Urteil des SozG Duisburg vom 10.06.2005

SozG Duisburg: krankenversicherung, wiederaufleben des anspruchs, streichung, systematische auslegung, sozialstaatsprinzip, handbuch, beerdigungskosten, auszahlung, tod, zuschuss

Sozialgericht Duisburg, S 9 KN 8/05 KR
Datum:
10.06.2005
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
9. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 9 KN 8/05 KR
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Sterbegeld beim Tod eines gesetzlich
Krankenversicherten nach dem 31.12.2003.
2
Der Kläger ist der Sohn der am 07.02.2004 verstorbenen Versicherten der Beklagten,
Frau M.
3
Mit Schreiben vom 08.08.2004 beantragte er die Auszahlung des Sterbegeldes aus der
Versicherung seiner Mutter.
4
Mit Bescheid vom 01.09.2004 lehnte die Beklagte die Zahlung von Sterbegeld wegen
fehlender gesetzlicher Vorschriften ab. Zur Begründung führte sie aus: Der bisher im
Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthaltene Anspruch auf
Sterbegeld sei bereits durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV-Modernisierungsgesetz – GMG -) vom 14.11.2003 mit
Wirkung zum 01.01.2004 entfallen. Das GMG sei durch Artikel 37 Abs. 1 GMG zum
01.01.2004 in Kraft gesetzt worden. Artikel 37 Abs. 8 GMG nehme davon die bei Artikel
1 in Nr. 36 einzeln genannten Paragrafen aus und lasse nur diese zum 01.01.2005 in
Kraft treten. Artikel 1 Nr. 36 GMG sei aber ansonsten zum 01.01.2004 in Kraft getreten.
Durch die Neufassung des gesamten Siebten Abschnitts des Dritten Kapitels des
Sozialgesetzbuches Fünftes Buch – SGB V - zum 01.01.2004, der bislang die
Sterbegeldregelungen enthalten habe, sie die bisherige Fassung indirekt aufgehoben
worden. Einer ausdrücklichen Aufhebung der §§ 58, 59 SGB V alter Fassung – a.F. -
habe es daher nicht bedurft. Im übrigen sei ergänzend darauf hinzuweisen, dass sich
der Wegfall des Sterbegeldes zum 01.01.2004 auch aus der zeitgleichen Streichung
des § 11 Abs. 1 Satz 2 SGB V, des § 21 Abs. 1 Nr. 5 des Sozialgesetzbuches Erstes
Buch – SGB I – sowie aus der amtlichen Gesetzesbegründung und dem vom
Gesetzgeber geschätzten Einsparvolumen für die gesetzliche Krankenversicherung (vgl.
hierzu: Bundestagsdrucksache 15/1525) ergebe.
5
Hiergegen erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten am 30.09.2004 bei
der Beklagten Widerspruch und machte geltend: Die dargelegte Rechtsauffassung sei
nicht zutreffend; der Anspruch auf Sterbegeld bestehe trotz der Gesetzesänderungen bis
zum 1.12.2004 fort. Die §§ 58, 59 SGB V a.F. seien zwar durch das GMG durch neue
Vorschriften ersetzt worden, von diesen sei aber nur § 58 Abs 3 SGB V zum 01.01.2004
in Kraft getreten, während die übrigen Regelungen in den §§ 58, 59 SGB V erst zum
01.01.2005 in Kraft träten. Die alten Fassungen der §§ 58, 59 SGB V seien indessen
nicht zum 01.01.2004 aufgehoben worden. Selbst wenn man es für ausreichend
erachte, dass eine alte Vorschrift ohne ausdrückliche Außerkraftsetzung durch eine
neue ersetzt werden könne, so setze dies immer noch voraus, dass die Neuregelung
ihrerseits bereits wirksam in Kraft getreten sei. Ein gegenteiligter Wille des
Gesetzgebers müsse hingegen zumindest ansatzweise im Wortlaut der betreffenden
Vorschrift zum Ausdruck gekommen sein, um sie entsprechend auszulegen. Dies sei
vorliegend jedoch eindeutig nicht der Fall.
6
Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch unter
Darstellung der insoweit einschlägigen gesetzlichen Vorschriften zurück. In den
Gründen führte sie aus: Bis zum 31.12.2003 sei der Anspruch auf Sterbegeld aus der
gesetzlichen Krankenversicherung im Dritten Kapitel, Siebter Abschnitt des SGB V
geregelt gewesen. Der Siebte Abschnitt habe den Untertitel Sterbegeld getragen. Da
nach dem Willen des Gesetzgebers, so wie er aus der Gesetzesbegründung
hervorgehe, für nach dem 01.01.2004 eintretende Todesfälle ein Sterbegeld nicht mehr
gezahlt werden sollte, habe er durch das GKV-Modernisierungsgesetz die bis zum
31.12.2003 bestehende Rechtsgrundlage dadurch aufgehoben, indem der Siebte
Abschnitt den Untertitel "Zahnersatz" erhalten habe. Hierdurch sei gleichzeitig die
Außerkraftsetzung des Siebten Abschnitts mit dem Untertitel "Sterbegeld" endgültig
bewirkt worden. Der Siebte Abschnitt umfasse nunmehr die §§ 55 bis 59 (bis zum
31.12.2003 die §§ 58 und 59). Nach Artikel 37 Abs. 1 GKV-Modernisierungsgesetz sei
dieses Gesetz am 01.01.2004 in Kraft getreten. In Absatz 8 dieser Vorschrift sei zwar
geregelt, dass die §§ 55, 58 Abs. 1 Satz 2 und 4 sowie 59 SGB V erst am 01.01.2005 in
Kraft treten sollen, jedoch beziehe sich diese Ausnahmeregelung hinsichtlich des
generellen Inkrafttretens zum 01.01.2004 nur auf den Siebten Abschnitt mit dem
Untertitel "Zahnersatz". Auf den Siebten Abschnitt mit dem Untertitel
"Sterbegeldanspruch" könne sie sich nicht beziehen, weil dieser zum 01.01.2004
komplett weggefallen sei. Die Richtigkeit dieses Gesetzesauslegung werde durch § 11
Abs. 1 SGB V und § 21 Abs. 1 Nr. 5 SGB I belegt. Diese Vorschriften enthielten eine
Aufzählung der Leistungen aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Anspruch
auf Sterbegeld sei demzufolge durch das GKV-Modernisierungsgesetz ab dem
01.01.2004 gestrichen worden. Diese Rechtsfolge ergebe sich aus dem
Regelungszusammenhang, wie er dem zuvor genannten Gesetz zu entnehmen sei.
7
Der Kläger hat am 02.02.2005 durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage erhoben,
mit der er sein Begehren auf Auszahlung von Sterbegeld weiter verfolgt. Er wiederholt
sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Die bisherigen Vorschriften der §§
58, 59 SGB V seien zwar durch Bestimmungen über den Zahnersatz ersetzt worden;
aus dem Wortlaut des Art 37 Abs 8 GMG ergebe sich aber, dass die §§ 55, 58 Abs 1, 2
und 4 sowie § 59 SGB V erst zum 01.01.2005 rechtliche Wirksamkeit entfalteten. Soweit
die Beklagte davon ausgehe, dass die §§ 58, 59 SGB V durch die Neufassung des
gesamten Siebten Abschnitts des Dritten Kapitels des SGB V zum 01.01.2004 indirekt
aufgehoben worden seien, und dass der Wille des Geetzgebers, das Sterbegeld bereits
in 2004 zu streichen, in der amtlichen Gesetzesbegründung enthalten sei, so sei diese
8
Argumentation weder stichhaltig noch nachvollziehbar. Grundlage und Ausgangspunkt
einer Gesetzesauslegung sei immer dessen Wortlaut, der zugleich den Rahmen für die
Auslegung bilde. Dabei müsse der Wille des Gesetzgebers – wenn auch unvollkommen
– in Worten zum Ausdruck gekommen sein; er müsse im Gesetzeswortlaut objektiviert
sein. Dies bedeute also, dass überhaupt eine gültige Regelung vorliegen müsse, deren
Wortlaut Zweifel hinsichtlich des Gesetzesinhalts aufkommen lasse. Vorliegend kämen
Bedenken hinsichtlich des Wortlauts aber gar nicht auf. Der in der betreffenden
Vorschrift genannte Zeitpunkt 01.01.2004 sei eindeutig und unter dem Begriff
"Inkrafttreten" sei zweifellos die Bestimmung des zeitlichen Geltungsbereich eines
Gesetzes zu verstehen. Auch auf einen evtl. entgegenstehenden Willen des
Gesetzgebers könne hier nicht abgestellt werden, da letztlich der Inhalt des Gesetzes
maßgeblich sei, nicht jedoch Äußerungen des Gesetzgebers außerhalb des Gesetzes.
Diese seien nur heranzuziehen, wenn es um die Auslegung eines in seinem Wortlaut
unzureichend formulierten Gesetzes gehe. Der Entstehungsgeschichte einer Vorschrift
komme nur insoweit Bedeutung zu, als durch sie Zweifel behoben werden können, die
anders – dh durch eine grammatische, teleologische und systematische Auslegung –
nicht auszuräumen seien.
Schließlich könne auch nicht dahingehend argumentiert werden, dass die neuen
Regelungen den bisherigen entgegenständen. Die noch nicht geltenden Regelungen
könnten von vornherein nicht mit den noch geltenden kollidieren. Auch seien nach der
jetzigen Gesetzeslage keine sich widersprechenden Normbefehle entstanden, die eine
Lösung solch einer widersprüchlichen Situation erfordern würden. Abgesehen davon,
dass die Neuregelung noch nicht in Kraft getreten sei und deshalb von vornherein keine
Kollision entstehen könne, könnten die Normbefehle der "alten" und "neuen" §§ 58, 59
SGB V auch problemlos nebeneinander befolgt werden, weil sie gänzlich andere
Sachverhalte beträfen. (so: Schnapp in SGB 2004, Seite 451) Da nach dem eindeutigen
Wortlaut die Vorschriften über das Sterbegeld nicht zum 01.01.2004 außer Kraft getreten
seien und deshalb fortbeständen, habe der Kläger einen Anspruch gegenüber der
Beklagten auf Zahlung des beantragten Sterbegeldes.
9
Der Kläger beantragt,
10
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.09.2004 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 20.12.2004 zu verurteilen, an ihn Sterbegeld in Höhe von
525,00 Euro zu zahlen.
11
Die Beklagte beantragt,
12
die Klage abzuweisen.
13
Die Beklagte verbleibt bei ihrer in dem angefochtenen Bescheid dargelegten
Rechtsauffassung.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten, die sämtlich vorgelegen
haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
15
Entscheidungsgründe:
16
Die zulässige Klage ist unbegründet, denn dem Kläger steht kein Anspruch auf
17
Gewährung von Sterbegeld aus der Versicherung der im Februar 2004 verstorbenen
Versicherten gem §§ 58, 59 SGB V in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung zu.
Seit dem Inkrafttreten am 01.01.1989 enthielt das SGB V im Siebten Abschnitt des
Dritten Kapitels unter der Überschrift "Sterbegeld" zwei Vorschriften über die
Voraussetzungen und die Höhe des Anspruchs auf Sterbegeld. Danach erhielt beim
Tod eines Versicherten derjenige, der die Beerdigungskosten trägt einen Zuschuss zu
den Bestattungskosten (Sterbegeld), wenn der Verstorbene am 01.01.1989 versichert
war, § 58 SGB V a.F. Das Sterbegeld betrug beim Tod eines Mitglieds zuletzt 525,00
Euro § 59 SGB V a.F. Bis zum 31.12.2003 war das Sterbegeld zudem in § 11 Abs 1 S 2
SGB V und § 21 Abs 1 Nr 5 SGB I als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung
ausdrücklich benannt. Diese Vorschriften sind unstreitig mit Wirkung zum 01.01.2004
entfallen. Der Gesetzgeber hat mit dem GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003
(BGBl I, S 2190 ff.) den Siebten Abschnitt des Dritten Kapitels des SGB V neu gefasst.
18
Art 1 Nr 36 GMG beginnt mit folgender Regelung: "Im Dritten Kapitel wird der Siebte
Abschnitt wie folgt gefasst: Siebter Abschnitt: Zahnersatz" Danach werden die §§ 55 bis
59 aufgeführt, die Regelungen zum Zahnersatz enthalten. Die §§ 55 bis 57 konnten in
den siebten Abschnitt mit einbezogen werden, weil diese §§ vorher unbesetzt waren.
Zum Inkrafttreten enthält das GMG folgende Regelung in Art 37 Abs 1: "Das Gesetz tritt
am 01.01.2004 in Kraft, soweit in den folgenden Sätzen nichts Abweichendes bestimmt
ist." Eine der Ausnahmen enthält Art 37 Abs 8 GMG mit folgender Regelung, die
auszugsweise wie folgt lautet: "Art 1 ( ...) in Nr 36 die §§ 55, 58 Abs 1, 2 und 4 sowie §
59 ( ...) treten am 01.01.2005 in Kraft." Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs zum
GMG (Bundestagsdrucksache 15/1525) geht ua hervor, dass bestimmte Leistungen, wie
z. B. das Sterbegeld, in die Eigenverantwortung der Versicherten übertragen wird, zumal
es sich nicht um eine fürsorgeähnliche Leistung handele, die unterhaltsberechtigten
Hinterbliebenen die Umstellung auf die neuen Lebensverhältnisse erleichtern solle.
Versicherte könnten in der Regel selbst Vorsorge für die Bestattung treffen Der
Bestattungskostenzuschuss sei dem Grunde nach eine versicherungsfremde Leistung,
da er nach dem Tode dessen, von dem er abgeleitet werde, an einen Dritten gezahlt
werde. Da das Sterbegeld nach bislang geltendem Recht nur gezahlt werde, wenn der
Verstorbene am, 01.01.1989 versichert war, handele es sich um eine auslaufende
Leistung. Die Hinterbliebenen aller, die nach diesem Zeitpunkt in der gesetzlichen
Krankenversicherung versichert worden sind, könnten bereits nach geltendem Recht
einen solchen Zuschuss nicht mehr erhalten, obwohl dies keine Auswirkungen auf die
Höhe der Beitragszahlungen habe. Die Streichung des Sterbegeldes für Mitglieder und
Familienversicherte sei als Solidarbeitrag zur Stabilisierung der finanziellen Situation
der gesetzlichen Krankenversicherung erforderlich. Durch die Neufassung des
kompletten Siebten Abschnitts durch das GMG wurde die a.F. des Siebten Abschnitts
vollständig gestrichen und teilweise mit Wirkung bereits ab dem 01.01.2004 und im
übrigen zum 01.01.2005 vollständig neu gefasst. In diesem Zusammenhang kommt dem
Wortlaut des Art 1 Nr 36 GMG, der die Formulierung "fassen" enthält, entscheidende
Bedeutung zu. Ob man diese in der Weise auslegen kann, dass die nachfolgenden §§
erst ab deren Inkrafttreten die bisher geltenden Regelungen ersetzen sollen, hält die
Kammer für zweifelhaft. Vielmehr ist der mit dieser Formulierung verbundene
Änderungsbefehl nach seinem Wortlaut so zu verstehen, dass die alten Regelungen
komplett bereits zum generellen Inkrafttreten des Änderungsgesetzes abgeschafft
werden und die neuen an ihre Stelle treten, sobald sie nach den speziellen Vorschriften
in Kraft treten. Insoweit enthält das Verb "fassen" seiner Wortbedeutung nach neben
dem Element des Neuschaffens auch ein Element des Abschaffens. Im übrigen benutzt
19
der Gesetzgeber den Änderungsbefehl "fassen" stets in der Weise, dass damit auch die
alten Regelungen abgeschafft werden. Im "Handbuch der Rechtsförmlichkeit",
herausgegeben vom Bundesministerium der Justiz, 2. Auflage 1999, wird bei
Randziffern 627 ff. betont, dass der Änderungsbefehl "wird/werden wie folgt gefasst" den
Wortlaut einer Gliederungseinheit ganz gegen einen neuen Wortlaut austausche. Es sei
dann in der Regel überflüssig, den bisherigen Text ausdrücklich aufzuheben, weil der
neugefasste Wortlaut an die Stelle des bisherigen Wortlauts trete. Dieses Handbuch hat
zwar keine Gesetzeskraft; § 42 Abs 4 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der
Bundesministerien bestimmt aber, dass für die rechtsförmliche Gestaltung von
Gesetzesentwürfen das Handbuch der Rechtsförmlichkeit gilt.
Durch die Neufassung, dh die vollständige Ersetzung eines Abschnitts, werden mithin
die darin zuvor enthaltenen Regelungen automatisch aufgehoben, ohne dass es einer
zusätzlichen ausdrücklichen Aufhebung dieser Regelung bedarf. Diese am Sinn und
Zweck orientierte Auslegung des GMG bestätigt dieses Ergebnis. Demzufolge wollte der
Gesetzgeber die Regelung hinsichtlich des Sterbegeldes abschaffen, wie sich zum
einen aus der Begründung des Gesetzentwurfes zum GMG ergibt und zum anderen aus
der ausdrücklichen Streichung der §§ 11 Abs 1 S 2 SGB V und 21 Abs 1 Nr 5 SGB I
folgt. Der Gesetzgeber hat durch die Neufassung des Siebten Abschnitts und die
ergänzende Aufhebung der vorgenannten Regelungen eindeutig und ausreichend
bestimmt, die Vorschriften über die Gewährung von Sterbegeld mit Wirkung zum
01.01.2004 aufzuheben. Ein Auseinanderfallen zwischen dem inneren und dem
tatsächlich geäußerten gesetzgeberischen Willen besteht insoweit nicht. Für eine
ergänzende Auslegung der streitigen Regelungen besteht daher aus Sicht des Gerichts
kein Raum. Zwar findet sich gesetzestechnisch keine ausdrückliche Regelung des
Inhalts, dass die §§ 58, 59 SGB V zum 01.01.2004 aufgehoben und durch Regelungen,
die den Zahnersatz betreffen, ersetzt werden. Jedoch ist durch die begriffliche
Verwendung des Änderungsbefehls "fassen" in Art 1 Nr 36 GMG sowie die inhaltliche
Neufassung und die Neuformulierung ua der §§ 58, 59 SGB V in der ab dem 01.01.2004
geltenden Fassung in ausreichender Form klargestellt, dass die bisherigen Regelungen
in den §§ 58 und 59 SGB V nicht mehr weiter gelten, sondern abgeschafft werden.
20
Diese Änderung trat auch bereits zum 01.01.2004 und nicht erst zum 01.01.2005 in
Kraft. Wie bereits dargelegt ergibt sich aus dem Umstand, dass die §§ 58, 59 SGB V a.F.
nicht gesondert aufgehoben wurden, nicht, dass auch das Sterbegeld erst zum
01.01.2005 abgeschafft werden sollte. Der von der Klägerseite vertretenen Auffassung,
die § 58,59 SGB V in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung gälten bis zum
31.12.2004 fort, vermag die Kammer nicht zu folgen, denn sie führte zu widersinnigen
Ergebnissen, wenn die Regelungen zum Sterbegeld neben den Regelungen zum
Zahnersatz, die ab dem 01.01.2004 in Kraft getreten sind, bestehen blieben. In dem
bereits seit dem 01.01.2004 mit "Zahnersatz" über schriebenen Siebten Abschnitt des
Dritten Kapitels des SGB V befänden sich dann nach dieser Auffassung die
Regelungen der § 56, 57, 58 Abs 3 SGB V über den Zahnersatz, gleichzeitig in § 58
ohne Angabe eines Absatzes und in § 59 SGB V Vorschriften über die Gewährung von
Sterbegeld. Der Gesetzestext enthielte dann unter der Überschrift "Zahnersatz" in
verschiedenen Absätzen Regelungen zum Sterbegeld und hätte damit einen der
gesetzlichen Systematik gänzlich widersprechenden Wortlaut. Davon, dass der
Gesetzgeber eine solche Regelung hat fortbestehen lassen wollen, kann
vernünftigerweise nicht ausgegangen werden. Der gegenteiligen, von Schnapp
vertretenen und von den Medien aufgegriffenen Rechtsansicht (vgl. hierzu: SGB 2004,
Seite 451 ff.), der Wille des Gesetzgebers, das Sterbegeld abzuschaffen habe im GMG
21
keinen Ausdruck gefunden und sei daher unbeachtlich, vermag das Gericht aus den
vorstehenden Erwägungen nicht zu folgen. Nach Auffassung des Gerichts ist der Wille
des Gesetzgebers, die Leistung Sterbegeld mit Wirkung zum 01.01.2004 aufzuheben,
durch das GMG wirksam umgesetzt worden mit der Folge, dass das Sterbegeld zum
01.01.2004 abgeschafft worden ist. Ein Anspruch auf Sterbegeld lässt sich auch nicht
daraus ableiten, dass diejenigen Vorschriften zum Zahnersatz, die ursprünglich zum
01.01.2005 in Kraft treten sollten, zwischenzeitlich gestrichen worden sind, so dass die
Paragrafenziffern 58 und 59 des SGB V nunmehr unbesetzt sind. Auch unter
Berücksichtigung dieser gesetzgeberischen Entscheidung folgt kein Wiederaufleben
des Anspruchs auf Sterbegeld.
Die Streichung des Anspruchs auf Sterbegeld verstößt auch nicht gegen
Verfassungsrecht. Weder unterliegt der Anspruch auf Sterbegeld der Eigentumsgarantie
des Art 14 Abs 1 des Grundgesetzes – GG – (vgl. hierzu: Bundesverfassungsgericht -
BverfG – Beschluss vom 22.12.1992, Az: 1 GMG 1582/91) noch sind Rechtsstaats- oder
Sozialstaatsprinzip verletzt. Zwar unterfallen auch sozialversicherungsrechtliche
Ansprüche und Anwartschaften dem Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 S 1 GG. Die
konkrete Reichweite der Bestandsgarantie des Eigentums ergibt sich aus der
Bestimmung von dessen Inhalt und Schranken. Diese zu konkretisieren ist nach Art 14
Abs 1 S 2 GG Aufgabe des Gesetzgebers. Dieser kann grundsätzlich auch
sozialversicherungsrechtliche Ansprüche beschränken und umgestalten oder die
Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug solcher Leistungen erschweren, wobei ihm
eine beträchtliche Gestaltungsfreiheit eingeräumt wird. Überdies ist in
sozialversicherungsrechtlichen Positionen von vornherein in gewissen Grenzen die
Möglichkeit von Änderungen angelegt. Eine Unabänderlichkeit widerspräche
insbesondere dem Versicherungsverhältnis in der gesetzlichen Krankenversicherung,
das im Unterschied zum Privatversicherungsverhältnis nicht auf dem reinen
Versicherungsprinzip, sondern wesentlich auf dem Gedanken der Solidarität und des
sozialen Ausgleichs beruht. Insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen des
BSG in seinen Entscheidungen zur Kürzung des Sterbegeldes vom 25.06.1991 (Az: 1 /3
RK 21/90) und vom 07.08.1991 (Az: 1 RK 12/91) an. Die Darlegungen des BSG zur
Frage der Zulässigkeit einer erheblichen Reduzierung des Sterbegeldes tragen auch
die vorliegende Streichung des Sterbegelds im Hinblick auf den damit verbundenen
Einspareffekt. Ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip ist ebenfalls nicht ersichtlich.
Das Sozialstaatsprinzip enthält primär nur einen Gestaltungsauftrag an den
Gesetzgeber; es beinhaltet infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine
unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche
Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten. Insoweit ist es richterlicher
Inhaltsbestimmung weitaus weniger zugänglich als die Grundrechte. Aus diesem
Verfassungsgrundsatz können iVm Art 3 GG unmittelbare Rechtsansprüche nur
hergeleitet werden, wenn das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet ist (vgl. hierzu:
Entscheidungen des BverfG Bd. 1, 97, 107; 8, 274, 329).
22
Selbst für den Fall, dass eine Bildung von Rücklagen für die Beerdigungskosten nicht
möglich sein sollte, wird dieses Bedürfnis, wenn andere Versicherungen nicht
vorhanden oder nicht durchführbar sind, jedenfalls durch die Leistungen nach dem
Bundessozialhilfegesetz sichergestellt. Schließlich verstößt die Streichung des
Sterbegeldes auch nicht gegen Art 2 Abs 1 GG iVm dem rechtsstaatlichen Grundsatz
des Vertrauensschutzes in Art 20 Abs 3 GG.
23
Die Kürzung oder Streichung bisher vorgesehener Leistungen betrifft zwar einerseits
24
das Vertrauen auf den Fortbestand des Leistungsumfanges in der gesetzlichen
Krankenversicherung. Andererseits ist der Gesetzgeber aber nicht gehindert, auch im
Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung aus Gründen des Allgemeinwohls neue
Regelungen zu treffen, die sich wechselnden Erfordernissen anpassen. Dabei hat er
gesellschaftspolitischen Veränderungen und damit verbundenen wechselnden
Interessenlagen, insbesondere im Hinblick auf die Belastbarkeit der
Solidargemeinschaft der Versicherten, Rechnung zu tragen. Der einzelne kann sich
demgegenüber nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er auf den Fortbestand einer
bestimmten gesetzlichen Regelung vertraut hat, wenn dieses Vertrauen unter
Berücksichtigung der gesamten Umstände billigerweise eine Rücksichtnahme durch
den Gesetzgeber nicht beanspruchen kann. (vgl. hierzu: Entscheidung des BverfG Bd.
69, 272, 310) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist erst dann verletzt, wenn die
gesetzgeberischen Maßnahmen bei Abwägung einerseits ihrer Schwere für den
Betroffenen und andererseits der sie rechtfertigenden Gründe die Grenze des
Zumutbaren überschreiten. Die Interessenabwägung zwischen dem Ausmaß der den
einzelnen treffenden Einbußen und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das
Wohl der Allgemeinheit fällt hier zugunsten der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen
Neuregelung aus. Zwar ist das Vertrauen, insbesondere der älteren Mitglieder der
gesetzlichen Krankenversicherung auf den Fortbestand einer günstigen Rechtslage in
der Regel hoch einzuschätzen. Nach Auffassung der Kammer kann aber nicht außer
Acht gelassen werden, dass die Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
notwendig war, weil der Anstieg der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung
mit seinen gesundheits-, sozial- und beschäftigungspolitischen Konsequenzen in
zunehmendem Maße zu einer erheblichen Belastung dieses sozialen
Sicherungssystems sowie der Arbeitnehmer und Betriebe führte. Der medizinische
Fortschritt und die zunehmende Zahl älterer Menschen führen zu einem
Ausgabenanstieg, hinter dem die Entwicklung der Einnahmen zurückbleibt. Diese
Finanzierungslücke kann nicht durch weitere Beitragssatzsteigerungen finanziert
werden, da dies die Arbeitskosten erhöht und zu einer steigenden Arbeitslosigkeit
beiträgt. (vgl. hierzu: Bundestagsdrucksache 15/1525 Seite 71) Die Aufrechterhaltung
der Finanzierbarkeit der gesetzlichen Krankenversicherung, über die der größte Teil der
Bevölkerung seine Absicherung für den Krankheitsfall erfährt und die Stabilisierung der
Beiträge liegen in hohem Maße im Gemeinwohlinteresse. Es ist daher als
verfassungsgemäß anzusehen, wenn der Gesetzgeber durch das GMG ein Bündel von
Maßnahmen vorgesehen hat, um zu einer Kostendämmung im gesetzlichen
Gesundheitssystem zu gelangen. Die Einzelinteressen der Klägerin an der Auszahlung
eines Zuschusses zu den Beerdigungskosten müssen demgegenüber zurücktreten. Die
Kammer kann insoweit offen lassen, ob angesichts des gesamten geplanten
Einsparvolumens von 9,.8 Mrd. Euro für das Jahr 2004 die Streichung des Sterbegeldes
mit einer geschätzten Entlastung für 2004 für 0,4 Mrd Euro erhebliche Bedeutung hat.
Denn es kommt dabei nicht auf die Auswirkungen einer Gesetzesänderung im Hinblick
auf eine Einzelleistung an, sondern auf den Einspareffekt, der durch die Gesamtheit der
vom Gesetzgeber beschlossenen Maßnahmen erzielt werden soll. Hierzu gehört auch
die Einsparung durch die Streichung des Sterbegeldes. Darüber, ob die Streichung des
Sterbegeldes dem Ziel der Entlastung der Krankenversicherung zu dienen, geeignet ist,
hat das Gericht nicht zu befinden, denn insoweit ist dem Gesetzgeber ein weiter
Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Es ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber diesen
weiten Gestaltungsspielraum überschritten hätte, zumal die Streichung des
Sterbegeldes keine Einzelmaßnahme zulasten eines bestimmten Teils der
Versichertengemeinschaft darstellt, sondern nur Teil eines Gesamtpaketes ist, um die
Finanzlage bzw. die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung
nachhaltig zu stabilisieren. Wie aus den vorstehend zitierten Entscheidungen
hervorgeht, hat das BverfG diesen Gesichtspunkt schon mehrfach zur Rechtfertigung
von Eingriffen in Vertrauenstatbestände Sinne der unechten Rückwirkung bei
Gesetzesänderungen herangezogen. Dem schließt sich die Kammer für den
vorliegenden Fall an. Insbesondere kann es bei der Entscheidung des vorliegenden
Falles nicht darum gehen, ob ein anderer Weg zu denselben Einsparungen und zu
weniger Belastungen der Versicherten geführt hätte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
25