Urteil des SozG Düsseldorf vom 10.02.2010

SozG Düsseldorf (versorgung, zweigpraxis, ermächtigung, standort, ort, genehmigung, antrag, verbesserung, praxis, erweiterung)

Sozialgericht Düsseldorf, S 2 KA 2/09
Datum:
10.02.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 2 KA 2/09
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 KA 32/10
Sachgebiet:
Vertragsarztangelegenheiten
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand:
1
Streitig ist die Genehmigung einer Zweigpraxis.
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Die Klägerin ist als Ärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe mit Schwerpunkt
"Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin" in H niedergelassen und
zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie ist Mitglied einer
Berufsausübungsgemeinschaft, die sich auf diesen Schwerpunkt spezialisiert hat
(www.kinderwunsch-nrw.de).
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Unter dem 08.06.2007 beantragte die Berufsausübungsgemeinschaft bei der Beklagten
die Genehmigung einer Nebenbetriebsstätte im Stadtzentrum von Düsseldorf. Die
Nebenbetriebsstätte werde ausschließlich zur Erbringung reproduktionsmedizinischer
Leistungen (Diagnostik bei Sterilität, Vorbereitung ovarieller Stimulationen,
Inseminationen, extrakorporaler Befruchtungen) eingerichtet und verbessere die
wohnortnahe Versorgung der entsprechenden Patienten, die teilweise bereits jetzt
schon ihre Praxis aufsuchten. Ergänzend teilte die Berufsausübungsgemeinschaft unter
dem 24.09.2007 mit, in der Nebenbetriebsstätte sollten ausschließlich Beratungen von
Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch, deren gynäkologische und sonographische
Untersuchungen sowie die entsprechende endokrinologische Diagnostik durchgeführt
werden. Operative Leistungen seien nicht geplant.
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Die Kreisstelle O der Beklagten schätzte diesen Antrag dahin ein, dass es sich hier um
eine Rekrutierungsstelle von neuen Patienten handele. Die wohnortnahe Versorgung
werde keineswegs verbessert, da die Patienten weiterhin nach H anreisen müssten.
Demgegenüber empfahl der Vorstand der Kreisstelle Düsseldorf, den Antrag zu
befürworten, weil entsprechend des Schirmerpapiers die Voraussetzung für eine
Verbesserung der Versorgung erfüllt wäre.
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Mit Bescheid vom 02.04.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
16.12.2008 lehnte die Beklagte den Antrag ab: Bei einem Versorgungsgrad von 131,7 %
im Bereich der Gynäkologen im Planungsbereich Düsseldorf, der für die weitere
Zulassung von Gynäkologen gesperrt sei, sei die Versorgungssituation ausreichend.
Die in Düsseldorf zugelassenen Gynäkologen, die reproduktionsmedizinische
Leistungen anböten, hätten freie Kapazitäten für die im Rahmen der Zweigpraxis zur
Erbringung beantragten Leistungen. Für die Leistungen der künstlichen Befruchtung
könne nicht auf traditionelle Planungsbereiche abgestellt werden, da erfahrungsgemäß
interessierte Paare nach individueller Beratung und Information den Spezialisten ihrer
Wahl aufsuchten, ohne der Entfernung nennenswert Rechnung zu tragen. Da in
Düsseldorf die Patientenzahlen sogar zurückgingen, könne der Aspekt der
freiwerdenden Kapazitäten nicht außer Betracht gelassen werden. Von einer
eingehenden Prüfung der Versorgungssituation könne daher abgesehen werden.
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Hiergegen richtet sich die am 08.01.2009 erhobene Klage.
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Die Klägerin trägt vor, nachweislich seien etwa 25 % der Patientinnen ihrer Praxis in
Düsseldorf wohnhaft; weitere Patientinnen wohnten in Stadtgebieten im Norden
Düsseldorfs wie Duisburg, Mülheim und Essen. Allein für diese Patientinnen würde
durch die Zweigpraxis eine Verbesserung der Versorgung durch eine wohnortnahe
Versorgung eintreten. Die Beklagte habe es unterlassen, die gemäß § 24 Abs. 3 Nr. 1
Ärzte-ZV notwendige Ermittlung und Analyse der Versorgungssituation vorzunehmen.
Soweit die Beklagte im laufenden Rechtsstreit eine Auskunft der
Berufsausübungsgemeinschaft T u.a. aus E eingeholt habe, nach der in Bezug auf
Leistungen der künstlichen Befruchtung Kapazitäten frei seien und keine Wartezeiten
bei der Erbringung reproduktionsmedizinischer Leistungen bestünden, reiche allein
diese Befragung nicht aus. Vielmehr bedürfe es einer weitergehenden Objektivierung
dieser naturgemäß subjektiv gefärbten Stellungnahme.
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Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 02. April 2008 in der Gestalt des Wi-
derspruchsbescheides vom 16. Dezember 2008 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, über ihren Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis in Düsseldorf unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.
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Eine Versorgungsverbesserung im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 Ärzte-ZV sei nicht
erkennbar.
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Abgesehen davon, dass die Klägerin am Düsseldorfer Standort nicht das gesamte
reproduktionsmedizinische Spektrum anbieten wolle, sei dieser Standort mit
reproduktionsmedizinischen Leistungen hinreichend versorgt. Versorgungslücken, die
die Erteilung einer Zweigpraxisgenehmigung rechtfertigen könnten, seien nicht
ersichtlich. Die Praxis der T u.a., einer großen reproduktionsmedizinischen
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Schwerpunktpraxis, verfüge noch über freie Kapazitäten. Aufgrund dieser freien
Kapazitäten habe der Zulassungsausschuss für Ärzte Düsseldorf die im November 2005
durch das Universitätsklinikum E beantragte Erneuerung der Ermächtigung zur
Sterilitätsbehandlung bei bisher ergebnislos behandelten Paaren einschließlich In-vitro-
Fertilisation mit Wirkung zum 01.10.2006 abgelehnt. Auch für den Zeitraum 01.07.2008
bis 30.06.2010 sei die vom Universitätsklinikum begehrte Erweiterung der Ermächtigung
vom Zulassungsausschuss abgelehnt worden.
Im Übrigen stehe es den Versicherten nach § 76 SGB V frei, über die Grenzen eines
Planungsbereichs hinweg einen Arzt ihres Vertrauens aufzusuchen. Wenn sie von
diesem Recht in Bezug auf die Klägerin Gebrauch machten und offensichtlich bereit
seien, auch größere Entfernungen hinnehmen, rechtfertige dies nicht die Erteilung einer
Zweigpraxisgenehmigung an einem mit reproduktionsmedizinischen Leistungen
hinreichend versorgten Standort.
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Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der
Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Die Klägerin ist durch die angefochtenen Bescheide nicht beschwert im Sinne des § 54
Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da diese rechtmäßig sind. Die Klägerin hat -
auch im Sinne einer Neubescheidung - keinen Anspruch auf Erteilung einer
Zweigpraxisgenehmigung für Düsseldorf.
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§ 24 Abs. 3 Sätze 1, 2 Ärzte-ZV eröffnet mit Wirkung vom 01.01.2007 jedem
zugelassenen Vertragsarzt die Möglichkeit, vertragsärztliche Tätigkeiten außerhalb
seines Vertragsarztsitzes an weiteren Orten auszuüben, wenn und soweit (1) die
Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert und (2) die
ordnungsgemäße Versorgung der Versicherten am Ort des Vertragsarztsitzes nicht
beeinträchtigt wird. Sofern - wie hier - der weitere Ort im Bezirk der Kassenärztlichen
Vereinigung liegt, in der der Vertragsarzt Mitglied ist, hat er bei Vorliegen der
vorgenannten Voraussetzungen Anspruch auf vorherige Genehmigung durch seine
Kassenärztliche Vereinigung.
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Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 28.10.2009 - B 6 KA 42/08 R -
begründet die Genehmigung einer Zweigpraxis gemäß § 24 Abs. 3 Sätze 1 und 2 Ärzte-
ZV für den begünstigten Arzt keinen Status, sondern erweitert in tatsächlicher Hinsicht
seine Behandlungsmöglichkeiten. Auch ist die dem begünstigten Arzt gewährte
Berechtigung, einen zweiten Standort zu unterhalten, nicht nachrangig gegenüber dem
Status der an diesem Ort bereits tätigen Ärzte, denn eine Bedarfsprüfung wie bei
Ermächtigungen und Sonderbedarfszulassungen findet insoweit nicht statt. Der
Gesetzgeber des VÄndG wollte die Versorgung der Versicherten optimieren und die
Möglichkeit des Betriebes von Zweigpraxen im Unterschied zum früher geltenden Recht
nicht auf Fälle der Behebung von Versorgungsengpässen beschränken. Erforderlich,
aber auch ausreichend ist es, wenn das bestehende Leistungsangebot zum Vorteil für
die Versicherten in qualitativer - unter Umständen auch in quantitativer - Hinsicht
erweitert wird. Die Kassenärztliche Vereinigung wird allerdings gerade in einem
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überversorgten Planungsbereich im Rahmen des ihr bei Entscheidungen nach § 24
Abs. 3 Sätze 1 und 2 Ärzte-ZV zustehenden Beurteilungsspielraumes die
Versorgungssituation an dem "weiteren Ort" nicht außer Betracht lassen dürfen.
Gemessen an diesen Maßstäben durfte die Beklagte rechtsfehlerfrei die
Zweigpraxisgenehmigung für Düsseldorf verweigern.
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Eine qualitative Verbesserung der Versorgung der Versicherten durch das am Standort
der Zweigpraxis in Düsseldorf vorgesehene Leistungsangebot der
Berufsausübungsgemeinschaft, welcher die Klägerin angehört, ist nicht gegeben. Nach
den Angaben der Klägerin im Genehmigungsverfahren sollen in der Zweigpraxis
ausschließlich Beratungen von Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch, deren
gynäkologische und sonographische Untersuchungen sowie die entsprechende
endokrinologische Diagnostik durchgeführt werden. Operative Leistungen seien nicht
geplant.
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Solcherart Leistungen gehören im Kern bereits zu den Weiterbildungsinhalten der
Facharztweiterbildung im Gebiet "Frauenheilkunde und Geburtshilfe" (Nr. 7 der
Weiterbildungsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte) und können
demzufolge auch von solchen Gynäkologen erbracht werden, die nicht über die
Schwerpunktkompetenz "Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin"
verfügen. Eine echte Erweiterung des Leistungsangebots zum Vorteil für die
Versicherten in qualitativer Hinsicht wäre nur dann gegeben, wenn in der geplanten
Düsseldorfer Zweigpraxis wesentliche diagnostische und therapeutische Maßnahmen
aus dem Schwerpunkt "Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin"
angeboten würden. Der Internet-Auftritt der Berufsausübungsgemeinschaft
(www.kinderwunsch-nrw.de) skizziert insofern selbst den Leistungsumfang, der am
Vertragsarztsitz in H auch erbracht wird:
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Diagnostik und Therapie von Fertilitätsstörungen One-Stop Fruchtbarkeitscheck
Einsendelabor für Endokrinologie Zyklusmonitoring Hormonelle Stimulation Homologe
und donogene Insemination Homologe und donogene IVF-Therapie
Intrazytoplasmatische Spermieninjektion (ICSI) Laser Assisted Hatching
Polkörperbiopsie Spindeldarstellung Spermaanalyse Kryokonservierung von Eizellen,
Spermien und Hodengewebe TESE (operative Samengewinnung) Natürliche
Familienplanung Endoskopische Operationen Kooperation mit der Humangenetik
Fertilitätsrelevante Andrologie
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Diese für die Reproduktionsmedizin fachspezifischen Leistungen finden sich im
Angebotskatalog der projektierten Zweigpraxis jedoch nicht.
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Hinzu kommt, dass der Planungsbereich Düsseldorf für die Fachgruppe der
Gynäkologen überversorgt (131,7 %) und gesperrt ist. Wenngleich bei
Zweigpraxisgenehmigungsverfahren nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts
vom 28.10.2009 - a.a.O. - zwar keine Bedarfsprüfung wie bei Ermächtigungen und
Sonderbedarfszulassungen stattfindet, so darf jedoch die Versorgungssituation an dem
"weiteren Ort", hier: Düsseldorf, nicht außer Betracht bleiben. Insofern entfaltet
Bedeutung, dass der Zulassungsausschuss die vom Universitätsklinikum E beantragte
Erneuerung der Ermächtigung zur Sterilitätsbehandlung bei bisher ergebnislos
behandelten Paaren einschließlich In-vitro-Fertilisation mit Wirkung zum 01.10.2006
und eine Erweiterung der Ermächtigung für den Zeitraum vom 01.07.2008 bis
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30.06.2010 abgelehnt hat. Die Ermächtigung eines Krankenhausarztes gemäß §§ 116
SGB V, 31a Abs 1 Ärzte-ZV erfordert entweder einen quantitativ-allgemeinen oder einen
qualitativ-speziellen Versorgungsbedarf (st. Rspr.; vgl. BSG, Urteil vom 09.04.2008 - B 6
KA 40/07 R - m.w.N.); bei - subsidiären - Institutsermächtigungen sind die Maßstäbe
noch enger (BSGE 79, 159, 163 ff.). Der Ablehnung der Erneuerung und Erweiterung
der Ermächtigung des Universitätsklinikums hatte jedenfalls eine echte Bedarfsprüfung
zugrundegelegen, deren Ergebnis gewesen sein musste, dass die
reproduktionsmedizinische Versorgung in Düsseldorf qualitativ und quantitativ
ausreichend im niedergelassenen Bereich sichergestellt wird. Auch von daher ist eine
Verbesserung der Versorgung der Versicherten durch die geplante Zweigpraxis in
Düsseldorf mit ihrem begrenzten Leistungsangebot nicht zu erkennen.
Schließlich weisen die angefochtenen Bescheide zutreffend darauf hin, dass eine
wohnortnähere Versorgung bei Kinderwunschpaaren nur eine untergeordnete Rolle
spielt und interessierte Paare erfahrungsgemäß nach individueller Beratung und
Information den Spezialisten ihrer Wahl aufsuchen, ohne der Entfernung nennenswert
Rechnung zu tragen. Dies sieht die Berufsausübungsgemeinschaft, der die Klägerin
angehört, letztlich ebenso, denn in ihrem Internet-Auftritt findet sich unter der Überschrift:
"So sind wir für Sie aus allen Richtungen ganz leicht zu erreichen" eine kartographierte
Wegbeschreibung in großzü-gigem Maßstab, die von Aachen im Süd-Westen über
Mönchengladbach/Viersen im Nord-Westen, Moers/Krefeld im Norden, Duisburg im
Nord-Osten, Düsseldorf im Osten bis Köln im Süd-Osten ein weiträumiges Gebiet um H
absteckt. Das zeigt, dass die Patienten weiterhin zur Praxis nach H anreisen müssen
und die wohnortnahe Versorgung nicht verbessert wird, wie es auch die Kreisstelle O
angedeutet hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 197 a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1,
162 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
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