Urteil des SozG Duisburg vom 16.04.2004

SozG Duisburg: krankenpflege, spina bifida, haushalt, krankenversicherung, krankenkasse, kindergarten, versorgung, behandlung, krankheit, verordnung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
1
2
3
4
5
Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Duisburg, S 9 (7) KR 35/03
16.04.2004
Sozialgericht Duisburg
9. Kammer
Urteil
S 9 (7) KR 35/03
Landessozialgericht NRW, L 5 KR 89/04
Krankenversicherung
nicht rechtskräftig
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Bescheide vom 26.08.2002 und
09.09.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2002
verurteilt, die Kosten für die häusliche Krankenpflege der Klägerin in
Form der Einmalkatheterisierung im jeweils verordneten und erbrachten
Umfang für die Zeit ab dem 09.09.2002 zu übernehmen. Die Beklagte
trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin dem
Grunde nach.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte die Kosten der Einmalkatheterisierung der
Klägerin im Kindergarten im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs 2 des
Sozialgesetzbuches Fünftes Buch - SGB V - zu übernehmen hat.
Die am 00.00.1997 geborene, bei der Beklagten familienversicherte Klägerin leidet einer
neurogenen Blasenstörung bei Caudasyndrom, Zustand nach Spina bifida aperta
Hydrocephalus internus, schlaffe Paraplegie, Zustand nach Klumpfußoperation beidseits.
Aufgrund der angeborenen Blasenlähmung ist es erforderlich, dass die Klägerin alle 4
Stunden katheterisiert wird. In den häuslichen Umgebung werden diese Maßnahmen von
ihrer Mutter durchgeführt. Die Klägerin ist in die Pflegestufe II eingestuft und erhält
Pflegegeld.
Seit September 2002 besucht die Klägerin einen Ganztagsregelkindergarten. Im August
2002 beantragte die Mutter der Klägerin die Kostenübernahme für eine
Einmalkatheterisierung im Kindergarten durch einen Pflegedienst. Zur Begründung legte
sie eine Bescheinigung der Kinderärztin Frau Dr. M-X vom 12.08.2002 vor, worin sie die
Erforderlichkeit einer alle 4 Stunden erfolgenden Katheterisierung bestätigte, um weiteren
Komplikationen vorzubeugen. Des weiteren fügte sie Verordnungen häuslicher
Krankenpflege zur Sicherung der ambulanten Behandlung ab dem 09.09.2002 bei.
Im Schreiben vom 26.08.2002 und förmlichem Bescheid vom 09.09.2002 lehnte die
Beklagte die Genehmigung häuslicher Krankenpflege zur Einmalkatheterisierung mit der
Begründung ab, die Einmalkatheterisierung sei im Rahmen der häuslichen Krankenpflege
6
7
Begründung ab, die Einmalkatheterisierung sei im Rahmen der häuslichen Krankenpflege
weder verordnungsfähig noch durch einen Pflegedienst abrechenbar. Eine
Kostenübernahme sei nur dann möglich, wenn es sich um den Wechsel eines
transurethralen Dauerkatheters handele, was hier nicht der Fall sei. Überdies werde eine
Leistungserbringung im Kindergarten, in der Schule oder in sonstigen außerfamiliären
Einrichtungen vom Gesetz nicht erfasst und löse auch keine Leistungspflicht der Beklagten
aus.
Schließlich handele es sich bei der beantragten Leistung um eine Hilfe bei der
Ausscheidung, welche bei der Pflegestufenbestimmung in einem zeitlichen Umfang von 8 x
täglich Anrechnung gefunden habe. Eine zusätzliche Vergütung durch die Krankenkasse
könne nicht erfolgen. Hiergegen erhob die Klägerin am 07.10.2002 durch ihre
Prozessbevollmächtigten bei der Beklagten Widerspruch und machte geltend: nach § 37
Abs 2 SGB V seien Krankenpflegeleistungen nicht ausgeschlossen, wenn der Versicherte
sich nur vorübergehend, z. B. zum Besuch des Kindergartens oder der Schule, außerhalb
des Hauses aufhalte. Im übrigen stelle die Einmalkatheterisierung keine Maßnahme der
Grundpflege dar, zumal auch nach den "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen über die Verordnung häuslicher Krankenpflege" vom 16.02.2000 unter den
Punkten 22. und 23. die Katheterisierung als Teil der Behandlungspflege genannt werde.
Insoweit bestehe kein rechtlicher Unterschied, ob eine Einmal- oder eine
Dauerkatheterisierung vorgenommen werden müsse. Die Beklagte vertrat demgegenüber
weiterhin die Auffassung, die Einmalkatheterisierung falle nicht in ihre Leistungspflicht;
überdies werde sie außerhalb des Haushaltes im Kindergarten erbracht. Auch gebe es
integrative Kindergärten, die Kinderkrankenschwestern beschäftigten, die die
Einmalkatheterisierung durchführen könnten. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin
verwies demgegenüber auf das zwischenzeitlich ergangene Urteil des BSG vom
21.11.2002, Az: B 3 KR 13/02 R, demzufolge Leistungen der häuslichen Krankenpflege
auch außerhalb der Familienwohnung erbracht werden könnten. Mit
Widerspruchsbescheid vom 20.02.2003 wies die Beklagte den Widerspruch unter
Darstellung der insoweit einschlägigen Vorschriften aus den Gründen des
Ausgangsbescheides zurück. Ergänzend führte sie aus: Die Katheterisierung beziehe sich
nach den Richtlinien lediglich auf die Versorgung mit einem Dauerkatheter. Das Legen
eines Einmalkatheters werde lediglich im Zusammenhang mit der Restharnbestimmung
erwähnt und als ärztliche Leistung deklariert. Bei der Einmalkatheterisierung handele es
sich demnach - unabhängig vom Ort der Durchführung - nicht umeine Leistung, die im
Rahmen der häuslichen Krankenpflege von der Krankenkasse zur Verfügung gestellt
werden könne.
Die Klägerin hat am 26.02.2003 durch ihren Prozessbevollmächtigten Klage erhoben, mit
der sie weiterhin die Kostenübernahme für die Einmalkatheterisierung im Kindergarten
begehrt. Sie trägt unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens ergänzend vor: Die am
14.05.200 In Kraft getretenen "Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege" beinhalteten keine
abschließende Aufzählung hinsichtlich der zu erbringenden Leistungen. Wenn die
Behandlungspflege zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sei,
könne dieser Anspruch nicht durch Richtlinien ausgeschlossen werden. Die
Katheterisierung bei Kindern mit Spina bifida habe immer mittels Einmalkatheterisierung zu
erfolgen. Die Klägerin verweist zur Stützung ihrer Rechtsauffassung auf Urteile des
Sozialgerichts Köln vom 11.06.2001, Az: S 23 (9) KN 27/99 KR, des LSG NW vom
30.04.2002, Az: L 5 KR 116/01 sowie des Sozialgerichts Regensburg vom 09.10.2003, Az:
S 2 KR 87/03.
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 26.08.2002 und 09.09.2002 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 20.02.2003 zu verurteilen, die Kosten für eine häusliche
Krankenpflege in Form der Einmalkatheterisierung im jeweils verordneten und erbrachten
Umfang für die Zeit ab dem 09.09.2002 zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verbleibt demgegenüber bei ihrer bisher vertretenen Rechtsauffassung. Die
Richtlinien seien für sie aufgrund ihres normativen Charakters verbindlich; demzufolge
dürfe die Einmalkatheterisierung als nicht verordnungsfähige Leistung nicht als
Sachleistung durch die Beklagte erbracht werden. Da diese Leistung bereits im Rahmen
der Pflegeversicherung berücksichtigt werde, sei eine nochmalige Berücksichtigung als
Sachleistung der Krankenversicherung nicht möglich. Die Beklagte hat die erstellten
Pflegegutachten in Kopie vorgelegt.
Das Gericht hat zur Frage der medizinischen Notwendigkeit der Katheterisierung einen
Befundbericht der nunmehr behandelnden Kinderärztin Frau I eingeholt. In ihrem
Schreiben vom 19.01.2004 hat sie ua ausgeführt: Es sei notwendig, die Klägerin 4 bis 5 x
täglich zu katheterisieren, da eine aufsteigende Harnwegsinfektgefährdung bei dauernden
Restharnbeständen bestehe. Z. Zt. sei eine Einmalkatheterisierung während der
Kindergartenzeit und demnächst der Schulzeit dringend erforderlich. Die Mutter der
Klägerin sei aufgrund der Betreuungsarbeit für die beiden anderen Kinder nicht in der Lage,
dies im Kindergarten selbst zu tun. Auf die beigefügten medizinischen Unterlagen wird
Bezug genommen.
Der Anfang September 2002 bei der Stadt N gestellte Antrag auf Gewährung von
Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für die Einmalkatheterisierung nach
dem Bundessozialhilfegesetz wurde mit der Begründung abgelehnt, Maßnahmen zulasten
des Sozialhilfeträgers seien grundsätzlich nachrangig.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und den der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich vorgelegen haben
und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 und 4 des
Sozialgerichtsgesetzes - SGG - zulässige Klage ist in dem aus dem Urteilstenor
ersichtlichen Umfang begründet. Die Klägerin ist durch die angefochtenen ablehnenden
Bescheide der Beklagten im Sinne des § 54 Abs 2 S 1 SGG beschwert, denn die
Entscheidung der Beklagten ist rechtswidrig. Die Beklagte hat es zu Unrecht abgelehnt, der
Klägerin häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 2 SGB V in Form der
Einmalkatheterisierung während der Zeit ihres Kindergartenbesuchs zu gewähren. Die
Klägerin hat indessen Anspruch auf Kostenübernahme für die Einmalkatheterisierung
durch Mitarbeiter eines Pflegedienstes während des Kindergartenbesuchs im jeweils
vertragsärztlich verordneten und erbrachten Umfang.
Gem § 27 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte einen Anspruch auf Krankenbehandlung,
wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung
19
zu verhüten und Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Leistungen der
Krankenbehandlung umfassen nach S 2 Nr 4 dieser Vorschrift auch die häusliche
Krankenpflege im Sinne des § 37 SGB V.
Die Klägerin hat einen diesbezüglichen Sachleistungsanspruch auf Gewährung von
Behandlungspflege nach § 37 SGB V gegenüber der Beklagten. Nach § 37 Abs 2 S 1 SGB
V, der hier einschlägig ist, erhalten Versicherte in ihrem Haushalt oder ihrer Familie als
häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie zur Sicherung des Ziels der
ärztlichen Behandlung erforderlich ist. Die Notwendigkeit und Erforderlichkeit der
häuslichen Krankenpflege als Maßnahme der Behandlungspflege ergibt sich zur
Überzeugung des Gerichts aus den von den behandelnden Kinderärztinnen Frau I und
Frau Dr. M-X ausgestellten Verordnungen und den darin angegebenen Diagnosen. Das
regelmäßig alle vier Stunden erforderliche Legen eines Blasenkatheters bei der Klägerin
stellt eine Maßnahme der Behandlungspflege im Sinne dieser Vorschrift dar. Zur
Behandlungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Erkrankung
verursacht werden, speziell auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind
und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder
Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu linden. (vgl. hierzu: Urteil des
Bundessozialgerichts - BSG - vom 30.10.2001, AZ: B 3 KR 27/01 R) Bei der Klägerin liegt
eine neurogene Blasenentleerungsstörung vor, die eine regelmäßige Katheterisierung
erforderlich macht, um die Verschlimmerung dieser Erkrankung zu verhindern bzw. das
Entstehen weiterer Krankheitsfolgen zu vermeiden. Das Gericht geht im Unterschied zur
Beklagten, die die Einmalkatheterisierung als grundpflegerische Verrichtung beurteilt, die
mit den Leistungen aus der Pflegeversicherung abgegolten wird, davon aus, dass es sich
bei der Einmalkatheterisierung der Klägerin um eine Maßnahme handelt, die sowohl
grundpflegerische als auch behandlungspflegerische Elemente enthält, wobei im
vorliegenden Fall aufgrund des bei der Klägerin gegebenen Krankheitsbildes die
Behandlungspflege im Sinne des § 37 SGB V im Vordergrund steht. Die Kammer sieht sich
in ihrer Rechtsauffassung, dass es sich bei der Einmalkatheterisierung nicht um eine
lediglich der Grundpflege zuzuordnende Leistung handelt, im übrigen auch durch die
Ausführungen in Abschnitt D Nr 5.1.7 der Richtlinien der Spitzenverbände der
Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem XI. Buch des
Sozialgesetzbuches bestätigt, worin die Einmalkatheterisierung nicht als bloße
grundpflegerische, sondern als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme bezeichnet wird.
Durch die insoweit gewählte Formulierung wird bereits deutlich, dass ihr eine
Sonderstellung zukommt, auch wenn der hiermit für die Pflegeperson verbundene
Zeitaufwand zusätzlich zu dem bei der Darm- und Blasenentleerung bestehenden
Hilfsbedarf zu berücksichtigen und als Erschwernisfaktor zu werten ist. Dies bedeutet
indessen nach Auffassung des Gerichts nicht zwangsläufig, dass die
Einmalkatheterisierung als Maßnahme der Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 S 1 SGB V
von vornherein ausgeschlossen ist. Die medizinische Notwendigkeit einer regelmäßigen,
in 4-stündigem Abstand vorzunehmenden Katheterisierung ist unbestritten. Hierbei handelt
es sich neben der dem grundpflegerischen Bereich zuzuordnenden Hilfe bei der
Blasenentleerung darüber hinaus um eine Maßnahme der Behandlungspflege nach § 37
Abs 2 S 1 SGB V. Hierzu gehören nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom
21.11.2002, Az: B 3 KR 13/02 R mwN) alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte
Erkrankung erforderlich werden, auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet
sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten bzw.
Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern. Die Einmalkatheterisierung wird
zudem ärztlich verordnet und dient dazu, lebensbedrohliche Krankheitsfolgen zu
vermeiden. Deshalb geht die Einmalkatheterisierung ihrer Zwecksetzung nach über die
20
21
22
bloße Blasenentleerung im Sinne der enumerativ aufgeführten Verrichtungen des § 14 Abs
4 SGB XI hinaus, was ihre Beurteilung als Behandlungspflege aus Sicht des Gerichts
rechtfertigt. Angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles hält das Gericht die
Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.08.1998, Az: B 10 KR 4/97 R), derzufolge
krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen, die an sich in die Leistungspflicht der
Krankenversicherung fallen, nur dann zum Pflegeaufwand nach dem SGB XI gehören,
wenn sie entweder a) Bestandteil der Hilfe für die sog Katalogverrichtungen des § 14 Abs 4
SGB XI sind oder b) in unmittelbarem zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang mit dieser
Hilfe erforderlich werden, auf den hier gegebenen Sachverhalt für nicht übertragbar.
Es hat daher dabei zu verbleiben, dass es sich bei den verordneten Maßnahmen um im
Rahmen der krankenversicherungsrechtlich geregelten Behandlungspflege von der
Beklagten zu erbringende Leistungen handelt, soweit sie bei bestehender Schulpflicht in
der Schule durchgeführt werden. Ein Versagungsgrund für die Leistungserbringung liegt
schließlich auch dann nicht vor, wenn gleichzeitig Leistungen nach dem SGB XI bezogen
werden, denn die Vorschriften des Pflegeversicherungsgesetzes stehen der Erbringung
von Leistungen der Behandlungspflege im Sinne des § 37 SGB V neben Pflegeleistungen
nach Maßgabe der Regelungen des SGB XI nicht entgegen.
Diesbezüglich ist in § 13 Abs 2 SGB XI bestimmt, dass die Leistungen der häuslichen
Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben. Damit ist klargestellt, dass auch in den
Fällen, in denen Leistungen nach dem Pflegeversicherungsgesetz erbracht werden,
häusliche Krankenpflege nach § 37 SGB V nicht ausgeschlossen ist. Die Erbringung von
Behandlungspflege zusätzlich zu Leistungen aus der Pflegeversicherung ist demzufolge
ausdrücklich vorgesehen und ergänzt die vielfach unzureichenden Pflegeleistungen.
Hieraus folgt, dass der vorgegebene Katalog der grundpflegerischen Verrichtungen nicht
beliebig um weitere Leistungen erweitert werden kann. Das Gericht vermag der Beklagten
nicht beizupflichten, soweit sich diese im Hinblick auf die von der Klägerin bereits
erhaltenen Leistungen nach der Pflegestufe II gegen eine Aufspaltung eines einheitlichen
Lebenssachverhaltes wendet. In Anbetracht des gegliederten Sozialversicherungssystems
ist es unvermeidlich, auch bei einem einheitlich erscheinenden Lebenssachverhalt danach
zu unterscheiden, ob ein Anspruch auf Behandlungspflege, die der Krankenversicherung
zugeordnet ist, oder auf Grundpflege, die dem Anwendungsbereich des
Pflegeversicherungsgesetzes unterfällt, besteht. Insoweit sind die Anspruchsinhalte
verschieden. § 37 Abs 2 S 2 SGB V hat sowohl einfache, keine Fachkunde erfordernde als
auch qualifizierte, Fachkunde erfordernde behandlungspflegerische Leistungen zum
Gegenstand. Dagegen besteht die in § 14 Abs 3 SGB XI geregelte Hilfe in der
Unterstützung, in der teilweisen oder vollständigen Übernahme der Verrichtungen im
Ablauf des täglichen Lebens oder in der Beaufsichtigung oder Anleitung mit dem Ziel der
eigenständigen Übernahme dieser Verrichtungen, die im einzelnen in § 14 Abs 4 SGB XI
aufgeführt sind. Die Kammer hält es deshalb im Ergebnis für nicht zulässig, Verrichtungen,
wie die verordneten Leistungen als Grundpflege zu bewerten. Dies hätte zur Folge, dass
die Leistungspflicht einer Krankenkasse für die Erbringung solcher Leistungen im Rahmen
der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V im Falle von Leistungen nach dem
Pflegeversicherungsgesetz von vornherein entfiele, obgleich ein Rechtsanspruch auf
Behandlungspflege normiert ist. Nach der derzeit gegebenen Rechtslage besteht sowohl
auf Pflegeleistungen nach dem SGB XI als auch auf die Gewährung von
Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 SGB V ein Rechtsanspruch des Versicherten, wobei
diese Leistungen ggfs. auch nebeneinander zu erbringen sind.
23
24
25
Soweit nach Maßgabe der mit Wirkung zum 14.05.2000 in Kraft getretenen Richtlinien des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die "Verordnung von häuslicher
Krankenpflege nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 und Abs 7 SGB V" in der Fassung vom
16.02.2000, veröffentlicht im Bundesanzeiger am 13.05.2000, gem Abschnitt I Grundlagen
Nr 3 "die in der vertragsärztlichen Versorgung verordnungsfähigen Maßnahmen der
häuslichen Krankenpflege dem dieser Richtlinie angefügten Leistungsverzeichnis zu
entnehmen sind und dort nicht aufgeführte Maßnahmen nicht als häusliche Krankenpflege
verordnungsfähig sind und von der Krankenkasse nicht genehmigt werden dürfen", hält das
Gericht diese Leistungseinschränkung jedenfalls, was den Ausschluss der
Einmalkatheterisierung angeht, nicht für verbindlich. Zwar ergibt sich nach Maßgabe der
die Katheterisierung regelnden Nrn 22, 23 der vorgenannten Richtlinien, dass hiervon nur
die Versorgung eines suprapubischen Katheters bzw. das Legen, Entfernen oder Wechseln
eines Dauerkatheters erfasst werden, während die Einmalkatheterisierung an keiner Stelle
Erwähnung findet. In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen hat dies zur Folge, dass
die Einmalkatheterisierung auch bei unbestritten feststehender Notwendigkeit aus dem
Leistungskatalog einer gesetzlichen Krankenversicherung herausfällt. Dieses Ergebnis hält
die Kammer für mit geltendem Recht nicht vereinbar. Hieran vermag auch der Umstand
nichts zu ändern, dass die Klägerin Leistungen aus der Pflegeversicherung erhält. Diese
decken jedoch lediglich ihren Grundpflegebedarf ab und stehen einer Inanspruchnahme
von Behandlungspflege zu Lasten der Krankenkasse nicht entgegen. Insoweit ist die
unterschiedliche Zielsetzung der verschiedenen Gesetzeswerke zu beachten. Während
das SGB XI die Pflege des Pflegebedürftigen in seiner häuslichen Umgebung fördern und
sicherstellen will, bezwecken die Regelungen des SGB V die Sicherstellung der
Krankenbehandlung nach Maßgabe der in § 27 SGB V im einzelnen definierten
Behandlungsziele. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass den Richtlinien grundsätzlich
normkonkretisierender Charakter zukommt. Anders als die Richtlinien über die Einführung
neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 135 SGB V, in denen im
einzelnen aufgeführte, bestimmte Diagnose- und Therapieverfahren ausdrücklich aus der
vertragsärztlichen Versorgung ausgenommen sind und hinsichtlich derer das BSG deren
Verbindlichkeit für die Leistungsansprüche der Versicherten festgestellt hat, werden in den
hier maßgeblichen Richtlinien über die im einzelnen benannten Maßnahmen hinaus
sämtliche sonstigen Leistungen von vornherein ausgeschlossen. Hierdurch werden die
Rechte der Versicherten auf Krankenbehandlung nach §§ 27, 37 SGB V nach Auffassung
des Gerichts in unzulässiger Weise verkürzt, ohne dass hierfür eine ausreichende
gesetzliche Ermächtigungsgrundlage besteht.
§ 37 SGB V sieht seinem Wortlaut nach eine Beschränkung auf bestimmte Maßnahmen der
Behandlungspflege nicht vor. Die Einschränkung in Abs 3 dieser Vorschrift bezieht sich
lediglich auf die Möglichkeiten anderweitiger Erbringung, was den Maßnahmen nicht den
Charakter der Behandlungspflege nimmt. Auch eröffnet § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 und Abs 7 SGB
V dem Richtliniengeber nicht so weitgehende Kompetenzen, bestimmte
Leistungskomplexe gänzlich von der Möglichkeit einer vertragsärztlichen Verordnung
auszuschließen. Die Richtlinien als untergesetzliche Rechtsnormen sind demzufolge nicht
geeignet, gesetzliche Ansprüche aus § 37 Abs 2 SGB V einzuschränken. Hierzu bedarf es
nach Auffassung des Gerichts eines förmlichen Parlamentsgesetzes, so dass der
Ausschluss aller sonstigen als der im einzelnen benannten Maßnahmen nicht hinreichend
von einer gesetzlichen Ermächtigung gedeckt ist. Gem § 31 SGB I dürfen Rechte und
Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuches nur begründet, festgestellt,
geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt.
Da eine solche Ermächtigung hier weder in § 37 noch in § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 und Abs 7
26
27
28
29
30
SGB V vorliegt, ist der Leistungsausschluss hinsichtlich der Einmalkatheterisierung
unwirksam. Ein solcher Leistungsausschluss lässt sich mit dem gesetzlich normierten
Anspruch auf umfassende Krankenbehandlung bzw. -pflege nicht in Einklang bringen.
Sollte der Richtliniengeber die Einmalkatheterisierung bei der Aufstellung des
Leistungskataloges lediglich vergessen haben, handelt es sich um ein bloßes
Redaktionsversehen, das der Leistungsgewährung ebenfalls nicht entgegensteht.
Entgegen der Ansicht der Beklagten scheitert der Anspruch der Klägerin gem § 37 Abs 2 S
1 SGB V aber auch nicht daran, dass die Katheterisierung der Klägerin während des
Besuchs des Kindergartens und nicht im von der Familienwohnung begründeten
häuslichen Bereich durchgeführt wird.
§ 37 Abs 2 S 1 SGB V begrenzt die Leistungspflicht der Krankenkasse indessen nicht
räumlich auf den Haushalt des Versicherten oder seine Familie als Leistungsort und
schließt medizinisch erforderliche Maßnahmen, die bei vorübergehenden Aufenthalten
außerhalb der Familienwohnung anfallen, dann nicht aus, wenn sich der Versicherte
ansonsten ständig in seinem Haushalt bzw. in seiner Familie aufhält und dort seinen
Lebensmittelpunkt hat. (vgl. hierzu: Urteil des BSG vom 21.11.2002, Az: B 3 KR 13/02 R)
Die zutreffende Auslegung des § 37 SGB V ergibt, dass der Anspruch auf
Behandlungspflege auch dann besteht, wenn sich ein Versicherter vorübergehend nicht in
seinem Haushalt oder dem Haushalt seiner Familie aufhält ... Der Wortlaut der hier
maßgeblichen Vorschrift rechtfertigt die von der Beklagten angenommene Begrenzung
nicht. Die erweiternde Auslegung des § 37 Ab 2 S 1 SGB V ist nach seinem Wortlaut nicht
nur möglich, sondern nach Sinn und Zweck der Bestimmung sowie nach dem Gebot der
versichertenfreundlichen Auslegung, wie es aus § 2 Abs 2 SGB I zu entnehmen ist, auch
geboten. Nach dieser Vorschrift sind die in den §§ 3 ff. SGB I aufgeführten sozialen Rechte,
zu denen auch die notwendige Krankenversorgung im Rahmen der gesetzlichen
Krankenversicherung gehört, bei der Auslegung des SGB und bei der Ausübung von
Ermessen zu beachten. Dabei ist sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst
weitgehend verwirklicht werden.
Nach § 2 Abs 1 SGB I dienen die sozialen Rechte der Erfüllung der in § 1 SGB I genannten
Aufgaben, insbesondere der Schaffung gleicher Voraussetzungen für die freie Entfaltung
der Persönlichkeit junger Menschen. Dazu gehört bei Kindern die Wiederherstellung und
Sicherung der Möglichkeit zur sozialen Integration unter Gleichaltrigen in einem
Kindergarten bzw. einer Kindertagesstätte sowie der Schulfähigkeit nach Eintritt der
Schulpflicht. (vgl. hierzu: BSG aaO)
Der Wortlaut des § 37 Abs 2 S 1 SGB V führt mit "in ihrem Haushalt" und "in ihrer Familie"
zwei Alternativen auf, bei denen als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege zu
erbringen ist. Entweder befindet sich der Versicherte in seinem Haushalt oder in seiner
Familie. Dies ist hier der Fall, denn die Klägerin lebt auch trotz kurzfristiger Abwesenheit
während des Kindergartenbesuchs weiterhin in ihrer Familie. Der Wortlaut der Vorschrift
fordert nicht, dass sich der Versicherte in dem Haushalt seiner Familie aufhält. Dies ergibt
sich auch nicht aus dem Gebrauch der Formulierung "als häusliche Krankenpflege". Diese
beinhaltet lediglich, dass die Leistung der Krankenkasse, die Behandlungspflege, als
"häusliche Krankenpflege" qualifiziert wird, gerade auch dann, wenn sich ein Versicherter
zwar in seiner Familie, aber nicht in deren Haushalt befindet. Diese Qualifizierung der
Leistung Behandlungspflege als häusliche Krankenpflege wäre nicht notwendig gewesen,
wenn es ohnehin immer auf den Haushalt des Versicherten oder den seiner Familie
ankäme. Insoweit ist die Gewährung von Behandlungspflege außerhalb des eigenen oder
31
32
33
34
35
36
aber des Haushalts der Familie nicht ausgeschlossen. Dem Gesetzgeber ging es bei der
Umschreibung des Aufenthaltsortes des Versicherten im Rahmen der Behandlungspflege
vor allem um die Abgrenzung zur Leistungserbringung im stationären Bereich. Die
Regelung geht davon aus, dass Behandlungspflege dort zu erbringen ist, wo die
Versorgung des Versicherten mit Grundpflege und hauswirtschaftlicher Hilfe sichergestellt
ist. Ebenso wie im Bereich der Pflegeversicherung kann auch bei der Behandlungspflege
der Anspruch des Versicherten nicht davon abhängen, ob er sich zu Hause aufhält. Im
Hinblick auf den vorrangigen Zweck der Behandlungspflege, das Ziel der ärztlichen
Behandlung, also die Heilung, Besserung oder die Verhütung einer Verschlimmerung einer
Krankheit zu sichern, ist der Aufenthaltsort des Versicherten - sofern nicht
Krankenhausbehandlung oder vollstationäre Pflege vorliegt - ohne Belang.
Im vorliegenden Fall kann die Sicherung des Erfolgs der ärztlichen Behandlung der
Klägerin während des Kindergartenbesuchs in gleicher Weise erreicht werden wie zu
Hause.
Die Familie bildet trotz des an 5 Tagen in der Woche erfolgenden Kindergartenbesuchs
weiter den Lebensmittelpunkt der Klägerin, an den sie regelmäßig und auf Dauer
zurückkehrt. Der vom Gesetzgeber gebrauchte Begriff der Familie würde unzulässig
verengt, wollte man in diesen Zusammenhang den örtlichen Aufenthalt des Versicherten im
Haushalt er Familie als Voraussetzung für die Gewährung von Behandlungspflege fordern.
Eine nur kurzfristige Abwesenheit zum Zwecke des Kindergartenbesuchs lässt den
Lebensmittelpunkt des Versicherten in seiner Familie unberührt und belässt ihm den
Anspruch auf Behandlungspflege im Sinne des § 37 Abs 2 SGB V.
Ansprüche gegen den Träger der Eingliederungshilfe sind gem § 2 Abs 1 des BSHG
gegenüber dem Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung subsidiär.
Der Anspruch der Klägerin ist schließlich auch nicht gem § 37 Abs 3 SGB V
ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht der Anspruch auf häusliche Krankenpflege
nur, soweit eine im Haushalt lebende Person den Kranken in dem erforderlichen Umfang
nicht pflegen und versorgen kann. Die Mutter der Klägerin ist zwar in der Lage, ihre Tochter
mit den erforderlichen pflegerischen Maßnahmen zu versorgen, und erfüllt diese Aufgabe
auch immer dann, wenn sie zu Hause ist. Ihr ist es jedoch wegen der Versorgung der
Geschwister der Klägerin und des Haushalts nicht zumutbar, ihre Tochter auch während
des Kindergartenbesuchs zu katheterisieren. Insoweit sind bei der Inanspruchnahme von
Haushaltsangehörigen zur Entlastung der Krankenversicherung nach § 37 Abs 3 SGB V
Grenzen der Zumutbarkeit gesetzt. Dies gilt insbesondere im Falle eigener Erkrankung
oder Erkrankung der Geschwister der Klägerin. Die Klägerin ist auch nicht auf die
Inanspruchnahme der Leistungen eines integrativen Kindergartens verweisbar. Insoweit
bleibt es den Erziehungsberechtigten überlassen, welche Bildungsmöglichkeiten sie für
ihre Kinder auswählen.
Nach alledem erweist sich der Klage Anspruch in vollem Umfang als begründet und die
Beklagte ist antragsgemäß zu verurteilen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.