Urteil des SozG Düsseldorf vom 30.07.2003

SozG Düsseldorf (Werkstatt, Hauptsache, Form, Rehabilitation, Unterbrechung, Pflege, Kommunikation, Leistungsfähigkeit, Rechtskraft, Rechtsschutz)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Düsseldorf, S 13 AL 192/03 ER
30.07.2003
Sozialgericht Düsseldorf
13. Kammer
Beschluss
S 13 AL 192/03 ER
Landessozialgericht NRW, L 12 B 68/03 AL ER
Arbeitslosenversicherung
nicht rechtskräftig
Der Antrag des Antragstellers, die Antragsgegnerin im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren zu verpflichten, ihm berufliche Leistungen zur
Rehabilitation in Form der Teilnahme an einem Eingangsverfahren in
einer Werkstatt für behinderte Menschen zu gewähren, wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob dem
Antragsteller berufliche Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form der Teilnahme
an einem Eingangsverfahren in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfB) zu
gewähren ist.
Der am 00.00.0000 geborene Antragsteller besucht nach eigenem Vorbringen bis Juli 2003
eine Schule für geistig Behinderte und will ab September 2003 eine WfB aufgenommen
werden um dort an einem Eingangsverfahren teilzunehmen. Er ist Schwerbehinderter mit
einem GdB von 100, schwerpflegebedürftig (Pflegestufe 3), leidet an einem
hirnorganischen Anfallsleiden, spastischer Diplegie mit Armbeteiligung, mentaler
Retardierung, sekundärer Mikrocephalie, Inkontinenz und ist auf einen Rollstuhl
angewiesen.
Nach einem ärztlichen Attest vom 13.02.2002 bzw. einem Gutachten des Arztes für
Psychiatrie D vom 12.04.2002 ist mit dem Antragsteller keine sprachliche Kommunikation
möglich bzw. reagiert er weder auf Ansprache noch Berührung und kommt Aufforderungen
nicht nach. Er ist nach diesen medizinischen Unterlagen völlig hilflos und muss umfassend
versorgt werden.
Am 19.02.2002 beantragte der Antragsteller die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe
am Arbeitsleben, deren Gewährung die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 15.04.2003
ablehnte, weil der Antragsteller nach der Art und der Schwere seiner Behinderung nicht in
der Lage sei, am Arbeitsleben teil zu haben. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies
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die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 18.06.2003 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Düsseldorf unter dem Aktenzeichen
S 13 Al 193/03 Klage erhoben, über die noch nicht entschieden wurde.
Seinen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gestellten Antrag auf Gewährung von
berufliche Leistungen zur Rehabilitation bzw. der Förderung der Teilhabe behinderter
Menschen am Arbeitsleben in Form der Teilnahme an einem Eingangsverfahren in einer
WfB begründet der Antragsteller damit, dass die Antragsgegnerin das Eingangsverfahren
als Regelleistung zu erbringen habe und erst nach Abschluss dieses Eingangsverfahrens
feststehen könne, ob die Werkstatt die für ihn geeignete Einrichtung sei sowie welche
Bereiche der Werkstatt für ihn Betracht kommen würden. Es stehe auch keineswegs fest,
dass er nicht in der Lage sei, eine irgendwie geartet nützliche Arbeit zu leisten. Dies müsse
und solle vielmehr erst im Eingangsverfahren ermittelt werden. Auch könne er im übrigen
einer gerichteten Tätigkeit nachkommen, da er in der Lage sei, kurzfristig bei
entsprechender Motivation unter Aufsicht und Führung mit den Händen etwa Farben und
andere flüssige Stoffe auf Flächen unterschiedlicher Materialien verteilen könne.
Da das Eingangsverfahren bereits im September 2003 beginne und weder bis dahin noch
vor Ablauf eines Zeitraumes von zwei bis drei Jahren unter Berücksichtigung eines
möglichen Berufungsverfahrens mit einer rechtskräftigen Entscheidung des Gerichtes in
der Hauptsache zu rechnen sei, sei es ihm auch nicht zuzumuten, diese Entscheidung in
der Hauptsache abzuwarten. Durch die Nichtaufnahme in eine WfB ergebe sich eine
Unterbrechung der individuell dringend notwendigen Förderkontinuität insbesondere
hinsichtlich seiner Persönlichkeitsentwicklung. Demgegenüber sei das finanzielle
Engagement der Antragsgegnerin nicht so massiv, dass eine Hauptsacheentscheidung
abgewartet werden müsse und die begehrte Leistung könne auch auf ein Monat beschränkt
werden.
Der Antragsteller beantragt schriftsätzlich, die Antragsgegnerin im einstweiligen
Rechtschutzverfahren zu verpflichten, ihm berufliche Leistungen zur Rehabilitation in Form
der Teilnahme an einem Eingangsverfahren in einer Werkstatt für Behinderte ab
September 2003 zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt schriftsätzlich, den Antrag abzulehnen.
Sie ist der Ansicht, dass es dem Antragsteller zumutbar sei, dass Hauptsacheverfahren
abzuwarten. Die angestrebte Maßnahme finde nicht nur einmalig, sondern in regelmäßigen
Abständen immer wieder statt. In Eilfällen könnte nach Absprache mit den
Fachausschussmitgliedern eine Aufnahme auch sofort erfolgen. Irreparable Nachteile
entstünden dem Antragsteller nicht und von daher dürfte die vom Antragsteller im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes begehrte Vorwegnahme der Hauptsache nicht
erforderlich sein.
Im übrigen stehe dem Antragsteller auch kein Anordnungsanspruch zu. Denn wenn - wie
bei dem Antragsteller - von vorneherein feststehe, dass die Leistungsfähigkeit nicht
ausreiche, in den Arbeitsbereich eingegliedert zu werden, könnte auch keine Förderung im
Eingangsverfahren oder Berufsbildungsbereich erfolgen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streit- und beigezogenen Verwaltungsakten der Antragsgegnerin Bezug genommen.
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II.
Nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine
einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Voraussetzung für den danach zu gewährenden einstweiligen Rechtsschutz ist, dass der
Anordnungsgrund und der durch die Anordnung zu sichernde Anspruch glaubhaft gemacht
wird.
Hier fehlt es schon an einem Anordnungsgrund. Denn nach der Einlassung der
Antragsgegnerin - und dem entgegenstehende Anhaltspunkte sind nicht ersichtlich und
wurden auch vom Antragsteller nicht vorgebracht - kann die vom Antragsteller begehrte
Aufnahme in eine WfB im Eingangsverfahren gem. § 40 Abs. 2 SGB IX insbesondere in
eilbedürftigen Fällen praktisch jederzeit erfolgen und ist damit nicht auf einen bestimmten
Stichtag bzw. auf den September 2003 begrenzt. Der Antragsteller hat aber nicht
hinreichend dargetan, dass eine Aufnahme in eine WfB im Eingangsverfahren, die später
als September 2003 erfolgt, für ihn, der mit seinem Antrag im Ergebnis eine
Vorwegnagnahme der Hauptsache begehrt, einen unzumutbaren Nachteil bedeuten würde.
Dazu reicht das Vorbringen, es würde eine Unterbrechung der Förderkontinuität eintreten,
nicht aus. Denn es ist, da neben Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben für den
Antragsteller etwa auch Leistungen zur
Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem. den §§ 55 ff SGB IX in Betracht kommen
könnten, nicht ersichtlich, dass für den Antragsteller alleine die von der Antragsgegnerin
begehrten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben die alleinigen Leistungen sind, die die
vom Antragsteller angeführte Förderkontinuität gewährleisten.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass das Eingangsverfahren, wie der Antragsteller
selbst anführt, ggfls. auf den Zeitraum von einen Monat beschränkt werden kann (§ 40 Abs.
2 Satz 2 SGB IX) und der Antragsteller damit nach Ablauf dieses relativ kurzen Zeitraumes
selbst bei einem erfolg seines Antrages im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor der
Notwendigkeit einer Umorientierung seiner Fördersituation stünde und alleine die Dauer
des Hauptsacheverfahrens keinen Grund für eine vorläufige Regelung nach § 86 Abs. 2
SGG darstellt.
Im übrigen ist auch ein Anordnungsanspruch vorliegend nicht gegeben.
Nach den §§ 100 Abs. 2 SGB III, 40 Abs. 1 Nr. 1, 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX hat die
Antragsgegnerin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben im Eingangsverfahren in einer
WfB zur Feststellung zu erbringen, ob die Werkstatt die geeignete Einrichtung für die
Teilhabe des behinderten Menschen am Arbeitsleben ist. Auch wenn das
Eingangsverfahren nach der Neuregelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX nunmehr auch in
Zweifelsfällen durchzuführen ist, so kann jedoch dann auf dessen Durchführung verzichtet
werden, wenn von vorneherein feststeht, dass eine Eingliederung in eine WfB nicht in
Betracht kommt. Dies ergibt sich insbesondere auch aus § 136 Abs. 2 Satz 2 SGB IX,
wonach die WfB den behinderten Menschen nicht mehr offen steht, bei denen das Ausmaß
der erforderlichen Betreuung und Pflege die Teilnahme an Maßnahmen im
Berufsbildungsbereich oder sonstige Umstände ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer
Arbeitsleistung im Arbeitsbereich dauerhaft nicht zulassen. Auf Grund der beim
Antragsteller vorliegenden Behinderungen mit den sich daraus ergebenden
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Beeinträchtigungen, wie sie sich insbesondere aus dem vorliegenden ärztlichen Attest
bzw. dem vorliegenden ärztlichen Gutachten ergeben, ergibt sich aber nach der hier
gebotenen summarischen Prüfung, dass diese von dem Antragsteller eine wirtschaftliche
verwertbare Arbeitsleistung im Sinne einer Beteiligung an der Herstellung und Erbringung
der von der WfB erbrachten Waren- und Dienstleistungen nicht zulassen, sondern lediglich
Pflege bzw. Beschäftigung um der Beschäftigung willen in Betracht kommen.
Gerade auch das diesbezügliche Vorbringen des Antragstellers, er könne mit seinen
Händen Farben und andere flüssige Stoffe verteilen, spricht gerade nicht dafür, dass von
dem Antragsteller dauerhaft noch ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer
Arbeitsleistung zu erwarten ist. Denn zur Erbringen der von ihm diesbezüglich
vorgebrachten Leistung - der Verteilung von Farben und flüssigen Stoffen - ist er nach
seinem eigenen weiteren Vorbringen nur kurzfristig und nur bei entsprechender Motivation
und Führung in der Lage, wogegen aber spricht, dass insbesondere nach dem
medizinischen Gutachten vom 12.04.2002 mit ihm weder eine sprachliche Kommunikation
möglich ist noch er auf Ansprache bzw. Berührungen reagiert und auch keinen
Aufforderungen nachkommt.
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.