Urteil des SozG Düsseldorf vom 27.04.2007

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Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 32/07 ER
Datum:
27.04.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
S 2 KA 32/07 ER
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
rechtskräftig
Tenor:
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird
zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin wendet sich gegen die Führung des von ihr vertriebenen
Fertigarzneimittels Almogran® in einer im Internet zugänglichen sog. "Me-Too"-Liste.
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Der Begriff Me-Too-Präparat (Synonyme: Analogpräparat bzw. Scheininnovation) wird
seit ca. 1982 zur Bewertung von Arzneimitteln verwandt, die zwar einen neuen Wirkstoff
enthalten, dieser jedoch dem Wirkstoff bereits zugelassener Medikamente sehr ähnlich
ist. Zur Bewertung des Innovationsgrades von Arzneimitteln ist das folgende, seit 1982
unveränderte Klassifikationsschema entwickelt worden:
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A. Neuartige Wirkstoffe oder neuartige Wirkprinzipien mit therapeutischer Relevanz; B.
Verbesserung pharmakodynamischer oder pharmakokinetischer Qualitäten bereits
bekannter Wirkprinzipien; C. Analogpräparate mit keinen oder nur marginalen
Unterschieden zu bereits eingeführten Präparaten; D.Eingeschränkter therapeutischer
Wert bzw. nicht ausreichend gesicherte Therapieprinzipien.
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Am 11.10.2006 schlossen die Antragsgegner/-innen eine "Vereinbarung über das
Arznei- und Verbandmittelausgabenvolumen für das Kalenderjahr 2007" (Rheinisches
Ärzteblatt 1/2007, 73 ff.), nach welcher das Ausgabenvolumen auf den Betrag von 2,878
Mrd. EUR festgelegt wurde (§ 2). Eine Zielvereinbarung sieht die Erreichung oder
Überschreitung des durch den jeweiligen Vertragsarzt verursachten
arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils des Brutto-Generikaumsatzes am
generikafähigen Markt und die Einhaltung oder Unterschreitung des durch den
jeweiligen Vertragsarzt verursachten arztgruppenbezogenen Versorgungsanteils der
Me-Too-Präparate ohne relevanten höheren therapeutischen Nutzen, aber mit höheren
Kosten, am Gesamtmarkt vor (§ 4). Neben Bonuszahlungen bei Unterschreitung des
vereinbarten Ausgabenvolumens (§ 7) regelt die Vereinbarung Maßnahmen bei
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Nichteinhaltung des Richtgrößenvolumens und/oder der Zielvereinbarung (§ 8). Danach
tritt eine individuelle Verantwortlichkeit des einzelnen Vertragsarztes für eine
Überschreitung des Ausgabenvolumens bzw. für eine Verringerung der Sonderzahlung
ein, wenn der einzelne Vertragsarzt sein für das Kalenderjahr 2007 maßgebliches
Richtgrößenvolumen überschritten hat und der einzelne Vertragsarzt mindestens einen
der nach § 4 vereinbarten Zielwerte nicht erreicht hat. Eine Saldierung zwischen den
einzelnen Zielwerten findet nicht statt. In diesem Falle erhalten die nordrheinischen
Krankenkassen/-verbände von den einzelnen Vertragsärzten jeweils einen
Zielerreichungsbeitrag in Höhe von bis zu 4 % des für das Kalenderjahr 2007 für den
jeweiligen Vertragsarzt anerkannten GKV-Gesamthonorars.
Eine Liste patentgeschützter Analogpräparate ("Me-Too-Liste") veröffentlicht die
Antragsgegnerin auf ihrer Internet-Website (www.kvno.de/importiert/me too.pdf; aktueller
Stand: 05.04.2007). Dort ist auch das Präparat Almogran® (Wirkstoff Almotriptan)
benannt.
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Am 09.01.2007 hat die Antragstellerin bei dem Sozialgericht N den Erlass einer
einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss vom 30.01.2007 - S 00 KA 00/00 ER
- hat sich dieses Gericht für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das
Sozialgericht Düsseldorf verwiesen.
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Die Antragstellerin trägt vor, der in ihrem Arzneimittel Almogran® enthaltene Wirkstoff
Almotriptan sei in Wirksamkeit und Verträglichkeit der Behandlung mit der Leitsubstanz
Sumatriptan überlegen. Zudem sieht sie sich in ihren Grundrechten verletzt. Der
Umstand, dass Vergleichspräparate wie Ascotop® (Wirkstoff: Zolmitriptan) und
Naramig® (Wirkstoff: Naratriptan) nicht auf der Me-Too-Liste genannt würden, obwohl
sie bei geringerem bzw. gleichen Nutzen höhere Kosten als Almogran® verursachten,
verletze sie in Art. 12 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG. Die Me-Too-Liste diene
aufgrund der darin enthaltenen falschen und unvollständigen Informationen nicht der
Markttransparenz. Auch hätten die Antragsgegner keine ausreichende Kompetenz, eine
verbindliche Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln vorzunehmen; diese Befugnis
stehe nur dem IQWiG zu. Selbst wenn diese Kompetenz unterstellt würde, stelle das
Präparat Almogran® kein Analogpräparat im Sinne der Me-Too-Liste 2007 dar. Durch
die Veröffentlichung der Liste und die mögliche Rechtsfolge, dass Ärzte bei einer
Überschreitung des Verordnungsanteils dieser Präparate 4 % ihres gesamten GKV-
Honorars zurückzahlen müssten, bestehe die Gefahr, dass Almogran® künftig weniger
verordnet werde. Diese Gefahr habe sich bereits zum Teil verwirklicht, so dass die
Antragstellerin erhebliche Umsatzeinbußen erlitten habe.
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Die Antragstellerin beantragt den Erlass folgender einstweiliger Anordnungen:
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I. Die Antragsgegnerin zu 1) wird verpflichtet, das von der Antragstellerin vertriebene
Präparat Almogran® von der auf der Internetseite der Antragsgegnerin zu 1)
veröffentlichten Me-too-Präparateliste 2007 unverzüglich zu entfernen.
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II. Des Weiteren wird die Antragsgegnerin zu 1) verpflichtet, die Änderung der Me-too-
Präparateliste 2007 unverzüglich durch Veröf fentlichung eines entsprechenden
Hinweises auf ihrer Internetseite sowie spätestens bis zum 15.01.2007 in einem
Rundschreiben an sämtliche niedergelassenen Ärzte im KV-Bezirk der Antragsgegnerin
zu 1) bekannt zu machen.
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III.
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Den Antragsgegnern zu 1) - 8) wird es untersagt, zukünftig eine Me-too-Liste zu
veröffentlichen, die das Präparat Almogran® enthält oder sonstige Hinweise zu
veröffentlichen oder abzugeben, die eine Klassifizierung oder Bezeichnung dieses
Präparates als Me-too-Präparat oder Analog-Präparat im Sinne der
Arzneimittelvereinbarung enthält.
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IV. Die Antragsgegnerin zu 1) wird verpflichtet, das von der Antragstellerin vertriebene
Präparat Almogran® aus der von ihr veröffentlichten Marktübersicht "Pharmakologisch-
therapeutisch vergleichbare Arzneimittel von Analogpräparaten" unverzüglich zu
entfernen.
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V. Die Antragsgegnerin zu 1) wird ferner verpflichtet, die Änderung der Marktübersicht
"Pharmakologisch-therapeutisch vergleichbare Arzneimittel von Analogpräparaten"
durch Veröffentlichung eines entsprechenden Hinweises auf ihrer Internetseite sowie
unverzüglich in einem Rundschreiben an sämtliche niedergelassenen Ärzte im KV-
Bezirk der Antragsgegnerin zu 1) bekannt zu machen.
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VI. Die Antragsgegner zu 1) - 8) tragen die Kosten des Verfahrens. Die Hinzuziehung
eines auf das Sozial- und Arztrecht spezialisierten Rechtsanwalts war wegen der
schwierigen Sach- und Rechtslage notwendig.
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Die Antragsgegnerin zu 1) beantragt,
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den Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung vom 09.01.2007 zurückzuweisen.
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Sie sieht weder Anordnungsgrund noch -anspruch und nimmt Bezug auf eine
Stellungnahme von T, Pharmakologisches Institut der S-L-Universität I, vom 26.03.2007.
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Die Antragsgegner zu 2) bis 8) stellen keine Prozessanträge.
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Sie rügen zum Teil ihre Passivlegitimation und fehlende Darlegungen zum
Anordnungsgrund.
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II.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war zurückzuweisen.
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Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der
Hauptsache eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch
eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des
Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Durch das am
02.01.2002 in Kraft getretene 6. SGG-ÄndG (BGBI. l S. 2144 ff.) ist der einstweilige
Rechtsschutz im SGG in Anlehnung an §§ 80 ff. der Verwaltungsgerichtsordnung
(VwGO) geregelt worden. Dies rechtfertigt es, die zu §§ 80, 80 a, 123 VwGO
entwickelten Grundsätze auf das sozialgerichtliche Verfahren zu übertragen (LSG NRW,
Beschlüsse vom 18.09.2002 - L 10 B 9/02 KA ER - und vom 23.08.2002 - L 10 B 12/02
KA ER -). Danach sind die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs
(Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung
(Anordnungsgrund) glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2
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der Zivilprozessordnung (ZPO)). Droht dem Antragsteller bei Versagung des
einstweiligen Rechtsschutzes eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende
Verletzung in seinen Rechten, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht
mehr beseitigt werden kann, so ist - erforderlichenfalls unter eingehender tatsächlicher
und rechtlicher Prüfung des im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Anspruchs -
einstweiliger Rechtsschutz zu gewähren (vgl. BVerfG vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 -;
LSG NRW, Beschluss vom 04.09.2006 - L 10 B 2/06 KA ER -), es sei denn, dass
ausnahmsweise überwiegende, besonders gewichtige Gründe entgegenstehen
(BVerfGE 93, 1 ff). Andererseits müssen die Gerichte unter Umständen wegen der Kürze
der zur Verfügung stehenden Zeit Rechtsfragen nicht vertiefend behandeln und ihre
Entscheidung maßgeblich auf der Grundlage einer Interessenabwägung treffen können
(BVerfG NJW 1997, 479, 480; NVwZ RR 2001, 694 bis 695; LSG NRW, Beschluss vom
15.11.2006 - L 10 B 14/06 KA ER -).
Nach diesen Maßgaben besteht keine Veranlassung zum Erlass einer einstweiligen
Anordnung.
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Die Antragstellerin befürchtet zwar Umsatzrückgänge für ihr Arzneimittel Almogran®, die
zum Teil bereits eingetreten seien. Substantiierte Angaben hierzu hat sie jedoch nicht
gemacht. Der behauptete Umsatzrückgang wäre jedoch notwendigerweise in eine
Relation zum Gesamtumsatz zu bringen gewesen, um das Vorliegen einer möglichen
Beeinträchtigung, die ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht abzuwenden
wäre, bewerten zu können. Somit sind schwere und unzumutbare Nachteile nicht
erkennbar, sondern ist ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache, in der allen
Rechtsfragen und tatsächlichen Gegebenheiten umfassend nachgegangen werden
kann, zumutbar. Ggf. eintretende finanzielle Nachteile der Antragstellerin könnten im
Übrigen durch Sekundäransprüche (Amtshaftungsansprüche) kompensiert werden.
Mögliche Beweisschwierigkeiten in der Durchsetzung von Sekundäransprüchen ändern
hieran nichts (LSG NRW, Beschluss vom 12.02.2007 - L 10 B 35/06 KA ER -).
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Hinzu kommt, dass es ein besonderes Anliegen des Gesetzgebers ist, die
Arzneimittelausgaben zu steuern. Im Jahre 2005 sind die Arzneimittelausgaben -
bereinigt um die Rückführung des Herstellerrabatts - um rund 2,5 Mrd. EUR gestiegen
(s. die Begründung zum Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der
Arzneimittelversorgung, BT-Drucks. 16/194, 6). In dieser Steigerung der
Arzneimittelausgaben sieht der Gesetzgeber einen Verstoß sowohl gegen das
Wirtschaftlichkeitsprinzip in der gesetzlichen Krankenversicherung als auch gegen den
Grundsatz der Beitragssatzstabilität (a.a.O.). Wie § 84 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V zeigt,
erwartet der Gesetzgeber auch ein sofortiges Reagieren der Kassenärztlichen
Vereinigungen auf sich abzeichnende Überschreitungen des vereinbarten
Ausgabenvolumens. Hiermit wäre nicht zu vereinbaren, wenn Steuerungsinstrumenten
auch schon vorläufig ihre Wirkung genommen wird. Im Gesetz zur Verbesserung der
Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung vom 26.04.2006 (BGBl. I, 984) hat der
Gesetzgeber nunmehr in § 84 Abs. 7 a SGB V den Spitzenverbänden der
Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung aufgegeben,
Durchschnittskosten je definierter Dosiereinheit auf Bundesebene zu vereinbaren, die
Bestandteil der Vereinbarung nach § 84 Abs. 1 SGB V sind, wenn die nicht die
regionalen Vertragspartner eine abweichende adäquate Regelung zur Verbesserung
der Wirtschaftlichkeit Arznei mittelversorgung treffen (§ 84 Abs. 4 a SGB V i.d.F. des
Gesetzes vom 26.04.2006). Der Gesetzgeber geht bei dieser Regelung von erheblichen
Wirtschaftlichkeitsreserven insbesondere bei der therapiegerechten Auswahl von
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Wirkstoffen und Wirkstoffklassen aus. Dies zeigt die Bedeutung der Einhaltung der in
der Arzneimittelvereinbarung getroffenen Wirtschaftlichkeitsziele. Die Erhaltung der
finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein Gemeinwohlbelang
von hohem Rang (BVerfGE 68, 193, 218; 82, 201, 230). Von daher wiegt das Interesse
der Antragsgegner an der Umsetzung der Arzneimittelvereinbarung und dem Erreichen
der Wirtschaftlichkeitsziele schwer (LSG NRW, Beschlüsse vom 27.06.2006 - L 11 B
30/06 und 31/06 KA ER -).
Zwar könnten diese Erwägung leerlaufen, wenn - wie von der Antragstellerin behauptet
- Almogran® mit dem Wirkstoff Almotriptan in Wirksamkeit und Verträglichkeit der
Behandlung akuter Kopfschmerzen bei Migräne mit der Leitsubstanz Sumatriptan
überlegen sei. Dem ist die Antragsgegnerin zu 1) unter Bezugnahme auf die
ausführliche Stellungnahme von T vom 26.03.2007 entgegengetreten. Im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes lässt sich nicht klären, welche der entgegengesetzten
Auffassungen zutrifft. Hierzu bedarf es nötigenfalls umfangreicher Sachaufklärung ggf.
unter Einbeziehung externen Sachverstandes. Dies muss nach Lage der Dinge dem
Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Dort wird ggf. auch zu bewerten sein, ob und
ggf. welche rechtlichen Auswirkungen sich daraus ergeben könnten, dass Präparate wie
Ascotop® (Wirkstoff: Zolmitriptan) und Naramig® (Wirkstoff: Naratriptan) nicht auf der
Me-Too-Liste genannt werden.
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Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 183 SGG in
Verbindung mit Art. 17 Abs. 1 Satz 2 des 6. SGG-ÄndG sowie § 197a Abs. 1 SGG in
Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO.
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