Urteil des SozG Duisburg vom 16.02.2005

SozG Duisburg: verschlechterung des gesundheitszustandes, ärztliche behandlung, genehmigung, versorgung, senkung, verfügung, form, gerichtsakte, therapie, herztransplantation

Sozialgericht Duisburg, S 7 KR 273/02
Datum:
16.02.2005
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
7. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 7 KR 273/02
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 02.11.2001 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 16.08.2002 verurteilt,
die Kosten für die LDL-Apheresebehandlung des Klägers über den
31.10.2001 hinaus zu übernehmen. Die Beklagte trägt die
außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
1
Umstritten ist die Kostenübernahme für eine regelmäßige maschinelle Blutreinigung
mittels LDL-Apherese.
2
Der im Jahre 1949 geborene Kläger litt seit Ende der 80iger Jahre unter einer
Herzerkrankung in Form einer dilatativen Kardiomyopathie. Außerdem bestand nach
den Angaben des behandelnden Arztes, des sachverständigen Zeugen Dr. C, eine
Hyperlipidämie (d.h. eine Erhöhung der Blutfettwerte). Im Laufe der Zeit kam es zu einer
Zunahme der Herzinsuffizienz und begleitend einer akuten Niereninsuffizienz. Ferner
traten bösartige Herz-Rythmus-Störungen auf. Vor diesem Hintergrund wurde die
Indikation für eine Herztransplantation bei dem Kläger gesehen, die am 08.10.1992
erfolgreich durchgeführt wurde. Nach der Transplantation bestand die Niereninsuffizienz
weiter fort. Ferner kam es zu der Ausbildung einer sogenannten Graftarterosklorose
bzw. Transplantatvaskulopathie (TVP). Hierbei handelt es sich um eine fortschreitende
Erkrankung der Koronararterien des transplantierten Herzens, die mit entzündlichen
Veränderungen und insbesondere durch Fettablagerung hervorgerufenen Verengungen
der Gefäße einhergeht. Die genauen Ursachen der Erkrankung sind wissenschaftlich
nicht geklärt. Diskutiert wird ein multifaktorielles Geschehen aus Virusinfektion und
einem erhöhten LDL-Spiegel. LDL ist die Abkürzung für das englische Wort: Low-
Density-Lipoprotein. Es handelt sich dabei um Eiweißmoleküle, in die bestimmte sog.
Plasmalipide (Blutfette) insbesondere in Form von Cholesterol (= Cholesterin) bzw.
Cholesterolester eingelagert sind. Neben der TVP lagen bei dem Kläger längere Zeit
nach der Transplantation durchgehend stark erhöhte LDL-Werte vor.
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Zur Senkung des LDL-Spiegels im Blut gibt es verschiedene medikamentöse bzw.
medizintechnische Möglichkeiten. Was die Entwicklung von Arzneimitteln betrifft, gibt es
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seit Mitte der 90iger Jahre die Wirkstoffgruppe der ”Statine", mit denen der LDL-Spiegel
im Blut abgesenkt werden kann. Daneben existieren neuerdings auch sogenannte
Cholesterinreduktionshemmer (CSE). Aus medizintechnischer Sicht steht die Methode
der LDL-Apherese zur Verfügung. Hierbei handelt es sich um ein Verfahren der
extrakorporalen Blutreinigung (ähnlich der Dialysebehandlung), bei dem das Blut in der
Regel in seine zellulären und plasmatischen Komponenten (rote Blutzellen, weiße
Blutzellen, Blutplättchen und Blutplasma) aufgetrennt wird und Komponenten bzw. Teile
davon aus dem Blut entfernt werden. Hierzu gibt es wiederum unterschiedliche
Methoden. Eine dieser Methoden ist die Heparin-induzierte extrakorporale LDL-
Präzipitation (HELP). Im Rahmen der HELP-Apherese wird mittels Heparingabe und
einer pH-Wert-Senkung, die Ausfällung von Heparin-Protein-Komplexen bedingt, was
im Ergebnis auch zu einer Senkung des LDL-Spiegels führt.
Die Anwendung der LDL-Apherese ist im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung
erlaubt, nachdem sie aufgrund einer Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte
und Krankenkassen in die Anlage A: Anerkannte Untersuchungs- oder
Behandlungsmethoden der BUB-Richtlinien aufgenommen wurde. Unter Ziffer 1. der
Anlage A der BUB-Richtlinien sind in den dortigen §§ 1 bis 8 Einzelheiten zu den
Voraussetzungen und dem Umfang der Anwendung der LDL-Apherese in der
vertragsärztlichen Versorgung geregelt. Durch Beschluss des Bundesausschusses der
Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003 (Veröffentlichung im Bundesanzeiger
08.07.2003) wurden die Voraussetzungen, unter denen die Anwendung der LDL-
Apherese in der vertragsärztlichen Versorgung erlaubt ist, geändert. Hinsichtlich des
genauen Wortlautes der jeweiligen Fassung der Anlage A Ziffer 1 der BUB-Richtlinien
wird auf Bl. 23/24 und 144 bis 147 der Gerichtsakte Bezug genommen. Danach kommt
die Anwendung der LDL-Apherese nur bei Vorliegen bestimmter Indikationen und nach
Genehmigung der Krankenkasse, die dabei von einer Kommission der Kassenärztlichen
Vereinigung (KV) unter Mitwirkung fachkundiger Ärzte des medizinischen Dienstes der
Krankenkassen (MDK) beraten wird, in Betracht.
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Bei dem Kläger wurde seit 1995 mit entsprechender Genehmigung der Beklagten etwa
einmal wöchentlich eine LDL-Apherese nach dem HELP-Prinzip zur Behandlung seiner
TVP durchgeführt. Für die Behandlung entstanden Kosten in Höhe von derzeit ca.
1.000,- EUR wöchentlich, die von der Beklagten seit Beginn der Behandlung laufend
getragen wurden. Zuletzt erteilte sie eine Genehmigung zur Durchführung der LDL-
Apherese bei dem Kläger bis einschließlich Oktober 2001. In seiner Sitzung vom
03.09.2001 kam die Beratungskommission der KV und des MDK zu dem Ergebnis, dass
die Voraussetzungen für die Teilnahme des Klägers an dem LDL-Programm trotz der
eingeschränkten Behandlungsmöglichkeiten mit konservativen Mitteln infolge einer
chronischen Niereninsuffizienz nicht vorlägen, da die Präapherese-Werte des LDL-
Cholesterins durchschnittlich geringer als 100 mg/dl gewesen seien. Darüber hinaus
habe deutliches Übergewicht bestanden. Gegen diese Beurteilung wandte sich der bei
dem L-Krankenhaus beschäftigte sachverständige Zeuge Dr. C, der die LDL-Apherese
bei dem Kläger regelmäßig durchführt. Er machte geltend, der komplikationslose Verlauf
in der Vergangenheit sei auf die konsequente LDL-Senkung zurückzuführen. Hierzu
gebe es aktuelle positive wissenschaftliche Studien. Auch die Beratungskommission
habe die Sinnhaftigkeit der Behandlung in der Vergangenheit immer anerkannt. Erst in
jüngerer Zeit seien in 10 von 10 Fällen, die durch das L-Krankenhaus betreut würden,
negative Beurteilungen abgegeben worden. Für diesen Sinneswandel gebe es keine
sachlich-medizinische Begründung. Eine Beendigung der LDL-Apherese-Behandlung
bei dem Kläger würde zu seiner unmittelbaren Gefährdung führen.
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Mit Bescheid vom 02.11.2001 lehnte die Beklagte die weitere Kostenübernahme für die
LDL-Apherese bei dem Kläger unter Bezugnahme auf die Entscheidung der
Beratungskommission ab. Dagegen wandte sich der Kläger mit seinem Widerspruch
und legte zur Begründung eine Stellungnahme des Prof. Dr. T von der Uni-Klinik N vor,
wonach für Patienten mit TVP keine Behandlungsalternative zur Verfügung stehe und
mit der Entscheidung der Beratungskommission die Lebenserwartung solcher Patienten
negativ beeinflusst werde. Im Dezember 2001 kam die Beratungskommission der KV
nach erneuter Überprüfung zu dem Ergebnis, dass die Anlage A der BUB-Richtlinien
die Anwendung der LDL-Apherese bei Patienten mit TVP nach Herztransplantation
nicht erfasse. Eine Begründung für diese Beurteilung gab sie gegenüber der Beklagten,
auch auf deren konkrete Nachfrage hin, nicht.
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Am 30.07.2002 beantragte der Kläger beim Sozialgericht Duisburg die Gewährung
einstweiligen Rechtsschutzes bezüglich der weiteren Kostenübernahme durch die
Beklagte. Mit Beschluss des Gerichtes vom 18.09.2002 (Az. S 7 KR 210/02 ER) wurde
die Beklagte verpflichtet, die Kosten für die Behandlung des Klägers mittels LDL-
Apherese für weitere sechs Monate zu übernehmen. Dieser Beschluss wurde
rechtskräftig. Im weiteren Verlauf erklärte sich die Beklagte bereit, die Behandlung bis
zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu finanzieren.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 16.08.2002 wies sie den Widerspruch zurück. Zur
Begründung bezog sie sich erneut auf die Stellungnahme der Beratungskommission der
KV, wonach auch nach nochmaliger Überprüfung die Voraussetzung des § 3 der Anlage
A 1 der BUB-Richtlinien in der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung nicht vorlägen. Es
sei beabsichtigt, eine endgültige Klärung herbeizuführen. Bei dem derzeitigen
Sachstand sei eine positive Entscheidung nicht möglich.
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Am 23.09.2002 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht Duisburg erhoben, mit der er
sein Begehren weiterverfolgt. Zur Klagebegründung verweist er im Wesentlichen auf die
bereits im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vorgelegten
Bescheinigungen mit den Ausführungen des Zeugen Dr. Braun sowie des Prof. Dr. T.
Ergänzend nimmt er Bezug auf eine weitere Bescheinigung des Zeugen Dr. C vom
23.07.2002, wonach sich unter der LDL-Apherese-Behandlung nach 1995 ein gutes
Absenken der Cholesterinwerte habe erreichen lassen. Schon im November 1996 habe
sich mittels einer Herzkatheteruntersuchung eine deutliche Besserung der coronaren
Gefäßsituation feststellen lassen. Im Oktober 2001 hätten die Cholesterinwerte bei 165
mg/dl und die LDL-Cholesterinwerte bei 67 mg/dl gelegen. Ohne Apheresebehandlung
müsse von einem Wiederansteigen dieser Werte auf ein ähnliche Niveau wie vor
Behandlungsbeginn ausgegangen werden. Der Kläger vertritt weiterhin die Auffassung,
dass er einen Anspruch auf durchgehende Kostenübernahme für die
Apheresebehandlung habe, weil die Behandlung zur Krankheitsbekämpfung
medizinisch notwendig sei. Alternative – insbesondere medikamentöse –
Behandlungsmöglichkeiten bestünden wegen Medikamentenunverträglichkeit bzw.
chronischer Niereninsuffizienz nicht. Ein kurzzeitiger Abbruch der Behandlung habe zu
einer akuten Verschlechterung des Gesundheitszustandes in Form des Ansteigens der
Cholesterinwerte geführt. Schließlich beruft er sich auf eine Entscheidung des
Sozialgerichtes Düsseldorf (Az: S 4 KR 235/02 ER), wonach die in § 2 der Anlage A Ziff.
1 der BUB-Richtlinien vorgesehene vorherige Genehmigung der Apherese-Behandlung
rechtswidrig sei. Im Übrigen komme es auf die Frage, ob eine Indikation entsprechend
der Anlage A zu den BUB-Richtlinien vorliege, nicht an, weil hier ein Anspruch
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aufKostenübernahme schon nach den Grundsätzen der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes zum sog. ”Off-label-use" bestehe.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02.11.2001 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 16.08.2002 zu verurteilen, die Kosten für die LDL-
Apheresebehandlung des Klägers auch nach dem 31.10.2001 zu übernehmen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid
sowie auf eine Stellungnahme des Zeugen Dr. T vom 17.11.2003 für den MDK. Der
Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen habe nach erneuter Beratung die
Behandlungsmethode der LDL-Apherese bei TVP ausdrücklich ausgeschlossen, weil
kein hinreichender Nachweis der Wirksamkeit bei dieser Indikation vorliege.
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Das Gericht hat zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes unter dem 15.01.2003 bzw.
14.05.2004 Befundberichte bei dem sachverständigen Zeugen Dr. C beigezogen.
Außerdem ist der zusammenfassende Bericht des Arbeitsausschusses ”Ärztliche
Behandlung" des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Beratung
gemäß § 135 Absatz 1 SGB V ”therapeutische Hämapheresen" (selektive Verfahren mit
Plasmadifferenzialtrennung) vom 25.07.2003 in das Verfahren eingeführt worden.
Schließlich hat die Kammer im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.02.2005
Beweis erhoben durch die Vernehmung der sachverständigen Zeugen Dr. C und Dr. T.
Hinsichtlich des Inhaltes und des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme wird verwiesen
auf den Inhalt der Niederschrift vom 16.02.2005.
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Bezüglich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird verwiesen auf die Gerichtsakte
und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die ebenfalls beigezogene
Akte des Sozialgerichtes Duisburg mit dem Az.: S 7 KR 210/02 ER. Der Inhalt
sämtlicher Akten ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
19
Der Bescheid vom 02.11.2001 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
16.08.2002 ist rechtswidrig und der Kläger deswegen beschwert im Sinne von § 54
Absatz 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Er hat einen Anspruch gegen die
Beklagte auf Kostenübernahme für die nach dem 31.10.2001 bei ihm durchgeführte
LDL-Apheresebehandlung nach der ”HELP-Methode".
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Er ergibt sich aus § 27 Absatz 1 Satz 2 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 1 und 2 sowie
§ 12 Absatz 1 des 5. Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V). Danach haben
Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung als Sachleistung, soweit diese dem
allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse unter Berücksichtigung
des medizinischen Fortschritts entspricht. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
21
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass es dem Stand
der medizinischen Wissenschaft entspricht, signifikant erhöhte LDL-Werte im Blut zu
verringern. Dies gilt unabhängig davon, ob bei Patienten eine TVP vorliegt oder nicht.
Die Indikation zur Einleitung LDL-Wert verringender Maßnahmen bei einer
entsprechenden Erhöhung dieses Wertes hat nicht nur der behandelnde Arzt des
Klägers, der sachverständige Zeuge Dr. C, vertreten, sondern auch der ebenfalls als
sachverständiger Zeuge vernommene Dr. T, der früher Mitarbeiter des MDK gewesen
ist. Dr. T hat nicht nur in seiner schriftlichen Äußerung vom 17.11.2003 darauf
hingewiesen, dass alternative Methoden zur LDL-Wertverringerung zur Verfügung
stehen, sondern auch im Termin zur mündlichen Verhandlung noch einmal bestätigt,
dass grundsätzlich auch bei einer medikamentenassoziierten Erhöhung der Fettwerte
eine Senkung insbesondere des LDL-Spiegels generell empfohlen werde. Bestätigt
wird diese Auffassung durch die Ausführungen in dem Auszug aus dem Dt. Ärzteblatt
vom 25.07.2003 (A 2034 = Bl. 73 Gerichtsakte). Auch dort wird darauf abgestellt, dass
für die hier fragliche LDL-Wertverringerung bei Transplantatvaskulopathie in der Regel
hochwirksame medikamentöse Standarttherapieverfahren zur Verfügung stehen. Es ist
damit als unstreitig anzusehen, dass auch bei einer TVP LDL-Wert reduzierende
Maßnahmen generell indiziert sind.
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Der Kläger hat auch einen Anspruch auf regelmäßige Reduzierung der LDL-
Konzentration mittels LDL-Apherese nach dem HELP-Verfahren. Etwas anderes ergibt
sich insbesondere nicht aus § 135 Absatz 1 Satz 1 SGB V. Während des gesamten
Zeitraumes ab November 2001 war die Methode unter Ziffer 1 der Anlage A der BUB-
Richtlinien aufgeführt und damit Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung. Die
Anwendung der LDL-Apherese nach dem HELP-Verfahren bei dem Kläger steht auch
im Einklang mit den unter Ziffer 1 der Anlage A der BUB-Richtlinien näher geregelten
einzelnen Voraussetzungen nach §§ 1 bis 8. Es ist zunächst davon auszugehen, dass
die Voraussetzungen des § 2 (Genehmigung zur Durchführung und Abrechnung) erfüllt
sind, da der Kläger von dem sachverständigen Zeugen Dr. C bereits vor November
2001 unter Zustimmung der Beklagten mit der fraglichen Methode behandelt wurde. Im
Ergebnis kommt es darauf jedoch nicht an, weil sich die Kammer den Ausführungen der
4. Kammer des Sozialgerichtes Düsseldorf in dem Beschluss vom 14.11.2002 (Az.: S 4
KR 235/02 ER) auf den Seiten 8 und 9 nach eigener Prüfung in vollem Umfang
anschließt.
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Auch die fehlende Genehmigung (Einwilligung) nach § 6 der Richtlinien ist nicht von
Bedeutung. Denn die Verweigerung der Zustimmung durch die Beklagte war
rechtswidrig. Insoweit ist zwischen den Beteiligten im Kern umstritten und für die
Beurteilung des Falles entscheidend, ob die Voraussetzung des § 3 unter Ziffer 1 der
Anlage A der BUB-Richtlinien vorliegen oder nicht. Diese Frage ist nach Auffassung der
Kammer unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme für den hier
fraglichen Gesamtzeitraum zu bejahen. Aufgrund der zwischenzeitlichen Änderung der
Ziffer 1 der Anlage A zu den BUB-Richtlinien ist jedoch hinsichtlich des Zeitraumes vor
und ab dem 08.07.2003 (Datum der Veröffentlichung des Beschlusses des
Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 24.03.2003 im
Bundesanzeiger) zu differenzieren.
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Nach dem Wortlaut des § 3 (Indikation für die LDL-Elemination) lagen die
Voraussetzungen für die Anwendung der begehrten Therapie vor. In Betracht zu ziehen
ist insoweit nach den Umständen des Falles allein die Anwendungsalternative einer
”schweren Hypercholesterinämie". Eine solche lag hier bei dem Kläger eindeutig vor.
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Für die Kammer liegt es dabei auf der Hand, dass insoweit nicht – wie in der
Stellungnahme des MDK vom 17.09.2001 – von den Cholesterinwerten des Klägers bei
laufender Behandlung mittels LDL-Apherese ausgegangen werden kann, sondern die
Werte in unbehandeltem Zustand vor Aufnahme der Therapiemaßnahmen im Jahre
1995 bzw. im Zeitraum zwischen Ende 2001 und Anfang 2002, zugrundezulegen sind.
Zu diesen Zeitpunkten litt der Kläger unter einer schweren Hypercholesterinämie. Dies
wird nicht nur eindeutig bestätigt durch den Befundbericht des sachverständigen
Zeugen Dr. C vom 15.01.2003, sondern auch durch die Ausführungen der beiden
sachverständigen Zeugen Dr. C und Dr. T im Termin zur mündlichen Verhandlung.
Beide Zeugen haben insoweit bestätigt, dass definitionsgemäß eine schwere
Hypercholesterinämie bei dem Kläger vorliegt.
Auch die weiteren in § 3 der Anlage A Ziff. 1 der BUB-Richtlinien in der bis zum
08.07.2003 gültigen Fassung genannten einschränkenden Voraussetzungen sind nach
Überzeugung der Kammer erfüllt. Der sachverständige Zeuge Dr. C hat sowohl
schriftlich in seinem Befundbericht, als auch mündlich im Termin zur mündlichen
Verhandlung überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass vor Aufnahme der
Behandlung die LDL-Werte über einen längeren Zeitraum von 6 Monaten nicht
ausreichend durch eine medikamentöse Therapie gesenkt werden konnten. Dr. C hat
insbesondere angegeben, dass eine Steigerung der Statingabe nicht möglich war, weil
der Kläger im Rahmen der Standardtherapie bereits laufend mit der höchstverträglichen
Statindosis behandelt wurde. Dieser Standpunkt wurde von Dr. T nicht in Abrede
gestellt. Eine Behandlung mittels der von Dr. T zur Behandlung des Klägers zunächst
für sinnvoll erachteten Cholesterinresorptionshemmer (CSE) scheidet nicht nur wegen
der mangelnden Zulassung von derartigen Medikamenten für das hier fragliche
Indikationsgebiet aus, sondern auch deswegen, weil Dr. C insoweit ebenfalls
nachvollziehbar dargelegt hat, dass es bei der Anwendung dieser Medikamente zu
großen Problemen mit den gleichfalls noch zu verabreichenden Immunsubressiva
kommt. Dagegen wurden von Dr. T ebenfalls keine Einwände vorgebracht.
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Was die übrigen Risikofaktoren angeht, kann hier ebenfalls von einem Vorliegen der
Voraussetzungen ausgegangen werden, da insofern ursprünglich eine Genehmigung
der Beklagten mit Zustimmung der Beratungskommission vorlag. Hiergegen wurden
auch von der Beklagten bzw. der Beratungskommission im Laufe des Verfahrens
keinerlei Bedenken geäußert.
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Vor diesem Hintergrund kommt es im Ergebnis darauf an, ob trotz letztlich unstreitiger
Erfüllung der Voraussetzungen des § 3 der Anlage A Ziff. 1 der BUB-Richtlinien in der
bis zum 08.07.2003 gültigen Fassung seinem Wortlaut nach dennoch ein Ausschluss
des Anspruches des Klägers auf die Behandlung mittels LDL-Apherese anzunehmen
ist. Für den Fall, dass man dies bejahen wollte, würde es sich rechtstechnisch um den
Fall einer teleologischen Reduktion der Vorschrift handeln. Nach Auffassung der
Kammer kann dieses Auslegungsinstrument jedoch nicht für das Verständnis der BUB-
Richtlinien bzw. ihrer Anlagen herangezogen werden. Denn in diesem Bereich ist ein
hohes Maß an Rechtssicherheit erforderlich, da es Sinn der Richtlinien ist, für den
Versicherten aber auch die übrigen Beteiligten konkret und verbindlich festzulegen,
welche Behandlungsmethoden ggfs. in welchem Umfang in der vertragsärztlichen
Versorgung zur Verfügung stehen. Vor diesem Hintergrund ist es von wesentlicher
Bedeutung, dass alle Beteiligten, zumindest aber die Leistungserbringer unmittelbar aus
dem Text der Richtlinie bzw. seiner Anlagen entnehmen können, in welchem Umfang
ein Leistungsanspruch besteht oder nicht. Insofern ist nach Auffassung der Kammer die
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Rechtslage nicht anders als bei der Frage der Auslegungsfähigkeit von
Vergütungsregelungen im Vertragsarztrecht. Dort ist nach der Rechtsprechung des
Bundessozialgerichtes (vgl. Urteil vom 26.01.2000, Az.: B 6 KA 59/98) aus Gründen der
Rechtssicherheit ebenfalls ausschließlich auf den Wortlaut abzustellen. Ein anderes
Verständnis würde nach Auffassung der Kammer zu inakzeptablen
Auslegungsproblemen und Rechtsunsicherheiten führen. Letztlich würde der Sinn der
Richtlinienkompetenz des Bundesausschusses, nämlich die verbindliche
Konkretisierung von Ansprüchen der Versicherten, in Frage gestellt. Dies zeigt gerade
der vorliegende Fall. Es ist mit den Grundsätzen des § 135 Absatz 1 SGB V nach
Auffassung der Kammer nicht zu vereinbaren, dass ohne Änderung des Wortlautes
einer Bestimmung im Sinne von § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V eine zuvor in
laufender Verwaltungspraxis auf Grundlage dieser Vorschrift zugelassene Behandlung
allein aufgrund einer geänderten Beurteilungslage aus der vertragsärztlichen
Versorgung herausgenommen wird.
Dem steht nicht entgegen, dass sich aufgrund des wissenschaftlichen Fortschritts im
Laufe der Zeit neue Erkenntnisse ergeben können, die es erforderlich machen, eine
differenzierende bzw. geänderte Beurteilung des Bundesausschusses zur Grundlage
der Leistungsgewährung in der gesetzlichen Krankenversicherung zu machen. In einem
solchen Fall kann ohne Weiteres eine Änderung des Wortlautes der Anlagen A oder B
der BUB-Richtlinien auf Grundlage eines entsprechenden formalen Beschlusses des
Bundesausschusses herbeigeführt werden. Dazu ist es jedoch Ende des Jahres 2001
nach den hier vorliegenden Informationen nicht gekommen. Geändert hat sich lediglich
die Beurteilung der zuständigen Beratungskommission im Sinne von § 5 der Ziffer 1. der
Anlage A der BUB-Richtlinien. Ein Sinneswandel innerhalb dieses Beratungsgremiums
kann jedoch eine Änderung der Richtlinien nicht bewirken. Hierzu fehlt ihr die rechtliche
Zuständigkeit. Zuständig für die Änderung bzw. Präzisierung der Richtlinien ist allein
der hierzu durch das Gesetz berufene Bundesausschuss.
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Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass allein aufgrund der Änderung der
Beurteilung der Beratungskommission ohne gleichzeitige Änderung des Wortlautes der
Richtlinie eine Abänderung einer wie oben dargestellt richtlinienkonformen
Bewilligungspraxis nicht möglich und damit rechtswidrig ist.
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Etwas anderes ergibt sich im Ergebnis auch nicht unter Zugrundelegung der mit
Wirkung vom 08.07.2003 geänderten Formulierung der Vorschriften unter Ziff. 1 der
Anlage A der BUB-Richtlinien. Die Vorschriften der §§ 1 und 2 sowie 4 bis 8 der Anlage
A Ziff. 1 der BUB-Richtlinien in der seit dem 08.07.2003 gültigen Fassung haben sich
nicht geändert. Die Vorschriften wurden nahezu wortgleich aus den alten Regelungen
übernommen. Im Hinblick auf § 3 der Anlage A Ziff. 1 der BUB-Richtlinien haben sich
insofern Änderungen ergeben, als das Vorgehen bei der Indikationsstellung bzw. der
Dokumentation unter der Ziffer 3.3 näher konkretisiert bzw. neu gefasst wurde. Zudem
wurde unter 3.2 ein neuer Abschnitt über Immunapheresen bei aktiver rheumatoider
Artritis eingeführt, der für den vorliegenden Fall nicht relevant ist. Im Übrigen wurde
unter Ziffer 3.1 der Zeitraum, innerhalb dessen eine zuvor durchgeführte diätetische oder
medikamentöse Therapie erfolglos gewesen sein muss, von 6 auf 12 Monate verlängert.
Hinsichtlich der notwendigen Indikation ("schwere Hypercholesterinämie") als solcher
hat sich der Wortlaut nicht geändert. Auf dieser Grundlage sind die Voraussetzungen für
die Inanspruchnahme der LDL-Apherese durch den Kläger auch nach Änderung der
genannten Regelungen weiterhin erfüllt. Denn die maßgebliche Indikation, eine
schwere Hypercholesterinämie, liegt wie oben bereits erläutert weiterhin vor. Auch die
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Verlängerung des Zeitraumes der erfolglosen Durchführung diätetischer oder
medikamentöser Maßnahmen kommt es nicht an, weil der Kläger die Voraussetzungen
für die Inanspruchnahme der Behandlungsmaßnahme bereits nach altem Recht erfüllte.
Nach Auffassung der Kammer wäre es formalistisch, hier noch einen weiteren Zeitraum
von 6 oder gar 12 Monaten zu fordern, in denen der Kläger ausschließlich
medikamentös zu behandeln wäre.
Aus dem zusammenfassenden Bericht des Arbeitsausschusses Ӏrztliche Behandlung"
vom 25.07.2003 ergibt sich zwar eindeutig, dass es nicht dem Willen des
Bundesausschusses entsprach, die Behandlung mittels LDL-Apherese bei TVP
(weiterhin) zuzulassen (vgl. hierzu Ziffer 30.3 des Berichtes). Unabhängig davon, dass
der zusammenfassende Bericht erst nach dem Inkrafttreten der Änderung veröffentlicht
wurde, kann im Hinblick auf die vorstehenden Ausführungen zur Unzulässigkeit der
teleologischen Reduktion bei der Auslegung von Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2
Nr. 5 SGB V die Begründung in dem zusammenfassenden Ausschussbericht nicht zu
einer anderen Beurteilung des Falles führen. Denn im Hinblick auf den Gesichtspunkt
der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit wäre es nach Auffassung der Kammer Aufgabe
des Bundesausschusses gewesen, eine Änderung seiner Beurteilung der
medizinischen Umstände im Hinblick auf eine Präzisierung der Indikationsstellung auch
im Wortlaut der Richtlinie zu manifestieren. Hierzu hätte insbesondere die Möglichkeit
bestanden, die LDL-Apherese bei TVP in die Anlage B der BUB-Richtlinien
aufzunehmen. Dies ist jedoch entgegen der Ausführungen des Dr. T in seiner
Stellungnahme vom 17.11.2003 auf Seite 8 gerade nicht geschehen. Dieses
Versäumnis des Bundesausschusses kann nach Überzeugung der Kammer nicht durch
eine nachträgliche Berücksichtigung der Bewertung in dem zusammenfassenden
Bericht des Arbeitsausschusses geheilt werden. Es kann und muss von dem
Bundesausschuss verlangt werden, dass er sich gerade bei einer Therapiemethode, die
hohe Kosten verursacht und zumindest unter Zugrundelegung der medizinischen
Auffassung ihrer Befürworter lebensnotwendige Bedeutung für den Patienten hat,
unmissverständlich äußert bzw. seine Auffassung durch eindeutige Regelungen in den
Anlagen A bzw. B zu den Richtlinien nach § 92 Absatz 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V zum
Ausdruck bringt. Nur so wird der Ausschuss seiner ihm vom Gesetz übertragenen
Aufgaben gerecht.
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Selbst wenn man den vorstehenden Ausführungen nicht folgen sollte, ist die Frage
aufgeworfen, ob nicht entsprechend der Angaben des sachverständigen Zeugen Dr. C
im Termin zur mündlichen Verhandlung ohnehin bereits vor der Herztransplantation
eine schwere Hypercholesterinämie des Klägers vorlag und man somit auch nach dem
von der Beklagten bzw. der Beratungskommission zugrundegelegten eingeschränkten
Verständnis des Wortlautes des § 3 der Anlage A Ziff. 1 der BUB-Richtlinien zu einer
Leistungspflicht der Beklagten käme.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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