 1999 Seite 2552 ff.) beschlossen, dass zum 01.01.2000 n Kraft getreten ist.
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Durch Art. 2 dieses Gesetzes wurde beispielsweise § 2 Abs. 2 Nr. 2 d des Bundes-
kindergeldgesetzes dahingehend geändert, dass ein Kind, dass das 18. Lebensjahr
vollendet hat, berücksichtigt wird, wenn es vor Vollendung des 27. Lebensjahres ein
freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen
sozialen Jahres, ein freiwilliges ökologisches Jahr im Sinne des Gesetzes zur
Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres oder einen Freiwilligendienst im
Sinne des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates
vom 20. Juli 1998 zur Einführung des gemeinschaftlichen Aktionsprogrammes
"Europäischer Freiwilligendienst junger Menschen" leistet. Hier wurde also eine
Gleichstellung des Europäischen Freiwilligendienstes mit einem freiwilligen sozialen
Jahr ausdrücklich vorgenommen. Gleiches gilt für das Einkommenssteuerrecht, da nach
Art. 1 des Gesetzes zur Familienförderung § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 d EStG ebenfalls
dahingehend geändert wurde, dass ein freiwilliges soziales Jahr im Sinne des Gesetzes
zur Förderung eines freiwilligen sozialen Jahres, ein freiwilliges ökologisches Jahr im
Sinne des Gesetzes zur Förderung eines freiwilligen ökologischen Jahres und ein
Freiwilligendienst im Sinne des Beschlusses Nr. 1686/98/EG des Europä-ischen
Parlamentes und des Rates vom 20.07.1998 zur Einführung des gemeinschaftlichen
Aktionsprogrammes "Europäischer Freiwilligendienste junger Menschen" erfasst wird.
Wenn der Gesetzgeber in diesen rechtlichen Bereichen eine Gleichstellung vornimmt
und im Bereich der Regelung der Waisenrente eine Erweiterung der
Anspruchsberechtigung für Teilnehmer am Europäischen Freiwilligendienstes nicht
vornimmt, kann von einer planwidrigen Gesetzeslücke nicht die Rede sein.
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Dies gilt erst recht auf dem Hintergrund, dass sich der Gesetzgeber mit der Thematik der
Berücksichtigungsfähigkeit von freiwilligen Diensten im Ausland im Rahmen des
Erlasses des Gesetzes zur Änderung des FSJG vom 27.05.2002 noch einmal befasst
hat und in § 4 dieses Gesetzes unter anderem auf § 48 SGB VI ausdrücklich Bezug
genommen hat, in dem unter Ziffer 12 des § 4 ausgeführt wurde, dass sich die
Förderung des freiwilligen sozialen Jahres nach § 48 Abs. 4 Nr. 2 a des SGB VI richtet.
Da gleichzeitig keine Änderung des § 48 Abs. 4 Nr. 2 a SGB VI vorgenom-men,
insbesondere der Europäische Freiwilligendienst nicht in den Tatbestand aufgenommen
worden ist, wird der gesetzgeberische Wille erkennbar, einen im Ausland absolvierten
Dienst wie den Europäischen Freiwilligendienst nur dann als Voraussetzung für einen
Waisenrentenanspruch anzuerkennen, wenn gleichzeitig die Vor-aussetzungen für ein
freiwilliges soziales Jahr im Ausland im Sinne des FSJG erfüllt sind.
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Der Bescheid der Beklagten ist schließlich auch insoweit rechtmäßig, als eine Rück-
zahlungsverpflichtung der Klägerin für die im Monat August 2002 weiter gezahlte
Halbwaisenrente in Höhe von 217,08 EUR geregelt worden ist. Insoweit besteht ein
Erstattungsanspruch der Beklagten nach § 50 SGB X, da die Bewilligung der Halb-
waisenrente mit Wirkung zum 01.08.2002 wirksam aufgehoben worden ist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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