Urteil des SozG Düsseldorf vom 28.12.2007

SozG Düsseldorf: zustand, erwerbsfähigkeit, minderung, straftat, nebenberuf, wahrscheinlichkeit, firma, angestellter, rente, durchstich

Sozialgericht Düsseldorf
Urteil vom 28.12.2007 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 35 (31) V 56/05
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Dem Kläger wird
Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C1 aus L1 bewilligt.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten in einem Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz um die Höhe der Minderung der
Erwerbsfähigkeit.
Der 1979 geborene Kläger, der derzeit arbeitslos ist, war bei einem Sicherheitsdienst beschäftigt. Am 20.02.2002
wurde er Opfer eines Eiversuchtdramas. Herr W fügte ihm mit einem Messer eine Stichverletzung zu, die zu einer
Schädigung im Bereich des Herzens und der Atemwege beim Kläger führte.
Im September 2002 stellte der Kläger deswegen einen Antrag nach dem Opferentschädigungsgesetz - OEG - bei dem
Beklagten.
Der Beklagte zog die Akte der Staatsanwaltschaft Krefeld bei und holte zahlreiche Befundberichte der den Kläger
behandelnden Ärzte ein. Außerdem holte der Beklagte von dem Internisten L2 ein Gutachten ein. Herr L2 stellte
zusammenfassend fest, der Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit für die Folgen der Verletzung am Herzen und an
einem Herzkranzgefäß des Klägers betrage 20 von 100. Ein dauerhafter pulmunaler Funktionsausfall lasse sich nicht
wahrscheinlich machen.
Der Beklagte erteilte daraufhin unter dem 17.03.2003 einen Bescheid, wonach die Gesundheitsstörungen:
Zustand nach Thoraxstichverletzung am 02.02.2002 mit Verletzung des Herzmuskels im Bereich des linken
Ventikels, operativ korrigierter Durchtrennung des distalen RIVA, Herzbeuteltamponade und Durchstich des 5.
Lungensegments mit Hämatopneumothorax links, postoperativ mit Narbenbildung im Bereich der Herzspitze und
allenfalls fraglicher, in diesem Fall geringfügiger und funktionell unbedeutsamer Adhäsion im Bereich des linken
Zwerchfellrippenwinkels,
als Schädigungsfolgen nach dem OEG anerkannt werden.
In dem Bescheid wird weiter ausgeführt, dass die Schädigungsfolgen unter 25 von 100 betragen und daher ein
Anspruch auf Rente nicht bestehe.
Unter dem 20.03.2003 erteilte der Beklagte einen weiteren Bescheid, wonach die Leidensbezeichnung wie folgt
gefasst wird:
Zustand nach Thoraxstichverletzung am 02.02.2002 mit Verletzung des Herzmuskels im Bereich des linken
Ventrikels, operativ korrigierter Durchtrennung des distalen RIVA, Herzbeuteltamponade und Durchstich des 5.
Lungensegments mit Hämatopneumothorax links, postoperativ mit Narbenbildung im Bereich der Herzspitze und
allenfalls fraglicher, in diesem Fall geringfügiger und funktionell unbedeutsamer Adhäsion im Bereich des linken
Zwerchfellrippenwinkels.
Reizlose Operationsnarbe und Drainagenarben am linken Thorax.
Eine Änderung der MdE wurde mit dem Bescheid nicht festgestellt.
Mit weiterem Bescheid vom 02.04.2003 lehnte der Beklagte eine Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen
eines besonderen beruflichen Betroffenseins ab. Zur Begründung führte der Beklagte aus, als Dauerfolgen der
Gewalttat verbleibe beim Kläger lediglich eine reizlose Operationsnarbe am linken Thorax ohne nennenswerte
Funktionseinbußen. Der Kläger sei daher in seinem Beruf als Angestellter eines Sicherheitsdienstes nicht in einem
wesentlichen höheren Grad als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert.
Gegen die Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein mit dem er u. a. vortrug, er könne als Angestellter im
Sicherheitsdienst nur noch eingeschränkt tätig sein und nicht mehr an Großveranstaltungen teilnehmen. Außerdem
sei er im Nebenberuf als Model tätig gewesen. Insoweit habe er einen Einkommensverlust von weiteren 10 %
hinzunehmen.
Der Beklagte holte darauf hin, ein weiteres Gutachten des Psychiaters C2 ein, wonach die MdE im neurologisch-
psychiatrischen Bereich unter 10 liegt.
Mit weiterem Abhilfebescheid vom 13.04.2007 stellte der Beklagte als weitere Behinderung
1."Anpassungsstörung"
fest.
Ausweislich des Bescheides ergibt sich keine Änderung der MdE.
Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens hat der Beklagte eine Anfrage an die Modelagentur gestellt, die den
Kläger früher vermittelt hatte. Danach war dieser 10 bis 15 Mal im Jahr als Modell tätig. Seit 2002 sei der Kläger nicht
mehr tätig gewesen. Ein freier Oberkörper sei für die Tätigkeit als Modell nicht erforderlich gewesen.
Auf Anfrage der Beklagten teilte der Sicherheitsdienst, bei dem der Kläger tätig war mit, der Kläger sei von 2001 bis
September 2003 dort tätig gewesen. Im September 2003 sei die Firma insolvent geworden. Der Kläger sei bei der
Firma zunächst als Streifen- und Notruffahrer tätig gewesen. Nach der Straftat sei der überwiegend als Service-Kraft
z. B. (Einlasskontrolle, Parkplatzbewachung) tätig gewesen. Der Kläger sei nach der Straftat nur eingeschränkt
belastbar gewesen.
Der Landschaftsverband Rheinland hat dem Kläger daraufhin - auf Veranlassung des Beklagten - Angebote zur
Verbesserung der Teilhabe am Arbeitsleben gemacht. Diese Angebote hat der Kläger nicht angenommen.
Unter dem 19.01.2005 lehnte der Beklagte den Widerspruch des Klägers als sachlich unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 18.02.2005 bei Gericht eingegangene Klage mit der der Kläger seinen Vortrag aus dem
Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung bew. Abänderung der Bescheide vom 17.03.2003, 02.04.2003, 20.03.2003,
13.04.2003 und 19.01.2005 zu verurteilen, dem Kläger Rente nach einer MDE um 30 v. H. zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Gericht hat zur Sachverhaltsermittlung Gutachten von dem Kardiologen H und dem Psychiater L3 eingeholt. Der
Sachverständige L3 hat - beide Gutachten zusammenfassend - festgestellt, dass beim Kläger folgende
Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen:
Zustand nach Stichverletzung des Herzmuskels mit resultierender kleiner Narbe im Bereich der Herzspitze bei
annähernd normaler Herzmuskelfunktion.
Zustand nach Stichverletzung des Ramus interventrikulrais anterior der linken Koronararterie,
Zustand nach Teilresegtion nach 5. Lungensegments links
Zustand nach Stichverletzung einer Rippe links
Zustand nach Hämatothorax links im Rahmen der Verletzung
leicht - bis mitte gradige Lungenfunktionsstörung
Die Gesamt-MdE schätzt der Sachverständige auf unter 20.
Auf Antrag des Klägers hat das Gericht ein weiteres Gutachten nach § 109 SGG von dem Pneumologen G eingeholt.
G hat beim Kläger eine leicht gradige Difusions- und Ventilations-/Verteilungsstörung der Lungen sowie eine leicht bis
mittelgradige Einschränkung der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit bei Trainingsmangel und eine obstruktive
Bronchitis festgestellt. Die MdE wegen der Schädigungsfolgen beziffert der Sachverständige mit 20 von 100.·
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten
Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen und ihre Inhalte waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerechte erhobene und daher zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger ist durch die
angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -, denn die
Bescheide erweisen sich als rechtmäßig.
Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist - gemäß dem Antrag des Klägers im gerichtlichen Verfahren - lediglich
die Höhe der MDE aufgrund der Schädigungsfolgen.
Der Versorgungsanspruch nach dem OEG setzt voraus, dass durch eine unmittelbare Gewalteinwirkung eine
gesundheitliche (Primär-) Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als (Spät-) Folgen
dieser Schädigung zu beurteilen sind (sog. Schädigungsfolgen). Der schädigende Vorgang, die (Primär-) Schädigung
und die Schädigungsfolgen müssen nachgewiesen sein. Erforderlich ist insoweit eine an Sicherheit grenzende, ernste
vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit. Demgegenüber genügt für den Nachweis des ursächlichen
Zusammenhangs zwischen (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen die einfache Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs. 1
OEG i.V.m. § 1 Abs. 1 und 3 des Bundesversorgungsgesetzes).
1.Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist nach der körperlichen und geistigen Beeinträchtigung im allgemeinen
Erwerbsleben zu beurteilen; dabei sind seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen. Für die
Beurteilung ist maßgebend, um wieviel die Befähigung zur üblichen, auf Erwerb gerichteten Arbeit und deren
Ausnutzung im wirtschaftlichen Leben durch die als Folgen einer Schädigung anerkannten Gesundheitsstörungen
beeinträchtigt sind. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen. Als vorübergehend gilt ein
Zeitraum bis zu sechs Monaten. Für erhebliche äußere Körperschäden können Mindestvomhundertsätze festgesetzt
werden (§30 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes). Insoweit maßgeblich sind die "Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" - Anhaltspunkte -.
Nach Maßgabe dieser Vorschriften kann beim Kläger keine MdE von mindestens 25 von 100 festgestellt werden, die
zu einer Rentenzahlung nach § 31 Abs. 1 des Bundes-versorgungsgesetzes führen würde. Die Kammer folgert dies
aus den schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen. Ausweislich des
Gutachtens des gerichtlichen Sachverständigen L3 hat der Kläger an einer postdraumatischen Belastungsepisode
gelitten, die jedoch inzwischen soweit abgeklungen ist, dass sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit hieraus nicht
mehr ergibt. Auf kardiologischem Fachgebiet besteht beim Kläger ein Zustand nach Stichverletzung mit Schädigung
des Herzmuskels bei annähernd normaler Herzmuskelfunktion. Die "Anhaltspunkte" sehen unter 26.9 für
Herzkrankheiten ohne wesentliche Leistungsbeeinträchtigung eine MDE von 0 bis 10 vor. Da der gerichtliche
Sachverständige H in seinem Gutachten nachgewiesen hat, dass eine Leistungsbeeinträchtigung erwähnenswerten
Ausmaßes nicht besteht, folgt die Kammer der Einschätzung des Sachverständigen.
Ob darüber hinaus die Lungenfunktionsstörung des Klägers eine MdE von 10 rechtfertigt, wie dies Herr H meint oder
ob die Lungenfunktionseinschränkung eine MdE von 20 bedingt, wie dies Herr G in seinem Gutachten nach § 109
SGG dargelegt hat, kann dahin stehen, denn nach Punkt 19 der Anhaltspunkte dürfen die einzelnen MdE-Grade nicht
addiert werden. MdE-Grade von 10 bedingen nach der vorgenannten Vorschrift keine Erhöhung der Gesamt-MdE, so
dass selbst bei vorliegen von Einzel-MdE von 20 und 10 keine höhere Gesamt-MdE als 20 vorliegen würde.
Anatomisch liegt die MDE des Klägers daher unter 25 v. H., so dass die vom Kläger begehrte Rentenzahlung nicht in
Betracht kommt.
2.Eine MdE in rentenberechtigendem Grade wird auch nicht unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen
Betroffenseins erreicht.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit ist höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen
in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem
Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Das ist besonders
der Fall, wenn er
a) infolge der Schädigung weder seinen bisher ausgeübten, begonnenen oder den nachweisbar angestrebten noch
einen sozial gleichwertigen Beruf ausüben kann,
b) zwar seinen vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf weiter ausübt oder den nachweisbar
angestrebten Beruf erreicht hat, in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen aber in einem wesentlich
höheren Grade als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert ist, oder
c)infolge der Schädigung nachweisbar am weiteren Aufstieg in seinem Beruf gehindert ist (§ 30 Abs. 2
Bundesversorgungsgesetz).
Die Voraussetzungen für eine Erhöhung der MdE nach § 30 Abs. 2 des Bundes-versorgungsgesetzes liegen in der
Person des Klägers nicht vor.
Nach § 29 des Bundesversorgungsgesetzes gilt folgendes:
Sind Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben erfolgversprechend und
zumutbar, so entsteht ein Anspruch auf höher Bewertung der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach § 30 Abs. 2 auf
Berufschadensausgleich sowie auf Ausgleichsrente frühstens in dem Monat, in dem diese Maßnahmen
abgeschlossen werden.
In Anwendung dieser Vorschrift kann vorliegend dahin stehen, ob der Kläger in seinem Nebenberuf als Modell oder in
seinem früher ausgeübten Hauptberuf besonders beruflich betroffen ist, denn eine solche besondere berufliche
Betroffenheit käme überhaupt nur MdE erhöhend in Betracht, wenn der Kläger die ihm angebotenen Leistungen des
Landschaftsverbandes Rheinlandes angenommen hätte. Dies hat der Kläger nicht getan. Die Kammer geht davon
aus, dass die angebotenen Reha- Leistungen durchaus geeignet gewesen wären, eine mögliche berufliche
Betroffenheit zu beseitigen. Die eher geringfügigen Schädigungsfolgen des Klägers hätten nämlich einer Umschulung
des Klägers in einen geeigneten Beruf nicht entgegengestanden. Schon aus diesem Grund findet § 30 Abs. 2 des
Bundesversorgungsgesetzes im Falle des Klägers deshalb keine Anwendung. Der Kläger mag darüber nachdenken,
ob er das Angebot des Landschaftsverbandes nicht doch noch nachträglich annimmt. Jedenfalls eröffnet ihm dieses
Angebot die Möglichkeit, sein künftiges Auskommen durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu sichern.
3.Prozesskostenhilfe ist bewilligt worden, weil angesichts eines komplexen Sachverhaltes die Prozessführung nicht
von Vorneherein völlig aussichtslos war und weil der Kläger als Empfänger von Leistungen nach dem SGB II bedürftig
ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG.