Urteil des SozG Düsseldorf vom 01.12.2010

SozG Düsseldorf: nichtigkeit, beihilfe, stift, widerspruchsverfahren, facharzt, angestellter, billigkeit, eugh, gesellschaftsvertrag, öffentlich

Sozialgericht Düsseldorf
Urteil vom 01.12.2010 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 2 (14) KA 114/08
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen L 11 KA 4/11
Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Streitig ist die Zulassung eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ).
Auf den Zulassungsantrag der Kliniken T1. B gGmbH in X1 vom 12.11.2007 ließ der Zulassungsausschuss für Ärzte
E mit Beschluss vom 24.01.2008 (Bescheid vom 10.03.2008) das Medizinische Versorgungszentrum B X2 zum
01.04.2008 für T2weg 00, 00000 X2, zu.
Gründungsmitglieder: Kliniken T1 B gGmbH, X1
Herr Mudr./Univ. Q W K, Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, angestellter Arzt gemäß § 95 Abs. 2 Satz 7
ff. SGB V i.V.m. § 103 Abs. 4 a Satz 1 SGB V und § 32 b Ärzte-ZV mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38
Stunden (Anrechnungsfaktor 1,0) - ärztlicher Leiter- Herr L M, Facharzt für Allgemeinmedizin, angestellter Arzt gemäß
§ 95 Abs. 2 Satz 7 ff. SGB V i.V.m. § 103 Abs. 4 a Satz 1 SGB V und § 32 b Ärzte-ZV mit einer wöchentlichen
Arbeitszeit von 38 Stunden (Anrechnungsfaktor 1,0).
Diesem Beschluss widersprach die Klägerin. Das Ev. Krankenhaus "I-Stift gGmbH" sei mit Mitteln des Landes
Nordrhein-Westfalen geschlossen worden. Im Zusammenhang mit der Herausnahme des Stiftes aus dem
Krankenhausplan des Landes würden Ausgleichszahlungen in Millionenhöhe gemäß § 30 KHG NRW geleistet. Diese
Schließungsmittel seien benutzt worden, um Vertragsarztsitze aufzukaufen und das MVZ B X2 zu gründen. Hierin
seien eine Benachteiligung der niedergelassenen Vertragsärzte sowie ein Verstoß gegen geltendes EU-Recht (Monti-
Paket) zu sehen. Das Vorgehen sei nach § 134 BGB nichtig und müsse auf das Zulassungsverfahren ausstrahlen.
Dem trat das zu 7) beigeladene MVZ entgegen. Bis zum 31.12.2006 sei Träger und Betreiber des Krankenhauses "I-
Stift" in X2 die I-Stift X2 gGmbH (ITX2) gewesen. Es habe sich um ein Plankrankenhaus der Grundversorgung mit
zwei Fachgebieten und 137 Betten gehandelt. Mit Wirkung vom 01.01.2007 habe die ITX2 die stationäre
Unterbringung der Patienten eingestellt. Der Standort in X2 sei mit Feststellungsbescheid der Bezirksregierung
Düsseldorf vom 02.03.2007 zur Betriebsstätte ohne Betten der Kliniken T1. B gGmbH geworden. Entsprechend den
Bestimmungen des § 30 Abs. 1, 2 KHG NRW sei der ITX2 die (Standard-)Ausgleichsleistung durch die
Bezirksregierung Düsseldorf mit Bescheid vom 17.12.2007 bewilligt worden. Es habe sich insgesamt um einen -
zwischenzeitlich ausgezahlten - Betrag von 805.560 EUR gehandelt. Dieser Betrag werde für die Kosten der
Schließung vollständig benötigt und reiche bei weitem nicht aus. Deshalb liefen Verhandlungen über weitere
Ausgleichsleistungen gemäß § 30 Abs. 3 KHG NRW. Dabei handele es sich in der Tat um Beträge in Millionenhöhe,
die jedoch nur zuvor entstandene Kosten, die nachzuweisen seien, ausglichen. Bisher sei aber eine Einigung mit der
Bezirksregierung nicht erzielt worden, so dass weitere Ausgleichsleistungen bisher nicht bewilligt und nicht ausgezahlt
worden seien.
Mit Beschluss vom 25.06.2008 (Bescheid vom 10.07.2008) wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück
und ordnete die sofortige Vollziehung seiner Entscheidung an.
Die von der Klägerin geltend gemachten beihilferechtlichen Vorschriften der EU stellten hier keinen Prüfungsmaßstab
für die Zulassung eines MVZ auf der Grundlage des § 95 Abs. 1 SGB V dar. Sie verbiete nämlich staatliche
Subventionen und betreffe nicht Leistungen von Privaten. Es könne deshalb dahingestellt bleiben, ob die vorliegend
aufgrund § 30 KHG NRW (jetzt § 24 KHGG vom 11.12.2007) gezahlten Ausgleichsleistungen überhaupt zu den
unerlaubten Subventionen gehörten. Das Verbot würde sich jedenfalls nur gegen die bewilligende Behörde, mithin die
Bezirksregierung Düsseldorf, richten und hätte demnach keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Gründung und den
Betrieb eines MVZ auf privater Basis. Dementsprechend könnten die beihilferechtlichen Vorschriften der EU auch
nicht als "gesetzliches Verbot" nach § 134 BGB die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages zur Gründung des MVZ B
X2 zur Folge haben. Dass die Gründung eines MVZ auf der Grundlage des § 95 Abs.1 SGB V an sich nicht gegen ein
gesetzliches Verbot verstoße, stehe außer Frage.
Im übrigen beruhe die Darstellung der Klägerin, das MVZ B X2 sei unter Verwendung der Ausgleichszahlungen u.a.
zur Gewinnung von Vertragsarztsitzen gegründet worden, auf einer bloßen Vermutung. Ihr nachzugehen, könne nicht
Aufgabe des Beklagten sein. Die sachgerechte Verwendung der Ausgleichszahlungen stehe allein unter der
Verantwortung der Bezirksregierung. Zudem hätten die Bevollmächtigten des MVZ in der mündlichen Verhandlung
erklärt, bisher seien keine Zahlungen an die beiden Ärzte im MVZ aufgrund getroffener Vereinbarungen veranlasst
worden. Mit welchen Mitteln derartige Verbindlichkeiten erfüllt werden sollten, sei deshalb noch offen. Es stehe
jedenfalls den Trägern des MVZ frei, aus welchen Quellen sie derartige Zahlungen leisten wollten. Bei dieser Sachlage
habe der Zulassungsausschuss im Ergebnis zu Recht die beantragte Zulassung erteilt, da auch die weiteren
Zulassungsvoraussetzungen gegeben seien.
Hiergegen richtet sich die am 17.07.2008 erhobene Klage.
Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren. Die in Art. 4 und 5 der sog.
"Freistellungsentscheidung" (2005/842/EG), die in Deutschland unmittelbar geltendes Recht sei und u.a. für
Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser gelte, genannten Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine Befreiung von der
Vorabnotifizierungspflicht sei daher nicht gegeben. Dies führe zu einem Durchführungsverbot, dessen Verletzung zur
Nichtigkeit des Gründungsaktes des MVZ gemäß § 134 BGB führe.
Die Klägerin beantragt,
den Beschluss des Beklagten vom 25.06.2008 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, über ihren Widerspruch
unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seine Entscheidung für rechtmäßig.
Der Beigeladene zu 7) beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Auch er verweist auf seinen Vortrag im Widerspruchsverfahren und führt ergänzend aus, Art. 2 der
"Freistellungsentscheidung" vom 28.11.2005 gelte für staatliche Beihilfen, die Unternehmen in Form von
Ausgleichszahlungen für die Erbringung von Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse im Sinne des
Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag gewährt würden. Dazu gehörten auch Ausgleichszahlungen an Krankenhäuser. Die der
ITX2 gewährten Ausgleichszahlungen nach § 30 KHG NRW hätten damit jedoch nichts zu tun, vielmehr handele es
sich um Entschädigungen, die unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs geleistet worden seien.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte, der Akten S 33 KA 202/07,
S 2 KA 149/07 und S 14 KA 113/08 ER sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, der
Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch den Bescheid des Beklagten nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (SGG), da dieser rechtmäßig ist.
Das zu 7) beigeladene MVZ B X2 hat einen Anspruch auf Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Die
Zulassungsvoraussetzungen des § 95 Abs. 1, 2 SGB V sind erfüllt.
Der Gesellschaftsvertrag zur Gründung des MVZ ist nicht gemäß § 134 BGB nichtig, weil Schließungsmittel des I-
Stiftes unter Verstoß gegen EU-Beihilferecht dazu verwendet würden, Vertragsarztsitze aufzukaufen, um dann das
MVZ zu gründen. Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein privatrechtlicher Vertrag, durch den
eine Beihilfe entgegen Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG-Vertrag gewährt wird, nichtig (BGH, Urteil vom 04.04.2003 - V ZR
314/02 - WM 2003, 1491; Urteil vom 24.10.2003 - V ZR 48/03 - WM 2004, 693; Urteil vom 20.01.2004 - XI ZR 53/03 -
WM 2004, 468 - mit Anm. Schott, jurisPR-BGHZivilR 15/2004, Anm. 2). Art. 88 Abs. 3 Satz 3 (früher Art. 93 Abs. 3
Satz 3) EG-Vertrag sei ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB, dessen Verletzung zur Nichtigkeit des zur
Gewährung der Beihilfe abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrages führe. Die unterlassene Notifizierung (Art. 88
Abs. 3 Satz 1 EG-Vertrag) stelle zwar einen lediglich formellen Verstoß dar, der für sich genommen noch nicht die
Sanktion des § 134 BGB auslöse. Doch komme dem Abschluss Beihilfe gewährender Verträge ohne vorherige
Notifizierung und ohne abschließende (positive) Kommissionsentscheidung materielle Bedeutung zu, weil das
Durchführungsverbot des Art. 88 Abs. 3 Satz 3 EG-Vertrag im Interesse gleicher Wettbewerbsvoraussetzungen eine
solche verfrühte Beihilfegewährung verhindern solle. Dass sich das Durchführungsverbot seinem Wortlaut nach nur an
die Mitgliedstaaten, nicht jedoch an die Empfänger staatlicher Beihilfen richte, stehe der Anwendung des § 134 BGB
nicht entgegen. § 134 BGB finde auch dann Anwendung, wenn es zwar um die Verletzung eines nur an eine
Vertragspartei gerichteten gesetzlichen Verbotes gehe, der Zweck des Gesetzes aber nicht anders zu erreichen sei
als durch Annullierung der durch das Rechtsgeschäft getroffenen Regelung.
Selbst wenn diese Grundsätze in entsprechender Anwendung auf öffentlich-rechtliche Verwaltungsakte, mit denen
Beihilfen gewährt werden, übertragbar sein sollten, wäre die Rechtsfolge allein die Nichtigkeit des Zuwendungsaktes
und als actus contrarius die Rückforderung (verbotener) Beihilfen im Rechtskreis Zuwendungsgeber -
Zuwendungsempfänger. Auf andere Rechtsverhältnisse wie den zivilrechtlichen Gründungsakt des MVZ als eine
Voraussetzung der Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung strahlt eine nicht EU-konforme Beihilfegewährung
jedoch nicht aus.
Die Kammer hatte daher keine Veranlassung zu prüfen, ob und inwieweit die der ITX2 seitens der Bezirksregierung E
gewährten Ausgleichsleistungen nach § 30 Abs. 2 KHG NRW (von der Planbettenzahl abhängige Pauschalen) und
ggf. nach § 30 Abs. 3 KHG NRW (höhere Ausgleichszahlungen zur Vermeidung unzumutbarer Härten) gegen EU-
Beihilferecht verstoßen (vgl. zum Beihilferecht zuletzt EuGH, Urteil vom 02.09.2010 - C-399/08 P - (Beihilfen an die
Deutsche Post AG im Rahmen von Umstrukturierungsmaßnahmen) m.w.N. insbesondere auf EuGH, Urteil vom
24.03.2003 - C-280/00 - (Altmark Trans)).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 der
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Das Gericht hat die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 7) aus Billigkeit der Klägerin auferlegt, weil dieser
Beigeladene das Verfahren wesentlich gefördert und erfolgreich einen klageabweisenden Antrag gestellt hat. Mit
dieser Antragstellung hat sich der Beigeladene dem Risiko der Kostentragung nach § 154 Abs. 3 VwGO unterworfen.
Die Billigkeit gebietet daher, dass seine Kosten erstattet werden, wenn sein Antrag zum Ziel führt (Redeker/von
Oertzen, VwGO, 15. Aufl. 2010, § 162 Rn. 15 m.w.N.).