Urteil des SozG Duisburg vom 11.01.2008

SozG Duisburg: gewöhnlicher aufenthalt, aufenthaltserlaubnis, wohnung, heizung, haushalt, erlass, hauptsache, zusammenleben, bulgarien, stadt

Sozialgericht Duisburg, S 10 AS 168/07 ER
Datum:
11.01.2008
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 10 AS 168/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller zu 3)
vorläufig für die Zeit vom 27.08.2007 bis zum Abschluss des
Hauptsacheverfahrens, längstens bis zum 31.03.2008 Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der anteiligen Kosten
für Unterkunft und Heizung sowie den Antragstellern zu 1) bis 3)
vorläufig Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung unter
Berücksichtigung des Antragstellers zu 3) zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der
Antragsteller zu 1) bis 3).
2. Den Antragstellern zu 1) bis 3) wird ab Antragstellung
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes J. W.,
Altendorfer Str. xx, 45xxx E. bewilligt.
Gründe:
1
I. Im Streit ist die Frage, ob ein Anspruch des Antragstellers zu 3) auf Gewährung von
Sozialgeld und auf Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung davon abhängig ist,
dass der Antragsteller zu 3) seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik
Deutschland hat.
2
Die am 12.10.1975 in Bulgarien geborene Antragstellerin zu 1) ist bulgarische
Staatsangehörige und verheiratet mit dem am 10.06.1978 geborenen deutschen
Staatsangehörigen M. Sch ... Aus der Ehe ist die am 27.10.2005 geborene Tochter A.
Sch. (Antragstellerin zu 2) hervorgegangen, die die deutsche Staatsangehörigkeit
besitzt. Die Antragstellerin zu 1) lebt seit März 2007 von ihrem Ehemann getrennt und
zog von Bremerhaven nach E. um. Seit dem 01.05.2007 bewohnt sie zusammen mit der
Antragstellerin zu 2) und ihrem am 26.11.1993 geborenen Sohn N. A. S. (Antragsteller
zu 3) eine 76 qm große Wohnung in E., für die eine Miete einschließlich Betriebskosten
in Höhe von 360,- Euro sowie Heizkosten einschließlich Warmwasserkosten in Höhe
von 85,- Euro monatlich zu zahlen sind.
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Der Antragsteller zu 3) ist bulgarischer Staatsangehöriger und lebte bis Mai 2007 in
Bulgarien. Nach einer Geburtsurkunde vom 26.07.2006 ist der Vater unbekannt. Der
Antragsteller zu 3) besucht ausweislich einer Schulbescheinigung vom 04.06.2007 eine
Ganztagshauptschule in E., wobei als voraussichtliche Schulbesuchsdauer der
Zeitraum bis 31.07.2010 angegeben ist. Nach einer Meldebestätigung des
Einwohneramtes der Stadt E. vom 07.05.2007 ist er unter der gleichen Anschrift
gemeldet wie die Antragsteller zu 1) und 2).
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Die Antragstellerin zu 1) ist im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 28
Aufenthaltsgesetz (AufenthG), die bis zum 05.10.2008 befristet und mit dem Vermerk
versehen ist, dass eine Erwerbstätigkeit gestattet ist. Für die Antragstellerin zu 2)
werden seit dem 01.04.2007 Kindergeld in Höhe von 154,- Euro monatlich und
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 127,- Euro bzw. ab dem
01.07.2007 in Höhe von 125,- Euro monatlich gezahlt.
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Die Antragstellerin zu 1) beantragte am 23.03.2007 bei der Antragsgegnerin für sich und
die Antragsteller zu 2) und 3) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Im
Rahmen einer persönlichen Vorsprache vom 08.05.2007 teilte sie mit, dass sie von der
Ausländerbehörde die Auskunft erteilt habe, dass der Antragsteller zu 3) keinen
Aufenthaltsstatus erhalte, sich aber in Deutschland aufhalten könne. Mit Bescheid vom
07.05.2007 und Änderungsbescheiden vom 09.05.2007, 30.05.2007 und 02.07.2007
wurden den Antragstellern zu 1) und 2) für die Zeit vom 01.04.2007 bis zum 30.09.2007
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes sowie (für die Zeit ab dem 01.05.2007)
anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung bewilligt.
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Mit Schreiben vom 11.07.2007 beantragte die Antragstellerin zu 1) für sich und die
Antragsteller zu 2) und 3) eine einmalige Möbelausstattung, da sie infolge der Trennung
von ihrem Ehemann aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei und keine
Möbelstücke mitgenommen habe. Mit Bescheid vom 13.07.2007 lehnte die
Antragsgegnerin die Gewährung einer Erstausstattung nach § 23 Abs. 3 SGB II ab, weil
die Regelleistung laufende und einmalige Bedarfe wie Hausrat umfassen würde. Zudem
sei eine vorherige Zusicherung der Kostenübernahme nicht erfolgt. Im Rahmen einer
persönlichen Vorsprache vom 09.08.2007 erhob die Antragstellerin zu 1) gegen den
ablehnenden Bescheid Widerspruch und wies darauf hin, dass sie von ihrem Mann
keine Möbel erhalten habe und gerichtliche Schritte gegen ihren Mann erfolglos seien,
da er bereits eine neue Lebensgefährtin habe.
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Am 21.08.2007 stellte die Antragstellerin zu 1) einen Antrag auf Fortzahlung der
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes. Mit Bescheid vom 22.08.2007
bewilligte die Antragsgegnerin für die Zeit vom 01.10.2007 bis zum 31.03.2008
monatliche Leistungen für die Antragsteller zu1) und 2) in einer Gesamthöhe von 692,-
Euro. Dabei wurde ein Gesamtbedarf in Höhe von 971,- Euro anerkannt, der sich aus
der Regelleistung für die Antragstellerin zu 1) in Höhe von 347,- Euro, die Regelleistung
für die Antragstellerin zu 2) in Höhe von 208,- Euro, einen Alleinerziehendenzuschlag in
Höhe von 125,- Euro und anteilige Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 291,-
Euro zusammensetzt, wobei bei den Heizkosten ein 10-prozentiger Abschlag für
Warmwasserkosten vorgenommen wurde (76,50 Euro statt 85,- Euro monatlich). Als
Einkommen wurden die monatlichen Kindergeldzahlungen in Höhe von 154,- Euro und
die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in Höhe von 125,- Euro
berücksichtigt und in Abzug gebracht. Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller
zu 1) bis 3) mit Schriftsatz vom 27.08.2007 Widerspruch und machten geltend, dass die
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Bedarfsgemeinschaft aus drei Personen bestehe und auch der Antragsteller zu 3)
Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der
anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung habe.
Mit einem am 27.08.2007 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz haben die Antragsteller
zu 1) bis 3) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, in deren
Rahmen sie zunächst die Gewährung von Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung
sowie Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der anteiligen
Kosten für die Unterkunft und Heizung für den Antragsteller zu 3) geltend gemacht
haben.
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Die Antragsgegnerin hat mit Schriftsatz vom 30.08.2007 einen Anspruch auf Leistungen
zur Erstausstattung der Wohnung ohne Berücksichtigung des Antragstellers zu 3) und
mit Ausnahme einer Grundausstattung für die Antragstellerin zu 2) anerkannt. Die
Antragsteller haben das Teilanerkenntnis angenommen und begehren weiterhin
Leistungen auch für den Antragsteller zu 3).
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Sie sind der Auffassung, es bestehe ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes und ein Anspruch auf Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung
für den Antragsteller zu 3), da er als minderjähriges Kind der Antragstellerin zu 1) zur
Bedarfsgemeinschaft gehöre. Der Anspruch auf Gewährung von Sozialgeld nach § 28
SGB II setzte lediglich voraus, dass der Antragsteller zu 3) mit seiner erwerbsfähigen
Mutter, die in ihrer Person einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes habe, in einer Bedarfsgemeinschaft zusammenlebe. Es komme nicht
darauf an, ob der Antragsteller zu 3) eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive in der
Bundesrepublik Deutschland habe. Vielmehr reiche aus, dass er melderechtlich in E.
erfasst sei, dort zur Schule gehe und und seinen Lebensmittelpunkt bei seiner Mutter
habe.
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Die Antragsteller zu 1) bis 3) beantragen schriftsätzlich,
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebens- unterhaltes
einschließlich der anteiligen Kosten der Unterkunft und Heizung sowie Leistungen zur
Erstausstattung der Wohnung auch für den Antragsteller zu 3) zu gewähren.
13
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
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den Antrag abzuweisen.
15
Sie ist der Ansicht, der Antragsteller zu 3) sei grundsätzlich nicht anspruchsberechtigt für
Leistungen nach dem SGB II, da er keinen gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland habe. Nach Auskunft des Ausländeramtes bestehe für ihn
keine Möglichkeit, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, so dass keine Option auf eine
dauerhafte Aufenthaltsperspektive in der Bundesrepublik Deutschland bestehe.
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Während des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat die Familienkasse Oberhausen
mit Bescheid vom 11.09.2007 für den Antragsteller zu 3) Kindergeld in Höhe von 154,-
Euro monatlich rückwirkend ab Februar 2007 bewilligt. Eine telefonische Nachfrage des
Gerichts beim Ausländeramt der Stadt E. vom 30.11.2007 hat ergeben, dass dort bis zu
diesem Zeitpunkt kein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den
Antragsteller zu 3) anhängig gemacht worden ist. Gleichzeitig hat das Ausländeramt
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angegeben, dass der Aufenthalt des Antragstellers zu 3) aktenkundig sei und keine
aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt seien. Auf den Hinweis des Gerichts,
dass im Hinblick auf Artikel 6 Grundgesetz die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für
den Antragsteller zu 3) in Betracht zu ziehen sei, ist seitens des Ausländeramtes
angeregt worden, einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu stellen. Am
04.01.2008 ist dem Antragsteller zu 3) auf seinen Antrag hin eine auf die Dauer des
Aufenthaltes der Mutter beschränkte und bis zum 15.10.2008 befristete
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 Aufenthaltsgesetz erteilt worden.
In einer eidesstattlichen Versicherung vom 23.08.2007 hat die Antragstellerin zu 1)
angegeben, dass der Antragsteller zu 3) seit Mai 2007 bei ihr lebe und dass sie und ihre
Kinder über keine finanziellen Mittel verfügen würden.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der zum Verfahren beigezogenen
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
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II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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Nach 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache
auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in
Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für den Erlass einer
einstweiligen Anordnung ist das Bestehen eines Anordnungsanspruches, d.h. des
materiell-rechtlichen Leistungsanspruches, sowie das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile und die damit verbundene Unzumutbarkeit, die Entscheidung in
der Hauptsache abzuwarten.
21
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht
isoliert nebeneinander stehen, sondern dass eine Wechselwirkung derart besteht, dass
die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteiles (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und
umgekehrt. Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache offensichtlich
unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht
auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht
nicht vorhanden ist. Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der Hauptsache dagegen
offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen
Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung statt zugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen
Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 Az 1 BvR
569/05). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86
Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung).
22
Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag insoweit zu entsprechen, als dem
Antragsteller zu 3) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der
anteiligen Kosten für Unterkunft und Heizung und den Antragstellern zu 1) bis 3)
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Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung unter Berücksichtigung des Antragstellers
zu 3) bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren, längstens bis zum 31.03.2008
zuzusprechen waren.
Der Anordnungsanspruch des Antragstellers zu 3) hinsichtlich der Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der anteiligen Kosten für Unterkunft
und Heizung ergibt sich aus § 28 Abs. 1 i.V.m. § 7 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 4 SGB II.
Danach erhalten nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, Sozialgeld, soweit sie keinen
Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des 12. Buches haben. Nach § 7
Abs. 3 Nr. 4 SGB II gehören zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden
unverheirateten Kinder des erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, wenn sie das 25.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
Diese Anspruchsvoraussetzungen liegen bei dem Antragsteller zu 3) vor.
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Der Antragsteller zu 3) lebt seit Mai 2007 mit seiner Mutter, der Antragstellerin zu 1), in
einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft zusammen und gehört damit dem Haushalt
der Antragstellerin zu 1) an. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller zu 3) nach der
Bestätigung des Einwohneramtes der Stadt E. vom 07.05.2007 melderechtlich mit
derselben Wohnanschrift gemeldet ist wie die Antragstellerin zu 1) und ausweislich der
Schulbescheinigung der Hauptschule Bärendelle vom 04.06.2007 eine
Ganztagshauptschule in E. besucht, hat das Gericht keine Zweifel, dass der
Antragsteller zu 3) sich nicht nur zu Besuchszwecken bei seiner Mutter aufhält, sondern
ein dauerhaftes Zusammenleben in einer Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaft vorliegt.
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Bei der Antragstellerin zu 1) handelt es sich um eine erwerbsfähige Hilfebedürftige im
Sinne der Legaldefinition des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, die selbst leistungsberechtigt ist,
da sie (1) das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat,
(2) erwerbsfähig ist, (3) hilfebedürftig ist und (4) ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der
Bundesrepublik Deutschland hat. Die Antragstellerin zu 1) hat insbesondere ihren
gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
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Da der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes im SGB II nicht definiert ist, kommt § 30
Abs. 3 Satz 2 SGB I zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift hat einen gewöhnlichen
Aufenthalt jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält. die erkennen lassen, dass
er an diesem Ort oder diesem Gebiet nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft oder
länger verweilt. Maßgeblich ist in erster Linie der tatsächliche Wille des Berechtigten,
einen Ort zum Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen zu machen. In zweiter Linie sind
die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zuzuges bzw. der Antragstellung zu prüfen,
wobei insbesondere maßgeblich ist, ob die persönlichen Verhältnisse der Begründung
eines gewöhnlichen Aufenthaltes entgegenstehen (LSG NRW vom 23.08.2007 Az L 1 B
36/07 AS ER). Es müssen objektive Momente vorliegen, die auf einen Zustand längeren
Verweilens schliE. lassen. Nach der Rechtssprechung des Bundessozialgerichtes wird
bei Ausländern der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes durch rechtliche
Voraussetzungen modifiziert (vgl. BSG SozR 3-1200 § 30 SGB I Nr. 15 mit einem
Überblick über die Rechtssprechung der verschiedenen Senate).
27
Bei der Antragstellerin zu 1) ist zu berücksichtigen, dass sie über eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG verfügt, da sie als bulgarische
Staatsangehörige mit einem Deutschen verheiratet ist, der seinen gewöhnlichen
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Aufenthalt im Bundesgebiet hat. Diese Aufenthaltserlaubnis ist abweichend von § 5
Abs. 1 Nr. 1 AufenthG zu erteilen, also nicht davon abhängig, dass der Lebensunterhalt
gesichert ist. Diese Aufenthaltserlaubnis berechtigt nach § 28 Abs. 5 AufenthG zur
Ausübung einer Erwerbstätigkeit und ist auf 3 Jahre befristet, was sich aus § 7 Abs. 2
AufenthG ergibt. Insoweit hat die Antragstellerin zu 1) einen ausländerrechtlichen
Status, der ausreichend gesichert und dauerhaft in dem Sinne ist, dass er unter
Berücksichtigung aller Umstände nicht auf Beendigung angelegt, sondern zukunftsoffen
ist (ebenso Fichtner/Wenzel Kommentar zur Grundsicherung 3. Auflage § 7 SGB II Rn 4
zur Aufenthaltserlaubnis nach dem neuen AufenthG; vgl. BSG SozR 3-2600 § 56 SGB
VI Nr. 7 und BSG SozR 3 5710 Artikel 1 Nr. 1 für die Aufenthaltserlaubnis zum Zweck
der Familienzusammenführung nach dem früheren Ausländergesetz). Die Befristung
steht der Zukunftsoffenheit in einem solchen Fall nicht entgegen, weil die Befristung nur
die Wirksamkeit der Aufenthaltserlaubnis vom Ablauf eines bestimmten Zeitraumes
abhängig macht, nicht jedoch das Ende eines berechtigten Aufenthaltes feststellt, so
dass die Berechtigung für die Zukunft offen gelassen wird (BSG SozR 3- 2600 § 56 SGB
VI Nr. 7 Seite 34).
Somit gehört der Antragsteller zu 3) dem Haushalt einer erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
an, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat und nach
§ 7 Abs. 1 SGB II leistungsberechtigt ist.
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Der Antragsteller zu 3) erfüllt auch die in § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II geregelten
Anspruchsvoraussetzungen für den Sozialgeldanspruch. Er hat das 25. Lebensjahr
noch nicht vollendet und ist nicht in der Lage, die Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes aus eigenem Einkommen oder Vermögen zu beschaffen. Die
Bedürftigkeit des Antragstellers zu 3) entfällt nicht nach § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II,
wonach das Einkommen und Vermögen der Antragstellerin zu 1) zu berücksichtigen ist.
Schließlich greift der Leistungsausschluß des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nicht ein,
wonach Leistungen nach dem SGB II für Familienangehörige von Ausländern
ausgenommen sind, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche
ergibt. Das Aufenthaltsrecht der Mutter des Antragstellers zu 3) ergibt sich nach § 28
Abs. 1 Nr. 1 AufenthG nicht aus dem Zweck der Arbeitssuche, sondern aufgrund der
Ehe mit einem Deutschen.
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Soweit die Antragsgegnerin die Auffassung vertreten hat, als weitere
Anspruchsvoraussetzung für den Sozialgeldanspruch des Antragstellers zu 3) müsse
dE. gewöhnlicher Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland vorliegen, ergibt sich
dies nicht aus dem Gesetz. Die Anspruchsvoraussetzungen sind abschliE.d in § 28 Abs.
1 i.V.m. § 7 Abs. 2 und Abs. 3, § 9 Abs. 2 Satz 2 SGB II geregelt. Der
Sozialgeldberechtigte im Sinne des § 28 SGB II muss in seiner Person nicht die
Anspruchsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllen. Dies ergibt sich
unmittelbar aus dem Gesetz, weil § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ausschließlich die
Leistungsvoraussetzungen für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen regelt (vgl.
ausdrücklich den Klammerzusatz in § 7 Abs. 1 Satz 1) und der Anspruch auf Gewährung
von Sozialgeld nicht dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen zusteht, sondern dem mit ihm
in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden nicht erwerbsfähigen Angehörigen bzw. dem mit
ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden minderjährigen Kind. Eine Bezugnahme auf
§ 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist nicht geregelt und würde zu dem widersprüchlichen
Ergebnis führen, dass Leistungsvoraussetzungen in Bezug genommen würden, die der
Sozialgeldberechtigte notwendigerweise nicht erfüllt. Während § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
Erwerbsfähigkeit voraussetzt, ist Anspruchsinhaber des Sozialgeldes der nicht
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erwerbsfähige Angehörige. Während das Sozialgeld minderjährigen Kindern bis zum
15. Lebensjahr zusteht, ist in § 7 Abs. 1 Nr. 1 geregelt, dass anspruchsberechtigt nur
Personen sind, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht
vollendet haben.
Auch die Gesetzessystematik steht der von der Antragsgegnerin vertretenen Auffassung
entgegen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich bei dem Sozialgeldanspruch des
minderjährigen Kindes bzw. des nicht erwerbsfähigen Leistungsberechtigten um einen
sekundären Leistungsanspruch handelt, der einen primären Leistungsanspruch des
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen voraussetzt (Brühl/Schoch in LPK SGB II § 7 Rn 43).
Der Leistungsberechtigte im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB II ist konstitutiv für die
Bedarfsgemeinschaft und ermöglicht den nicht erwerbsfähigen Mitgliedern bzw. den
minderjährigen Kindern über das rechtliche Vehikel der Bedarfsgemeinschaft deren
Leistungsansprüche. Es handelt sich somit um vom Hauptberechtigten abgeleitete
(akzessorische) Ansprüche (vgl. Hauck/Noftz § 7 Rn 33; Eicher-Spellbrink § 7 Rn 23;
Rothkegel in Gagel § 28 SGB II Rn 9). Insoweit ist es folgerichtig, dass der
akzessorische Sozialgeldanspruch des minderjährigen Kindes lediglich den
gewöhnlichen Aufenthalt des Hauptleistungsberechtigten voraussetzt und als
zusätzliche eigenständige Anspruchsvoraussetzung (nur) die Zugehörigkeit des
minderjährigen Kindes zum Haushalt des Hauptberechtigten und die fehlende
Bedürftigkeit des minderjährigen Kindes unter Berücksichtigung der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse der Eltern geregelt ist.
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Somit ergibt sich aus dem Wortlaut des Gesetzes und der Gesetzessystematik, dass die
in § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II geregelten Anspruchsvoraussetzungen für
Sozialgeldberechtigte nicht gelten (ebenso für den gewöhnlichen Aufenthalt: SG
Dessau vom 15.07.2007 Az S 9 AS 396/05 ER; Brühl/Schoch in LPK SGB II § 7 Rn 18;
Hänlein in Gagel § 7 SGB II Rn 64 jeweils mit dem Hinweis, dass der gewöhnliche
Aufenthalt bei Zusammenleben in einem Haushalt mit dem erwerbsfähigen
Hilfebedürftigen in der Regel gegeben sein wird; aA Juris Praxiskommentar § 28 Rn 16;
Mergeler/Zink § 28 Rn 3 jeweils ohne Begründung). Schließlich erfordert auch Sinn und
Zweck der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II nicht eine Erstreckung auf
akzessorisch berechtigte Leistungsempfänger. Zweck des Erfordernisses des
gewöhnlichen Aufenthaltes ist in erster Linie die Verhinderung eines Leistungsexportes
in das Ausland (LSG NRW vom 19.01.2006 Aktenzeichen L 1 B 17/05 AS ER;
Mergeler/Zink § 7 Rn 7; Eicher-Spellbrink § 7 Rn 9; Hauck/Noftz § 7 Rn 24). Dieser
Zweck wird bereits dadurch erreicht, das der Sozialgeldanspruch die Zugehörigkeit zum
Haushalt des Hauptleistungsberechtigten voraussetzt, so dass ein Zusammenleben mit
dem Hauptleistungsberechtigten im Inland notwendigerweise vorliegen muss.
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Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, wie der Aufenthaltsstatus des
Antragstellers zu 3) zu beurteilen ist und ob insoweit ein gewöhnlicher Aufenthalt im
Sinne der höchstrichterlichen Rechtssprechnung anzunehmen ist. Für die Zeit ab dem
04.01.2008 ist eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 AufenthG erteilt worden,
wobei es sich um eine Aufenthaltserlaubnis für einen vorübergehenden Aufenthalt
handelt, nämlich so lange dringende humanitäre oder persönliche Gründe oder
erhebliche öffentliche Interessen. die vorübergehende weitere Anwesenheit im
Bundesgebiet erfordern. Auch in diesen Fällen kann gleichwohl ein gewöhnlicher
Aufenthalt vorliegen, wenn die für den Aufenthalt maßgeblichen Gründe auf
unabsehbare Zeit bestehen bleiben (vgl. Fichtner/Wenzel § 7 Rn 4). Da die
Aufenthaltsberechtigung des Antragstellers zu 3) von dem tatsächlichen Aufenthalt bzw.
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der Aufenthaltsberechtigung der Mutter abhängig gemacht worden ist und für die Mutter
ein gewöhnlicher Aufenthalt im Sinne eines zukunftsoffenen berechtigten Verweilens in
der Bundesrepublik Deutschland zugrunde zulegen ist, spricht viel dafür, einen
gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers zu 3) anzunehmen. Dies gilt auch für die
Zeit vor Erteilung der Aufenthaltserlaubnis, da die Auskünfte des Ausländeramtes den
Schluss zulassen, dass man in Kenntnis des Aufenthaltes des Antragstellers zu 3) und
der Einzelfallumstände den Aufenthalt dulden und nicht durch ausländerbehördliche
Maßnahmen beenden wollte (vgl. zu dieser Fallgestaltung: BSG SozR 3-1200 § 30 SGB
I Nr. 15).
Soweit die Antragsgegnerin die Bewilligung von auf die Person des Antragstellers zu 3)
bezogenen Erstausstattungsgegenständen abgelehnt hat, ergibt sich der
Anordnungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II. Da der Antragsteller zu 3)
einen Anspruch auf Regelleistung nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II
hat und Erstausstattungsgegenstände nach § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht von der
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Regelleistung umfasst sind, ist insoweit ein Anordnungsanspruch gegeben. Bezogen
auf die Person des Antragstellers zu 3) liegt eine Erstausstattung unzweifelhaft vor, da
er aus Bulgarien zugezogen ist.
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Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, wobei zu
berücksichtigen ist, dass sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund verringern,
je offensichtlicher der materiell-rechtliche Anspruch begründet ist. Die Antragsteller
haben durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherung glaubhaft gemacht, dass sie zur
Zeit über keine Einkünfte und kein Vermögen verfügen und im Hinblick auf den
existenzsichernden Charakter der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes und
der Leistungen zur Erstausstattung der Wohnung darauf angewiesen sind, diese
Leistungen vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens zur Verfügung zu haben. Die
Leistungen waren für die Zeit ab Eingang des Antrages auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung bei Gericht (27.08.2007) bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens,
längstens bis zum Ende des von der Antragsgegnerin im Bescheid vorgesehenen 6-
monatigen Bewilligungszeitraumes (§ 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) zu zusprechen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Die Prozesskostenhilfe war nach § 73 a SGG i.V.m. § 114 ZPO zu bewilligen.
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