Urteil des SozG Duisburg vom 16.10.2007

SozG Duisburg: form, heizung, freibetrag, ermächtigung, erwerbseinkommen, stadt, leistungsanspruch, anfang, eltern, bruttoeinkommen

Sozialgericht Duisburg, S 7 AS 130/06
Datum:
16.10.2007
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 7 AS 130/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu
erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand:
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Die Klägerin begehrt höhere Leistungen in Form von Arbeitslosengeld II (Alg II).
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Die am 20.11.1948 geborene Klägerin ist seit 1985 geschieden und seit 2001 verwitwet.
Aus den beiden Ehen gingen insgesamt 5 Kinder hervor. Mit den beiden jüngsten
Kindern, der am 05.02.1983 geborenen Tochter Natalie und dem am 07.01.1985
geborenen Sohn Pascal lebt sie gemeinsam in einer Mietwohnung im
Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Für diese 111,7 qm große 4-Zimmer-Wohnung,
die im Eigentum einer ihrer älteren Töchter steht, entrichtete sie im Jahr 2005 und
Anfang 2006 einen Mietzins in Höhe von 724,81 Euro (622,55 Euro Grundmiete, 102,26
Euro Nebenkosten incl. Heizung) monatlich.
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Der Sohn Pascal absolvierte seit 2004 bis August 2006 eine Lehre zum Maler- und
Lackierergesellen, die er im August 2006 beendete. Als Ausbildungsvergütung erhielt er
einen Betrag in Höhe von 466,50 Euro brutto. Die Tochter Natalie übt eine
Beschäftigung als Kinderkrankenschwester im St. Johannes Hospital in Duisburg aus.
Die Bruttoeinkünfte aus dieser Beschäftigung beliefen sich in der Zeit zwischen
September 2005 und Januar 2006 auf Beträge zwischen 2.125,87 Euro bis 4.095,86
Euro. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten der Verdienste für die Arbeit in den
genannten Monaten, die jeweils im Folgemonat ausgezahlt wurden, wird auf die von der
Klägerin vorgelegen Verdienstabrechnungen (Bl. 13-16 und 19-22 der Gerichtsakte)
Bezug genommen. Die Klägerin selbst war im Jahre 2005 und Anfang 2006 abgesehen
von den Zahlungen der Kindergeldkasse für ihren Sohn Pascal ohne eigenes
Einkommen. Nennenswerte Vermögenswerte waren ebenfalls nicht vorhanden. Bis zum
31.12.2004 erhielt sie Klägerin von dem Oberbürgermeister der Stadt Oberhausen
Leistungen nach Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
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Am 24.01.2005 stellte sie bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung von
Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II), woraufhin dort
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Ermittlungen zur Höhe des Leistungsanspruches angestellt wurden. Bis zum 31.09.2005
erhielt sie vor diesem Hintergrund weiterhin Sozialhilfeleistungen des
Oberbürgermeisters der Stadt Oberhausen. Nachdem eine Bescheidung des Antrages
aus Januar 2005 durch die Beklagte im Laufe des Jahres 2005 zunächst ausgeblieben
war, machte die Klägerin im Rahmen eines Eilverfahrens (vgl. SG Duisburg Az: S 7 AS
51/05 ER) die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II geltend, woraufhin die
Beklagte unter dem 08.12.2005 einen Bescheid erteilte, mit dem sie der Klägerin für den
Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 28.02.2006 Alg II in Höhe von 388,21 Euro monatlich
bewilligte. Bei der Berechnung der Höhe des Leistungsanspruches berücksichtigte die
Beklagte Kosten der Unterkunft und Heizung der Klägerin in Höhe von 241,59 Euro (=
1/3 x 724,81 Euro). Bedarfsmindernd stellte sie Einkünfte in Form von monatlichem
Kindergeld für den Sohn Pascal in Höhe von 154,00 Euro und in Form von
überschießendem Erwerbseinkommen ihrer Tochter in Höhe von 74,38 Euro in die
Berechnung ein. Mit ihrem gegen den Leistungsbescheid eingelegten Widerspruch
machte die Klägerin geltend, die Höhe des Anteils der zugrunde gelegten
Unterkunftskosten sei nicht nachvollziehbar. Im Übrigen sei ihr zu Unrecht sonstiges
Einkommen in Höhe von 74,38 Euro angerechnet worden. Zudem habe die Beklagte
den Freibetrag in Höhe von 30,00 Euro nicht berücksichtigt. Mit Widerspruchsbescheid
vom 23.05.2006 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin im Wesentlichen
zurück. Zugunsten der Klägerin korrigierte sie lediglich den Anrechnungsbetrag der
sonstigen Einkünfte aus dem überschießenden Erwerbseinkommen ihrer Tochter auf
einen Betrag in Höhe von 71,06 Euro. Zur Begründung führte sie aus, das
Erwerbseinkommen der Tochter sei bei der Klägerin auf Grundlage der Vorschrift des §
9 Abs 5 SGB II anzurechnen, da die volljährige Tochter mit der Klägerin in
Haushaltsgemeinschaft lebe und Einkommen aus abhängiger Beschäftigung erziele.
Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung des § 9 Abs 5 SGB II lägen damit vor.
Die Höhe des anzurechnenden Betrages ergebe sich aus § 1 Abs 2 der
Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung (Alg II-V). Unter Zugrundelegung der darin
vorgegebenen Berechnungsschritte in Verbindung mit den Regelungen der §§ 11 Abs 2
und 30 SGB II in der seit dem 01.10.2005 gültigen Fassung sowie Berücksichtigung
monatlicher Bruttoeinkünfte der Tochter der Klägerin für den Monat August 2005 in
Höhe von brutto 2.115,38 Euro (= netto 1.353,71 Euro) ermittelte die Beklagte den
Anrechnungsbetrag von 71,06 Euro. Die Einzelheiten ergeben sich aus Bl. 2 bis 4 des
Widerspruchsbescheides (vgl. Bl. 159-161 der Verwaltungsakte), worauf Bezug
genommen wird. Die geringfügige Abweichung zu den im Ausgangsbescheid
ermittelten Anrechnungsbetrag ergab sich aus dem Abzug des Arbeitgeberanteils zur
Vermögensbildung in Höhe von 6,65 Euro vom Bruttoeinkommen.
Unter dem 02.06.2006 erteilte die Beklagte noch zusätzlich einen Abhilfe- bzw.
Änderungsbescheid, mit dem sie der Klägerin für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum
28.02.2006 entsprechend der vorstehend dargestellten Neuberechnung um 3,32 Euro
monatlich höhere Leistungen - also in Höhe von 391,53 Euro - bewilligte.
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Am 12.06.2006 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der
sie ihr Begehren auf Gewährung höherer Alg II-Leistungen durch die Beklagte weiter
verfolgt.
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Sie vertritt die Auffassung, die Berechnung der Beklagten auf Grundlage des § 1 Abs 2
Alg II-V sei rechtswidrig, weil die Regelung nicht von der Ermächtigungsnorm des § 13
SGB II gedeckt sei. Aufgrund der Rechtswidrigkeit der genannten Vorschrift sei zur
Berechnung des nach § 9 Abs 5 SGB II zu berücksichtigenden Betrages am ehesten auf
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die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zur früheren Regelung
des § 16 BSHG zurückzugreifen, wonach den Haushaltsangehörigen ein Freibetrag
verbleiben musste, der dem des Unterhaltsrechts entspricht. Lediglich die Hälfte eines
möglicherweise darüber hinausgehenden Betrages sei anzurechnen. Da im
Unterhaltsrecht derzeit ein Freibetrag von Kindern gegenüber ihren Eltern in Höhe von
1.400,00 Euro gelte, hätte in dem vorliegenden Fall daher überhaupt keine
Einkommensanrechnung erfolgen dürfen.
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 08.12.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 23.05.2006 und des Bescheides vom 02.06.2006 zu
verurteilen, ihr für den Zeitraum vom 01.10.2005 bis zum 28.02.2006 um 71,06 Euro
höhere Leistungen in Form von Alg II zu bewilligen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid.
Nach ihrer Auffassung ist die Regelung des § 1 Abs 2 Alg II-V von der
Ermächtigungsnorm des § 13 SGB II gedeckt.
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Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten
und den Inhalt der ebenfalls beigezogenen Akte des Sozialgerichts Duisburg mit dem
Az: S 7 AS 51/05 ER betreffend das vorangegangene Eilverfahren der Klägerin gegen
die Beklagte. Der Inhalt sämtlicher Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 08.12.2005 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 23.06.2006 sowie der Bescheid vom 02.06.2006. Der
zuletzt genannte Bescheid wurde gem § 86 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)
Gegenstand des Verfahrens. Denn durch diesen Bescheid hat die Beklagte den
ursprünglichen Leistungsbescheid vom 18.08.2005, was die Höhe der Alg II-Leistungen
für den hier fraglichen Zeitraum von Oktober 2005 bis Februar 2006 angeht, vor
Klageerhebung abgeändert. Die Klägerin ist auf Klägerseite alleine Beteiligte des
vorliegenden Verfahrens, weil sie nach der für den hier fraglichen Zeitraum gültigen
Regelung des § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II keine Bedarfsgemeinschaft mit den mit ihr in
Haushaltsgemeinschaft lebenden Kindern bildete.
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Die insoweit zulässige Klage ist unbegründet.
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Die vorstehend benannten, von der Klägerin angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig
und die Klägerin deswegen nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs 1 S 2 SGG. Die
Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung höherer Alg II-Leistungen in dem
streitgegenständlichen Zeitraum.
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Gemäß § 19 Satz 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfsbedürftige Alg II in Form von
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Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen
Kosten für Unterkunft und Heizung. Fraglich ist hier allein der Umfang der
Hilfebedürftigkeit der Klägerin. Hilfebedürftig sind nach § 9 Abs 1 SGB II nur solche
Personen, die ihren Lebensunterhalt bzw. den der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft
lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor
allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen (§ 11 SGB II) oder Vermögen (§
12 SGB II) sichern können. Da die Klägerin selbst in dem hier fraglichen Zeitraum über
Einkommen lediglich in Form des für ihren Sohn an sie ausgezahlten Kindergeldes in
Höhe von 154,00 Euro monatlich verfügte und daneben nennenswerte Vermögenswerte
nicht vorhanden waren, ist auf der Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse zwischen
den Beteiligten die Bedürftigkeit der Klägerin dem Grunde nach zu Recht unstreitig.
Fraglich ist lediglich, ob ihr über den bewilligten Betrag von 391,53 Euro monatlich
hinaus gehend ein weiterer Leistungsanspruch gegenüber der Beklagten zusteht.
Dies ist nicht der Fall. Dabei ist die Beklagte, was zwischen den Beteiligten auch
unstreitig ist, zunächst zu Recht von einem Gesamtbedarf der Klägerin in Höhe von
586,59 Euro (345,00 Euro Regelleistung zzgl. anteilige Unterkunfts- und Heizkosten 1/3
x 427,81 Euro) ausgegangen. Denn nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom
23.11.2006, Az: B 11b 11/06 R Rz. 28 f.), der sich die Kammer anschließt, sind die
Kosten der Unterkunft und Heizung grundsätzlich nach der Anzahl der Bewohner in
einem Haushalt aufzuteilen.
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Demgegenüber waren die Höhe des zustehenden Leistungsanspruches mindernd
Einkünfte in Form von Kindergeld für den Sohn Pascal zu berücksichtigen. Denn
Kindergeld ist grundsätzlich Einkommen des Kindergeldberechtigten und nicht des
(volljährigen) Kindes, welches ggfs. im Haushalt mit den Eltern bzw. dem Elternteil
wohnt (vgl. SG Duisburg, Urteil vom 14.02.2006, Az. S 7 (17) AS 86/05; bestätigt durch
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 02.11.2006, Az. L 1 AS 6/06;
anhängig BSG unter Az. B 14/7b AS 4/07). Dies gilt jedenfalls im Hinblick auf die hier
relevante Rechtslage nach § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II in der bis zum 31.07.2006 gültigen
Fassung. Neben den monatlichen Kindergeldzahlungen mindert sich der monatliche
Leistungsanspruch der Klägerin entgegen ihrer Auffassung auch auch durch ihr auf
Grundlage der Vorschrift des § 9 Abs 5 SGB II iVm § 1 Abs 2 der Alg II-V
zuzurechnendes Einkommen der Tochter.
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§ 9 Abs 5 SGB II enthält eine Vermutungsregelung dahingehend, dass Hilfebedürftige,
die mit Verwandten oder Verschwägerten in Haushaltsgemeinschaft leben, von denen
Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen oder Vermögen erwartet
werden kann. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Vermutung liegen vor, weil
die Klägerin selbst angegeben hat, mit ihren in dem hier fraglichen Zeitraum bereits
volljährigen Kindern nicht nur eine Wohn-, sondern auch eine Wirtschaftsts- und damit
Haushaltssgemeinschaft zu bilden. Es ist daher nur noch zu entscheiden, ob der Betrag
des überschießenden Einkommens der Tochter der Klägerin, den die Beklagte als
sonstiges Einkommen der Klägerin berücksichtigt hat, als Beitrag der Tochter zum
Lebensunterhalt der Klägerin erwartet werden konnte oder nicht.
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Was die Berechnung der Höhe dieses Betrages angeht, trifft § 1 Abs 2 der Alg II-V eine
konkretisierende Regelung. Ausgehend von einem Bruttoeinkommen der Tochter der
Klägerin in Höhe von 2.115,38 Euro bzw. einem Nettoeinkommen in Höhe von 1.353,71
Euro monatlich sowie Heranziehung der Vorschriften des § 11 Abs 2 SGB II und der
Vorschrift des § 30 SGB II in der seit dem 01.10.2005 gültigen Fassung, die hier zur
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Anwendung kommt (vgl. § 67 SGB II), ist der von der Beklagten ermittelte
Anrechnungsbetrag von 71,06 Euro nicht zu beanstanden. Zu berücksichtigen ist
zunächst das um Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge bereinigte Nettoeinkommen,
welches die Beklagte im Hinblick auf die Verdienstbescheinigung aus dem Monat
August 2005 mit 1.353,71 Euro diesen Monat betreffend richtig ermittelt hat. Dieser
Betrag ist im Hinblick auf die Vorschriften der §§ 11 Abs 2 S 1 Nr. 3 bis 5 iVm S 2 SGB II
hier um den Grundfreibetrag in Höhe von 100,00 Euro zu bereinigen, weil der Betrag
nach § 11 Abs 2 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II diesen Betrag nicht übersteigt. Damit greift auch
der Einwand der Klägerin, die Beklagte hätte die Versicherungspauschale von 30,00
Euro nicht berücksichtigt, im Ergebnis nicht durch. Des Weiteren ist der
Erwerbstätigenfreibetrag nach § 30 SGB II in der seit dem 01.10.2005 gültigen Fassung
in Abzug zu bringen. Dieser ergibt sich für das Einkommen über 100,00 Euro bis
einschließlich 800,00 Euro mit einem Betrag von 140,00 Euro und für das weitere
Einkommen über 800,00 Euro bis 1.200,00 Euro mit insgesamt 180,00 Euro. Vor diesem
Hintergrund sieht die Kammer den auch von der Beklagten zugrunde gelegten
Anrechnungsbetrag von 1.073,71 Euro als rechnerisch richtig an. In Anwendung der
Regelung des § 1 Abs 2 Alg II-V ergibt sich daraus das den Eigenanteil übersteigende
Einkommen mit 142,11 Euro. Der zu berücksichtigende Eigenanteil beläuft sich auf
931,60 Euro (doppelte Regelleistung: 2 x 345,00 Euro zuzüglich anteiliger Kosten der
Unterkunft und Heizung: 1/3 x 724,81 Euro = 241,60 Euro - die Rundungsdifferenz von 1
Ct. ist zu vernachlässigen -). Die Hälfte des Betrages von 142,11 Euro ergibt den von
der Tochter der Klägerin zu erwartenden Beitrag zum Lebensunterhalt ihrer Mutter.
Bedenken hinsichtlich der Höhe dieses von der Beklagten errechneten
Unterhaltsbeitrages der Tochter bestehen auch nicht im Hinblick darauf, dass in die
Berechnung ausschließlich das in dem Monat August erwirtschaftete Einkommen der
Tochter Eingang gefunden hat. Denn die in dem hier fraglichen Zeitraum zugeflossenen
Einkünfte aus den Monaten September 2005 bis Januar 2006 sind sämtlich höher als
das Einkommen für den Monat August, so dass die Berechnung der Beklagten insoweit
nur (geringfügig) zugunsten der Klägerin bzw. ihrer Tochter ausgefallen ist.
Da die Klägerin schließlich ausdrücklich keinerlei Gesichtspunkte des Einzelfalles
geltend macht, die die Anrechnung dieses Unterhaltsbeitrages für die Tochter
unzumutbar erscheinen ließen, hat auch das Gericht keinerlei Bedenken daran, den
genannten Betrag bei der Berechnung zugrunde zu legen.
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Die Kammer hat schließlich auch keine Bedenken dagegen, die Vorschrift des § 1 Abs 2
S 1 Alg II-V überhaupt zur Grundlage der Berechnung des Anrechnungsbetrages im
Sinne des § 9 Abs 5 SGB II zu machen. Die in der Entscheidung des BSG vom
07.11.2006 (Az: B 7 b AS 6/06 R Rndz. 17) noch offen gelassene Frage, ob § 1 Abs 2
Alg II-V in Einklang mit der Verordnungsermächtigung in § 13 SGB II steht, ist aus Sicht
der Kammer zu bejahen.
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§ 13 SGB II selbst entspricht zunächst den Anforderungen, die Art 80 Abs 1 S 2 des
Grundgesetzes (GG) an eine Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung stellt.
Die Vorschrift ist zwar nach seinem Wortlaut weit gefasst. Eine hinreichende
Eingrenzung ist jedoch daraus abzuleiten, dass der Gesetzgeber in verschiedener
Hinsicht an bereits aus dem Recht der Arbeitslosenversicherung bzw. der Sozialhilfe
bekannte Regelungskonzepte anknüpft, die dem Verordnungsgeber eine Orientierung
geboten haben und damit zur Bestimmbarkeit der Ermächtigung beitragen. Weitere
Eingrenzungen sind aus der Systematik des SGB II abzuleiten (vgl. hierzu: Mecke in:
Eicher/Spellbrink SGB II 1. Auflage 2005, § 13 Rndz. 7 mwN). Schließlich können
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inhaltliche Vorgaben insbesondere den §§ 9, 11, 12 und 30 SGB II entnommen werden.
Die Ermächtigung, den zu berücksichtigen Betrag im Rahmen der Vermutungsregelung
des § 9 Abs 5 SGB II im Einzelnen zu bestimmen, ergibt sich insbesondere aus § 13 Nr
1 SGB II, da es sich insoweit um eine Regelung darüber handelt, wie das (sonstige)
Einkommen der Klägerin zu berechnen ist.
Die Alg II-V als solche erfüllt die formale Voraussetzung des Art 80 Abs 1 S 3 GG. Auch
die konkrete Regelung zur Berechnung des Anrechnungsbetrages in § 1 Abs 2 Alg II-V
ist entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin rechtmäßig. Sie ist insbesondere als
von der Ermächtigungsnorm des § 13 Nr 1 SGB II gedeckt anzusehen. Die Vorschrift
genügt zunächst den Mindestanforderungen, die die Rechtsprechung (vgl. BVerwG
Urteile vom 29.02.1996, Az: 5 C 2/05 sowie vom 01.10.1998, Az: 5 C 32/097) an die
Berechnung der Höhe des zumutbaren Unterhaltsbeitrages eines nicht
Unterhaltspflichtigen mit dem Berechtigten in Haushaltsgemeinschaft lebenden
Angehörigen aufgestellt hat. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist lediglich
erforderlich, dass der Selbstbehalt des Betroffenen deutlich oberhalb des
Mindestbedarfs liegt, was (hier) schon mit der Berücksichtigung des doppelten
Regelsatzes erfüllt ist (vgl. BverwG Urteil vom 29.02.1996, Az. 5 C 2/95 Rz. 9).
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Eine darüber hinaus gehende Bindung an die frühere Rechtsprechung, die sich wohl im
Wesentlichen an den entsprechenden Richtlinien des Deutschen Vereins für öffentliche
und private Fürsorge und damit an einer Berechnung nach "unterhaltsrechtlichen
Grundsätzen" orientiert hat, existiert auch im Hinblick auf die von der Gegenmeinung
(vgl. Mecke a.a.O. § 9 Rz. 60 ff.) angeführte Gesetzesbegründung zu § 9 Abs 5 SGB II
(vgl. BT-Drs. 15/1516 Seite 53 zu § 9 Abs 4) aus Rechtsgründen nicht, da es um die
nähere Konkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffs zur
Verwaltungsvereinfachung im Regelfall geht, die sich einer zwingenden Festlegung
entzieht. Entscheidend ist aus Sicht der Kammer daher nur, ob die von dem
Verordnungsgeber vorgesehene Berechnung des Selbstbehaltes hinreichend klar und
nachvollziehbar ist und die Möglichkeit bietet, die Zumutbarkeit im Einzelfall zu
berücksichtigen und so in aller Regel sachgerechte Ergebnisse ermöglicht. Dies ist aus
Sicht der Kammer bei § 1 Abs 2 Alg II-V der Fall, weil zum Einen, wie oben bereits
erwähnt, die Mindestanforderungen, die allgemein an die Ermittlung des zu
belassenden Freibetrages zu stellen sind, erfüllt werden und es den Betroffenen
unbenommen bleibt, besondere Umstände, wie das Vorhandensein vorrangig
unterhaltsverpflichteter Personen, eine Gefährdung der Haushaltsgemeinschaft bei
Berücksichtigung vermuteter Unterhaltsleistungen oder auch das Vorliegen eines
lediglich entfernten Grades der Verwandtschaft o.ä, bei der Berechnung des konkreten
Anrechnungsbetrages geltend zu machen. Insoweit ist die Regelung aus Sicht der
Kammer hinreichend flexibel, um im Einzelfall mögliche Härten auszugleichen. Im
Übrigen war soweit erkennbar auch nach der bisherigen Rechtslage im Geltungsbereich
des § 16 BSHG eine zwingende einheitliche Handhabung der Gerichte nicht gegeben.
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass die Berechnung des Anrechnungsbetrages auf
der Grundlage von § 1 Abs 2 Alg II-V für die Betroffenen nicht zwangsläufig ungünstiger
ist, da anders als bei der von der Klägerin befürworteten Berechnung nach
"unterhaltsrechtlichen Grundsätzen" der Erwerbstätigenfreibetrag berücksichtigt wird
(vgl. Hänlein in: Gagel SGB II § 9 Rndz. 75). Vor diesem Hintergrund geht die Kammer
in Übereinstimmung mit dem wesentlichen Teil der Literatur (vgl. LPK SGB II, 2. Auflage
2006 § 9 Rndz. 54; Hauck/Haines-Hengelhaupt § 9 Rndz. 175; Hänlein in: Gagel SGB II
§ 9 Rndz. 70 bis 72) davon aus, dass die Regelung des § 1 Abs 2 Alg II-V von der
Ermächtigungsgrundlage des § 13 Nr 1 SGB II gedeckt ist.
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Nach alledem war die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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