Urteil des SozG Duisburg vom 18.09.2007

SozG Duisburg: teleologische auslegung, unbestimmter rechtsbegriff, vermieter, heizungsanlage, unangemessenheit, nachforderung, erlass, hauptsache, nachzahlung, mietwohnung

Sozialgericht Duisburg, S 10 AS 84/07 ER
Datum:
18.09.2007
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 10 AS 84/07 ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Antragstellern zu 1) bis 5)
vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens
Leistungen für Heizung für den Abrechnungszeitraum vom 01.07.2005
bis zum 30.06.2006 in Höhe von 514,36 Euro zu zahlen. Die
Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu
1) bis 5).
Gründe:
1
I.
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Im Streit ist die Übernahme von Heizkosten für den Abrechnungszeitraum vom
01.07.2005 bis zum 30.06.2006 in Höhe eines vom Vermieter nachgeforderten Betrages
von 514,36 Euro.
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Die Antragsteller zu 1) bis 5) beziehen seit Januar 2005 von der Antragsgegnerin
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der Kosten für
Unterkunft und Heizung. Sie bewohnen eine 86,77 qm große Mietwohnung, für die in
der Zeit vom 01.07.2005 bis zum 31.01.2006 eine Grundmiete von 370,- Euro und vom
01.02.2006 bis zum 30.06.2006 eine Grundmiete von 375,-Euro zu zahlen war.
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Die Kosten für die Heizung werden den Antragstellern von dem Vermieter in Rechnung
gestellt. Für den Abrechnungszeitraum vom 01.07.2004 bis zum 30.06.2005 wurden
monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 56,- Euro (01.07.2004 bis zum 31.01.2005)
und in Höhe von 65,- Euro (01.02.2005 bis zum 30.06.2005) geleistet, so dass sich ein
Gesamtbetrag in Höhe von 717,- Euro ergab. Am 09.11.2005 wurde eine
Heizkostenabrechnung des Vermieters erstellt, die auf der Basis von anteiligen
Grundkosten (50 v.H.) und konkret ermittelten Verbrauchskosten (50 v.H.) einen zu
zahlenden Gesamtbetrag in Höhe von 873,87 Euro und nach Abzug der
Vorauszahlungen einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 156,87 Euro auswies. Der
Antragsteller zu 1) beantragte im Rahmen einer persönlichen Vorsprache bei der
Antragsgegnerin am 28.12.2005 die Übernahme der Nachzahlung durch die
Antragsgegnerin. Mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 28.12.2005 wurde die
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Heizkostennachforderung in vollem Umfang übernommen und der Betrag von 156,87
Euro am 29.12.2005 zur Zahlung angewiesen.
Bezogen auf den streitigen Abrechnungszeitraum 01.07.2005 bis zum 30.06.2006
waren Heizkostenvorauszahlungen in Höhe von 65,- Euro monatlich (01.07.2005 bis
zum 31.01.2006) und in Höhe von 75,-Euro (01.02.2006 bis zum 30.06.2006) zu leisten,
die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18.05.2005 in Gestalt des
Änderungsbescheides vom 16.09.2005 und mit Bescheid vom 12.12.2005 in Gestalt des
Änderungsbescheides vom 28.12.2005 bewilligt wurden. Insgesamt wurden von der
Antragsgegnerin Heizkosten in Höhe von 830,- Euro gezahlt.
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Am 30.01.2007 legte der Antragsteller zu 1) der Antragsgegnerin die
Heizkostenabrechnung vom 09.01.2007 bezogen auf den Zeitraum 01.07.2005 bis zum
30.06.2006 vor, die einen Gesamtbetrag in Höhe von 1.344,36 Euro und einen unter
Berücksichtigung der Vorauszahlungen errechneten Nachzahlungsbetrag in Höhe von
514,36 Euro ergab. Auch in dieser Abrechnung wurden 50 v.H. der Kosten als
wohnflächenabhängige Grundkosten und 50 v.H. als konkret ermittelte
Verbrauchskosten zu Grunde gelegt.
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Mit Bescheid vom 27.02.2007 lehnte die Antragsgegnerin die Übernahme der
nachgeforderten Heizkosten ab, weil die tatsächlich entstandenen Heizkosten als nicht
angemessen anzusehen seien. Gleichzeitig wurde angekündigt, dass ab dem
01.07.2007 nur noch eine monatliche Vorauszahlung in Höhe von 63,28 Euro
berücksichtigt werden könne. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass den
angemessenen Umfang übersteigende Heizkosten nur so lange anzuerkennen seien,
als es dem Leistungsberechtigten nicht möglich oder zuzumuten sei, die Aufwendungen
zu senken. Der erwähnte angemessene Umfang entspreche den Kosten, die
üblicherweise für die Beheizung einer Wohnung mit Zentralheizung durchschnittlich
aufzubringen seien.
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Gegen diesen Bescheid erhoben die Antragsteller am 14.03.2007 Widerspruch und
trugen zur Begründung vor, dass sich die Beurteilung der Angemessenheit der
Heizkosten immer nach den Umständen des Einzelfalles zu richten habe und nicht
pauschal vorzunehmen sei. Dabei habe beispielsweise die Lage, die Größe und der
bauliche Zustand einer Wohnung ebenso erheblichen Einfluss auf die Heizkosten wie
das subjektive Wärme- bzw. Kälteempfinden der Mieter. Die Antragsgegnerin habe
konkret nicht berücksichtigt, dass im Haushalt der Antragsteller drei minderjährige
Kinder leben würden, was zu einem erhöhten Heizbedarf führen würde. Zudem handele
es sich um eine Eckwohnung, so dass insoweit ein erhöhter Heizbedarf bestehe. Die
Antragsgegnerin habe keine Umstände vorgetragen, die ausnahmsweise auf ein
verschwenderisches Verhalten der Antragsteller schließen lassen würde.
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Die Antragsgegnerin wies den Widerspruch mit Bescheid vom 12.04.2007 zurück. Zur
Begründung wurde ausgeführt, der angemessene Umfang der Heizkosten ergebe sich
aus den Kosten, die üblicherweise für die Beheizung einer Wohnung in der von den
Antragstellern bewohnten Liegenschaft durchschnittlich aufzubringen seien. An die
Heizungsanlage der Liegenschaft seien die Wohnhäuser F.-Straße 91 bis 107 und H.
Straße 226 bis 230 angeschlossen, so dass sich hieraus sehr gut ein angemessener
Heizkostenbetrag errechnen lasse. Da Heizkosten in Höhe von 46.167,93 Euro für die
gesamte Wohnfläche der Liegenschaften von 5275,16 qm angefallen seien, ergebe sich
für die Wohnung der Antragsteller (86,77 qm) ein durchschnittlicher Heizkostenanteil in
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Höhe von 759,41 Euro jährlich bzw. 63,28 Euro monatlich. Bei einer Liegenschaft dieser
Größe könne davon ausgegangen werden, dass der durchschnittliche
Brennstoffverbrauch unter Berücksichtigung der individuell unterschiedlichen
Heizungsbedürfnisse und Gewohnheiten das Maß an Heizenergie bestimme, dass als
angemessen anzusehen sei. Zu berücksichtigende Besonderheiten des Einzelfalles
lägen nicht vor. Den Antragstellern sei es zuzumuten, den Heizenergieverbrauch auf
den Durchschnittswert von 63,28 Euro monatlich zu senken.
Mit einem am 07.05.2007 eingegangenen Schriftsatz haben die Antragsteller gegen
diesen Bescheid Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung gestellt, in deren Rahmen sie die Übernahme der
Heizkostennachzahlung durch die Antragsgegnerin geltend machen. Zuvor hatten sie
am 24.04.2007 mit dem Vermieter vereinbart, dass der nachzuzahlende Betrag in
monatlichen Raten von 50,- Euro zu erbringen sei.
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Sie sind der Auffassung, dass bei Beurteilung der Angemessenheit der Heizkosten
neben der besonderen Lage der Wohnung die persönlichen Verhältnisse der
Antragsteller zu berücksichtigen seien. Diese seien dadurch gekennzeichnet, dass drei
minderjährige Kinder zum Haushalt gehören würden und der Antragsteller zu 1)
krankheitsbedingt einen erhöhten Wärmebedarf habe. Zudem führe der Umstand, dass
die Antragsteller zu 1) und zu 2) erwerbslos seien, zu längeren Anwesenheitszeiten in
der Wohnung und zu einem dadurch bedingten erhöhten Heizbedarf. Selbst wenn die
Heizkosten unangemessen hoch seien, hätte es eines vorherigen Hinweises der
Antragsgegnerin bedurft, um den Antragstellern die Gelegenheit zu geben, ihr
Heizverhalten zu ändern. In den vorausgegangenen Jahren seien den Antragstellern
alle Heizkostennachzahlungen erstattet worden, ohne dass ihnen ein anderes
Heizverhalten nahe gelegt worden sei.
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Die Antragsteller beantragen schriftsätzlich,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen unter
dem Vorbehalt der Rückforderung bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Klageverfahrens die Heizkostennachzahlung über den Zeitraum vom 01.07.2005 bis
zum 30.06.2006 in Höhe von 514,36 Euro zu erstatten.
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Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich,
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den Antrag abzuweisen.
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Sie ist weiterhin der Auffassung, dass keine besonderen Einzelfallumstände zu
berücksichtigen seien. Ein erhöhter Heizbedarf wegen der Kinder sei nach allgemeiner
Lebenserfahrung nicht erforderlich. Das von dem Antragsteller zu 1) geltend gemachte
Rückenleiden führe in der Regel nicht zu einem erhöhten Mehrbedarf. Die durch die
Erwerbslosigkeit bedingte längere Aufenthaltsdauer der Antragsteller zu 1) und zu 2) in
der Wohnung sei nicht berücksichtigungsfähig, da sich auch andere Personengruppen
wie Rentner oder Familien mit Kindern deutlich länger in ihrer Mietwohnung aufhalten
würden als erwerbstätige Personen. Schließlich werde die besondere Lage der
Wohnung als Eckwohnung durch andere Gegebenheiten, die ebenfalls zu einem
erhöhten Heizbedarf führen, wieder relativiert. Eines besonderen vorherigen Hinweises
auf die Reduzierung der Heizkosten habe es nicht bedurft, weil die Antragsteller
grundsätzlich zu einem wirtschaftlichen Umgang mit den eigenen finanziellen Mitteln
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und aus Umweltschutzgründen zu einem sparsamen Energieverbrauch verpflichtet
seien. Zudem läge ein Anordnungsgrund nicht vor, weil die Antragsteller die
Heizkostennachzahlung aus dem Freibetrag für Erwerbstätige aufbringen könnten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der zum Verfahren beigezogenen
Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig und begründet.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen
Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn eine solche
Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung für
den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist das Bestehen eines Anordnungsgrundes,
d.h. des materiell- rechtlichen Leistungsanspruches, sowie das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes, d.h. der Eilbedürftigkeit der Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile und die damit verbundene Unzumutbarkeit, die Entscheidung in
der Hauptsache abzuwarten.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht
isoliert nebeneinander stehen, sondern dass eine Wechselwirkung derart besteht, dass
die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw.
Schwere des drohenden Nachteiles (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und
umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres
funktionalen Zusammenhanges ein bewegliches System (Meyer-Ladewig Kommentar
zum SGG § 86 b Rn 27 und 29 mwN). Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der
Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige
Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil
ein schützenwertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage bzw. der Widerspruch in der
Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anfordnungen an
einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf
einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des
Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und
Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu
entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers
umfassend in die Abwägung einzustellen (vgl. BVerfG Beschluss vom 12.05.2005
Aktenzeichen 1 BVR 569/05).
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Ausgehend von diesen Grundsätzen war dem Antrag der Antragsteller auf vorläufige
Übernahme der tatsächlich entstandenen Heizkosten für den Zeitraum vom 01.07.2005
bis zum 30.06.2006 zu entsprechen. Die Antragsteller haben sowohl einen
Anordnungsanspruch als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
23
Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus §§ 19, 22 Abs. 1 SGB II. Leistungen für
Heizung werden den Leistungsberechtigten anteilig nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in
Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Somit
haben sich die Leistungen für Heizung maßgeblich an den tatsächlichen Aufwendungen
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zu orientieren (LSG NRW Beschluss vom 23.05.2007 Aktenzeichen L 20 B 77/07 AS
ER; BSG vom 23.11.2006 B 11 b AS 3/06 R). Dazu zählen die regelmäßigen
monatlichen Vorauszahlungen an den Vermieter bzw. an das Energie- und
Fernwärmeversorgungsunternehmen sowie die nach Ende der Heizperiode fällige
Nachzahlung. Auch bei der Heizkostennachzahlung handelt es sich nicht um die
Übernahme von Schulden, sondern um Kosten der Heizung, deren Übernahme sich
nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II richtet. Entscheidend ist insoweit, dass der Anspruch
des Vermieters auf Nachzahlung der Kosten der Beheizung erst am Ende der
vereinbarten Rechnungsperiode anhand der dann bekannten Daten entstehen und fällig
werden kann (Hessisches LSG vom 21.03.2006 Aktenzeichen L 9 AS 124/05 ER; LSG
Niedersachsen Bremen vom 14.09.2005 L 8 AS 125/05 ER; Berlit in LPK SGB II § 22
Rn 65). Die tatsächlich von den Antragstellern aufzubringenden Aufwendungen
betrugen für den Abrechnungszeitraum 01.07.2005 bis 30.06.2006 insgesamt 1344,36
Euro und setzten sich aus den Vorauszahlungen in einer Gesamthöhe von 830,- Euro (7
Monate 65,- Euro und 5 Monate 75,- Euro) sowie der Nachforderung des Vermieters in
Höhe von 514,36 Euro zusammen.
Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung ist als unbestimmter
Rechtsbegriff in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die Angemessenheit von Heizkosten von zahlreichen Faktoren wie der Lage einer
Wohnung, dem Bauzustand der Wohnung, der Geschosshöhe, der Wärmeisolierung,
der Heizungsanlage, den metereologischen Daten sowie den besonderen persönlichen
Verhältnissen der Bewohner abhängig ist. Dies erschwert nachhaltig die Feststellung,
wann Heizkosten im konkreten Fall angemessen sind und wann nicht. Vor diesem
Hintergrund geht die Rechtsprechung von einer Vermutung der Angemessenheit der
tatsächlich entstandenen Aufwendungen aus, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für
ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen (vgl. LSG
NRW vom 22.05.2007 Aktenzeichen L 20 B 77/07 AS ER; Hessisches LSG vom
05.09.2007 Aktenzeichen L 6AS 145/07 ER mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Dies hat zur Folge, dass der Leistungsträger im Zweifel das Vorliegen entsprechender
Anhaltspunkte konkret darzulegen und ggf. zu beweisen hat (Hessisches LSG vom
05.09.2007 Aktenzeichen L 6 AS 145/07 ER). Dazu bedarf es notwendigenfalls auch
entsprechender tatsächlicher Erhebungen im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des
Leistungsträgers (vgl. LSG NRW vom 23.05.2007 Aktenzeichen L 20 B 77/07 AS ER).
Kommt er dem nicht nach, greift die Vermutung der Angemessenheit der Heizkosten ein.
25
Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Unangemessenheit der Aufwendungen der
Antragsteller für Heizkosten damit begründet, dass die auf die Antragsteller entfallenden
Heizkosten deutlich über dem durchschnittlichen Jahresheizkostenbetrag für eine
Wohnung der Größenordnung der von den Antragstellern bewohnten Mietwohnung
(Jahresbetrag 759,41 Euro) liege. Dies ist zwar zutreffend, kann aber ohne
Berücksichtigung besonderer Einzelfallverhältnisse, insbesondere ohne
Berücksichtigung persönlicher Umstände die Unangemessenheit der entstandenen
Heizkosten nicht begründen. Auch nach der von der Antragsgegnerin herangezogenen
verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung kann bei einem zentralbeheizten
Mehrfamilienhaus der durchschnittliche wohnflächenbezogene Brennstoffverbrauch der
an die Heizungsanlage angeschlossenen Abnehmer nur als wesentliches Indiz für die
Angemessenheit der Heizkosten herangezogen werden. Auch insoweit ist anerkannt,
dass sich aufgrund besonderer Einzelfallverhältnisse, insbesondere aufgrund
persönlicher Umstände Abweichungen ergeben können, die die angemessenen Kosten
erhöhen können (vgl. OVG NRW vom 13.09.1988 Aktenzeichen: 8 A 1239/86 mwN).
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Insoweit ist beispielsweise der Einwand der Antragsteller erheblich, dass es sich um
eine Eckwohnung mit vielen Außenwänden handeln würde, da es sich dabei um einen
objektiven Umstand handelt, der für die Mehrzahl der in einem Gebäudekomplex
gelegenen Wohnungen nicht zutrifft und zu einem erhöhten Heizbedarf führen kann.
Ferner stellt sich die Frage, ob bei einem derart großen Gebäudekomplex tatsächlich
eine Vergleichbarkeit der Heizungsanlage, der Wärmeisolierung und der sonstigen
baulichen Ausstattung bzgl. der verschiedenen Wohnhäuser vorliegt mit der Folge, dass
der Durchschnittswert bezogen auf alle Wohnungen ein verlässliches Indiz für die
Angemessenheit der Heizkosten darstellt. Insoweit hätte aus Sicht des Gerichtes eine
Nachfrage bei dem Vermieter stattfinden müssen, ob es sich bei allen Liegenschaften
hinsichtlich der Heizungsanlage, der Wärmeisolierung und der baulichen Ausstattung
um vergleichbare Wohnverhältnisse handelt.
Zudem hätte zugunsten der Antragsteller jedenfalls der Umstand Berücksichtigung
finden müssen, dass sich ein erhöhter Heizbedarf im Vergleich zu dem
Verbrauchsverhalten etwa erwerbstätiger Personen dadurch ergibt, dass sich
Hilfeempfänger in der Regel länger, d.h. auch während der heizungsintensiven Zeit
während des Tages in der eigenen Wohnung aufhalten (vgl. LSG NRW vom 23.05.2007
Aktenzeichen L 20 B 77/07 ER; Bayrisches LSG vom 19.01.2007 Aktenzeichen L 7 AS
184/06; Sächsisches LSG vom 24.10.2006 Aktenzeichen L 3 B 158/06 AS ER; Eicher-
Spellbrink SGB II § 22 Rn 46). Darüber hinaus hätte die Antragsgegnerin prüfen
müssen, ob die - durch vorhandene Gutachten - aktenkundigen erheblichen
Erkrankungen des Antragstellers zu 1) einen erhöhten Wärmebedarf und damit eine
Erhöhung der durchschnittlichen Heizkosten zur Folge haben. Es ist Aufgabe des
Leistungsträgers, die Besonderheiten des Einzelfalles im Rahmen der Amtsermittlung
zu klären und daran die Leistungen für die Heizkosten auszurichten (Hessisches LSG
vom 05.09.2007 Aktenzeichen L 6 AS 145/07 ER).
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Nach alledem rechtfertigt allein die Abweichung des Heizkostenbedarfes der
Antragsteller von dem durchschnittlichen Heizkostenbedarf aller Mieter des von der
Abrechnung erfassten Gebäudekomplexes nicht den Rückschluss auf die
Unangemessenheit der entstandenen Heizkosten. Insoweit ergeben sich allerdings
Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen. Schon der Gesichtspunkt, dass ein weiterer
Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Gründe der unstreitig hohen Heizkosten besteht,
wäre geeignet, im Rahmen der Folgenabwägung die vorläufige Übernahme der
nachzuzahlenden Heizkosten durch die Antragsgegnerin anzuordnen (vgl. LSG NRW
Beschluss vom 29.09.2006 Aktenzeichen L 9 B 114/06 AS ER). Dabei ist zusätzlich zu
berücksichtigen, dass sich auch aus einem anderen Grunde - aus Sicht des Gerichts
deutlichere - Anhaltspunkte für ein von den Antragstellern praktiziertes
unwirtschaftliches Heizverhalten ergeben, nämlich aus dem Vergleich der individuellen
Verbrauchswerte der Antragsteller in dem streitfangenen Zeitraum mit den Werten aus
dem Vorjahreszeitraum,
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Danach haben die Antragsteller in dem Vorjahreszeitraum (01.07.2004 bis zum
30.06.2005) in derselben Wohnung insgesamt 13.949 Einheiten verbraucht, während
der Verbrauch in dem darauf folgenden Jahr (01.07.2005 bis 30.06.2006) bei 24.476
Einheiten lag. Insoweit kann nämlich ausgeschlossen werden, dass Faktoren wie der
Bauzustand der Wohnung, der Wärmeisolierung, die Lage im Gebäude, die Zahl der
Außenwände oder die Heizungsanlage Einfluss auf die deutliche Erhöhung der Kosten
hatten. Dies wird im Hauptsacheverfahren zu berücksichtigen sein, weil dort auch
streitig ist, welche angemessenen Heizkosten für die Zukunft zugrunde zu legen sind.
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Für den im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein streitigen abgelaufenen Zeitraum
vom 01.07.2005 bis zum 30.06.2006 ist dagegen maßgeblich, dass die Antragsteller
einen Anspruch auf Leistungen in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen auch dann
haben, wenn die Kosten infolge der Nachforderung des Vermieters insgesamt nicht
mehr als angemessen anzusehen sind, so dass ein Anordnungsanspruch jedenfalls
besteht. Insoweit ergibt eine teleologische Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II,
dass auch unangemessene Heizkosten für einen abgelaufenen Zeitraum zu
übernehmen sind, wenn die Unangemessenheit der Heizkosten erstmalig durch eine
Jahresabrechnung und eine entsprechende Nachforderung des Vermieters erkennbar
geworden ist. Zwar ist in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nicht ausdrücklich vorgesehen, dass
auch Aufwendungen für Heizkosten, die den angemessenen Umfang übersteigen, so
lange zu berücksichtigen sind, wie es der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht
zuzumuten ist, die Aufwendungen zu senken. Vielmehr erwähnt § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB
II ausdrücklich nur die Aufwendungen für die Unterkunft. Insoweit ist jedoch der enge
und untrennbare Zusammenhang der Kosten der Unterkunft mit den Kosten der Heizung
zu berücksichtigen. Die Höhe der Heizkosten ergibt sich - zumindest teilweise -
zwangsläufig und kaum beeinflussbar auch aus der Bauart und der Größe der Wohnung
(vgl. LSG NRW vom 08.02.2007 Aktenzeichen L 9 AS 14/06 unter Hinweis auf BSG vom
07.11.2006 Aktenzeichen B 7b AS 8/06 ER), so dass § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II auch auf
die Höhe der Heizkosten zu erstrecken und eine strikte Trennung zwischen den
Unterkunftskosten und den Heizkosten nicht vorzunehmen ist.
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Dies entspricht dem gesetzgeberischen Willen, da ausweislich der
Gesetzesbegründung mit § 22 SGB II im wesentlichen die bisherige, durch die §§ 11
und 22 des BSHG sowie die dazu ergangene Durchführungsverordnung geregelte
sozialhilferechtliche Rechtslage übernommen werden sollte (vgl. BT-Drucksache
15/1516 Einzelbegründung zu § 22 Abs. 2; Eicher-Spellbrink § 22 Rn 6, SG Detmold
vom 27.06.2005 Aktenzeichen S 13 AS 20/05 ER). Bis zum 31.12.2004 war die
entsprechende Regelung in § 3 der Regelsatzverordnung enthalten. Nach § 3 Abs. 1
waren unangemessene Leistungen für Unterkunft solange anzuerkennen, als es dem
Hilfebedürftigen nicht möglich oder nicht zuzumuten war, diese durch
Wohnungswechsel oder auf andere Weise zu senken. In § 3 Abs. 2 war bestimmt, dass
die Regelung für laufende Leistungen für Heizung entsprechend gilt. Vor diesem
Hintergrund ist § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II nach seinem Sinn und Zweck, den
Hilfebedürftigen für eine Übergangszeit bis zu einem möglichen Absenken der Kosten
auch Leistungen für unangemessene Aufwendungen zu erbringen, auf unangemessene
Heizkosten zu erstrecken.
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Dies gilt zum einen für die Fälle, in denen die Unangemessenheit der Heizkosten für die
in § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II geregelte Übergangszeit dadurch verursacht wird, dass die
Aufwendungen für die Unterkunft wegen der Größe der Wohnung den angemessenen
Umfang übersteigen (vgl. Bayrisches LSG vom 19.01.2007 Aktenzeichen L 7 AS
184/06; LSG NRW vom 08.02.2007 Aktenzeichen L 9 AS 14/06; Sächsisches LSG vom
24.10.2006 Aktenzeichen L 3 B 158/06 AS/ER; Bayrisches LSG Urteil vom 21.04.2006
Aktenzeichen L 7 AS 78/05; Mergler-Zink § 22 SGB II Rn 17).
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Dies gilt zum anderen für die Fälle, in denen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die
Heizkosten durch ein von den Leistungsempfängern zu beeinflussendes Verhalten
unangemessen (geworden) sind. Auch in diesen Fällen entspricht es dem Sinn und
Zweck der Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, für einen begrenzten Zeitraum, in
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der Regel längstens für 6 Monate Leistungen für Heizkosten in unangemessenem
Umfang zu erbringen, nämlich so lange es den Leistungsempfängern nicht möglich oder
nicht zumutbar ist, die Aufwendungen durch ihr Verhalten zu senken (vgl. Berlit in LPK
SGB II § 22 Rn 68 unter Hinweis auf SG Berlin vom 06.03.2006 Aktenzeichen S 37 AS
5719/05 ER; Berlit in NDV 2006, 5, 20 unter Hinweis auf SG Lüneburg vom 15.03.2005
Aktenzeichen S 23 SO 75/05 ER; Kolf in SozSich 2005, 2003, 2007). Dabei ist zu
berücksichtigen, dass die Antragsteller erstmals durch die Heizkostenabrechnung bzw.
durch die Nachforderung des Vermieters und die anschließende Ablehnung der
Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin erkennen konnten, dass sie durch ihr
Heizverhalten Kosten verursacht haben, die den angemessenen Umfang überschritten
haben. Die Antragsteller sind aufgrund des Bescheides vom 27.02.2007, mit dem die
Kostenübernahme abgelehnt wurde, erstmalig darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass
durch ihr Verhalten Heizkosten entstanden sind, die als unangemessen zu beurteilen
sind. Es ist aber erforderlich, dass ein Leistungsempfänger zunächst darüber unterrichtet
wird, dass die von ihm verursachten Heizkosten unangemessen sind, damit für die
Zukunft eine Anpassung des Heizverhaltens erfolgen kann (vgl. LSG Niedersachsen-
Bremen vom 15.12.2005 Aktenzeichen L 8 AS 427/05 ER; vgl. zur Aufklärung über die
Obliegenheit, die Unterkunftskosten zu senken: LSG Rheinland-Pfalz vom 04.10.2006
Aktenzeichen L 3 ER 148/06 AS; Bayrisches LSG vom 21.04.2006 Aktenzeichen L 7 AS
78/05; Rothkegel in Gagel SGB II § 22 Rn 47). Dies muss erst recht gelten, wenn der
Leistungsträger - wie vorliegend - in der Vergangenheit auch dann die Heizkosten in
vollem Umfang übernommen hat, wenn die Heizkostenvorauszahlungen nicht
ausreichten und sich Nachforderungen des Vermieters ergaben.
Somit war es den Antragstellern erst ab Erhalt des Bescheides vom 27.02.2007 möglich
und zumutbar im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II, die Aufwendungen für die
Heizung zu senken. Auch insoweit besteht die vom Gesetzgeber beabsichtigte
Kongruenz mit der beabsichtigten früheren sozialhilferechtlichen Rechtslage, wonach
eine Beschränkung der Heizkosten unter Angemessenheitsgesichtspunkten erst dann in
Betracht kam, wenn der Leistungsempfänger zumutbare Möglichkeiten ungenutzt ließ,
die tatsächlichen Aufwendungen den angemessenen Aufwendungen anzupassen (vgl.
OVG Münster vom 06.02.1984 in FEVS 33, 379, 380; Mergler-Zink SGB II § 22 Rn 16).
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Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht, wobei zu
berücksichtigen ist, dass sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund vermindern,
je offensichtlicher der materiell-rechtliche Anspruch begründet ist (vgl. Mayer-Ladewig §
86 b Rn 27 und 29). Die Heizkostennachforderung des Vermieters ist mit der
Rechnungslegung im Januar 2007 fällig geworden. Der Umstand, dass die Antragsteller
Ende April 2007 eine Ratenzahlungsvereinbarung mit dem Vermieter getroffen haben
und zur Zahlung von monatlichen Raten in Höhe von 50,- Euro verpflichtet sind, lässt
den Anordnungsgrund nicht entfallen. Im Hinblick auf den existenzsichernden Charakter
der Leistungen nach dem SGB II sind die Antragsteller darauf angewiesen, die ihnen
zustehenden Leistungen nach dem SGB II in voller Höhe zur Verfügung zu haben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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