Urteil des SozG Düsseldorf vom 30.11.2010

SozG Düsseldorf (kläger, mutter, höhe, einkommen, arglistige täuschung, monat, abzweigung, betrag, verwaltungsakt, taschengeld)

Sozialgericht Düsseldorf, S 42 SO 51/09
Datum:
30.11.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
42. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 42 SO 51/09
Sachgebiet:
Sozialhilfe
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 24.09.2008 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 verurteilt, dem
Kläger weitere Leistungen in Höhe von 154,00 für den Monat Oktober
2008 zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des
Klägers.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Absenkung des Regelsatzes im Rahmen der Gewährung
von Leistungen nach dem 4. Kapitel Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII) für den
Monat Oktober 2008.
2
Der am 00.00.1980 geborene Kläger bezieht seit dem 01.01.2003 Leistungen nach dem
4. Kapitel SGB XII. Er lebt in einem eigenen Haushalt und arbeitet in einer Werkstatt für
behinderte Menschen. Er steht unter Betreuung durch seine Mutter.
3
Am 03.12.2007 teilte die Mutter des Klägers mit, dass sie seit langem
Kindergeldzahlungen für den Kläger erhalte und sie diese Kindergeldzahlungen nicht
an den Kläger übergebe. Mit Bescheid vom 19.12.2007 bewilligte die Beklagte dem
Kläger Leistungen für den Zeitraum August 2007 bis Juli 2008. Die Beklagte führte aus,
dass das an den Berechtigten ausgezahlte Kindergeld in Höhe von 154,00 Euro ab
sofort als Einkommen berücksichtigt werde und bewilligte dementsprechend geringere
Grundsicherungsleistungen. Dagegen erhob der Kläger am 07.01.2008 Widerspruch.
Mit Schreiben vom 17.01.2008 führte der Kläger ergänzend aus, dass es sich bei dem
Kindergeld grundsätzlich um Einkommen des Kindergeldberechtigten handele; in
diesem Fall sei das seine Mutter. Das Kindergeld diene dazu, zusätzliche Ausgaben zu
finanzieren. Im Hinblick auf die Freizeitgestaltung seien Eintritte für Konzerte,
Schwimmbad und Fußballstadion zu bezahlen; außerdem finanziere die Mutter des
Klägers die Neubeschaffung diverser Elektrogeräte (TV, Handy usw.). Des Weiteren
werde das Kindergeld für häusliche Tätigkeiten verwendet wie Wäsche Holen,
Waschen und Bügeln sowie für kleinere Reparaturen in der Wohnung und die
Erneuerung von Einrichtungsgegenständen. In einem Vermerk im Rahmen der
Abhilfeprüfung vom 06.02.2008 führte die Beklagte aus, dass das Kindergeld nicht für
4
den Lebensunterhalt des volljährigen erwachsenen Klägers verwendet werde. Es sei
also nicht als sein Einkommen zu betrachten. Im Hinblick auf das Kindergeld sei ein
Abzweigungsantrag zu stellen. Dann könne bei Abzweigung angerechnet werden. Mit
Bescheid vom 25.02.2008 half die Beklagte dem Widerspruch gegen den Bescheid vom
19.12.2007 faktisch ab und zahlte einen Betrag in Höhe des Kindergeldes für die
Monate Januar 2008 und Februar 2008 in Höhe von jeweils 154,00 Euro nach.
Mit Bescheid vom 19.02.2008 entsprach die Familienkasse Wuppertal dem Antrag des
Beklagten auf Abzweigung des Kindergeldes. Der Beklagten stehe ab März 2008 ein
Abzweigungsbetrag in Höhe von monatlich 154,00 Euro aus dem Kindergeldanspruch
der Mutter des Klägers zu. Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter des Klägers
Einspruch. Eine Unterhaltsverletzung sei nicht gegeben, da laufend Unterhalt in Form
von Naturalleistungen, regelmäßigem Waschen und Bügeln der Wäsche,
Neubeschaffung von Kleidungsstücken und diversen Elektrogeräten sowie
Einrichtungsgegenständen, Kostenübernahme für Handy und Karte sowie für
Freizeitaktivitäten einschließlich einer etwaigen Begleitperson sowie Taschengeld
regelmäßig erbracht werde. Mit Schreiben vom 29.08.2008 führte die Beklagte daraufhin
gegenüber der Familienkasse Wuppertal aus, dass ihr bekannt sei, dass die Mutter des
Klägers den Kläger in Form von Natural- und Geldleistungen unterstütze. Allerdings
handele es sich hierbei um "zusätzliche Leistungen", welche über den notwendigen
Lebensunterhalt im Sinne der Grundsicherung hinausgingen. Da insofern das
Kindergeld eben nicht im Rahmen seiner Zweckbestimmung an den Kläger
weitergeleitet werde, sei es auf die Grundsicherungsleistung auch nicht anzurechnen.
Da das Kindergeld von der Mutter des Klägers demnach nicht für den notwendigen
Lebensunterhalt des Klägers, sondern für dessen sonstige Bedürfnisse verwendet
werde, seien diese Leistungen nicht - zumindest aber nicht zum überwiegenden Teil -
als Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen. Das Kindergeld sei vielmehr zur
Befriedigung der Grundbedürfnisse zweckbestimmt. Es sei mit der gesetzlichen
Regelung unvereinbar, dass der Kläger ungeschmälerte Grundsicherungsleistungen
beziehe, das Kindergeld aber der Mutter des Klägers verbleibe und dem Zugriff des
Grundsicherungsträgers entzogen sei. Ebenso wenig sei hinnehmbar, dass der
Widerspruch gegen die Anrechnung des Kindergeldes auf die
Grundsicherungsleistungen mit über den Lebensunterhalt hinausgehenden
Aufwendungen begründet werde, andererseits diese aber jetzt als Lebensunterhalt
deklariert würden. Mit Bescheid vom 03.09.2008 hob die Familienkasse Wuppertal die
Entscheidung über die Abzweigung des Kindergeldes für den Kläger ab März 2008 auf.
Die Kindergeldberechtigte habe nach Aktenlage für den Kläger
Unterhaltsaufwendungen in Höhe von mindestens 154,00 Euro monatlich
(Taschengeld, Naturalleistungen, regelmäßiges Waschen und Bügeln der Wäsche,
Neubeschaffung von Kleidungsstücken und Elektrogeräten, Einrichtungsgegenstände,
Kostenübernahme für Handy bzw. Handykarte; Kostenübernahme für Freizeitaktivitäten
etc). Im Vermerk vom 08.09.2008 führte die Beklagte aus, dass aufgrund des
Bescheides der Familienkasse Wuppertal vom 03.09.2008 nunmehr feststehe, dass der
Kläger Zuwendungen von seiner Mutter zumindest in Höhe des Kindergeldes erhalte.
Damit sei nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zwar immer noch nicht
das Kindergeld auf die Grundsicherung des Klägers anrechenbar. Die
Unterhaltsleistungen als solche könnten jedoch wegen ihrer Zweckidentität auf die
Grundsicherungsleistungen angerechnet werden.
5
Mit Bescheid vom 24.09.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger nach Anhörung daher
für den Bewilligungszeitraum Mai 2008 bis März 2009 insgesamt Leistungen in Höhe
6
von 478,74 EUR monatlich - und nicht mehr wie noch mit den Bescheiden vom
23.04.2008, 26.05.2008, 24.06.2008. 23.07.2008 und 25.08.2008 für denselben
Bewilligungszeitraum Leistungen in Höhe von 623,74 Euro monatlich. Dabei senkte die
Beklagte ab Oktober 2008 den Regelsatz des Klägers von 351,00 Euro monatlich auf
197,00 Euro monatlich ab. Der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhaltes
werde nach Regelsätzen erbracht. Die Bedarfe würden abweichend festgelegt, wenn im
Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt sei. Der Kläger erhalte
von seiner Mutter Unterhaltsaufwendungen in Höhe von mindestens 154,00 Euro. Diese
Unterhaltsaufwendungen (u.a. Taschengeld, Naturalleistungen, Kleidungsgegenstände,
Elektrogeräte, Einrichtungsgegenstände, Kostenübernahme von Freizeitaktivitäten
sowie Hilfen bei hauswirtschaftlichen Verrichtungen) würden sich mit Leistungen, die
bereits mit den Regelsätzen abgegolten sind, decken. Der Regelbedarf sei somit in
Höhe der erbrachten Unterhaltsleistungen in Höhe von 154,00 Euro anderweitig
gedeckt. Aufgrund der Zweckidentität der erbrachten Zuwendungen und der gebilligten
Grundsicherungsleistungen werde gemäß § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII der Bedarf
abweichend auf 197,00 Euro ab Oktober 2008 festgelegt.
Dagegen erhob der Kläger am 23.10.2008 Widerspruch. Die Reduzierung des
Regelbedarfs ab Oktober 2008 sei unzulässig. Der Bedarf des Klägers liege aufgrund
seines Gesundheitszustandes erheblich über dem durchschnittlichen Bedarf. Eine
Zweckidentität erbrachter Zuwendungen durch die Mutter des Klägers und die
Grundsicherungsleistungen bestehe nicht. Die Mutter des Klägers erbringe vielmehr
zusätzliche notwendige Leistungen in Form eines zusätzlichen Zimmers, Versorgung
mit Lebensmitteln, Versorgung im Falle der Erkrankung, Anschaffung und
Instandsetzung von Hausrat und Kleidung, Waschen und Bügeln von Wäsche. Der
Kläger sei aufgrund seiner geistigen Behinderung nicht in der Lage, mit den ihm
überlassenen Gegenständen sorgsam umzugehen. Es komme daher immer wieder zu
Beschädigungen. Vorliegend betrage der notwendige Mehrbedarf dieses Einzelfalls
mehr als 154,00 Euro monatlich, so dass nicht jedenfalls eine Reduzierung des
Regelsatzes unterbleiben müsse.
7
Mit Bescheid vom 27.10.2008 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum Mai
2008 bis April 2009 erneute Leistungen nach dem 4. Kapitel SGB XII. Dabei ging sie
neben eines geringeren Betrags "Bereinigung von Heizkosten" weiterhin davon aus,
dass der Regelsatz für November 2008 197,00 EUR beträgt. Gegen den Bescheid vom
27.10.2008 erhob der Kläger am 27.11.2008 Widerspruch. Diesen Widerspruch wies der
Kreis Mettmann mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2009 zurück. Eine
Klageerhebung erfolgte insoweit nicht.
8
Mit Widerspruchsbescheid vom 29.04.2009 wies der Kreis Mettmann auch den
Widerspruch vom 23.10.2008 gegen den Bescheid vom 24.09.2008 zurück. Bei dem
Kläger sei ein Betrag in Höhe des Kindergeldes bedarfsmindernd zu berücksichtigen,
da die Mutter des Klägers gegenüber der Familienkasse Wuppertal angegeben habe,
dem Kläger in dieser Höhe Unterhalt zu leisten. Sie habe gegenüber der Familienkasse
Wuppertal dargelegt, dass eine Zweckidentität zwischen dem Kindergeld und der von
ihr erbrachten Unterhaltsleistungen bestehe. Die Leistungen, die die Mutter des Klägers
erbringe (wie Lebensmittel, Freizeitaktivitäten und die Beschaffung von
Einrichtungsgegenständen und Bekleidung) seien im Regelsatz enthalten. Der
behauptete Mehrbedarf gegenüber anderen Behinderten aufgrund der geistigen
Behinderung des Kläger sei nicht belegt und auch nicht nachvollziehbar. Sollte ein
derartiger Bedarf aus Sicht des Klägers tatsächlich bestehen, werde angeregt, dies
9
anhand von Unterlagen und ärztlichen Gutachten zu belegen und bei der Beklagten
eine abweichende Bemessung des Regelsatzes zu beantragen.
Der Kläger hat am 02.06.2009 Klage erhoben. Die Mutter des Klägers erbringe keine
Leistungen, die durch die Regelsätze abgegolten seien, vielmehr erbringe sie
zusätzliche notwendige Leistungen.
10
Der Kläger beantragt,
11
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.09.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 zu verurteilen, dem Kläger weitere
Leistungen in Höhe von 154,00 Euro für den Monat Oktober 2008 zu gewähren.
12
Die Beklagte beantragt,
13
die Klage abzuweisen.
14
Sie hält die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig.
15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen. Sie
waren Gegenstand der Entscheidung.
16
Entscheidungsgründe:
17
Die Klage ist zulässig und begründet.
18
Streitgegenstand ist allein die Absenkung des Regelsatzes um 154,00 Euro für den
Monat Oktober 2008. Mit hier angegriffenem Bescheid vom 24.09.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 nahm die Beklagte im laufenden
Bewilligungsabschnitt Mai 2008 bis April 2009 ab Oktober 2008 eine Absenkung der
Grundsicherungsleistung um den Betrag des Kindergeldes vor. Der nachfolgende
Bescheid vom 27.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2009,
der im laufenden Bewilligungsabschnitt die Leistungsgewährung ab November 2008
regelt, ist bestandskräftig; eine Klageerhebung gegen den Bescheid vom 27.10.2008 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2009 erfolgte nicht. Dementsprechend
hat der Kläger seinen Klageantrag allein auf den Monat Oktober 2008 beschränkt. Für
diesen Monat begehrt er die Nachzahlung von weiteren 154,00 Euro.
19
Der Bescheid der Beklagten vom 24.09.2008 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger in
seinen Rechten gemäß § 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat
(weiterhin) einen Anspruch auf Gewährung eines Regelsatzes für den Monat Oktober
2008 in Höhe von 351,00 Euro. Die Absenkung des Regelsatzes auf einen Betrag in
Höhe von 197,00 Euro ist rechtswidrig, so dass dem Kläger noch ein Betrag in Höhe
von 154,00 Euro für den Monat Oktober 2008 zu gewähren ist.
20
Der Bescheid vom 24.09.2008 - im laufenden Bewilligungsabschnitt Mai 2008 bis April
2009 - stellt einen Änderungsbescheid zu dem Ursprungsbescheid vom 23.04.2008 (mit
Änderungsbescheiden vom 26.05.2008, 24.06.2008, 23.07.2008 und 25.08.2008) dar.
Die Beklagte hatte mit Bescheid vom 23.04.2008 Grundsicherungsleistungen in Höhe
21
von 623,74 Euro monatlich bewilligt, ohne dabei den Regelsatz um die Höhe des
Kindergeldes abzusenken. Der Bescheid vom 24.09.2008 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 29.04.2009, der diese Absenkung im laufenden
Bewilligungsabschnitt erstmals vornimmt, stellt insoweit einen Änderungsbescheid dar.
Dieser Änderungsbescheid muss sich deshalb an den Voraussetzungen der §§ 45, 48
Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) messen lassen. Da die Zahlung des
Kindergeldes an die Mutter des Klägers jedenfalls seit Dezember 2007 erfolgte und der
Beklagten auch bekannt war, kommt eine Aufhebung des Verwaltungsaktes nach § 48
SGB X nicht in Betracht. Denn die dazu erforderliche Änderung in den tatsächlichen
oder rechtlichen Verhältnissen nach Erlass des Ursprungsbescheides vom 23.04.2008
liegt nicht vor. Vielmehr kommt als Ermächtigungsgrundlage nur § 45 SGB X in Betracht.
Soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil
begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, darf er
nach § 45 Abs. 1 S. 1 SGB X, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter
den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.
Der Bewilligungsbescheid vom 23.04.2008 (in Gestalt der Änderungsbescheide vom
6.05.2008, 24.06.2008. 23.07.2008 und 25.08.2008) war jedoch nach Ansicht des
Gerichts nicht von vornherein rechtswidrig. Der (letzte) Bewilligungsbescheid ohne
Absenkung um den Betrag des Kindergeldes wäre nur dann rechtswidrig, wenn die
Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 S. 2 SGB XII vorgelegen hätten. Nach § 28 Abs. 1 S.
2 SGB XII werden die Bedarfe abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf
ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist; für die Absenkung - und damit eine für die
Beklagte günstige Tatsache - trägt die Beklagte dabei die Beweislast. Ein Bedarf ist
dann anderweitig gedeckt, wenn der Leistungsberechtigte einzelne Leistungen von
Dritten erhält, z.B. Essen (Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 28 Rn. 17).
22
Nach den durchgängigen Angaben des Klägers bzw. seiner Mutter hat die Mutter des
Klägers als Kindergeldberechtigte das Kindergeld erhalten und für den Kläger
ausgegeben bzw. eingesetzt (z.B. Freizeitgestaltung, Elektrogeräte,
Einrichtungsgegenstände, Handy, eigenes Zimmer im Haus der Eltern, Taschengeld,
Naturalleistungen, regelmäßiges Waschen und Bügeln der Wäsche). Die von der
Beklagten pauschal behauptete Zweckidentität zwischen dem Einsatz des Kindergeldes
und der Grundsicherungsleistung liegt nach Ansicht des Gericht jedoch nicht vor. Dabei
ist zunächst zu beachten, dass Kindergeld grundsätzlich eine Leistung an die Eltern des
Kindes ist. Das ist auch dann der Fall, wenn es sich um ein behindertes erwachsenes
Kind handelt. Das heißt, das Kindergeld ist im vorliegenden Fall - wovon die Beklagte
auch mittlerweile zutreffend von ausgeht - kein Einkommen des Klägers. Denn zunächst
ist § 82 Abs. 1 S. 2 SGB XII im vorliegenden Fall nicht einschlägig. Danach ist bei
Minderjährigen das Kindergeld dem jeweiligen Kind als Einkommen zuzurechnen,
soweit es bei diesem zur Deckung des notwendigen Lebensunterhaltes benötigt wird.
Diese Norm gilt jedoch ausdrücklich nur für Minderjährige, nicht für Erwachsene (vgl.
Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010; § 82 Rn. 43). Vielmehr ist das an ein
Elternteil als Kindergeldberechtigten ausgezahlte Kindergeld nur dann als Einkommen
des volljährigen, außerhalb des Haushaltes lebenden Kindes zu berücksichtigen,
soweit es ihm zeitnah zugewendet wird und ohne die Weiterleitung die
Voraussetzungen für die eine Abzweigung des Kindergeldes gemäß § 74 EStG durch
Verwaltungsakt zugunsten des Kindes vorliegen würden (vgl. Urteil des BSG vom
26.08.2008 - B 8/9b SO 16/07 R, juris). Eine zeitnahe Zuwendung im Sinne einer
Weiterleitung liegt nach dem Bundessozialgericht (vgl. Urt. v. 08.02.2007 - B 9b SO 5/06
R, juris) nur dann vor, wenn das Kindergeld dem Kind tatsächlich als Geldbetrag
23
zufließt. Dies ist hier unstreitig nicht der Fall. Ohne die Weiterleitung liegen aber auch
die Voraussetzungen für eine Abzweigung nach § 74 EStG nicht vor. Die Familienkasse
Wuppertal hat die Entscheidung über die Abzweigung vielmehr (bestandskräftig)
aufgehoben. Die fehlende Weiterleitung bzw. unterbleibende Abzweigung stehen einer
bestimmungsgemäßen Verwendung des Kindergeldes auch nicht entgegen, weil das
Kindergeld typisierend auch dazu dient, Eltern wegen kindbedingter Mehrkosten der
allgemeinen Lebensführung zu entlasten (vgl. BSG Urt. v 26.08.2008 - B 8/9b SO 16/07
R, juris. Kann man das Kindergeld nicht als Einkommen des Klägers anrechnen,
können erst recht nicht - gleichsam durch die Hintertür - die Regelsätze pauschal
abweichend festgelegt werden. Vielmehr sind die Ausführungen im Schreiben der
Beklagten vom 29.08.2008 an die Familienkasse Wuppertal zutreffend. Darin führt die
Beklagte selbst aus, dass es sich bei den Natural- und Geldleistungen des Mutter des
Klägers um "zusätzliche Leistungen" handele, welche über den notwendigen
Lebensunterhalt im Sinne der Grundsicherung hinausgingen. Der
Grundsicherungsbedarf deckt sich nicht zwangsläufig mit dem nach
unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten ermittelten Bedarf. Dies erklärt auch, warum die
Mutter (Natural)Unterhalt leistet, sich also keiner Unterhaltsverletzung schuldig gemacht
hat und deshalb auch keine Abzweigung in Betracht kommt, aber andererseits keine
anderweitige Deckung des Grundsicherungsbedarfs, sondern eines darüber
hinausgehenden Bedarfs vorliegt. Den Grundsicherungsbedarf des Klägers
übersteigende Naturalleistungen seiner Mutter haben grundsätzlich keinen Einfluss auf
Bestand und Höhe der Grundsicherungsleistung; sie sind mangels Zweckidentität nicht
als Einkommen im sozialhilferechtlichen Sinne anzusehen (BSG Urt. v 08.02.2007 - B
9b SO 5/06 R, juris). Sie können nach Ansicht der Kammer auch nicht pauschal
bedarfsmindernd berücksichtigt werden, weil das wirtschaftliche Ergebnis dann
dasselbe wäre. Im hier vorliegenden Fall liegt auch keine Zweckidentität der Leistungen
vor. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass für erwachsene Kinder mit
Behinderung Kindergeld länger bezogen werden kann als für nicht behinderte Kinder
(vgl. § 63 Abs. 1 S. 2 EStG in Verbindung mit § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG). Das Gesetz
nimmt damit Rücksicht auf die besondere Bedarfslage, die gerade durch die
behinderungsbedingten Beeinträchtigungen des Kindes entstehen. Schon insoweit ist
davon auszugehen, dass diese ausnahmsweise Gewährung von Kindergeld nicht
dieselben Bedarf abdeckt wie sie die bloße Grundsicherung sicherstellt (vgl. Urt. LSG
Nordrhein-Westfalen v. 19.03.2007 - L 20 SO 94/06, juris). Dies entspricht auch den
tatsächlichen Ausführungen der Mutter des Klägers, die das Geld ausgibt für
Freizeitaktivitäten mit Begleitpersonen, weil der Kläger z.B. nicht allein ein
Fußballstadion besuchen kann, indem sie ihn bei Krankheit im eigenen Zimmer im
Haus der Eltern verpflegt oder aufgrund seiner Erkrankung häufig zerstörte
Gegenstände und Kleidungsstücke ersetzt. Dies sind Bedarfe, die eben nicht von der
Grundsicherungsleistung erfasst sind, und allein aus dem Kindergeld für das behinderte
Kind finanziert werden können und sollen. Die Kammer hat keine Zweifel an den
Angaben des Klägers und seiner Mutter, da die Angaben zur Verwendung des
Kindergeldes für den Kläger durchgehend im Wesentlichen gleich sind.
Selbst bei unterstellter Rechtswidrigkeit des ursprünglichen Bewilligungsbescheides
vom 23.04.2008 (in Gestalt der Änderungsbescheide vom 6.05.2008, 24.06.2008.
23.07.2008 und 25.08.2008), würden zudem jedenfalls die weiteren Voraussetzungen
für die Rücknahme nach § 45 Abs. 2 SGB X nicht vorliegen. Nach § 45 Abs. 2 S. 1 SGB
X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen
werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und
sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme
24
schutzwürdig ist. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nach S. 3 nicht berufen,
soweit er 1. den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung
erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich
oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat
oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober
Fahrlässigkeit nicht kannte. Die Voraussetzungen der Ziff. 1 und 2 liegen ersichtlich
nicht vor, insbesondere hat der Kläger keine falschen Angaben gemacht. Selbst wenn
man entgegen der Ansicht der Kammer die Rechtswidrigkeit des ursprünglichen
Bewilligungsbescheides unterstellt, ist nicht davon auszugehen, dass der Kläger diese
auch kannte oder hätte erkennen müssen. Vielmehr durfte der Kläger insoweit auf den
ursprünglichen Bewilligungsbescheid vertrauen. Denn auch wenn auf die Mutter des
Klägers als dessen Betreuerin abgestellt wird, hatte diese hier keine Anhaltspunkte
dafür, dass die von der Beklagten ausgesprochene Bewilligung rechtswidrig sein
könnte. Aus ihrer Sicht hatte sie sich bereits einmal erfolgreich gegen die - im weitesten
Sinne - "Anrechnung" des Kindergeldes gewehrt; von den Überlegungen der Beklagten
in ihren Vermerken hinsichtlich der rechtlichen Möglichkeiten zur Berücksichtigung des
Kindergeldes hatte sie keine Kenntnis. Vor diesem Hintergrund greifen zu Gunsten des
Klägers jedenfalls die Vertrauensschutzregelungen des § 45 Abs. 2 SGB X ein. Des
Weiteren hat die Beklagte - die offenbar nicht davon ausging, dass es sich bei dem hier
angegriffenen Bescheid um einen Änderungsbescheid handelt - auch das ihr nach § 45
Abs. 1 S. 1 SGB X zustehende Rücknahmeermessen nicht ausgeübt, so dass der
Änderungsbescheid auch aus diesem Grunde rechtswidrig ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
25