Urteil des SozG Düsseldorf vom 27.01.2011

SozG Düsseldorf: sozialhilfe, aufenthalt, aeuv, eugh, eigene mittel, vorläufiger rechtsschutz, einreise, ausländer, anwendungsbereich, ausweisung

Sozialgericht Düsseldorf
Beschluss vom 27.01.2011 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Düsseldorf S 17 SO 614/10 ER
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweili-gen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab dem 08.01.2011 bis
einschließlich 31.05.2011 Grund-sicherungsleistungen nach dem 4 Kapitel des SGB XII in Höhe von 123,57 EUR
monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen
Kosten des Antragstellers in Höhe von neun Zehnteln. Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwalt I1, I2allee 000, 00000 L, ab Stellung des Eilantrags (23.12.2010) gewährt.
Gründe:
Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung begehrt der Antragsteller von der Antragsgegnerin vorläufig
Leistungen nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Anrechnung seiner
niederländischen Rente.
Der am 00.00.1936 geborene Antragsteller ist griechischer Staatsbürger. Nach eigenen Angaben hielt er sich in der
Vergangenheit insgesamt über dreißig Jahre in der Bundesrepublik Deutschland auf, seit 1988 in L. In 2009 kehrte er
zurück nach Griechenland zu seiner dort lebenden Schwester. Im Oktober 2010, am 07.10.2010, kehrte er nach
Deutschland zurück und lebt seitdem im Obdachlosenwohnheim in der Mstraße 00 in L.
Mit einem unter griechischer Anschrift geschriebenen Schreiben an die Stadt L, z.Hd. Herrn X, das keine
Datumsangabe enthält, nach Angabe der Antragsgegnerin aber am 07.10.2010 bei der Antragsgegnerin eingegangen
sein soll, hatte der Antragsteller seine Rückkehr nach Deutschland angekündigt.
Am 08.01.2010 beantragte er bei der Antragsgegnerin Leistungen zur Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung nach dem SGB XII. In der Niederschrift über die persönliche Vorsprache am 21.10.2010 ist
festgehalten:
"Die Frage, warum ich wieder nach Deutschland gekommen bin, beantworte ich folgendermaßen:
Ich bin zurückgekommen, um Grundsicherungsleistungen zu beziehen und meine Angelegenheiten bezüglich meiner
Ansprüche auf eine deutsche Rente zu klären.
Meine niederländische Rente wird nach Griechenland überwiesen. Meine Schwester hat von mir eine Vollmacht
erhalten, damit sie die Rente abholen kann. Meine Schwester wird mir die Rente nicht nach Deutschland schicken,
sondern diese für ihren Lebensunterhalt in Griechenland einsetzen. Ich möchte mir die niederländische Rente nicht
wieder nach Deutschland schicken lassen, da dies nur mit Komplikationen verbunden ist.
Ich denke, ich werde meinen Lebensunterhalt mit Grundsicherungsleistungen und Einkommen aus kleinen
Erwerbtätigkeiten sicherstellen können. Sobald ich die Angelegenheit bezüglich der deutschen Rente geklärt habe,
werde ich wieder nach Griechenland zurückkehren. Ich gehe davon aus, dass dies in ca. 2 – 2,5 Jahren sein wird."
Mit Bescheid vom 04.11.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag auf Grundsicherungsleistungen ab. Zur
Begründung stützte sich die Antragsgegnerin auf § 23 Abs. 3 SGB XII. Nach dieser Vorschrift hätten Ausländer, die
nach Deutschland eingereist seien, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Das sei hier der Fall,
denn der Antragsteller habe in seinem Brief an Herrn x, der am 07.10.2010 eingegangen sei, mitgeteilt, dass er nach
Deutschland zurückkehre, weil die soziale Absicherung in Deutschland wesentlich besser sei. Zudem habe er im
Rahmen der persönlichen Vorsprache am 21.10.2010 erklärt, zurück gekehrt zu sein, um Grundsicherungsleistungen
zu beziehen und seine deutschen Rentenansprüche zu klären.
Am 16.11.2010 ging bei der Antragsgegnerin ein Schreiben ein, welches vom Gericht nicht gelesen werden kann. Da
aber im Betreff "REKLAMATION" angegeben ist, geht das Gericht davon aus, dass es sich um den Widerspruch
gegen den Bescheid vom 04.11.2010 handelt.
Am 13.12.2010 hat der Kläger wegen der Weigerung der Beklagten, "seit 7. Oktober 2010 Grundsicherung zu zahlen",
Klage erhoben, die zunächst unter dem Aktenzeichen S 17 SO 585/10 geführt worden ist. Mit Schriftsatz vom
23.12.2010 hat sich der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers bestellt und gebeten, die Klage in einen Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung umzudeuten. Der Bitte um Änderung ist das Gericht nachgekommen, so dass
das Verfahren nunmehr das Aktenzeichen S 17 SO 614/10 ER trägt.
Der Antragsteller mach geltend als griechischer Staatsbürger freizügigkeitsberechtigt zu sein und hat die
Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz /EU (FreizügG/EU) der Stadt l vom 19.11.2010 vorgelegt, in der es
heißt:
"Der Inhaber dieser Bescheinigung ist Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union und nach
Maßgabe des Freizügigkeitsgesetzes / EU zur Einreise und zum Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
berechtigt."
Sein Hilfeanspruch berechne sich wie folgt: 359,00 EUR Regelsatz zzgl. 15,50 EUR (31 Tage x 0,50 EUR)
Unterkunftskosten für das Obdachlosenwohnheim ergebe einen notwendigen Lebensbedarf in Höhe von 374,50 EUR.
Nach Abzug der niederländischen Rente in Höhe von 250,93 EUR verbleibe ein ungedeckter Bedarf in Höhe von
123,57 EUR. Die Antragsgegnerin könne dem Antragsteller nicht auf § 23 Abs. 3 SGB XII entgegenhalten, da dieser
nicht auf Angehörige von EU-Mitgliedstaaten Anwendung finde; dem stünde Art. 1 des Europäischen
Fürsorgeabkommens (EFA) entgegen, das unmittelbar geltendes Bundesrecht sei und hier Anwendung finde. Zur
näheren Erläuterung verweist der Prozessbevollmächtigte auf die Urteilsgründe des BSG im Urteil vom 19.10.2010, B
14 AS 23/10 R, zum Leistungsausschluss nach § 7 Abs. Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB
II).
Der Antragsteller hat beantragt,
der Antragsgegnerin aufzugeben, an den Antragsteller für den laufenden Monat Grundsicherungsleistungen in Höhe
von 123,57 EUR zu zahlen, einen Regelsatz in Höhe von 359,00 zzgl. Kosten der Unterkunft in Höhe von 15,50 EUR
abzgl. einer niederländischen Rente in Höhe von 250,93 EUR.
Die Antragsgegnerin hat beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin auf den zwischenzeitlich erlassenen Widerspruchsbescheid vom
05.01.2011. Darin hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die Bescheinigung nach § 5 FreizügG/EU ohne
Bedeutung sei, da eine solche nicht im Zusammenhang mit dem Leistungsanspruch auf Sozialhilfe stehe. Die vom
Prozessbevollmächtigten des Antragstellers angeführte Entscheidung des BSG (B 14 AS 23/10 R) könne nicht
herangezogen werden, da sie einen anderen Fall betreffe, Auch habe der Europäische Gerichtshof die Bestimmung
des § 23 Abs. 3 SGB XII als mit EU-Recht vereinbar erklärt. Zum Nachweis verweist die Antragsgegnerin hierzu auf
eine Entscheidung des LSG NRW vom 12.03.2010 (L 12 SO 74/10 B ER). Im Hinblick auf den Rentenbezug des
Antragstellers und den Umstand, dass keine weiteren Besonderheiten in seiner Person vorlägen, gebe es auch bei
Ausübung pflichtgemäßen Ermessens kein Raum für eine Hilfeerbringung außerhalb des SGB XII, d.h. ohne
Anerkennung einer Rechtspflicht.
Im Eilverfahren hat die Antragsgegnerin zudem die vom Antragsteller zitierte Entscheidung des BSG vom 19.10.2010
(B 14 AS 23/10 R) für nicht einschlägig erachtet, weil sie eben nicht zum SGB XII sondern zum SGB II ergangen sei.
Außerdem habe das BSG zwar diskutiert, ob § 23 Abs. 3 SGB XII analog auf das SGB II anzuwenden sei, dies aber
letztlich verworfen und erst recht keine Aussage über die grundsätzliche Rechtmäßigkeit des § 23 Abs. 3 SGB XII
getroffen.
Der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers hat hierauf erwidert, dass es bislang keine Entscheidung des EuGH
zu § 23 Abs. 3 SGB XII gebe. Soweit die Antragsgegnerin über die Bezugnahme auf die Entscheidung des LSG NRW
(aaO) die Entscheidung vom 04.06.2009 (C-22/08, C-23/08, Vatsouras, Koupatantze) meine, habe dieser
Entscheidung kein Sachverhalt zu § 23 Abs. 3 SGB XII zugrunde gelegen sondern der Fall des erwerbssuchenden
EU-Ausländers im erwerbsfähigen Alter. Im konkreten Fall sei offen geblieben, ob nicht die Arbeitnehmereigenschaft
im Sinne von Art. 39 EG gegeben sei, was Folgen für die Auslegung von Art. 24 Abs. 2 EGREL 38/2004 hätte. Gegen
den Bescheid vom 04.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2011 hat der Antragsteller
zwischenzeitlich Klage erhoben, die unter dem Aktenzeichen S 17 SO 20/11 geführt wird.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakte der
Antragsgegnerin verwiesen.
Gründe:
I. Der zulässige Antrag ist insofern begründet, als dem Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
vorläufig Leistungen ab dem 08.01.2011 gewährt werden. Für die Zeit ab Stellung des Eilantrags am 23.12.2010 bis
zum 07.01.2010 ist der Antrag unbegründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines
vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur
Abwendung wesentlicher Nachteile für nötig erscheint. Der Antragsteller muss hierfür einen Anordnungs-anspruch, das
heißt den materiellen Anspruch, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, und ein Anordnungsgrund, das heißt
die besondere Dringlichkeit des Begehrens, die ein Abwarten der Entscheidung in der Hauptsache unzumutbar
erscheinen lässt, glaubhaft machen, § 86 b Abs. 2 Satz 2 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO. Dies bedeutet, dass die
den Anordnungsanspruch und den Anordnungsgrund begründenden Tatsachen so darzulegen sind, dass das Gericht
von ihrer überwiegenden Wahrscheinlichkeit ausgehen kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.07.2003, 2 BvR
311/03).
Der Antragsteller hat Anspruch auf Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII auf Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung, jedoch erst ab dem 08.01.2011.
Der Antragsteller ist hilfebedürftig im Sinne des § 19 Abs. 2 SGB XII. Denn sein Einkommen in Gestalt der
holländischen Rente in Höhe von 250,93 EUR pro Monat reicht nicht aus, seinen grundsicherungsrechtlichen Bedarf in
Höhe von derzeit 374,50 EUR (359,00 EUR Regelsatz zzgl. 15,50 EUR Unterkunftskosten) zu befriedigen, so dass
ungedeckter Bedarf in Höhe von 123,57 EUR verbleibt.
Dabei steht einem möglichen Leistungsanspruch des Antragstellers nicht entgegen, dass er als Grieche nach
bundesdeutschem Recht Ausländer ist. Denn auch Ausländer haben nach § 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XII
Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt bzw. Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung.
Allerdings steht dem Grundsicherungsanspruch der Wortlaut des § 23 Abs. 3 SGB XII entgegen. Danach haben
Ausländer, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, keinen Anspruch auf Sozialhilfe. Die Vorschrift verlangt
einen finalen Zusammenhang zwischen dem Einreiseentschluss und der Inanspruchnahme von Sozialhilfe im Sinne
eines ziel- und zweckgerichteten Handelns. Hierfür genügt ein nur fahrlässiges Verhalten bei der Einschätzung der
Hilfebedürftigkeit und der Möglichkeit, sich selbst helfen zu können, nicht. Erforderlich ist vielmehr, dass nach den
objektiven Umständen mindestens im Sinne eines Vorsatzes ausgegangen werden kann, der für den Entschluss zur
Einreise von prägender Bedeutung gewesen sein muss, ohne dass hierin auch ein "unlauteres Verhalten" gesehen
werden müsste. Der erforderliche Zusammenhang zwischen der Einreise und der missbilligten Inanspruchnahme von
Sozialhilfe besteht nicht nur, wenn der Wille, Sozialhilfe zu erlangen, der einzige Einreisegrund ist. Beruht die Einreise
des Ausländers auf verschiedenen Motiven, ist das Erfordernis des finalen Zusammenhangs auch erfüllt, wenn der
Zweck der Inanspruchnahme von Sozialhilfe für den Einreiseentschluss von zumindest prägender Bedeutung ist; es
genügt aber nicht, dass der Sozialhilfebezug beiläufig verfolgt oder anderen Einreisezwecken untergeordnet und in
diesem Sinne nur billigend in Kauf genommen wird (BVerwG Urteil vom 04.06.1992, 5 C 22/87, BVerwGE 90, 212 ff).
Hiervon ausgehend ist bei dem Antragsteller von einem derartigen finalen Zusammenhang zwischen
Einreiseentschluss und Stellung des Antrags auf Leistungen der Grundsicherung auszugehen. Zwar sind für das
Gericht die handschriftlich geschriebenen Briefe des Antragstellers kaum zu entziffern. Allerdings steht in dem wohl
noch in Griechenland geschriebenen Brief des Antragstellers (Bl. 15 Verwaltungsakte), der nach Angabe der
Antragsgegnerin am 07.10.2010 bei der Antragsgegnerin eingetroffen sein soll (Bl. 18 VA): "Hier von Soziales
Disziplin etc. herrscht großes Finsternis, Beziehungen oder Zahlen. Aus diesem Grund habe ich mich entschlossen,
zurück zu kommen ..." (Der Rest des Satzes ist nicht zu entziffern.) Bei der Antragsaufnahme am 21.10.2010 vor der
Mitarbeiterin der Antragsgegnerin hat der Antragsteller angegeben und unterzeichnet, dass er zurückgekommen sei,
um Grundsicherungsleistungen zu beziehen und seine Angelegenheiten bezüglich seiner Ansprüche auf eine deutsche
Rente zu klären. Da für Letzteres die persönliche Anwesenheit in Deutschland nicht zwingend erforderlich ist, ist auch
nicht davon auszugehen, dass dies der primäre Grund für die Rückkehr nach Deutschland gewesen wäre.
Insbesondere im Hinblick auf die besonders katastrophale wirtschaftliche Lage Griechenlands im vergangenen Herbst
ist anzunehmen, dass der Antragsteller ganz bewusst aus Gründen der sozialen Absicherung nach Deutschland
zurück gekehrt ist. Dies wird auch dadurch gestützt, dass sich der Antragsteller vorab schriftlich aus Griechenland an
die Antragsgegnerin gewandt und seine Rückkehr angekündigt hat verbunden mit der Bitte um Unterstützung bei der
Unterkunftssuche. Dass der Brief gleichzeitig mit der Rückkehr in Deutschland bei der Antragsgegnerin eintrifft, ist
dabei nicht von Bedeutung. Auch der Umstand, dass der Antragsteller zunächst angibt, seine niederländische Rente
sich nicht hier in Deutschland auszahlen zu lassen sondern zur Unterstützung seiner in Griechenland lebenden
Schwester verwenden will, zeigt, dass er selbst davon ausgeht, Sozialhilfe in Deutschland zu erhalten, von der er
leben möchte.
Seinen Wortlaut nach erfasst § 23 Abs. 3 SGB XII jeden Ausländer, trifft daher keine Unterscheidung zwischen EU-
Bürger und den übrigen Ausländern. Auch hinsichtlich des zeitlichen Geltungsbereichs trifft § 23 Abs. 3 SGB XII
keine Regelung, so dass die Vorschrift dem Wortlaut nach durchaus einen Sozialhilfeanspruch eines EU-Bürgers, der
sich im Inland aufhält, auf Dauer ausschließen könnte, wenn er zum Zwecke des Sozialhilfebezugs eingereist ist.
Allerdings wäre ein derartiges Verständnis der Vorschrift nach Auffassung der Kammer nicht mit höherrangigem Recht
vereinbar. Denn da es sich bei dem antragstellenden Ausländer um einen griechischen Staatsbürger und damit um
einen Unionsbürger handelt, muss die Auslegung der nationalen Vorschriften im Lichte des europäischen Rechtes
erfolgen.
Soweit § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII die ersten drei Monate des Aufenthalts nach Einreise in das Bundegebiet erfasst,
steht der Ausschluss in Einklang mit europäischem Sekundärrecht. Denn Artikel 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 (Richtlinie
2004/38 EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer
Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG,
73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG) erlaubt einen zeitlich
befristeteten Sozialhilfeausschluss während der ersten drei Monate des Aufenthalts.
Art. 24 EGRL 38/2004: (1)Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht
vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des
Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die
Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf
Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder
das Recht auf Daueraufenthalt genießen.
(2)Abweichend von Absatz 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als
Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen
während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Artikel 14
Abs. 4 Buchstabe b einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen,
einschließlich Beihilfen zur Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.
Nach Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 ist folglich für die ersten drei Monate nach Einreise insgesamt ein Ausschluss
vom Bezug von Sozialhilfeleistungen möglich, wobei der Leistungsausschluss direkt nach der Einreise auch mit
primärem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein dürfte (vgl. hierzu Greiser in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2010, Stand:
01.11.2010, Vorbemerkung SGB XII – Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts – Rnr. 46 m.w.N.).
Der Antragsteller ist nach eigenen Angaben am 07.10.2010 in die Bundesrepublik eingereist. Damit endet der
dreimontige Ausschluss vom Leistungsbezug am 07.01.2011.
Ein über die ersten drei Monate hinausgehender Ausschluss der Sozialhilfe ist jedoch nicht mit europäischem Recht
vereinbar.
Dabei ist zweifelhaft, ob sich die Unvereinbarkeit bereits unmittelbar aus der Richt-linie 38/2004 selbst ergibt. Das
wäre der Fall, wenn hier Art. 24 Abs. 1 EGRL 38/2004 anwendbar wäre, so dass das (spezielle) Gleichheitsgebot der
Vorschrift es gebiete, den Antragsteller wie einen deutschen Staatsbürger zu behandeln. Für einen deutschen
Staatsbürger gibt es aber eine dem § 23 Abs. 3 SGB XII vergleichbare die Leistung vollständig ausschließende
Vorschrift nicht. Es gibt allenfalls die Möglichkeit der Leistungsbeschränkung nach § 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII,
wenn jemand Bedürftigkeit herbeigeführt hat in der Absicht, Sozialhilfe zu erlangen. Hiermit ist der Sachverhalt des §
23 Abs. 3 SGB XII jedoch nicht vergleichbar.
Zwar ist der Anwendungsbereich von Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EGRL 38/2004 hier bereits aus dem Grund eröffnet, weil §
23 Abs. 3 SGB XII eben nicht sowohl auf Deutsche als auch auf EU-Bürger anwendbar ist. Denn nach Wortlaut und
Zweck richtet sich § 23 Abs. 3 SGB XII ausschließlich an in die Bundesrepublik Deutschland einreisende Ausländer.
Nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 EGRL genießt – vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im
abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen -, jeder Unionsbürger, der sich aufgrund der Richtlinie im
Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses
Mitgliedstaats.
Allerdings ist zweifelhaft, ob sich der Antragsteller "aufgrund der Richtlinie" im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik
aufhält, ob er also ein Aufenthaltsrecht im Sinne der Richtlinie hat, das die Anwendung des Gleichheitsgebots erlaubt:
Nach Art. 6 EGRL 38/2004 hat ein Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen
Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder
Formalitäten zu erledigen braucht. Allerdings wirkt für den Aufenthalt von drei Monaten nicht Art. 6 EGRL 38/2004
konstitutiv. Vielmehr besteht dieses Recht bereits seit Einführung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag zur
Gründung der Europäischen Gemeinschaft in der Fassung des Vertrages von Nizza (zunächst Art. 8a, später Art. 17
und 18 EG, nunmehr Art. 20, 21 des Zweiten Teiles des AEUV = Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen
Union – vom 09.05.2008; Artikel 21 Abs. 1: "Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der
Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen
Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten." Die Unionsbürgerschaft ist damit zum
grundlegenden Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten geworden. In diesem Sinne stellt die Richtlinie 38/2004
Durchführungsvorschriften zu Art. 21 AEUV dar. Dabei hat Art. 6 der Richtlinie aber nur deklaratorischen Charakter.
Die Voraussetzungen für einen über drei Monaten hinausgehenden Zeitraum in einem Mitgliedsstaat werden in Art. 7
Abs. 1 EGRL 38/2004 geregelt. Danach hat jeder Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines
anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten, wenn er
a) Arbeitnehmer oder Selbständiger im Aufnahmemitgliedstaat ist oder
b) für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass sie während ihres
Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaats in Anspruch nehmen müssen, und er und seine
Familienangehörigen über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz im Aufnahmemitgliedstaat verfügen oder
über Krankenversicherungsschutz verfügt und der zuständigen nationalen Behörde glaubhaft macht, über
ausreichende Existenzmittel zu verfügen. (Buchstabe c) ist im Vorliegenden nicht relevant.
Nach Art. 8 Abs. 3 EGRL 38/2004 benötigt ein Unionsbürger, auf den Artikel 7 Abs. 1 Buchstabe b) Anwendung
findet, für die Ausstellung der Anmeldebescheinigung die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder
Reisepasses sowie eines Nachweises, dass er die dort genannten Voraussetzungen (Krankenversicherungs-schutz
und ausreichende Existenzmittel) erfüllt. Nach Art. 8 Abs. 4 EGRL 38/2004 aber dürfen die Mitgliedstaaten keinen
festen Betrag für die Existenzmittel festlegen, die sie als ausreichend betrachten, sondern müssen die persönliche
Situation des Betroffenen berücksichtigen. Der Betrag darf in keinem Fall über dem Schwellen-betrag liegen, unter
dem der Aufnahmemitgliedstaat seinen Staatsangehörigen Sozialhilfe gewährt, oder, wenn dieses Kriterium nicht
anwendbar ist, über der Mindestrente der Sozialversicherung des Aufnahmemitgliedstaats.
Hier ist der Antragsteller weder Arbeitnehmer oder Selbständiger noch verfügt er über einen umfassenden
Krankenversicherungsschutz und ausreichende eigene Mittel, die ihn von Sozialhilfe unabhängig machen, da die
niederländische Rente hierfür nicht ausreicht.
Dass hier die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für einen längeren Aufenthalt nicht vorliegen, spricht gegen die
Annahme, dass sich der Antragsteller "aufgrund dieser Richtlinie" im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats
aufhält. Dagegen kann jedoch vorgebracht werden, dass Art. 7 Abs. 1 nicht vom "rechtmäßigen" Aufenthalt spricht
sondern vom Aufenthalt "aufgrund dieser Richtlinie", so dass alle Vorschriften der Richtlinie, die sich zum (weiteren)
Aufenthalt verhalten, heranzuziehen sind. Dann wären nicht nur die materiell-rechtlichen Voraussetzungen von Art. 6
und 7 EGRL 38/2004 von Bedeutung sondern auch die Normen zur Frage, ob ein fehlendes Aufenthaltsrecht
tatsächlich durchzusetzen ist, der Unionsbürger also gezwungen werden kann, den Aufenthaltsmitgliedsstaat zu
verlassen. Diese Frage wird in Art. 14 EGRL 38/2004 geregelt.
Nach Art 14 Abs. 2 Satz 2 EGRL 38/2004 können die Mitgliedstaaten in bestimmten Fällen, in denen begründete
Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger die Voraussetzungen der Artikel 7, 12 und 13 erfüllt, prüfen, ob diese
Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt. Nach Art. 14 Abs. 3 EGRL 38/2004
darf sogar die Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen durch einen Unionsbürger nicht automatisch zu einer
Ausweisung führen. Ein Fehlen der Voraussetzungen für ein Aufenthaltsrecht auf längere Zeit nach Art. 7 Abs. 1
Buchstabe b EGRL 38/2004 führt daher nicht zwangläufig zu einer Ausweisung des Unionsbürgers. Seinem Wortlaut
nach trifft Art. 14 Abs. 3 EGRL 38/2004 nur eine Bestimmung über die Ausweisung des Unionsbürgers, so dass
fraglich ist, ob diese Vorschrift inhaltlich unmittelbar das Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 EGRL 38/2004
beeinflusst.
Ob sich der Antragsteller letztlich auf Art. 24 Abs. 1 EGRL 38/2004 berufen und auf diesem Weg einen Anspruch auf
Sozialhilfe herleiten kann, kann die Kammer offen lassen, da sich die Nichtanwendbarkeit von § 23 Abs. 3 SGB XII
unmittelbar aus Art. 18 (Diskriminierungsverbot) und Art. 21 (Freizügigkeit) AEUV ergibt.
Bei dem Recht aus Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV ist allerdings umstritten, welche unmittelbaren Folgen das
Nichtvorliegen der Voraussetzungen für ein längeres Aufenthaltsrecht nach Art. 7 Abs. 1 Buchstabe b EGRL 38/2004
für die Freizügigkeit als Unionsbürger hat. Zum einen wird angenommen, dass der Vorbehalt der
Durchführungsbestimmungen in Art. 21 AEUV dazu führt, dass bei Fehlen der Voraussetzungen für einen längeren
Aufenthalt das Recht auf Freizügigkeit aus Art. 21 AEUV gar nicht erst zum Entstehen gelangt, das Aufenthaltsrecht
also in den Grenzen des sekundären Gemeinschaftsrechts entsteht; zum andern wird argumentiert, dass Art. 21
AEUV konstitutiv wirkt und die Durchführungs-bestimmungen der EGRL 38/2004 nur über das Fortbestehen des
Rechts entscheiden (zum Streitstand: Husmann, NZS 2009, 547, 549 m.w.N.; in der Entscheidung vom 13.04.2010,
C-73/08, Nicolas Bressol u.a. hält der EuGH zwar Art. 21 AEUV für einschlägig, lässt aber offen, ob sich die Kläger
auf Art. 24 Abs. 1 EGRL 38/2004 berufen können, da ihm die aufenthaltsrechtlichen Tatsachen nicht ausreichend
bekannt seien; dies spricht dafür, dass der EuGH die Bestimmungen der EGRL 38/2004 als nicht konstitutiv für das
Bestehen des Aufenthaltsrechts nach Art. 21 AEUV ansieht. In der Entscheidung vom 07.09.2004, C-456/02 "Trojani"
hatte der EuGH dagegen das Aufenthaltsrecht des damaligen Art. 18 Abs. 1 EG als nicht absolut sondern unter
Vorbehalt von Art. 1 der Richtlinie 90/364 - Vorgängerregelung zu Art. 7 EGRL 38/2004 – angesehen). Der Streit ist
jedoch letztlich nicht entscheidend, weil nach der Rechtsprechung des EuGH der Anwendungsbereich des Art. 21
Abs. 1 AEUV auch dann eröffnet ist, wenn sich der Unionsbürger nach den maßgeblichen Vorschriften des
Aufnahmestaates rechtmäßig im Mitgliedsstaat aufhält (EuGH, Urt. v. 20.09.2001, C-184/99 "Grzelczyk"; Urt. v.
07.09.2004, C-456/02 "Trojani"; Urt. v. 13.04.2010, C-73/08 "Nicolas Bressol u.a."). Dabei ist entscheidend, dass dem
Unionsbürger ein rechtmäßiger Aufenthalt bescheinigt ist, das Vorliegen der Voraussetzungen für einen rechtmäßigen
Aufenthalt im Sinne der EGRL 38/2004 ist hierfür nicht erforderlich. Die so verstandene Rechtmäßigkeit des
Aufenthalts, die darauf abstellt, ob der Unionsbürger nach nationalem Recht den Status eines rechtmäßigen
Aufenthalts nachweisen kann, ist in Fällen der Vorliegenden Art Voraussetzung, sich auf das Diskriminierungsverbot
des Art. 18 Abs. 1 AEUV berufen zu können
Der Antragsteller kann sich in diesem Sinne auf die Freizügigkeit nach Art. 21 Abs. AEUV berufen. Denn sein
Aufenthalt ist in der Bundesrepublik Deutschland nicht illegal sondern rechtmäßig. Der Antragsteller verfügt über eine
Freizügigkeits-bescheinigung nach § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern
(FreizügG/EU; zuletzt geändert durch Art. 7 des Gesetzes vom 26.02.2008). Auch wenn es sich bei der
Freizügigkeitsbescheinigung um keinen echten Aufenthaltstitel handelt, ist damit dokumentiert, dass es sich um einen
rechtmäßigen Aufenthalt handelt. Denn es entspricht der gesetzlichen Konzeption des Freizügigkeitsrechts, von der
Rechtmäßigkeit des Aufenthalts auszugehen, solange die Ausländerbehörde nicht von ihrer Möglichkeit Gebrauch
gemacht hat, den Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts nach § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festzustellen
und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht einzuziehen (Bundessozialgericht, Urt. v.
19.10.2010, B 14 AS 23/10 R m.w.N.). Die Ausreisepflicht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU wird erst mit dieser
Verlustfeststellung begründet. § 7 Abs. 1 Satz 1 FreizügigG/EU ist die nationale Umsetzung von Art. 14 EGRL
38/2004, der in seinem Absatz 2 regelt, dass es eines gesonderten Verwaltungsverfahrens zur Überprüfung des
Aufenthaltsrechts nach den Artikeln 7 (mehr als drei Monate), 12 und 13 bedarf, ob die Unionsbürger die dort
genannten Voraussetzungen erfüllen. Nach Art 14 Abs. 2 Satz 2 EGRL 38/2004 können die Mitgliedstaaten in
bestimmten Fällen, in denen begründete Zweifel bestehen, ob der Unionsbürger die Voraussetzungen der Artikel 7, 12
und 13 erfüllt, prüfen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind. Diese Prüfung wird nicht systematisch durchgeführt. Im
Rahmen der Ausreisepflicht wiederum ist Art. 14 Abs. 3 EGRL 38/2004 zu beachten, wonach die Inanspruchnahme
von Sozialhilfe-leistungen durch einen Unionsbürger nicht automatisch zu einer Ausweisung führen darf.
Aufgrund des rechtmäßigen Aufenthalts kann kommt im Rahmen der Auslegung des § 23 Abs. 3 SGB XII das
Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV zur Anwendung. Danach ist unbeschadet besonderer Bestimmungen der
Verträge in ihrem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der EuGH
hat bereits mehrfach entschieden, dass Leistungen der Sozialhilfe in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen
(Urt. v. 07.09.2004, C-456/02 m.w.N.). Werden Unionsbürgern, die sich in dem Mitgliedstaat rechtmäßig aufhalten,
ohne seine Staatsangehörigkeit zu besitzen, die Leistungen von Sozialhilfe auch dann nicht gewährt, wenn sie die
Voraussetzungen erfüllen, die für die Staatsangehörigen des Mitgliedstaates gelten, stellt dies eine verbotene
Diskriminierung aus Gründen der Staatsbürgerschaft dar (Urt. v. 20.09.2001, C-184-99 "Grzelczyk"; Urt. v.
07.09.2004, C-456/02 "Trojani").
Der Antragsteller hat damit nach Ablauf der Dreimonats-Frist des Art. 24 Abs. 2 EGRL 38/2004 Anspruch auf
Leistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII. Rein vorsorglich weist die Kammer darauf hin, dass es auch nach der
Rechtsprechung des EuGH dem Mitgliedstaat unbenommen bleibt, festzustellen, dass ein Staatsangehöriger eines
andren Mitgliedstaats, der Sozialhilfe in Anspruch genommen hat, die Voraussetzungen für sein Aufenthaltsrecht
nicht (mehr) erfüllt. Der Aufnahmemitgliedstaat kann sogar in einem solchen Fall unter Einhaltung der vom
Gemeinschaftsrecht gezogenen Grenzen eine Ausweisungsmaßnahme vornehmen, wird dabei aber insbesondere Art.
14 Abs. 3 EGRL 38/2004 zu beachten haben (EuGH aaO).
Auf die – umstrittene – Frage, ob im Fall eines wirtschaftlich nicht aktiven Unions-bürgers, der aus Gründen des
Sozialhilfebezugs einreist, das Europäische Fürsorgeabkommen vom 11.12.1953 (EFA) Anwendung findet, kommt es
daher nicht an (zum Streitstand einerseits: BSG, Urt. v. 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, Rdnr. 40; andererseits: Greiger
in jurisPK-SGB XII, Vorbemerkung SGB XII, Die Sozialhilfe als Gegenstand des Europäischen Rechts, Rnr. 59 f.
m.w.N.).
Ebenso wenig braucht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht die Frage geklärt werden, ob der vollständige
Leistungsausschluss des § 23 Abs. 3 SGB XII nach nationalem Recht verfassungsmäßig ist, so dass dem
Antragsteller für die Zeit vor dem 08.01.2011 u.U. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zumindest in
reduzierter Höhe zustünden. Die Kammer sieht diesbezüglich im Hinblick auf den im einstweiligen Rechtsschutz nur
geringen Zeitraum (von Stellung des Antrags am 23.12.2010 bis zum 07.01.2011) und den Umstand, dass der
Antragsteller über eigenes Einkommen in Höhe von 250 EUR verfügt, keinen Anordnungsgrund.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz und berücksichtigt das Verhältnis von Obsiegen und
Unterliegen.
II.
Da der Eilantrag überwiegend Erfolg hat, liegen auch die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
vor.