Urteil des SozG Düsseldorf vom 23.07.2003

SozG Düsseldorf (Verwaltung, Berechnung der Beiträge, Vermietung, Unternehmen, Veranlagung, Gesellschaftszweck, Unternehmung, Immobilie, Begriff, Vermittler)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Nachinstanz:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Düsseldorf, S 1 (18) U 122/02
23.07.2003
Sozialgericht Düsseldorf
1. Kammer
Urteil
S 1 (18) U 122/02
Landessozialgericht NRW, L 15 U 215/03
Unfallversicherung
nicht rechtskräftig
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 2002
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002
verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Gerichts neu zu bescheiden. Die Beklagte trägt die Kosten des
Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die richtige Veranlagung der Klägerin innerhalb des Gefahrtarifs
der Beklagten.
Mit Gesellschaftsvertrag vom 19. September 2000 gründete sich die Klägerin. In § 2 des
Gesellschaftsvertrages heisst es unter "Gegenstand des Unternehmens" u. a.:
"Gegenstand des Unternehmens ist der Wohn- und Gewerbebau als Bauherr im eigenen
Namen für eigene und fremde Rechnung unter Verwendung von Vermögenswerten Dritter,
die Vornahme von Immobiliengeschäften, die Übernahme von Bauträger- und
Baubetreuungsaufgaben aller Art und die Vermittlung von damit im Zusammenhang
stehenden Finanzierungen, die Annahme von Aufträgen als Generalunternehmer, die
Projektentwicklung sowie der Betrieb einer Bauunternehmung. ..."
Die Klägerin zeigte ihre Gründung mit Schreiben vom 3. April 2001 der Beklagten an. Mit
Bescheid vom 23. August 2002 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit und den Beginn der
Beitragspflicht der Klägerin ab dem 1. September 2002 fest.
Mit Bescheid gleichen Datums veranlagte die Beklagte die Klägerin in die Gefahrtarifstelle
12 des Gefahrtarifs der Beklagten vom 1. Januar 2001. Die Gefahrtarifstelle 12 hat
folgenden Wortlaut:
"Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen"
das entspricht einer Gefahrklasse bis einschließlich 2001 von 1,50 und ab 2002 1,55.
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Mit Schreiben vom 28. August 2002 legte die Klägerin Widerspruch gegen den
Veranlagungsbescheid ein. Die Eingruppierung in die Gefahrtarifstelle 12 sei unrichtig.
Richtig sei die Einordnung in die Gefahrtarifstelle 26.
Die Gefahrtarifstelle 26 hat folgenden Wortlaut:
"Wohnungsunternehmen, Siedlungsunternehmen"
das entspricht einer Gefahrklasse von 0,86.
Mit einem Schreiben vom 4. September 2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der
Gefahrtarif nach Gewerbezweigen bzw. branchenbezogen eingeteilt worden sei. Es gäbe
keinen Tätigkeitsbezug. Damit komme es für die Eingruppierung allein auf die Art und den
Gegenstand des Unternehmens an. Bauträger seien im Wortlaut der Gefahrtarifstelle zwar
nicht namentlich genannt, Bauträger seien aber von jeher unter der Gruppe "Verwaltung,
Vermietung unbeweglicher Sachen" eingruppiert worden. Dies habe auch seinen Grund
darin, dass eine Bauträgertätigkeit überwiegend büromäßig betrieben werde.
Die Klägerin nahm ihren Widerspruch daraufhin nicht zurück, so dass die Beklagte unter
dem 23. September 2002 einen Widerspruchsbescheid erließ. Zur Begründung der
Zurückweisung des Widerspruchs führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass unter die
Bezeichnung "Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen" auch die Unternehmen
fielen, die Immobilien durch Dritte bauen lassen, was einer Bauträgertätigkeit entspreche.
Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 23.
September 2002, Blatt 37 ff der Verwaltungsakten verwiesen.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 24. Oktober 2002 erhobene Klage der
Klägerin. Sie trägt darin vor, dass sie eine Bauträgergesellschaft sei. Das bedeute, dass
der Zweck der Unternehmung im Wesentlichen darin bestehe, Immobilien zu verkaufen, die
sie vorher durch Dritte habe erstellen lassen. Das sei weder Verwaltung noch Vermietung
unbeweglicher Sachen. Deshalb passe die Gefahrtarifstelle 12 nicht zum Gegenstand ihres
Unternehmens. Am ehesten sei der Gegenstand des Unternehmens mit der
Gefahrtarifstelle 26 vergleichbar, da Wohnungsunternehmen einen vergleichbaren
Unternehmensgegenstand hätten, wie Bauträger.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 zu verurteilen, sie unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die durch den angefochtenen Bescheid vorgenommene Veranlagung für richtig.
Denn der Gefahrtarif sei branchenbezogen und nicht tätigkeitsbezogen aufgebaut.
Bauträger gehörten zur Verwaltung bzw. Vermietung unbeweglicher Sachen.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und den
Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung
waren, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 23.
August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 belastet
die Klägerin in ihren Rechten. Denn die Entscheidung ist rechtswidrig. Zu Unrecht hat die
Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung die Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12
eingeordnet. Denn die Branche der Bauträger wie auch der Gewerbezweig zu dem die
Branche zu rechnen ist, kann weder vom Wortlaut noch vom Inhalt her unter die
Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifes der Beklagten vom 1. Januar 2001 eingeordnet
werden. Näher liegt vielmehr die Einordnung unter die Gefahrtarifstelle 26. Denn Bauträger
gehören eher zum Gewerbezweig der Wohnungsunternehmen.
Gemäß § 157 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) setzt der
Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. Der Gefahrtarif wird
nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken
unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebündelt werden.
Der hierfür zuständigen Vertreterversammlung steht dabei ein sehr weitgehender
Gestaltungsspielraum zu, der nur in Bezug auf einen Verstoß gegenüber höherrangigem
Recht überprüfbar ist (BSGE 27, 237, 240). Der Grad der Unfallgefahr wird durch die
Gefahrklasse im Sinne des § 157 SGB VII, die den jeweiligen Unternehmen zugeordnet
wird, wiedergegeben. Jeweils eine Mehrzahl von Unternehmen wird in einzelnen
Tarifstellen zusammengefasst. Die Risikogemeinschaft Berufsgenossenschaft wird
dadurch in kleinere Risikogemeinschaften gegliedert. In den Gefahrengemeinschaften
(Tarifstellen) sind jeweils Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken
zusammengefasst. Zulässigerweise wendet die Beklagte insoweit den "Gewerbezweigtarif"
an, in dem die Tarifstellen abgesehen von Unternehmen der gewerbsmäßigen
Arbeitnehmerüberlassung allein nach Gewerbezweigen gebildet werden. (Vgl. den
Gefahrtarif der Beklagten; gültig zur Berechnung der Beiträge vom 1. Januar 2001 an).
Gemäß § 159 SGB VII veranlagt der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die
Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen. Dies hat die Beklagte mit der
angefochtenen Entscheidung getan und die Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 veranlagt.
Gegen diese Veranlagung wendet sich die Klägerin mit Erfolg.
Die Zuordnung eines Unternehmens durch eine Berufsgenossenschaft zu einer
Gefahrtarifstelle ist gerichtlich vollständig überprüfbar (LSG Berlin, L 3 U 1/97 vom 25.
November 1999 = Breith. 2000, 554). Wird nicht die günstigste Gefahrklasse gewählt,
handelt es sich um eine belastende Verwaltungsentscheidung (Vgl. Kass.-Kom.-Ricke, §
159 Rdn. 2). Es entspricht rechtsstaatlichem Handeln, dass Verwaltungsentscheidungen
für den Rechtsunterworfenen nachvollziehbar sind und die Rechtsanwendung den
geltenden Rechtsnormen entspricht. Dies gilt auch und gerade für solche Normen, die der
Verwaltungsträger sich in seiner Autonomiekompetenz selbst setzt. Insoweit besteht das
Willkürverbot auch im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung und ist in vollem Umfang
gerichtlich überprüfbar (Kass.-Kom.-Ricke § 159 Rdn. 3).
Die Einordnung der Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifes der Beklagten ist
weder vom Wortlaut her noch bei teleologischer Betrachtung nachvollziehbar und daher
rechtswidrig. Der von der Beklagten angeführte historische Aspekt dieser Zuordnung trägt
die angefochtene Entscheidung nicht. Denn er ist zum einen für den Rechtsunterworfenen
nicht transparent und zum anderen fehlt er in der Begründung der angefochtenen
Entscheidung.
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Wie die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, bedeutet
der Wortlaut "Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen" sowohl die Verwaltung
unbeweglicher Sachen, wie die Vermietung unbeweglicher Sachen. Der Begriff
"Verwaltung" stellt insoweit keinen Sammelbegriff für solche Gewerbezweige dar, die den
übrigen Gefahrtarifstellen nicht zuordenbar sind.
Zu Recht weist die Beklagte daraufhin, dass die Zuordnung zu einer Gefahrtarifstelle nach
den Prinzipien des § 157 SGB VII nicht auf die tatsächliche Tätigkeit der Mitarbeiter des
einzugruppierenden Unternehmens abstellt, sondern allein auf die Art und den Gegenstand
des Unternehmens hin vorzunehmen ist. Die Art und der Gegenstand des Unternehmens
der Klägerin wird durch ihren Gesellschaftszweck determiniert, mit dem sie auch im
Handelsregister eingetragen ist. Keiner der aufgeführten Gesellschaftszwecke beinhaltet
die Verwaltung unbeweglicher Sachen. Denn wie sich aus der Definition des
Gesellschaftszweckes ergibt, will die Klägerin weder eigene noch fremde Immobilien
verwalten. Vielmehr beinhaltet der Gesellschaftszweck im Wesentlichen, Grundstücke oder
Immobilien zu erwerben, sie durch Dritte zu verändern bzw. Wert zu verbessern (Errichtung
oder Renovierung eines Gebäudes) und diese Immobilie sodann wieder zu verkaufen. Die
dem Begriff der Verwaltung innewohnende gewisse Dauerhaftigkeit des Eigentums an der
Immobilie ist nicht Zweck des Unternehmens der Klägerin. Im Gegenteil liegt es im Zweck
des Unternehmens möglichst schnell den An- und Verkauf zu vollziehen um neue Projekte
im Sinne des Gesellschaftszweckes unternehmen zu können.
Die Vermietung unbeweglicher Sachen ist ohnehin nicht Inhalt des Gesellschaftszwecks
der Klägerin.
Auch von Sinn und Zweck der Gefahrtarifstelle lässt sich eine Veranlagung der Klägerin zu
dieser Tarifstelle nicht rechtfertigen. Die Beklagte hat hierzu angeführt, dass im Sinne des §
157 SGB VII diese Gefahrtarifstelle gebildet worden sei für Unternehmungen, die
überwiegend büromäßig arbeiten. Dies trifft für die Unternehmung der Klägerin nicht zu. Es
ist gerichtsbekannt, dass die im Gesellschaftsvertrag der Klägerin niedergelegten
Gegenstände der Unternehmung nicht allein büromäßig vorgenommen werden können.
Gerade der An- und Verkauf bebauter sowie auch unbebauter Immobilien bedarf des
persönlichen Einsatzes von Unternehmensmitarbeitern vor Ort. Dies wird um so mehr
notwendig sein, wie der Gesellschaftszweck auch die Baubetreuung aller Art vorsieht.
Auch die Vermittlung von damit in Zusammenhang stehenden Finanzierungen bedarf der
persönlichen Betreuung der Kundschaft nicht allein in den eigenen Büroräumen oder am
Telefon.
Zur Begründung der Eingruppierung der Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 bleibt allein der
von der Beklagten angeführte historische Aspekt, dass Bauträger, wie sie die Klägerin
darstelle, "von jeher" in diese Gefahrtarifstelle eingeordnet worden sind. Diesem Aspekt
fehlt die einem rechtsstaatlichen Handeln innewohnende Transparenz und damit
Nachvollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung. Nirgendwo in dem Gefahrtarif der
Beklagten sind derartige historische Aspekte aufgeführt. Soweit dies das alleinige
Zuordnungsargument ist, widerspricht es auch dem Aufbauprinzip des Gefahrtarifes, dass
sich an der Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einem bestimmten Gewerbezweig
orientiert. Dies kann nicht allein historisch begründet werden. Denn die Zweckausrichtung,
die Tätigkeit und das damit verbundene Gefährdungspotential kann sich in der historischen
Entwicklung ganz erheblich verändern. Zu dem fehlt zu diesem Aspekt jede Begründung in
der angefochtenen Entscheidung.
Es steht der Beklagten frei, die Branche der Bauträger im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit
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einer bestimmten Tarifstelle ihres Gefahrtarifes zuzuordnen und in die Tarifstelle 12
aufzunehmen. Hierbei wäre jedoch eine hinreichende Abgrenzung gegenüber der
Tarifstelle 26 vorzunehmen, weil die Existenz zweier Tarifstellen mit teilkongruenten
Gewerbezweigen und dem damit verbundenen Willkürpotential rechtswidrig sein dürfte
(vgl. hierzu SG Würzburg vom 24. November 1999, S 5 U 259/98). Die Gefahrtarifstelle 12
des Gefahrtarifs der Beklagten enthält jedoch zur Zeit keinerlei Zuordnungskriterien, die
eine rechtmäßige Veranlagung der Klägerin zu dieser Tarifstelle rechtfertigen könnte.
Soweit die Beklagte ihr Tarifgefüge nicht ändern will, soweit dies für die Vergangenheit
überhaupt möglich erscheint, wird sie bei ihrer neuen Entscheidung zu berücksichtigen
haben, dass die Art und der Gegenstand des Unternehmens der Klägerin am ehesten noch
der Tarifstelle 26 des Gefahrtarifs zugeordnet werden kann.
In Betracht käme wohl auch die Tarifstelle 18 ("Makler, Vermittler"), da der
Gesellschaftszweck der Klägerin "Finanzierung" dem Gewerbezweig der Makler und
Vermittler zuzuordnen ist. Dies dürfte jedoch nicht der Schwerpunkt der Zweckausrichtung
des Unternehmens der Klägerin darstellen, die sich selbst dahingehend eingelassen hat,
Immobilien zu kaufen, Gebäude darauf zu errichten und die Immobilie wieder zu verkaufen.
Dies entspricht gemessen an dem vorliegenden Tarifgefüge des Gefahrtarifs, gültig ab 1.
Januar 2001, am ehesten der Tarifstelle 26. Denn wie bei Wohnungsunternehmen gehört
es zum Gegenstand der Unternehmung der Klägerin Grundstücke oder Immobilien zu
kaufen, diese Werte zu verbessern und ggf. wieder zu verkaufen. Der fehlende Aspekt, und
hier besteht die Teilkongruenz zur Tarifstelle 12, ist lediglich die Verwaltung und
Vermietung eigener oder fremder (vgl. hierzu SG Würzburg vom 24. November 1999, S 5 U
259/98) Immobilien. Diesen Zweck erfüllt die Klägerin nicht. Anders als in der Tarifstelle 12
findet sich jedoch in der Tarifstelle 26 zumindest ein Teilaspekt bzgl. des Gegenstands des
Unternehmens der Klägerin was für eine Gestaltung der Tarifstelle im Sinne des § 157
SGB VII und für eine Zuordnung eines Unternehmens zu dieser Tarifstelle im Sinne des §
159 SGB VII ausreichend ist. Diese Tarifstelle ist auch bezogen auf die Tarifstelle 12 die
günstigere Veranlagung für die Klägerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Beteiligten sind hinsichtlich der
Kosten nicht privilegiert im Sinne des § 183 SGG, da die Klage nach dem 2. Januar 2002
rechtshängig geworden ist, ist neues Kostenrecht anzuwenden.