Urteil des SozG Düsseldorf vom 23.02.2007
SozG Düsseldorf: wohnung, eheähnliche gemeinschaft, darlehen, wohngemeinschaft, fristlose kündigung, wesentlicher punkt, nahestehende person, wahrscheinlichkeit, gemeinsamer haushalt, auflösung
Sozialgericht Düsseldorf, S 29 AS 7/07 ER
Datum:
23.02.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
29. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 29 AS 7/07 ER
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 19 B 45/07 AS ER
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Gründe:
1
Der am 05.01.2007 gestellte Antrag,
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die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem
Antragsteller vorläufige Leistungen nach dem Zweitem Buch Sozialgesetzbuch -
Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für die Zeit von Dezember 2006 bis zum
Ende des Monats, in dem das Gericht entscheidet, in gesetzlicher Höhe ohne
Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen der Frau U1 zu gewähren,
3
hat keinen Erfolg.
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Das Gericht kann zur Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes in Bezug auf ein
streitiges Rechtsverhältnis einstweilige Anordnungen treffen, wenn die Regelung - etwa
um wesentliche Nachteile abzuwenden - nötig erscheint, § 86 b Abs. 2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (SGG). Dabei sind die besondere Eilbedürftigkeit
(Anordnungsgrund) und das Bestehen des zu sichernden Rechtes
(Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen, § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920
Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Die einstweilige Anordnung dient ausschließlich
dazu, unzumutbare künftige Nachteile abzuwenden, die dem Antragsteller drohen, wenn
seinem Begehren nicht stattgegeben wird. Sie ist hingegen nicht dafür gedacht, dem
Betreffenden schneller, als dies in einem Klageverfahren möglich ist, zu seinem
(vermeintlichen) Recht zu verhelfen, sofern nicht eine besondere Dringlichkeit gegeben
ist, die es unzumutbar erscheinen lässt, den Ausgang eines Klageverfahrens
abzuwarten.
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In Bezug auf die geforderte Glaubhaftmachung ist der Nachweis der überwiegenden
Wahrscheinlichkeit erforderlich; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht
6
überwiegen.
Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Auflage, III. Kapitel,
Rdn. 157.
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Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln,
8
vgl. Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Beschlüsse
vom 19.01.2006 - L 1 B 17/05 AS ER -, vom 29.11.2005 - L 19 B 84/05 AS ER - und vom
26.07.2005 - L 9 B 44/05 AS ER -.
9
Bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs hat sich das Gericht an den Grundsätzen
zu orientieren, die das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Grundrecht auf
effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) aufgestellt hat.
Danach dürfen sich die Gerichte bei einer Ablehnung von existenzsichernden
Sozialleistungen nicht auf eine bloße summarische Prüfung der Erfolgsaussichten
beschränken und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller
nicht überspannen; ist eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht
möglich, hat eine Folgenabwägung stattzufinden.
10
Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -;
ebenso LSG NRW, Beschlüsse vom 06.01.2006 - L 1 B 13/05 AS ER - und vom
28.02.2006 - L 9 B 99/05 AS ER -.
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Dabei gilt das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache. Eine
Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur, wenn der Leistungsberechtigte eine
existenzielle Notlage glaubhaft macht, die ein sofortiges Handeln erfordert,
beispielsweise, wenn die Führung eines menschenwürdigen Lebens in Frage steht. Es
muss zur Vermeidung schlechthin unzumutbarer Folgen für den betreffenden
Antragsteller notwendig sein, dass das Gericht die begehrte einstweilige Anordnung
erlässt.
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LSG NRW, Beschlüsse vom 01.12.2005 - L 9 B 22/05 SO ER -, vom 02.05.2005 - L 19 B
7/05 SO ER -, und vom 20.04.2005 - L 19 B 2/05 AS ER -.
13
Nach diesen Grundsätzen konnte der Antrag keinen Erfolg haben.
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In Bezug auf die Unterkunftskosten für die Wohnung V Straße 00, für die der
Antragsteller einen hälftigen Mietanteil geltend macht, fehlt es bereits an einem
Anordnungsgrund. Der unzumutbare Nachteil, der eine einstweilige Anordnung in
Bezug auf die Kosten der Unterkunft rechtfertigt, ist der drohende Verlust der Unterkunft,
der mit hinreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden muss. Bei
Mietverhältnissen ist dabei zunächst auf die mietrechtlichen Voraussetzungen einer
Kündigung wegen rückständiger Mieten abzustellen. Abgesehen davon, dass für eine
stattgebende Entscheidung zu klären wäre, was der Antragsteller der mit ihm
wohnenden Zeugin U im Innenverhältnis zwischen ihnen monatlich schuldet (die Hälfte
der nach dem Mietvertrag geschuldeten Kaltmiete zuzüglich Nebenkosten und
Heizkosten von insgesamt 740 EUR, also 370 EUR, oder den von der Zeugin U1 in der
Beweisaufnahme genannten Betrag von 350 EUR), ist ein drohender Verlust der
Unterkunft nicht ersichtlich. Der Antragsteller und die Zeugin U1 sind gemeinsam Mieter
der Wohnung. Sie schulden deshalb die Miete als Gesamtschuldner. In Zeiten der
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hinreichenden finanziellen Ausstattung des Antragstellers überwies Frau U1 stets die
vollen Kosten und erhielt vom Antragsteller in bar seinen Mietanteil. Diese Praxis ist für
die Zeit ab dem Monat August 2006 bis einschließlich November 2006 durch von der
Zeugin U1 ausgestellte Quittungen (jeweils über einen Betrag von 370 EUR) glaubhaft
gemacht. Die Kontoauszüge des Antragstellers zu seinem Girokonto bei der Sparkasse
E1 Nr. 000 000 0000 weisen in diesen Monaten auch Barabhebungen am
Monatsanfang bzw. kurz zuvor in einem Umfang aus, der eine solche Barzahlung
ermöglichte. Seitdem die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 05.12.2006 die
Fortzahlung und damit Weiterbewilligung des ihm zuvor bis einschließlich November
2006 gewährten Arbeitslosengeld II (ALG II) abgelehnt hatte und demgemäß in den
Monaten von Dezember 2006 bis Februar 2007 keine laufenden Leistungen mehr
ausgezahlt wurden, hat der Antragsteller unstreitig in den Monaten Dezember 2006 und
Januar 2007 überhaupt keine Zahlungen für die Wohnung an die Zeugin U1 erbracht.
Anfang Februar 2007 hat er eine Teilzahlung von 300 EUR geleistet. Gleichwohl hat die
Zeugin an die Vermieterin die geschuldeten Zahlungen vollständig erbracht, weshalb
der Antragsteller der Zeugin gegenüber mit einem Betrag von mindestens 750 EUR im
Rückstand ist, wenn man von geschuldeten 350 EUR monatlich ausgeht (2 x 350 EUR
für Dezember 2006 und Januar 2007, sowie 50 EUR Rest für Februar 2007). Der
Vermieterin gegenüber besteht deshalb überhaupt kein Rückstand von aus dem
Mietverhältnis geschuldeten Beträgen. Seitens der Vermieterin ist aktuell deshalb
überhaupt keine Kündigung denkbar. Die Zeugin U1 hingegen, gegenüber der der
Antragsteller sich im Rückstand befindet, hat ihm gegenüber unmittelbar keine
rechtliche Handhabe, die einen alsbald zu erwartenden Verlust der Unterkunft
ermöglichen würde. Ihre Aufforderung in ihrem an ihn gerichteten Schreiben vom
03.01.2007 zur Zahlung von für Dezember 2006 und Januar 2007 rückständigen 740
EUR ist dementsprechend auch nur mit der Ankündigung versehen, die offene Summe
gegebenenfalls einklagen zu müssen und sich gegebenenfalls eine kleinere Wohnung
suchen zu müssen. Eine reine Zahlungsklage ist hingegen kein eine einstweilige
Anordnung rechtfertigender Nachteil, auch wenn es für den Antragsteller zweifelsohne
zwischenmenschlich sehr unangenehm sein mag, der ihm nahestehenden Zeugin diese
Beträge schuldig zu bleiben. Da beide Mieter des Mietvertrages sind, ist die Zeugin
gegenüber der Vermieterin auch zur Zahlung der vollen Miete verpflichtet und hat keine
Möglichkeit, den Antragsteller angesichts seiner ausbleibenden - im Innenverhältnis
zwischen den beiden geschuldeten - Beteiligung an den Kosten der Wohnung zu
verweisen oder auch nur mit einer Kündigung des Mietverhältnisses von ihrer Seite zu
drohen. Bei zwei gleichrangigen Mietern kann nämlich eine Kündigung wirksam nur von
beiden gemeinsam erklärt werden. Der Zeugin U1 bleibt insofern allein die Möglichkeit,
künftig nur ihren Mietanteil zu überwiesen und darauf zu warten, dass die Vermieterin
beim Eintreten der Kündigungsvoraussetzungen nach §§ 543 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3
i.V.m. 569 Abs. 3 Nr. 1 BGB von dem Kündigungsrecht Gebrauch macht. So kann sie
mittelbar die Beendigung des Mietverhältnisses herbeiführen, das sie allein nicht durch
Kündigung ohne Mitwirkung des Antragstellers beenden kann. Da aktuell überhaupt
keine Rückstände gegenüber der Vermieterin bestehen und zudem das weitere
Verhalten der Zeugin U1 unklar ist, droht aktuell kein Verlust der Unterkunft und diesem
vorgeschaltet auch keine fristlose Kündigung mit der eine einstweilige Anordnung
rechtfertigenden Wahrscheinlichkeit.
Zum Anordnungsgrund in Bezug auf Unterkunftskosten: Zum Bundessozialhilfegesetz
(BSHG): Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom
16.03.2000 - 16 B 308/00 -, NJW 2000, 2523; Beschluss vom 27.12.2004 - 16 B 2354/04
-; Beschluss vom 25.01.2005 - 16 B 2700/04 -; zum SGB II ebenso Landessozialgericht
16
(LSG) NRW, Beschluss vom 02.11.2006 - L 20 B 209/06 AS ER -; ferner Sozialgericht
(SG) Düsseldorf, Beschluss vom 08.05.2006 - S 24 AS 80/06 ER -; Beschluss vom
31.10.2006 - S 43 AS 67/06 ER -; Beschluss vom 20.11.2006 - S 43 AS 129/06 ER -;
Beschluss vom 23.11.2006 - S 44 AS 100/06 ER -; in der Tendenz ähnlich Beschluss
vom 23.08.2006 - S 28 AS 202/06 ER -, bestätigt durch LSG NRW, Beschluss vom
15.11.2006 - L 12 B 144/06 AS ER -.
Weiterhin ist ein Anordnungsgrund auch in Bezug auf den Regelbedarf des
Antragstellers und die Sicherstellung seines Krankenversicherungsschutzes für die Zeit
von Anfang Dezember 2006 bis zum 04.01.2007 (dem Tag vor der Antragstellung bei
Gericht) nicht gegeben, da nicht erkennbar ist, dass der Erlass der beantragten
einstweiligen Anordnung zur Abwendung unzumutbarer Nachteile geboten ist. Für den
Zeitraum vor der Antragstellung folgt dies schon daraus, dass einstweilige Anordnungen
auf Bewilligung von ALG II regelmäßig nicht für in der Vergangenheit liegende
Zeiträume ergehen können, da sie nur zur Abwendung gegenwärtiger Notlagen ergehen
sollen.
17
Vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 25.01.2006 - L 10 B 11/06 AS ER -; Beschluss
vom 12.01.2006 - L 11 B 598/05 AS ER -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom
22.12.2005 - L 10 B 1264/05 AS ER -.
18
Dies gilt hier in besonderem Maße, da der Antragsteller nach seinem Vortrag im
Dezember 2006 und im Januar 2007 seinen von der Regelleistung erfassten Bedarf für
die Deckung des Existenzminimums aus den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus
der Hausmeistertätigkeit und aus Darlehen, die ihm von Bekannten und Freunden
gewährt wurden, bestritten hat. Kosten, die von einer Krankenversicherung erfasst
würden, sind ihm in diesem Zeitraum nicht entstanden, weil er wegen des fehlenden
Krankenversicherungsschutzes auf solche verursachende Arztbesuche usw. verzichtet
hat. Da diese im Falle einer nunmehr erfolgenden rückwirkenden Pflichtversicherung für
die Vergangenheit nicht nachgeholt werden können, ist ein Anordnungsgrund insofern
ausgeschlossen.
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Für die Zeit ab der Antragstellung ist ein Anordnungsgrund in Bezug auf die
Regelleistung und die Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes jedoch
gegeben, da die Mittel mit ca. 160 EUR aus der Hausmeistertätigkeit für den
Hauseigentümer U2 sowie den erstmals Anfang Februar gezahlten Betrag von 404 EUR
aus der Hausmeistertätigkeit für das Objekt V Str. 00 überschaubar waren, von letzterem
Betrag 300 EUR nach Zahlung an die Zeugin U1 nicht mehr zur Verfügung stehen und
die von den Auftraggebern gezahlten Beträge noch um Steuern und Betriebsausgaben
zu verringern waren (vgl. für Einkommen aus selbständiger Tätigkeit § 2 a der
Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von
Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld - Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld-Verordnung - ALG II-V). Was von diesen Einnahmen überhaupt nach der
genannten Bestimmung als Einkommen anzurechnen wäre, ist fraglich. Dies bedarf hier
letztlich keiner Entscheidung, da sich aus den folgenden Ausführungen ergibt, dass der
Antragsteller einen Anordnungsanspruch insofern nicht glaubhaft gemacht hat. Für
künftige Zeiträume weist das Gericht den Antragsteller darauf hin, dass es ihm zumutbar
ist, aus seinen Mitteln zunächst sein tägliches Existenzminimum sicherzustellen und
Zahlungen an die Zeugin U1 nur zu erbringen, wenn sein laufender Bedarf und auch die
Krankenversicherung im jeweiligen Monat sichergestellt ist.
20
In Bezug auf die Sicherstellung des Krankenversicherungsschutzes ist eine besondere
Dringlichkeit und das Drohen unzumutbarer Nachteile jedenfalls glaubhaft gemacht, da
der Antragsteller wohl eine behandlungsbedürftige Lungenerkrankung aufweist und von
seinem Hausarzt zudem eine Überweisung in psychologische Behandlung erhalten hat.
Letztere begründet der Antragsteller damit, dass er aufgrund der Belastungen durch das
Verwaltungsverfahren sowie dieses gerichtliche Verfahren an akuten Schlafproblemen,
Konzentrationsschwierigkeiten, allgemeinem Unwohlsein, Lebensunlust sowie einer
empfundenen Rückfallgefahr in den Alkoholismus leide.
21
Unabhängig von den Ausführungen zum Anordnungsgrund kann der Antrag -
insbesondere in Bezug auf die Zeit vom 05.01.2007 bis zum 28.02.2007 - keinen Erfolg
haben, weil ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht ist. Es kann nicht mit der
in diesem Verfahren erforderlichen Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass der
Antragsteller hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II ist. Dem stehen seine
Lebensumstände in Bezug auf die Zeugin U1 entgegen.
22
Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine
Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen
Kräften und Mitteln, vor allem nicht (1.) durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder
(2.) aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die
erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern
anderer Sozialleistungen erhält. Gemäß § 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II sind bei Personen, die
in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und Vermögen des Partners
zu berücksichtigen.
23
Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft des Antragstellers
neben ihm selbst als erwerbsfähigem Hilfebedürftigen (§ 7 Abs. 3 Nr. 1 SGB II) als
Partner eine Person, die mit ihm in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt,
dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist,
Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen (sog.
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft). Dieser Wille wird nach Abs. 3 a der
Vorschrift vermutet, wenn Partner 1.länger als ein Jahr zusammenleben, 2.mit einem
gemeinsamen Kind zusammenleben, 3.Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen
oder 4.befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
24
Das Gericht kommt unter möglichst weitgehender Ausnutzung der in einem
Einstweiligen Anordnungsverfahren zur Verfügung stehenden Ermittlungsmöglichkeiten
zu dem Ergebnis, dass deutlich Überwiegendes dafür spricht, das der Antragsteller mit
der Zeugin U1 aktuell in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach
verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung
füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Deshalb ist ihr Einkommen und
Vermögen anzurechnen, was bei einem nach seinen Angaben bestehenden Netto-
Einkommen der Zeugin U1 von über 1500 EUR - neben seinem Einkommen aus
selbständiger Tätigkeit - dazu führen dürfte, dass bei ihm keine Hilfebedürftigkeit im
Sinne von § 9 SGB II besteht. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass Einkommen und
Vermögen der Zeugin bisher nicht im Einzelnen ermittelt werden konnten, da sie sich
darauf berief, nicht mit dem Antragsteller in Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft
zu leben, und deshalb Angaben zu Einkommen und Vermögen sowie die Vorlage von
Unterlagen ablehnte. Deshalb hat der Antragsteller entweder im Hinblick auf
angenommenes Einkommen der Zeugin U1 von mindestens 1500 EUR netto oder im
25
Hinblick auf seine nicht feststellbare Hilfebedürftigkeit wegen verweigerter Auskunft
keinen Anspruch auf ALG II nach § 19 SGB II. Er trägt das rechtliche Risiko, dass
entgegen seiner Angabe doch eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft mit der
Zeugin U1 vorliegt.
Vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.09.2004 -1 BvR 1962/04 -; LSG NRW, Beschluss vom
21.04.2005 - L 9 B 4/05 SO ER -, Juris.
26
Das Gericht stützt seine Entscheidung nicht auf § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II, dessen
Voraussetzungen es nicht für gegeben erachtet. Es reicht insofern nach derzeitiger
Auffassung des Gerichts nicht aus, dass der Antragsteller und die Zeugin unstreitig seit
mehr als einem Jahr zusammenwohnen (nämlich etwa seit Ende des Jahres 2002 bzw.
Anfang 2003). Denn der Gesetzgeber bedient sich in der Vorschrift des Begriffs
"Zusammenleben" und nicht schlicht des "Zusammenwohnens". Dies ergibt sich
daraus, dass die Vermutung bei genereller Betrachtung mit hoher Wahrscheinlichkeit
dazu geeignet sein muss, den Schluss auf das Vorliegen einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II zu begründen.
Andernfalls würde bei jeder (z. B. studentischen) Wohngemeinschaft ohne weiteres
nach einem Jahr die Vermutungsregelung eingreifen und den Bewohnern die Pflicht
auferlegt, nachzuweisen, dass es sich nicht um eine Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft handele. Deshalb wird teilweise davon ausgegangen, es müsse
für die Anwendung des § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II eine Haushalts- und
Wirtschaftsgemeinschaft,
27
vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 03.08.2006 - L 9 AS 349/06 ER-, info
also 2006, 266 ff.,
28
bzw. zumindest eine Haushaltsgemeinschaft vorliegen,
29
vgl. LSG NRW, Beschluss vom 07.02.2007 - L 1 B 45/06 AS ER -,
www.sozialgerichtsbarkeit.de.
30
Für das Gericht spricht bei dieser recht jungen Vorschrift und bisher noch recht
divergenter Rechtsprechung hierzu viel dafür, dass es um eine Haushaltsgemeinschaft
von zwei Personen gehen muss, die gleich- oder verschiedengeschlechtliche Partner
einer Beziehung sind, mit anderen Worten: um ein zusammenwohnendes "Paar".
31
Denn die mit dem Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende
(Fortentwicklungsgesetz) zum 01.08.2006 novellierte Gesetzesfassung in § 7 Abs. 3 Nr.
3 SGB II einschließlich der neuen Ziffer c) dient nach dem Willen des Gesetzgebers
dazu, nunmehr auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften in die Bedarfsgemeinschaft
im Sinne von § 7 Abs. 3 SGB II einzubeziehen, die eine vergleichbar enge Verbindung
aufweisen, wie die bis zur Neuregelung in § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. b SGB II geregelten sog.
eheähnlichen Gemeinschaften. Einbezogen werden sollten also gewissermaßen die der
homosexuellen eingetragenen Lebenspartnerschaft ähnlichen -
"lebenspartnerschaftsähnlichen" - Lebensgemeinschaften.
32
Vgl. die Begründung zum Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen vom 09.05.2006,
BTDr. 16/1410, S. 19, Zu Nummer 7, Zu Buchstabe a.
33
Um Beweisschwierigkeiten in der Praxis für die Behörden, die für das Vorliegen einer
34
eheähnlichen Gemeinschaft (und deshalb auch vergleichbarer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaften) nach allgemeiner Auffassung in der Rechtsprechung die
Beweislast tragen, zu vermindern, wurde der neue Abs. 3 a in § 7 Abs. 3 SGB II
eingefügt, der die Beweislast zum Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw.
einer nicht eingetragenen gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ändern sollte und
dazu u.a. die Vermutung bei einjährigem Zusammenleben der Partner einfügte,
vgl. Begründung zum Gesetzentwurf, a. a. O., Zu Buchstabe b.
35
Diesen Umständen entnimmt das Gericht, dass es nur um das Zusammenleben von
Partnern geht, also den an einer gleichgeschlechtlichen oder
verschiedengeschlechtlichen Partnerschaft beteiligten Personen. Das Gericht geht
insofern davon aus, dass der Gesetzgeber nicht die unverbindliche Wohngemeinschaft
unter Darlegungs- und Beweiszwang setzen, sondern das (Liebes-)Paar erfassen
wollte, das unstreitig eine Paarbeziehung führt und in derselben Wohnung wohnt, sich
jedoch gegenüber dem Sozialleistungsträger darauf beruft, man sei nicht derart eng
verbunden, dass man füreinander in den Not- und Wechselfällen des Lebens
einzustehen bereit sei. Langjährige Wohngemeinschaften, deren Bewohner keine
Paarbeziehung führen, fallen demnach nicht unter § 7 Abs. 3 a Nr. 1 SGB II. Wenn man
dies dem Tatbestandsmerkmal "Partner" in § 7 Abs. 3 a SGB II entnehmen wollte, wozu
das Gericht neigt, würde sich dies auch auf die übrigen Ziffern des Absatz 3 a beziehen.
Dies bedarf hier jedoch keiner Entscheidung.
36
Zugleich muss jedoch ein gemeinsamer Haushalt vorliegen, weil nach § 7 Abs. 3 a SGB
II allein der Wille im Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II vermutet wird, füreinander
Verantwortung zu übernehmen und füreinander einzustehen.
37
Vgl. LSG NRW, Beschlüsse vom 07.02.2007 - L 1 B 45/06 AS ER - und vom 27.12.2006
- L 1 B 36/06 AS ER -.
38
Das vorstehend dargestellte Verständnis zugrunde gelegt ist die Vermutung des § 7
Abs. 3 a Nr. 1 SGB II nicht anwendbar. Die Vermutungen des Abs. III a greifen nur ein,
wenn der Vermutungstatbestand feststeht und vom Hilfebedürftigen nicht durch
konkreten Vortrag erschüttert wird. Der Antragsteller und Frau U1 haben jedoch - von
der Antragsgegnerin insofern grundsätzlich unwidersprochen - ausgesagt, dass
zwischen ihnen keine Paarbeziehung bestehe, insbesondere niemals eine Liebes- oder
Geschlechtsbeziehung bestanden habe. Dann ist die Anwendung der Vermutung
ausgeschlossen.
39
Das Gericht geht jedoch auf der Grundlage von § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II davon aus,
dass zwischen dem Antragsteller und der Zeugin U1 eine Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft im Sinne dieser Vorschrift besteht.
40
Auch wenn es darum geht, die dort niedergelegten gesetzlichen Tatbestandsmerkmale
auszufüllen, so ist nach dem oben Ausgeführten nicht zu vernachlässigen, dass der
Gesetzgeber mit der Neuregelung die "lebenspartnerschaftsähnliche"
Lebensgemeinschaft in die Bedarfsgemeinschaft einbeziehen wollte. Da § 7 Abs. 3 Nr.
3 lit. a SGB II die ungetrennte Ehe regelt und lit. b bei identischem Wortlaut wie zuvor §
7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II in der bis zum 31.07.2006 geltenden Fassung die ungetrennte
gleichgeschlechtliche eingetragene Lebenspartnerschaft behandelt, ist in
systematischer Hinsicht davon auszugehen, dass lit. c der neuen Fassung auch die
41
eheähnliche Gemeinschaft von Mann und Frau umfasst. Dies legt auch die
Formulierung von § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II nahe, die ersichtlich an die in der
Rechtsprechung entwickelte Definition einer eheähnlichen Gemeinschaft angelehnt ist:
Eine auf Dauer angelegte Lebensgemeinschaft (von Mann und Frau), die daneben
keine weiteren Lebensgemeinschaften gleicher Art zulässt und sich - im Sinne einer
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft - durch innere Bindungen auszeichnet, die
ein gegenseitiges Einstehen füreinander erwarten lassen, d.h. über eine reine
Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen,
Vgl. BVerfG, Urteil vom 17.11.1992 - 1 BvL 8/87 -, BVerfGE 87, 234 (264); BVerwG,
Urteil vom 17.05.1995 - 5 C 16/93 -, NJW 1995, 2802; OVG NRW, Beschluss vom
22.09.2000 - 22 B 261/00 -; LSG NRW, z. B. Beschluss vom 05.08.2005 - L 12 B 26/05
AS ER -, in seitdem ständiger Rechtsprechung.
42
Dementsprechend sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II jedenfalls
dann erfüllt, wenn eine der obigen Definition unter Verzicht auf die
Verschiedengeschlechtlichkeit der Partner entsprechende Lebensgemeinschaft besteht.
43
Ob eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft in dem Sinne vorliegt, lässt sich
naturgemäß nicht direkt feststellen. Auf bestehende innere Bindungen kann vielmehr
nur auf Grund von äußeren Anhaltspunkten (Indizien) geschlossen werden. Da bei nicht
getrennt lebenden Ehegatten gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. a SGB II i. V. m. § 9 Abs. 2 SGB
II das Einkommen und Vermögen des anderen Ehegatten berücksichtigt wird, bedeutet
dies, dass bei wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des einen Ehepartners der Anspruch
des an sich hilfebedürftigen anderen Ehepartners schon bei Bestehen einer Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft entfällt. Da Ehepaare bei Leistungsbezug nicht schlechter
gestellt werden dürfen als andere Lebensgemeinschaften (vgl. Art. 6 Abs. 1 GG in
Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG), muss auch bei der Anwendung des § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit.
c SGB II das wichtigste äußere Kriterium das Bestehen einer Wohn- und
Wirtschaftsgemeinschaft sein.
44
Vgl. zu § 122 BSHG: Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg, Urteil vom
14.04.1997 - 7 S 1816/95 -, FEVS 48, 29.
45
Weitere wichtige äußere Indizien, anhand derer der innere Wille, füreinander
Verantwortung zu übernehmen und füreinander einzutreten, nach außen tritt, sind die
Dauerhaftigkeit und Kontinuität der Beziehung, gemeinsame Kinder, die gemeinsame
Versorgung von Angehörigen im eigenen Haushalt sowie die Befugnis zur Verfügung
über Einkommen oder Vermögen des Partners.
46
Vgl. BVerfG, a. a. O.; Begründung zum Gesetzentwurf, a. a. O., Zu Buchstabe a.
47
Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss nach den Besonderheiten des Einzelfalles
unter Berücksichtigung allgemeiner Lebenserfahrung und nach den Gesichtspunkten
bewertet werden, die für eine gemeinsame Haushalts-, Wirtschafts- und Lebensführung
von Ehepaaren kennzeichnend sind. Dabei ist es Sache der Behörde, das Vorliegen
einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c
SGB II im Hauptsacheverfahren nachzuweisen und dementsprechend in einem
einstweiligen Rechtsschutzverfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit glaubhaft
zu machen. Die Beweislast der Behörde für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 7
Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II zwingt allerdings nicht dazu, nur dann vom Vorliegen einer
48
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft in diesem Sinne auszugehen, wenn dies
von den Betroffenen zugestanden wird. Vielmehr beurteilt sich die Frage nach allen
äußeren, objektiv erkennbaren Umständen. Entgegenstehenden Erklärungen der
Partner kommt in der Regel keine durchgreifende Bedeutung zu. Insofern ist nämlich zu
berücksichtigen, dass die Erklärungen der Beteiligten, die mehr und mehr erfahren
haben, worauf es ankommt, um die Voraussetzungen für eine eheähnliche
Gemeinschaft auszuschließen, immer weniger glaubhaft werden.
Vgl. zu § 122 BSHG: OVG Lüneburg, Beschluss vom 26.01.1998 - 12 M 345/98 -, FEVS
48, 545 m.w.N.
49
Nach diesen Maßstäben geht das Gericht aufgrund des Vortrags des Antragstellers, des
gesamten Akteninhalts sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme im
Erörterungstermin am 13.02.2007 von einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft zwischen dem Antragsteller und Frau U1 aus.
50
Zunächst führen sie einen gemeinsamen Haushalt, wie es § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II
voraussetzt. Sie bewohnen die Wohnung V Straße 00 in E1. Auch wenn jeder nach
ihrem Vortrag ein nur ihm zugeordnetes Zimmer hat, das jeder für sich unter Ausschluss
des anderen einrichtet, nutzt und auch putzt, so nutzen Sie die übrigen Zimmer
(Wohnzimmer, Küche, Bad, Diele) unstreitig gemeinsam. In den gemeinsamen Räumen,
die den überwiegenden Teil der Wohnung ausmachen, werden auch fast sämtliche
Einrichtungsgegenstände, Möbel, Haushalts- und Elektrogeräte sowie die
Küchenausstattung gemeinsam genutzt. Ausnahmen bilden insofern nach ihrem Vortrag
lediglich der im Wohnzimmer befindliche PC der Zeugin U1, die ebenfalls dort
aufgebaute Musikanlage nebst CD- und Schallplattensammlung des Antragstellers, die
jeder nur für sich nutzt, sowie die beiden Gefrierschränke, die jeweils einem von ihnen
gehören und auch nur von diesem genutzt werden. Unabhängig von der Frage, ob man
diesen Vortrag für glaubhaft hält, was nur eingeschränkt der Fall sein dürfte, steht dieser
der Annahme einer Haushaltsgemeinschaft nicht entgegen.
51
Auf die Frage, ob auch eine Wirtschaftsgemeinschaft vorliegt, was nach dem Vortrag
des Antragstellers und den Aussagen der Zeugin fraglich ist, kommt es nicht an. Die
Feststellung einer Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft ist zwar sehr wichtig, um auf
das Vorliegen des Willens zu schließen, füreinander Verantwortung zu übernehmen und
einzustehen. Kann man diesen Willen jedoch durch andere äußere Kriterien
hinreichend sicher feststellen, so ist der Aspekt der Wirtschaftsgemeinschaft durchaus
verzichtbar. Dass der Antragsteller und die Zeugin U1 vorgetragen haben, sie würden
keine gemeinsame Haushaltskasse führen, nur gelegentlich zusammen kochen oder
Mahlzeiten einnehmen, nur gelegentlich zusammen einkaufen, wenn größere Einkäufe
anstünden, sowie getrennt Wäsche waschen, steht der Annahme einer Verantwortungs-
und Einstandsgemeinschaft deshalb nicht entscheidend entgegen. Genauso wenig
bedeutet es, dass sie nach ihrem Vortrag die ihnen jeweils ausschließlich zugeordneten
Räume auch jeder für sich - und die übrigen Räume abwechselnd - putzen. Weiter
schließt es eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht aus, dass sich alle im Haushalt
befindlichen Gegenstände dem Eigentum nach einem der Bewohner zuordnen lassen
und kein Miteigentum besteht. Denn auch in nicht getrennt lebenden Ehen ist in Zeiten
des gesetzlichen Güterstandes der Zugewinngemeinschaft, bei dem die
Vermögensmassen der Eheleute vom Grundsatz her getrennt bleiben, an sehr vielen
Haushaltsgegenständen kein gemeinsames Eigentum gegeben. Auch dass der
Antragsteller und die Zeugin unstreitig über getrennte Girokonten verfügen, über die sie
52
sich gegenseitig auch keine Zugriffsrechte eingeräumt haben, steht wegen dieser auch
im Bereich der Ehe verbreiteten Gestaltung der Annahme einer Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft nicht entgegen.
Zugleich bestehen aber auch gewichtige objektive Anhaltspunkte für das Vorliegen
einer Wirtschaftsgemeinschaft, die entweder für sich genommen deren Vorliegen
wahrscheinlich machen, wenn man dem vorstehend dargestellten Vortrag des
Antragstellers und der Zeugin U1 nur eingeschränkte Glaubhaftigkeit zuspricht, oder
jedenfalls bei der Gesamtbetrachtung aller Umstände für das Vorliegen einer
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sprechen:
53
Nach der Aussage der Zeugin U1 zahlt sie für die Wohnung 775 EUR monatlich
einschließlich eines Stellplatzes und erhält dafür vom Antragsteller nur 350 EUR, also
37,50 EUR weniger als die rechnerische Hälfte dieses Betrages, obwohl er mit der
Stellplatznutzung in weitergehendem Umfang als sie vom Mietobjekt profitiert. Diesem
Gesichtspunkt kann hier im Ergebnis kein Gewicht zukommen, weil die Höhe der
geschuldeten Miete und des Mietanteils des Antragstellers - wie oben bereits
angesprochen - zu klären wäre. Verhält es sich aber tatsächlich so, so wäre dies eine
Rücksichtnahme auf die schlechteren Einkommensverhältnisse des Antragstellers bei
der Verteilung der Mietkosten, die für Paarbeziehungen typisch, bei reinen
Wohngemeinschaften hingegen eher selten sein dürfte. Der Aspekt, dass der
Antragsteller von der Stellplatznutzung allein profitiert, würde jedoch dann seine
Bedeutung verlieren, wenn man davon ausginge, dass die Zeugin U1 den PKW E2-FZ
000 des Antragstellers letztlich als ihr gemeinsames Auto ansehen würde, von dem sie
bei gemeinsamen Großeinkäufen u.ä. auch profitiert. Auf diese Umstände stellt das
Gericht wegen der verbleibenden Unklarheiten jedoch nicht ab.
54
Eine jedenfalls feststehende verschiedene Belastung durch - im Weiteren Sinne -
Kosten des gemeinsamen Wohnens liegt darin, dass der Antragsteller die
Telefonkosten (Flatrate bei dem Anbieter B1 für Telefon und DSL-Internetnutzung für 57
EUR monatlich zuzüglich Verbindungsgebühren für Sondernummern, Ausland und
Mobilfunknetze, regelmäßig insgesamt 60 - 65 EUR monatlich) trägt, die Zeugin U1
hingegen die Vorauszahlung an die Stadtwerke E1 in Höhe von 130 EUR monatlich
übernimmt. Für diese kostenmäßige "Großzügigkeit" ist neben der inneren Verbindung
zwischen ihnen kein Grund ersichtlich, insbesondere da beide als Grund für das
gemeinsame Wohnen zentral neben der gemeinsamen Alkoholerkrankung die
Kostenersparnis anführen. Bedenkt man, dass die frühere Miete der Zeugin nach
Angabe des Antragstellers zwischen 400 und 450 EUR lag und sie jetzt nach ihrer
Aussage 425 EUR zahlt (775 EUR abzüglich 350 EUR vom Antragsteller), so liegt die
daraus folgende Mietersparnis bereits unter dem Betrag, auf den die Zeugin durch die
Übernahme der Strom-Vorauszahlung und Ausgleich durch die Begleichung der
Telefonkosten durch den Antragsteller letztlich verzichtet. Ein solches Verhalten zieht
natürlich nicht zwingend den Schluss auf eine Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft nach sich und mag auch in Wohngemeinschaften vorkommen,
spricht jedoch für eine Wirtschaftsgemeinschaft, die nicht genau nach- und aufrechnet.
55
Jedenfalls haben der Antragsteller und die Zeugin mit der gemeinsamen Anmietung der
Wohnung V Straße 00 eine gemeinsame Schuldverpflichtung übernommen, die wegen
ihrer Stellung als Gesamtschuldner für alle aus dem Mietvertrag folgenden
Verpflichtungen eine wirtschaftliche Verflechtung der beiden begründet und Vertrauen
zueinander voraussetzt. Jeder von ihnen haftet insofern hinsichtlich dieses
56
Mietverhältnisses für die finanzielle Leistungsfähigkeit sowie auch für andere
Vertragsverletzungen des jeweils anderen. Es ist dem Antragsteller zuzugeben, dass
Vermieter die Aufnahme beider Bewohner aus Gründen höherer Sicherheit für den
Vermieter wünschen oder verlangen und deshalb auch bei unstreitig "lockeren"
Wohngemeinschaften ohne innere Bindungen diese Vertragsgestaltung gewählt werden
mag. Liegt sie jedoch vor, so stellt sie ein Indiz für eine Wirtschaftsgemeinschaft dar, die
- nicht allein, sondern nur in Zusammenschau mit vielen anderen Gesichtspunkten -
auch für eine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft sprechen kann.
Weiter verfügten der Antragsteller und die Zeugin U1 nach ihren übereinstimmenden
Angaben bei Bezug der ersten gemeinsamen Wohnung Gstraße 0 in E1 noch jeder für
sich über eine eigene Haftpflichtversicherung. Die Haftpflichtversicherung des
Antragstellers hat dieser dann jedoch auf Vorschlag des sie nunmehr beide
betreuenden Versicherungsvertreters der W Versicherungs-AG bei einem
Beratungstermin sowohl mit dem Antragsteller als auch mit der Zeugin in der
gemeinsamen Wohnung gekündigt und wurde sowohl in den Schutz der von der Zeugin
U1 abgeschlossenen Haftpflichtversicherung und auch in den denjenigen ihrer
Hausratversicherung bei der W Versicherung aufgenommen. Abgesehen davon, dass
diese Form der Erstreckung des Versicherungsschutzes auf eine weitere erwachsene
Person nach den Allgemeinen Versicherungsbedingungen auf - untechnisch
gesprochen - "Lebensgefährten", die zusammen wohnen, beschränkt sein dürfte, haben
die beiden auch insofern eine rechtliche und wirtschaftliche Verbindung begründet, die
natürlich jederzeit aufzulösen ist, aber dann für beide neue Dispositionen nach einer
Auflösung der Wohngemeinschaft bedeutet, gegebenenfalls zusätzliche Kosten nach
sich zieht und die Hürde für eine Trennung der Wohngemeinschaft erhöht. Zugleich
dürfte es nach Einschätzung des Gerichts unter Bewohnern einer Wohngemeinschaft
sehr selten sein, dass die jeweiligen Versicherungen "zusammengelegt" oder
anderweitig abgestimmt werden.
57
Im Zusammenhang mit diesen bei der W Versicherung bestehenden Verträgen steht
weiterhin, dass der Antragsteller und die Zeugin übereinstimmend angegeben haben,
sich gegenseitig - angeblich auf Vorschlag des sie gemeinsam beratenden
Versicherungsvertreters - als Begünstigte im Todesfall bei ihren jeweiligen bei der W
Versicherung abgeschlossenen privaten Rentenversicherungen (für den Antragsteller
"SingleRente" mit Altersrentenversicherung sowie
Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, Versicherungsschein-Nr. S 0000000.0, vgl.
Beiakte 1, Bl. 47 ff.). Im Todesfall des Antragstellers nach dem Rentenbeginn
(01.02.2031) erhielte die Zeugin z. B. eine einmalige Kapitalabfindung von 12.338,52
EUR und im Todesfall vor Rentenbeginn die Summe der gezahlten Beiträge ausgezahlt.
Hiermit haben der Antragsteller und die Zeugin füreinander gegenseitig Verantwortung
übernommen, indem sie sich gegenseitige Absicherung für den Fall des Ablebens
verschafft haben. Eine solche Vorgehensweise ist auch unter Eheleuten verbreitet und
ist letztlich - auf andere Weise - eine Weitergabe von Vermögen an eine nahestehende
Person. Dass dies nach den Angaben des Antragstellers und der Zeugin U1 dazu dient,
den überlebenden Bewohner ihrer Wohngemeinschaft abzusichern, von den Kosten der
Abwicklung des Todesfalls in Bezug auf die gemeinsame Wohnung und auch des
Umzugs des Überlebenden in eine andere Wohnung freizustellen und wohl auch die
Kosten der Bestattung des Verstorbenen zu tragen, steht dem nicht entgegen. Denn
diese und ähnliche Zwecke sind es auch, die Eheleute in gleicher Weise dazu
bewegen, sich bei kapitalbildenden Versicherungen (Lebens-, Rentenversicherungen
u.ä.) als Todesfallbegünstigte einzusetzen oder sich anderweitig Vermögen (durch
58
Testament oder Vermächtnis) zu übertragen. Im Bereich typischer Wohngemeinschaften
dürfte eine solche Vorgehensweise kaum anzutreffen sein. Dieser Aspekt zeigt zugleich,
dass nicht nur die Zeugin U1 bereit ist, für den Antragsteller Verantwortung zu
übernehmen und für ihn einzustehen, sondern dass es sich um eine beidseitige
Bindung handelt, auch wenn der Antragsteller tatsächlich seit einiger Zeit der
wirtschaftlich schwächere Teil ist, der (wirtschaftlich) mehr empfängt als er zu geben in
der Lage ist.
Ein weiterer Aspekt der gemeinsamen Übernahme von Verpflichtungen, der sowohl
Indiz für eine Wirtschaftsgemeinschaft als damit mittelbar auch für eine Verantwortungs-
und Einstandsgemeinschaft ist, zeigt sich darin, dass in Bezug auf die gemeinsamen
Wohnungen nach Aussage des Antragstellers die Zeugin U1 allein die geforderten
Mietsicherheiten sichergestellt hat. In Bezug auf die Wohnung Gstraße 0 hat sie die
Mietkaution von zwei Monatsmieten allein aufgebracht (und bis heute wegen eines
anhängigen Prozesses wohl nicht zurück erhalten) und in Bezug auf die aktuelle
Wohnung hat sie dies durch eine Bankbürgschaft ihres Arbeitsgebers, des Bankhauses
I U3 & C1, über einen Betrag von 1650 EUR sichergestellt. Sie hat somit allein eine
Verpflichtung erfüllt, die nach dem typischen Innenverhältnis von Mitgliedern einer
Wohngemeinschaft anteilig geschuldet sein dürfte. Der Grund lag wohl darin, dass der
Antragsteller über die entsprechenden Mittel nicht verfügte. Sie ist demnach für ihn
eingestanden, wo er es aus eigenen Kräften nicht vermochte, und hat ihm so zu einer
Wohnung verholfen.
59
Weiter hat sie ihm - wenn auch nach den Angaben der Zeugin mit eher kleineren
Beträgen - ausgeholfen, als er im Jahr 2003 bei der Gesellschaft für B2 (H1) seinen
Arbeitsplatz als Lagerarbeiter verloren hatte, als wegen einer Verzögerung bei der
Bewilligung und Auszahlung von Arbeitslosengeld durch das Arbeitsamt ein
Zwischenzeitraum zu überbrücken war. Auch hierdurch ist sie ihm in einer Notlage
beigesprungen.
60
Im Jahr 2004 hat sie ihm dann zu einem Zeitpunkt, als sein Girokonto überzogen
gewesen sein soll und er Schulden im Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut hatte,
mit einem Darlehen von 2000 EUR geholfen. Hierfür hat er ihr mit Erklärung vom
12.04.2004 sein Motorrad Yamaha DragStar mit dem polizeilichen Kennzeichen E2-DK
00 sicherungsübereignet, darf es jedoch auf eigene Kosten bis auf Weiteres nutzen.
Dass für das Darlehen als solches hier eine schriftliche Vereinbarung anscheinend nicht
getroffen wurde, mag unter engen Freunden oder Verwandten im privaten Bereich nicht
unüblich sein. Es verdeutlicht jedoch die enge Beziehung und das Vertrauen, das hier
zwischen dem Antragsteller und der Zeugin U1 schon im Jahr 2004 bestand. Sie hat
ihm schon damals mit erheblichen finanziellen Mitteln in einem finanziellen Engpass
geholfen, wobei im Hinblick auf die Schulden im privaten Umfeld die Notlage, die dies
erforderlich machte, nicht nachvollzogen werden kann. Auch wenn solche Schulden
natürlich unangenehm sind und die persönlichen Beziehungen belasten mögen, so ist
nicht ersichtlich, wieso es besser ist, der Frau, mit der man die Wohnung teilt, Geld zu
schulden.
61
Unter diesem Gesichtspunkt war das Darlehen, das sie ihm im Frühjahr 2006 für die
Ablösung des Dispositionskredits auf seinem Girokonto bei der Mbank Nr. 00 00 000
000 gegeben hat, welches mit 3898,59 EUR im Soll stand, dringlicher, weil er hier
nachvollziehbar eine Kontenpfändung seines Girokontos bei der Sparkasse E1, das er
seit einiger Zeit unterhielt, vermeiden wollte, um seine Chancen bei Bewerbungen auf
62
Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Auch zu diesem angeblichen Darlehen existiert keine
schriftliche Vereinbarung, sodass sich die Annahme, dass tatsächlich eine
Rückzahlungsverpflichtung besteht, nur auf die Angaben des Antragstellers und der
Zeugin stützt.
Ihr Einsatz ihrer eigenen Mittel für diese Darlehen von 2000 EUR und knapp 4000 EUR
ist hier vom Grad des Einstehens für den Antragsteller recht hoch zu bewerten, weil sie
anscheinend zum einen nach der Aussage des Antragstellers grundsätzlich eigentlich
kein Geld an Freunde oder Bekannte verleiht und er sie deshalb insbesondere mit dem
Angebot der Sicherungsübereignung seines Motorrades dazu überreden musste, und
sie zum anderen anscheinend nicht ohne weiteres über die liquiden Mittel verfügte, um
Hilfen in diesem Umfang zu geben. Dies zeigt sich daran, dass die Zeugin angegeben
hat, die für die Ablösung des Girokontos des Antragstellers erforderliche Summe als
Darlehen aufgenommen zu haben, welches sie aktuell noch mit 157 EUR monatlich
abzahle. Es ist kein Grund hierfür ersichtlich, als dass sie selbst nicht mehr über diesen
Betrag aus ihrem Vermögen verfügen konnte. Die Begründung einer eigenen
Darlehensverpflichtung, um die Schuld einer anderen Person abzulösen, erreicht bereits
einen ausgesprochen hohen Grad an Einsatzbereitschaft, die sich das Gericht bei
Eheleuten vorstellen kann und ansonsten nur bei Personen erwarten würde, die sich in
einer Eheleuten vergleichbaren Weise verbunden fühlen.
63
Auch gegenwärtig zeigt die Zeugin, indem sie die volle Miete an die Vermieterin
überweist, obwohl der Antragsteller ihr seinen Anteil nicht oder nicht vollständig zahlt,
dass sie bereit ist, im Rahmen ihrer Möglichkeiten für den Antragsteller in den Not- und
Wechselfällen des Lebens einzuspringen, wobei auch hier eine schriftliche
Vereinbarung über die Schuld nicht vorliegt.
64
Bei all diesen - angeblichen - Darlehen der Zeugin U1 ist, wenn man den Charakter als
Darlehen im Grundsatz annehmen wollte, in keiner Weise vorgetragen, dass ein
regelmäßiger Modus der Rückzahlung bestünde. Dies dürfte selbst unter Freunden, die
aufgrund bestehenden Vertrauens und nicht-förmlicher persönlicher Prägung auf
schriftliche Abreden verzichten, ein wesentlicher Punkt sein. Auch wenn die Zeugin
ausgesagt hat, die Schulden aus 2003 und 2004 (2000 EUR + X) seien vom
Antragsteller vollständig zurückgezahlt worden, so hat das Gericht hieran starke Zweifel.
Die durchgängigen und von keinem Zweifel getragenen Aussagen des Antragstellers im
Gerichtsverfahren gehen dahin, dass auf die Beträge von 2000 EUR und fast 4000 EUR
noch überhaupt nichts zurückgezahlt worden sei. Dies steht auch in Übereinstimmung
mit den vorliegenden Kontoauszügen des Antragstellers, denen sich keine Zahlungen
an die Zeugin entnehmen lassen. Den hiervon abweichenden Aussagen der Zeugin
wird in diesem Punkt geringere Überzeugungskraft beigemessen, weil sie zum einen
aufgrund ihrer stark nervösen und hoch angespannten Verfassung in der
Aussagesituation der Beweisaufnahme ("sehr aufgeregt bin und ziemlich neben mir
stehe. Ich könnte mich eigentlich in die Ecke setzen und heulen.") eventuell von der
Auffassungsgabe und ihrem Erinnerungsvermögen her eingeschränkt war.
Wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie ihre Aussage dem angepasst hat, was aus ihrer
Sicht einen Leistungsanspruch des Antragstellers möglich machen sollte. So hat sie ihre
finanzielle Unterstützung für den Antragsteller zunächst heruntergespielt ("nur kleinere
Beträge für Lebensmittel oder mal Eier oder mal hier 100 EUR oder mal da 100 EUR")
und erst auf Vorhalt das Darlehen von 2000 EUR im Jahr 2004 eingeräumt. Obwohl sie
bei dieser Gelegenheit sehr nachdrücklich gefragt wurde, ob es weitere Hilfen über die
genannten und die aktuellen Mietzahlungen gebe, die sie bisher nicht erwähnt hatte, hat
65
sie solche zu diesem Zeitpunkt vehement abgestritten. Erst zu einem späteren Zeitpunkt
im Verlauf ihrer Aussage hat sie auf eindeutigen Vorhalt zugegeben, dass weitere fast
4000 EUR im Mai 2006 geliehen wurden. Sie suchte es mit ihrer psychischen
Verfassung zu erklären, dass sie dies zuvor nicht sagte. Dass sie selbst ein Darlehen
zur Rückzahlung dieses Betrages aufnehmen musste, berichtete sie in diesem
Aussagezusammenhang nicht, sondern erwähnte dies erst beiläufig am Ende ihrer
Aussage. Dieses Aussageverhalten vermag das Gericht kaum auf Nervosität,
Anspannung und sonstige Aufgeregtheit zurückzuführen. Es spricht vielmehr mit sehr
hoher Wahrscheinlichkeit für eine ergebnisorientierte Aussage, die dem Antragsteller
und damit mittelbar auch der Zeugin zu Sozialleistungen verhelfen sollte. Dabei ist zu
berücksichtigen, dass der Antragsteller im Umgang mit modernen
Recherchemöglichkeiten im Internet vertraut ist und im Verwaltungs- und
Gerichtsverfahren regelmäßig einschlägige Rechtsprechung (relativ zutreffend) zitiert
und zu den Akten gereicht hat. Deshalb ist davon auszugehen, dass er über die
Voraussetzungen der Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft bzw. einer
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft hinreichend informiert in den
Erörterungstermin ging und auch die Zeugin darüber in Kenntnis setzte. Dies ist bei der
Würdigung sämtlicher Aussagen des Antragstellers und der Zeugin U1 zu
berücksichtigen, wenn es auf die Glaubhaftigkeit ankommt. Weil der Antragsteller die
Umstände in Zusammenhang mit den Darlehen jedenfalls letztlich ohne die in Bezug
auf die Zeugin beschriebenen Umstände angegeben hat, ist seiner Aussage, es sei im
Wesentlichen noch nichts zurückgezahlt, mehr Glauben zu schenken.
Wenn man aber davon ausgeht, dass der Antragsteller der Zeugin diese Beträge von
knapp 6000 EUR immer noch schuldet, so stellt es ein großes Entgegenkommen von
ihrer Seite dar, dass sie seit langer Zeit anscheinend nicht auf Rückzahlung drängt. Es
ist in diesem Zusammenhang wieder so, wie oben schon in Bezug das Darlehen von
2000 EUR beschrieben, dass der Antragsteller Geld von der Zeugin als angebliches
Darlehen erhält und nicht zurückzahlt, weil anscheinend andere Verpflichtungen
wichtiger erscheinen. Dass die Zeugin hier ihm gegenüber nicht nachdrücklicher die
Rückführung der Schulden verlangt, weist auf eine hohe innere Verbundenheit hin,
gegebenenfalls darauf, dass tatsächlich überhaupt keine Rückzahlung geschuldet wird.
Jedenfalls ist die Zeugin U1 anscheinend damit einverstanden, dass die Verpflichtung
zur Rückzahlung ihr gegenüber die geringste Priorität bei den Verpflichtungen des
Antragstellers aufweist. Denn immerhin bediente der Antragsteller bis in das Frühjahr
2006 hinein den Kredit bei der Obank mit einer Rate von etwa 400 EUR monatlich, die
dann nach Kündigung des Kredits auf etwa 200 EUR monatlich umgestellt wurde, die er
immerhin bis November 2006 gezahlt hat. Sodann tilgt er Gerichtskosten bei der H E1
mit 50 EUR monatlich, unterhält neben seinem PKW noch das Motorrad Yamaha
DragStar E2-DK 00 mit den entsprechenden Kosten für Kfz-Versicherung und Steuer
und zahlt weiter auf die W-Rentenversicherung sowie dort auch auf eine
Unfallversicherung ein (neben einer Vielzahl von den Kontoauszügen zum Sparkassen-
Girokonto zu entnehmenden Ebay-Käufen im Jahr 2006). Alldem ist nur zu entnehmen,
dass die Zeugin U1 sich anscheinend damit abgefunden zu haben scheint bzw. damit
einverstanden ist, dass sie ihr Geld vom Antragsteller in absehbarer Zeit nicht
zurückerhalten wird.
66
Den dargestellten Umständen lässt sich eindrücklich entnehmen, dass die Zeugin U1
dem Antragsteller in den letzten Jahren - und auch jetzt in Bezug auf die Miete - bei
finanziellen Schwierigkeiten beigesprungen ist. Dies verdeutlicht einen ziemlich hohen
Grad des Für-den-Partner-Einstehens, wie er sich mangels objektiver Anhaltspunkte
67
hierfür in Verfahren der vorliegenden Art relativ selten feststellen lässt.
Zu der Beziehung der beiden im Übrigen ist nach der Gesamtheit ihrer Aussagen
festzustellen, dass sie sich unstreitig seit etwa acht Jahren kennen, sich in der
gemeinsamen Zeit in der Selbsthilfegruppe beim L1 e.V., Ortsverband E1, von Anfang
durch die Natur dieser Alkoholiker-Selbsthilfegruppe, in der mit großer Offenheit von
sehr persönlichen Dingen gesprochen wird, schnell sehr nahe gekommen sind. Aus
Sicht der Zeugin U1 hat sie besonderes Vertrauen zum Antragsteller entwickelt, weil
damals in kurzer Folge ihre Eltern gestorben sind und er ihr mehr noch als die übrigen
Gruppenmitglieder mit seelischer Unterstützung zur Seite gestanden hat. Die
gemeinsame Erfahrung der Alkoholerkrankung stellte von Anfang an eine Verbindung
zwischen den beiden her, die sich derart vertiefte, dass sie sich entschlossen, auf der
Grundlage dieser Freundschaft gemeinsam eine Wohnung zu beziehen, um Kosten zu
sparen, eine alkoholfreie Zone zu schaffen und sich gegenseitig im Kampf gegen einen
Rückfall ins Trinken zu unterstützen. Sie wohnen seit ca. vier Jahren zusammen, wobei
sie von der Wohnung Gstraße 0 innerhalb von E1 in die Wohnung V Straße 00
umzogen. Diese Dauer des gemeinsamen Wohnens ist zwar noch nicht besonders lang,
als kurz ist sie jedoch auch nicht mehr zu bezeichnen. Der Umstand, dass ein
gemeinsamer Umzug erfolgte, zeigt auf jeden Fall eine recht hohe Stabilität der
jedenfalls freundschaftlichen Beziehung der beiden, da die psychologische Hürde für
eine Auflösung der gemeinsamen Wohnung wegen der damit typischerweise
verbundenen Unannehmlichkeiten und Kosten in diesem Moment entfällt. Wenn das
gemeinsame Wohnen nicht weiter reizvoll erschienen wäre, wäre dies ein geeigneter
Moment gewesen, sich unproblematisch aus der Wohngemeinschaft zu verabschieden.
Dies ist jedoch nicht erfolgt. Anscheinend und in Übereinstimmung mit ihren Angaben
klappt das Zusammenwohnen ohne größere Auseinandersetzungen.
68
Auch wenn der Antragsteller und die Zeugin U1 eine geschlechtliche oder eine
Liebesbeziehung nie gehabt haben wollen, so besteht zwischen ihnen eine sehr enge
persönliche Bindung. Für beide gehört der jeweils andere zu den zwei wichtigsten und
ihnen nahestehendsten Personen. Der Antragsteller hat daneben noch seinen "alten
Freund aus den gemeinsamen wilden Jahren" in L2 und die Zeugin hat noch eine sehr
enge Freundin. Diese anderen sehr engen Freunde sind jedoch in der Gegenwart nicht
so nah und präsent, wie die enge Beziehung zwischen dem Antragsteller und der
Zeugin. Den Antragsteller verbindet mit seinem Freund in L2 mehr die Vergangenheit,
wobei in der Gegenwart die geführten Lebensstile verschieden sind (der Freund "mit
Familie und Kindern"). Bei der engen Freundin der Zeugin U1 ist es so, dass die
Freundin jetzt nicht immer Zeit für sie hat, da sie "ihren Mann und eigene Sorgen" hat.
Letztlich spricht viel dafür, dass angesichts fehlender enger Bindungen im familiären
Bereich und der beschriebenen Beziehungen zu jeweils einem engen Freund/Freundin
der Antragsteller und die Zeugin U1 füreinander die engsten Bezugs- und
Vertrauenspersonen sind, da sie immerhin jetzt schon seit vier Jahren
zusammenwohnen und dies jede Beziehung - ob freundschaftlich oder wie auch immer
geartet - stark beeinflusst und intensiviert (wenn es nicht zu Auseinandersetzungen und
Auflösung der Gemeinschaft kommt). Zugleich legen beide sehr viel Wert auf die Hilfe
und Unterstützung, die der andere ihnen mit seiner Kenntnis der Alkoholkrankheit und
seiner freundschaftlichen Verbundenheit sowie dem gemeinsamen Bestreben um
langfristige Alkoholabstinenz bietet. Sie geben sich gegenseitig Sicherheit, hören sich
zu und können immer beieinander "anklopfen". Alle diese Umstände sind solche, die
bei einer Paarbeziehung auch zum Tragen kommen: Einander zuhören, gemeinsame
Erfahrungen und Erinnerungen, gemeinsame Interessen, einander Sicherheit, Hilfe und
69
Halt geben, füreinander da sein und einander verstehen. Insofern leben der
Antragsteller und die Zeugin U1 wie ein Ehepaar, das die Lust am Geschlechtlichen
verloren hat und gegebenenfalls verschiedene Interessen hat ("der eine schaut fern und
löst Kreuzworträtsel, der andere sitzt am Computer und hört Musik"). Eine solche
Situation soll in ehelichen Gemeinschaften nicht selten sein. Viele langjährige
Partnerschaftsbeziehungen entwickeln sich in diese Richtung, so dass das sich
bietende Bild nicht untypisch erscheint.
Das Gericht geht deshalb davon aus, dass die Wohngemeinschaft, als die die
Antragsteller einmal begonnen haben mögen, sich jedenfalls zu einer
Lebensgemeinschaft entwickelt hat, in der der Antragsteller und die Zeugin U1
füreinander die wichtigsten Bezugspersonen darstellen. Dies schlägt sich dann darin
nieder, dass sie sich gegenseitig als Begünstigte für den Todesfall in ihren
Versicherungen aufnehmen, dass nur noch jeweils eine gemeinsame Haftpflicht- und
Hausratversicherung besteht, dass sie gegenüber der Vermieterin ihrer Wohnung, bzw.
dem Makler ohne weiteres als Paar auftreten und selbstverständlich gemeinsam den
Mietvertrag unterzeichnen. In dieses Bild fügt es sich weiter nahtlos ein, dass ein
Versicherungsvertreter für beide zusammen zuständig ist und mit ihnen in ihrer
Wohnung gemeinsame Beratungsgespräche führt, wie es auch mit Eheleuten häufig der
Fall ist. Dass die Zeugin ihre finanziellen Möglichkeiten für den Antragsteller einsetzt,
wie sie es vermag, passt ebenfalls in dieses Bild. Die Nähe geht so weit, dass sie
gegenseitig davon ausgehen, der andere werde im Fall des eigenen Ablebens für alles
Erforderliche sorgen und dies schon richtig machen.
70
Diese Umstände werden ergänzt durch den Umstand, dass nach ihren Aussagen
sowohl der Antragsteller als auch die Zeugin U1 in der Zeit ihres gemeinsamen
Wohnens keine nennenswerten geschlechtlichen oder sonstigen partnerschaftlichen
Beziehungen geführt haben. Dies mag mit mangelnder Gelegenheit, mangelnder Lust,
schlechten Erfahrungen oder Enttäuschungen zusammenhängen; es kann auch darauf
hinweisen, dass die enge Beziehung zwischen ihnen so etwas nicht zulässt, bzw. dafür
keinen Raum oder auch kein Bedürfnis mehr lässt. Es ist insofern schon bezeichnend,
wenn die Zeugin auf die Frage, was wäre, wenn der Antragsteller eine feste Freundin
hätte, aussagte, auch wenn diese nicht bei ihnen in der Wohnung einziehen sondern
nur regelmäßig zu Besuch kommen würde, wäre ihr das bei genauer Überlegung auch
nicht recht, und hinzufügte, sie ginge davon aus, dass dann, wenn sie oder der
Antragsteller jemand neues kennenlernen würden, die Wohnung aufgelöst werden
müsste.
71
Die Bedeutung des gemeinsamen Wohnens und der gegenseitigen Unterstützung im
Sinne des hier gefundenen Ergebnisses hat der Antragsteller in einem Telefonat mit
dem Vorsitzenden am 22.02.2007 noch einmal verdeutlicht, indem er die Frage, ob ein
Auseinanderziehen nicht konkret ins Auge gefasst werden solle, wenn eine
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft wie vorgetragen tatsächlich nicht vorliege,
verneint hat. Dies hat er damit begründet, dass auch die Zeugin U1, obwohl sie schon
einmal nach Wohnungen für sich allein geschaut habe, die Wohngemeinschaft aufrecht
erhalten wolle, wenn aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung wieder Leistungen
bewilligt würden; er selbst habe Zukunftsängste, wenn er sich vorstelle, er müsse ohne
die Unterstützung von Frau U1 leben.
72
Alldem entnimmt das Gericht letztlich mit hoher und deutlich überwiegender
Wahrscheinlichkeit das Vorliegen einer Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft im
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Sinne von § 7 Abs. 3 Nr. 3 lit. c SGB II. Ob an den Aussagen des Antragstellers und der
Zeugin zu ihren Wohnverhältnissen, der Nutzung der Räume, gemeinsamem Kochen,
Essen und Einkaufen ernsthafte Zweifel bestehen, kann im Hinblick hierauf im Ergebnis
dahinstehen.
Es sei gleichwohl erwähnt, dass das Gericht nicht nachvollziehen kann, dass der
Antragsteller in einer Wohnung, die neben Küche, Diele und Bad über drei Wohnräume
verfügt, nur das kleinste (mit ca. 9 qm) zu seiner persönlichen Verfügung hat, obwohl er
das etwas 25 qm große Wohnzimmer nach seiner eigenen Aussage kaum nutzt.
Würden er und die Zeugin jeweils die beiden größten Wohnräume unter sich zur
ausschließlichen Nutzung aufteilen, hätte er wohl auch sein selbst gebautes Hochbett
aus der alten Wohnung mitnehmen können und könnte eventuell auch seinen großen
Fernseher und seine große Musikanlage im eigenen Zimmer unterbringen. Wieso er
nach seinem Vortrag dauerhaft auf einem Feldbett mit Stoffbespannung ohne Matratze
schläft, kann das Gericht sich nicht erklären. Bisher ungeklärt sind auch den
Kontoauszügen des Girokontos des Antragstellers bei der Sparkasse zu entnehmende
Kontobelastungen, die eventuell für Heilbehandlungen der Katzen der Zeugin erfolgt
sein könnten (am 21.06.2006 Kartenzahlung von 95,77 EUR an die Tierklinik L3, und
am 05.07.2006 Lastschrifteinzug von 80,11 EUR an "C2", eventuell ein Tierarzt).
74
Bei alledem verbleiben in der Natur einer streitigen Entscheidung über das Vorliegen
einer von den betroffenen Personen in Abrede gestellten Verantwortungs- und
Einstandsgemeinschaft liegende Zweifel. Diese erreichen jedoch nicht das Maß,
aufgrund dessen zugunsten des Antragstellers eine vorläufige Leistungsgewährung auf
der Grundlage einer Folgenabwägung nach der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts möglich oder geboten wäre. Hierbei hat das Gericht diese
Möglichkeit eingehend erwogen und dabei auch die Alkoholerkrankung des
Antragstellers und der Zeugin U1 berücksichtigt. Die Gefährdung ihrer Alkoholabstinenz
durch die Belastungen durch das Verfahren, diese Entscheidung und die
Konsequenzen, die sich für sie daraus ergeben, ist dem Gericht wohl bewusst. Es hofft
jedoch, dass der Antragsteller und die Zeugin diese Herausforderung meistern.
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Wenn der Antragsteller und Frau U1 diese Entscheidung akzeptieren, sollten sie bei der
Antragsgegnerin klären lassen, ob ihnen auch bei Berücksichtigung von Einkommen
oder Vermögen der Zeugin U1 ein Anspruch - gegebenenfalls nur für die
Krankenversicherung des Antragstellers - zusteht. Bleiben sie bei ihrem Standpunkt,
ihre Beziehung sei nicht so geartet, dass von der Zeugin ein finanzielles Einstehen für
den Antragsteller auf Dauer erwartet werden könne, so haben sie es - neben der
Überprüfung dieser Entscheidung durch die 2. Instanz - in der Hand, eine Klärung der
Verhältnisse herbeizuführen, die jedenfalls in der Auflösung der Haushaltsgemeinschaft
liegen kann. Gegebenenfalls kann es sinnvoll sein, wie schon zuvor vom Gericht
angeregt, für die Zeit eines eventuellen Beschwerdeverfahrens oder einer Auflösung der
vermeintlichen Gemeinschaft einen gemeinsamen Antrag bei der Antragsgegnerin unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung zu stellen, der nicht als Eingeständnis einer solchen
Gemeinschaft und auch nicht als entsprechendes Indiz gewertet werden darf. Wollen
der Antragsteller und Frau U1 ohne eine Auflösung der gemeinsamen Wohnung
versuchen, gegenüber der Antragsgegnerin darzulegen, dass sie nicht in einer
Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft leben, sollten sie mit der Antragsgegnerin
abstimmen, welche Nachweise oder Vorkehrungen diese insofern als Indizien eines
"Getrenntlebens in derselben Wohnung", welches im Familienrecht für Eheleute
möglich ist, zu akzeptieren bereit ist. Die klarste Lösung liegt insofern jedoch ohne
76
Zweifel in einer Auflösung der gemeinsamen Wohnung.
Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG.
77