Urteil des SozG Düsseldorf vom 24.07.2007

SozG Düsseldorf: schwerhörigkeit, berufliche tätigkeit, tinnitus, frequenz, berufskrankheit, lärm, dozent, hilfskraft, prävention, verordnung

Sozialgericht Düsseldorf, S 16 U 142/06
Datum:
24.07.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 16 U 142/06
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 4 U 55/07
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Umstritten ist zwischen den Beteiligten, ob beim Kläger eine berufsbedingte
Lärmschwerhörigkeit in entschädigungspflichtigem Ausmaß vorliegt.
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Nach den Feststellungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Bergbau-
Berufsgenossenschaft war der 1951 geborene Kläger in der Zeit von Juli 1973 bis März
1978 als Neubergmann, Hauer in der Gewinnung und als Hauer in der Aus- und
Vorrrichtung über die Dauer von insgesamt 4 Jahren und 9 Monaten bei einer
Lärmbelastung zwischen 85 dB(A) und 101 dB(A) gehörgefährdend tätig. Nach seiner
Abkehr arbeitete der Kläger in der N1 Zeugdruckerei und Färberei, N2, bis 1981 als
Hilfskraft an einer Kondensiermaschine, danach - bis 31.12.1982 - als Hilfskraft an
Spannrahmen und war dabei - so die Abteilung für Prävention der Beklagten -
gehörgefährdenden Beurteilungspegeln von 85 dB(A) und mehr ausgesetzt.
Anschließend war er bis zum 26.02.2002 in derselben Firma als Maschinenführer an
Spannrahmen tätig. Messungen des Technischen Aufsichtsdienstes der Beklagten an
zwei Spannrahmen im Juli 1989 hatten Lärmpegel zwischen 67 und 75 dB(A) ergeben.
Nach dem 26.02.2002 ist der Kläger nicht mehr erwerbstätig gewesen.
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Im September 2004 beantragte der Kläger Verletztenrente wegen einer
Lärmschwerhörigkeit. Dazu bezog er sich auf ein Attest des ihn behandelnden HNO-
Arztes M, (vom 11.05.2004), in dem von einer hochgradigen sensorineurale
Schwerhörigkeit rechts und eine mittel- bis hochgradigen sensorineurale
Schwerhörigkeit links die Rede ist. Weiter heißt es, diese Schwerhörigkeit sei durch
eine Lärmschwerhörigkeit, die berufsbedingt sei, erfolgt. Die Beklagte zog von M ein
Audiogramm vom 13.06.2002 bei und holte ein Zusammenhangsgutachten von H, HNO-
Klinik des Universitätsklinikums E, ein. Unter dem 24.10.2005 äußerte H, die beim
Kläger vorliegende, knapp geringgradige Schwerhörigkeit sowie der beiderseitig
festgestellte Tinnitus sei wahrscheinlich schicksalhaft entstanden: Der Kläger habe den
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Hörverlust erstmals 1995 bemerkt, obwohl die Lärmexposition seit 1983 nicht mehr
bestanden habe. Er müsse 1983 besser gehört haben als 1995. Dementsprechend habe
sich das Hörvermögen zwischen 1982 und 1995 verschlechtert. Eine
Lärmschwerhörigkeit könne aus pathophysiologischen Gründen nach dem Ende der
Lärmexposition jedoch nicht mehr fortschreiten. Auch der Tinnitus müsse als
berufsunabhängig angesehen werden: Bei einer Lärmschwerhörigkeit entspreche die
Frequenz des Tinnitus in etwa der Frequenz des größten Hörverlustes im
Tonaudiogramm. Dies sei beim Kläger nicht der Fall. Im Übrigen spreche auch das
negative Rekruitment gegen das Vorliegens eines Lärmschadens. Wegen des
Verdachts auf Aggravation (wechselnde Angaben des Klägers im Tonaudiogramm bei
problemloser sprachlicher Verständigung trotz aufgesetzter Kopfhörer und fehlender
Batterien im Hörgerät) habe eine objektive Feststellung des Hörvermögens durchgeführt
werden müssen. Nachdem Privat-Dozent K, Landesanstalt für Arbeitsschutz des Landes
NRW, dieser Beurteilung zugestimmt hatte, lehnte die Beklagte die Feststellung und
Entschädigung einer Berufskrankheit nach Nr. 2301 der Anlage zur BKV ab (Bescheid
vom 10.01.2006). Seinem Widerspruch fügte der Kläger ein Attest von M (vom
31.03.2006) bei, indem es u. a. heißt, es könne bestätigt werden, dass beim Kläger
aufgrund der objektivierten audiometrischen Angaben in Form einer
Hirnstammaudiometrie zur Hörschwellenbestimmung eine geringgradige beiderseitige
Schwerhörigkeit bestehe. Darüber hinaus liege ein Tinnitus beiderseits vor. Aufgrund
der Anamnese sei an eine berufsbedingte Schwerhörigkeit zu denken, insbesondere, da
der Kläger in einem Lärmbetrieb als Bergmann und in der Textilbranche gearbeitet
habe. Die Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies den Widerspruch zurück
(Widerspruchsbescheid vom 07.06.2006). Mit seiner am 07.07.2006 bei Gericht
eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er vermisst eine
Auseinandersetzung mit der Auffassung von M.
Schriftsätzlich begehrt der Kläger unter Aufhebung des Bescheides vom 10.01.2006 in
der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2006 die Beklagte zu verurteilen,
ihm Unfallrente wegen Lärmschwerhörigkeit mit einer MdE von mindestens 20 vom
Hundert zu bewilligen.
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Die Beklagte begehrt schriftsätzlich die Klageabweisung.
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Das Gericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, den Rechtsstreit durch
Gerichtsbescheid entscheiden zu wollen.
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Wegen des Sachverhalts im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die Akten der
Beklagten und die Vorprozessakten S 24 KN 105/04 Sozialgericht Düsseldorf Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 10.01.2006 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 07.06.2006 ist rechtmäßig. Eine Berufskrankheit
"Lärmschwerhörigkeit" nach Nr. 2301 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung
liegt nicht vor. Der Kläger kann daher auch keine Rente beanspruchen. Mit H, Privat-
Dozent K und M (Attest vom 31.03.2006) geht die Kammer dabei davon aus, dass beim
Kläger eine knapp geringgradige bzw. geringgradige Schwerhörigkeit beiderseits
besteht. Es lässt sich jedoch nicht wahrscheinlich machen, dass diese Hörminderung
berufsbedingt entstanden ist. Nach dem Merkblatt zur Berufskrankheit nach Nr. 2301 der
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Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung besteht erst bei Beurteilungspegeln von 85
dB(A) und mehr die Gefahr einer lärmbedingten Gehörschädigung. Darüber hinaus ist
anerkannt, dass nach beendeter Lärmexposition nicht mehr mit einem Fortschreiten der
Lärmschwerhörigkeit zu rechnen ist. Nach den Feststellungen der Abteilung für
Prävention der Beklagten ist der Kläger lediglich bis 1982 Beurteilungspegeln von
mindestens 85 dB(A) ausgesetzt gewesen. Danach hat er bis zu seinem Ausscheiden
aus dem Erwerbsleben im Jahre 2002 lediglich Pegeln zwischen 67 und 75 dB(A)
gearbeitet. Bei der Untersuchung durch H hat der Kläger angegeben, etwa 1995 sei ihm
erstmals eine beidseitige, in ihrem Ausmaß wechselnde Schwerhörigkeit aufgefallen.
Mit H und Privat-Dozent K ist deshalb davon auszugehen, dass sich das Hörvermögen
des Klägers nach 1983 verschlechtert hat, obwohl der Kläger in dieser Zeit
gehörgefärdendem Lärm nicht mehr ausgesetzt gewesen ist. Für diese
Verschlechterung des Hörvermögens kann daher nur eine von berufsbedingtem Lärm
unabhängige Komponente verantwortlich sein, da - wie bereits dargestellt - eine
Lärmschwerhörigkeit nach dem Ende der Lärmexposition nicht mehr fortschreitet. Im
Hinblick darauf, dass H 2005 eine knapp geringgradige beiderseitige Schwerhörigkeit,
d. h. eine Schwerhörigkeit an der Grenze zur Normalhörigkeit festgestellt hat, lässt sich
nicht wahrscheinlich machen, dass der Kläger bereits 1983 im messbaren Umfang
gehörgemindert gewesen ist. Dies gilt umso mehr als eine Schädigung im mittleren,
insbesondere im tiefen Frequenzbereich überdurchschnittlich hohen Lärm, der über
Jahre angedauert hat, voraussetzt. Auch dies ist beim Kläger nicht der Fall gewesen.
Darauf hat der Gutachter H hingewiesen. Ferner lässt sich auch der beim Kläger
festgestellte Tinnitus nicht als Berufskrankheitsfolge einstufen, da bei einer
Lärmschwerhörigkeit die Frequenz des Tinnitus in etwa dem der Frequenz des größten
Hörverlustes im Tonaudiogramm entspricht. Auch dies trifft beim Kläger nicht zu. Mit M
ist deshalb zwar davon auszugehen, dass beim Kläger an eine berufsbedingte
Schwerhörigkeit zu denken ist, mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit lässt sich diese
jedoch nicht beweisen. Soweit der Kläger weiterhin meint, seine Hörminderung sei auf
seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptung
trotz umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen
lassen. Die Last des nicht erbrachten Beweises von anspruchsbegründenden
Tatsachen hat aber auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der
aus der behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist
hier der Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
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