Urteil des SozG Duisburg vom 02.01.2008

SozG Duisburg: aufschiebende wirkung, überwiegendes öffentliches interesse, wohnung, vollziehung, aufenthalt, wahrscheinlichkeit, zusammenleben, anfechtungsklage, erlass, lebensgemeinschaft

Sozialgericht Duisburg, S 32 AS 356/07 ER
Datum:
02.01.2008
Gericht:
Sozialgericht Duisburg
Spruchkörper:
32. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 32 AS 356/07 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 7 B 48/08 AS ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe:
1
I.
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Die Antragsteller (im Folgenden: Ast) begehren im gerichtlichen Eilverfahren die
Zahlung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch
Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II).
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Die 1975 geborene Ast zu 1) bezieht gemeinsam mit ihrer mit ihr in
Bedarfsgemeinschaft lebenden, im Jahre 2001 geborenen Tochter, der Ast zu 2),
Leistungen nach dem SGB II. Vater der Ast zu 2) ist Herr R. K., der ehemalige Ehemann
der Ast zu 2). Dieser ist außerdem der Bruder des jetzigen Ehemanns der Ast zu 1), des
Ast zu 3).
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Am 27.02.2007 teilte die Ast zu 1) der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ag) mit, dass sie
geheiratet habe und ihr Ehegatte, der Ast zu 3), am 09.10.2006 in ihre Wohnung
eingezogen sei. Unter der Annahme, dass die Ast eine Bedarfsgemeinschaft bildeten,
gewährte die Ag mit Bescheid vom 19.06.2007 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes. Für die Zeit ab 01.08.2007 bis zum 31.12.2007 bewilligte sie
Leistungen in Höhe von 313,60 Euro monatlich. Mit Schreiben vom 20.06.2007 hörte die
Ag die Ast zu einer beabsichtigten teilweisen Aufhebung der Leistungen für die Zeit vom
01.10.2006 bis zum 30.06.2007 an. In dieser Zeit habe die Ast Leistungen zu Unrecht
bezogen, da am 09.10.2006 ihr Ehemann in ihren Haushalt eingezogen sei. Hierauf
teilte die Ast mit Schreiben vom 16.07.2007 mit, dass ihr Ehemann am 09.10.2006 nach
Deutschland gekommen sei. Anschließend sei er aber nur gelegentlich bei ihr gewesen.
Ansonsten habe er bei Freunden übernachtet. Eingezogen sei er erst im Januar 2007.
Aus diesem Grund sei ihres Erachtens keine Überzahlung von Leistungen
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vorgenommen worden. Auf diese Äußerung hin veranlasste die Ag eine Überprüfung
der persönlichen und häuslichen Verhältnisse der Ast durch ihren Ermittlungsdienst.
Dieser beobachtete die Wohnung der Ast in der Zeit vom 18.07.2007 bis zum
14.08.2007. Am letztgenannten Tag überprüfte der Ermittlungsdienst die Verhältnisse
innerhalb der Wohnung der Ast zu 1). Hinsichtlich des Ergebnisses dieser Überprüfung
wird auf den Inhalt des Berichtes vom 16.08.2007 (Bl. 132 ff. der Verwaltungsakte)
Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 03.09.2007 nahm die Ag die Leistungsbewilligung für die Zeit ab
01.09.2007 zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Ast zu 1)
über Einkommen und Kindergeld verfüge, so dass der Regelbedarf gedeckt sei. Da die
Unterkunftskosten der Ast nicht zu berücksichtigen seien, bestünde auch kein Anspruch
auf vorläufige Leistungen. Gegen diesen Bescheid hat die Ast zu 1) am 27.09.2007
Widerspruch erhoben. Zur Begründung führte sie aus, dass ihr ehemaliger Ehemann,
Herr R. K., am 14.08.2007 nur deshalb vom Ermittlungsdienst in ihrer Wohnung
angetroffen worden sei, weil sich ihr Ehemann, also der Ast zu 3), zu dieser Zeit in
München aufgehalten habe. Herr R. K. habe sich in der Wohnung nur deshalb
aufgehalten, weil er die Aufsicht für das gemeinsame Kind übernommen habe.
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Am 09.11.2007 haben die Ast einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur
Begründung führen sie aus, dass alle drei Ast in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sie
nicht über ausreichend Einkommen verfügen, um ihren Lebensunterhalt sicher zu
stellen und sie deshalb einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben.
Offensichtlich ginge die Ag davon aus, dass eine eheliche Lebensgemeinschaft
zwischen der Ast zu 1) und dem geschiedenen Ehemann Herrn R. K. bestehe und
deshalb nur Kosten für eine Unterkunft anfallen würden. Dies sei jedoch nicht zutreffend.
Aus dem Bericht des Ermittlungsdienstes vom 14.08.2007 ergebe sich keinesfalls das
Vorliegen einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft. die Beobachtungen bestätigten
vielmehr die tatsächlichen Verhältnisse, nämlich ein familiäres Zusammenleben der Ast
zu 1) bis 3).
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Die Ast haben ursprünglich beantragt,
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ihnen vorläufig im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes einschließlich Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem SGB II
zu gewähren.
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Die Ag hat mit Bescheid vom 17.12.2007 Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit ab 01.09.2007 bis 31.12.2007 für die
Ast zu 1), die Ast zu 2) und Herr R. K. in Höhe von insgesamt 768,39 Euro für den Monat
September 2007, 793,17 Euro für den Mont Oktober 2007 und 780,98 Euro für die
Monate November und Dezember 2007 bewilligt.
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Die Ast haben nach Bewilligung der Leistungen für die Ast zu 1) und zu 2) keinen
erneuten Antrag gestellt.
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Die Ag beantragt,
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den Antrag im Übrigen zurückzuweisen.
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Die Ag ist der Auffassung, dass die Ast zu 1) und Herr R. K. weiterhin eine eheliche
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Beziehung führen. Der Ast zu 3) sei dagegen nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft,
sein Aufenthaltsort sei unbekannt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Ag Bezug genommen.
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II.
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Der Antrag ist hinsichtlich der Ast zu 1) und zu 2) unzulässig. Hinsichtlich des Ast zu 3)
ist er unbegründet.
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Gemäß § 86a Abs 1 S 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) haben Widerspruch und
Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt jedoch nach §
86a Abs 2 Nr 4 SGG iVm § 39 Nr 1 SGB II in Fällen von Verwaltungsakten, die über
Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden. Gemäß § 86b Abs 1 Nr
2 SGG kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage
gegen den vom Antragsteller angefochtenen Bescheid anordnen, wenn das Interesse
des Antragstellers am vorläufigen Aufschub der Vollziehung das öffentliche Interesse an
der sofortigen Vollziehung des Bescheides überwiegt. Dies ist der Fall, wenn sich der
Bescheid bei der im Rahmen des Verfahrens nach § 86b SGG gebotenen
summarischen Prüfung als erkennbar rechtswidrig erweist, da an der sofortigen
Vollziehung rechtswidriger Bescheide ein überwiegendes öffentliches Interesse nicht
bestehen kann. Andererseits liegen die Voraussetzungen für eine solche Anordnung
nicht vor, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der summarischen Prüfung
als offensichtlich rechtmäßig darstellt und der Wegfall der aufschiebenden Wirkung -wie
hier- gesetzlich vorgeschrieben ist. Denn dann hat sich schon der Gesetzgeber für das
Überwiegen des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehung entschieden.
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Im Hinblick auf die Ast zu 1) und zu 2) ist ein Rechtsschutzbedürfnis nach Erlass des
Bewilligungsbescheides vom 17.12.2007 nicht mehr erkennbar. In diesem Bescheid
werden der Ast zu 1) und der Ast zu 2) Leistungen unter Berücksichtigung des unstreitig
vorliegenden Einkommens der Ast zu 1) und des Kindergeldes, das für die Ast zu 2)
gezahlt wird, bewilligt. Für das Gericht ist nicht erkennbar und es wurde von den Ast
auch nicht vorgetragen, dass diese Leistungen zu niedrig bemessen wären. Weitere
Ermittlungen im Hinblick auf die Höhe der den Ast zu 1) und zu 2) gewährten Leistungen
sind nach Auffassung des Gerichtes nicht erforderlich, weil eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der vorgenommenen Berechnung besteht.
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Der Ast zu 3) hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Rücknahmebescheid der Ag vom
03.09.2007 rechtswidrig sein könnte. Vielmehr stellt sich dieser Bescheid als
offensichtlich rechtmäßig dar. Die Beklagte war gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1
Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz -
(SGB X) berechtigt, den Bewilligungsbescheid vom 19.06.2007 für die Zukunft
aufzuheben. Die Bewilligung von Leistungen für den Ast zu 3), die mit diesem Bescheid
ausgesprochen worden war, war rechtswidrig.
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Einen eigenen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat der Ast zu 3) - soweit
erkennbar - bisher nicht gestellt. Ein Anspruch auf Leistungen kommt demnach nur in
Betracht, soweit er Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft ist, deren weiteres Mitglied einen
Antrag gestellt hat, der aufgrund von § 38 SGB II auch als Antrag für ihn anzusehen ist.
Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Mitgliedschaft des Ast zu 3) in der
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Bedarfsgemeinschaft der Ast zu 1) und zu 2) liegt nicht vor. Zwar ist der Ast zu 3) unter
der Adresse der Ast zu 1) und zu 2) gemeldet. Jedoch hält das Gericht es nicht für
überwiegend wahrscheinlich, dass der Ast zu 3) dort auch seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Vielmehr sprechen die bisher vorliegenden Indizien dafür, dass Herr R.
K. eine Bedarfsgemeinschaft mit den Ast zu 1) und zu 2) bildet. Wichtige Anhaltspunkte
hierfür bietet der von der Ag erstellte Ermittlungsbericht vom 16.08.2007.
Entscheidendes Gewicht misst das Gericht dabei dem Umstand zu, dass Herr R. K. am
Tage der Überprüfung der häuslichen Verhältnisse am 14.08.2007 nicht nur
offensichtlich die Nacht in der Wohnung der Ast zu 1) und zu 2) und im Bett der Ast zu 1)
verbracht hatte, sondern auch gegenüber den Ermittlern der Ag versuchte, sich für
seinen Bruder, den Ast zu 3), auszugeben. Dieses Verhalten deutet nach Auffassung
des Gerichtes stark darauf hin, dass Herr R. K. den Grund seiner Anwesenheit in der
Wohnung der Ast zu 1) verschleiern und ein Zusammenleben seines Bruders mit dieser
vorspiegeln wollte. Zudem hat er angegeben, seinen Bruder, der nach den Angaben der
Ast in der Wohnung, in der Herr R. K. sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, wohnen soll,
seit zwei Tagen nicht gesehen zu haben und auch nicht zu wissen, wo er sich aufhalte.
Auch im Hinblick auf diese Angabe erscheint der Vortrag, der Ast zu 3) habe sich nur
kurzzeitig in München aufgehalten, nicht glaubhaft. Die anschließenden Versuche, den
Aufenthalt des Herrn R. K. in der Wohnung der Ast zu 1) zu erklären, hält das Gericht für
untauglich.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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Wegen fehlender Erfolgsaussichten war auch der Antrag auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe abzulehnen.
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