Urteil des SozG Düsseldorf vom 06.10.2006

SozG Düsseldorf: befreiung von der versicherungspflicht, wiedereinsetzung in den vorigen stand, verfassungskonforme auslegung, rentner, krankenversicherung, freiwillige versicherung, gesetzliche frist

Sozialgericht Düsseldorf, S 4 KR 290/04
Datum:
06.10.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 4 KR 290/04
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 16 KR 20/07
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die
Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Der in Frankreich wohnende Kläger begehrt die Entlassung aus der
Krankenversicherung der Rentner.
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Der am 00.00.1935 geborene Kläger bezieht seit dem 01.07.1999 Altersrente aus der
deutschen Rentenversicherung und ist seitdem freiwilliges Mitglied in der
Krankenversicherung der Rentner bei der Beklagten.
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Im Jahr 2000 verlegte er seinen ständigen Wohnsitz nach Frankreich.
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Mit Schreiben vom 09.01.2002 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass er mit
Wirkung ab 01.04.2002 aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
vom 15.03.2000 Pflicht- mitglied in der Krankenversicherung der Rentner bei der
Beklagten würde. Eine Fort- führung der freiwilligen Versicherung sei nicht möglich. Er
könne sich jedoch binnen einer Frist von 3 Monaten ab dem 01.04.2002 von der
Versicherungspflicht befreien lassen.
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Am 15.03.2004 kündigte der Kläger die Krankenversicherung der Rentner mit Wirkung
zum 01.05.2004. Mit Bescheid vom 29.03.2004 lehnte die Beklagte die Annahme der
Kündigung ab und stellte fest, dass die Pflichtversicherung in der KvdR nicht gekündigt
werden könne.
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Der dagegen vom Kläger am 01.04.2004 erhobene Widerspruch wurde von der Wider-
spruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 09.06.2004 als
unbegründet zurückgewiesen. Die gesetzliche Regelung sehe eine Beendigung der
Pflichtmitglied- schaft in der KvdR durch einseitige Willenserklärung des Rentners nicht
vor. Nur im Rahmen der Krankenkassenwahlrechte nach § 175 Abs. 4 SGB V könne
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eine Pflicht- versicherung zugunsten einer Pflichtversicherung bei einer anderen
gesetzlichen deutschen Krankenkasse beendet werden. Der Wechsel zu einer
ausländischen Kranken- kasse sei nicht vorgesehen. Eine weitere freiwillige
Versicherung und eine Befreiung von der Versicherungspflicht komme nicht mehr in
Betracht. Eine Fortsetzung der freiwilligen Versicherung über den 31.03.2002 hinaus
wäre nur auf Antrag innerhalb von 6 Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht, also
bis zum 30.09.2002 möglich gewesen. Hiervon hätte der Kläger jedoch keinen
Gebrauch gemacht. Eine Befreiung von der Versicherungs- pflicht hätte gemäß § 8 Abs.
1 Nr. 4 SGB V innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht beantragt
werden müssen. Einen derartigen Antrag hätte der Kläger innerhalb dieser Frist nicht
gestellt. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass die genannte Frist vom
Kläger unverschuldet versäumt worden wären. Über die Befreiungsmöglichkeit sei der
Kläger im Schreiben vom 09.01.2002 und über das Opitionsrecht in der
Mitgliederzeitschrift 2/2002 Seite 40, 41 aufgeklärt worden.
Dagegen hat der Kläger am 10.09.2004 Klage erhoben. Seiner Auffassung nach liege
eine Pflichtversicherung nicht vor. Das SGB V gelte gemäß § 3 Nr. 2 SGB IV nur in
Deutsch-land, nicht jedoch in Frankreich. Nach EG-Recht werde zwar durch die EG-
Verordnung 1408/71 ein Versicherungsverhältnis zur deutschen Krankenversicherung
begründet. Die Anwendung deutschen Rechts sei jedoch nicht zwingend
vorgeschrieben. Außerdem gelte diese Verordnung nur für Arbeitnehmer und
Selbständige. Ein Rentner sei jedoch weder Arbeitnehmer noch Selbständiger.
Abgesehen davon beinhalte ein Festhalten an der Pflichtversicherung einen Verstoß
gegen Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Die Regelung sei unverhältnismäßig und
verstosse gegen das Äquivalenzprinzip zwischen Beiträgen und Leistungen:
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In Frankreich erhalte er Leistungen nur im Wege der Kostenerstattung und nur mit
erheblicher Selbstbeteiligung (70% der Sachleistung). Er müsse jedoch einen hohen
Beitrag entrichten, erhalte jedoch nur geringe Leistungen. Bei einer Vollversicherung
betrage die Beitragsbelastung einschließlich der Beiträge für eine private Zusatzver-
sicherung ca. 174 Euro, während er an die Beklagte einen Beitrag von 516 Euro zu
entrichten hätte. Außerdem stelle die von der Beklagten angewandte Regelung einen
Verstoß gegen Artikel 3 Grundgesetz (GG) dar: Seine Situation weiche von derjenigen
eines in Deutschland wohnenden Rentners so gravierend ab, dass er diesem nicht
gleich gestellt werden dürfe. Seiner Auffassung nach bestünden auch mehrere
Möglichkeiten zur verfassungskonformen Auslegung: Bei Nichtanwendung der
Pflichtversicherungstat-bestände auf ständig im EG-Ausland wohnende Rentner ließen
sich die oben dargelegten Verfassungsverstösse vermeiden. Möglich sei auch die
Nichtanwendung der 3-Monats-frist in § 8 Abs. 2 SGB V. Darüber hinaus könne das
Kündigungsrecht nach § 175 auf ausländische Krankenversicherungsträger innerhalb
der EG übertragen werden.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29.03.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 09.06.2004 zu verpflichten, ihn aus der
Krankenversicherung der Rentner zu entlassen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen im angefochtenen
Widerspruchs-bescheid.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Schriftsätze der
Beteiligten und den übrigen Inhalt der Akte Bezug genommen. Die Verwaltungsakten
der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung
gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die vom Kläger erhobene kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage ist zulässig.
Der Kläger hat ein berechtigtes Feststellungsinteresse daran, ob die vom ihm ausge-
sprochene Kündigung der Pflichtmitgliedschaft der Krankenversicherung der Rentner
wirksam ist oder ob er noch Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner ist.
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Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass der
Kläger Mitglied in der Krankenversicherung der Rentner ist und keinen Anspruch auf
Beendigung der Pflichtmitgliedschaft in der KvdR hat.
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Die Beklagte hat mit als Bescheid auszulegendem Schreiben vom 09.01.2002 bindend
festgestellt, dass der Kläger mit Wirkung ab 01.04.2002 Pflichtmitglied in der Kranken-
versicherung der Rentner nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 SGB V geworden ist. Gegen die Pflicht-
mitgliedschaft spricht nicht, dass der Kläger schon seit dem Jahr 2000 seinen ständigen
Wohnsitz in Frankreich hatte. Zwar gelten die Vorschriften über die Pflichtversicherung
nach § 3 SGB IV grundsätzlich nur im Geltungsbereich des SGB. Nach § 6 SGB IV
bleiben jedoch die Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechtes unberührt.
Nach Artikel 28 und 28a der EG-Verordnung 1408/71 unterliegt ein in einem anderen
EG-Staat wohnender Rentner, der eine Rente nur aus der deutschen gesetzlichen
Renten- versicherung bezieht, den deutschen Rechtsvorschriften über die
Krankenversicherung, wenn er die nach innerstaatlich deutschem Recht geforderten
Voraussetzungen für die KVdR erfüllt und keinen eigenen Leistungsanspruch im
Wohnsitzstaat hat. Das BSG hat noch mit Urteil vom 05.07.2005 (B 1 KR 2/04 R -)
ausdrücklich bestätigt, dass das Versicherungsverhält- nis eines Rentners, der Mitglied
in der deutschen Krankenver-sicherung der Rentner ist, durch den Wohnsitzwechsel ins
EG-Ausland nicht entfällt. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt hat, ist Artikel 28 und
28a der EG-Verordnung 1408/71 unmittelbar geltendes Recht. Das heißt eine
Nichtanwendung der Vorschriften über die Pflichtversicherung wäre wegen Verstosses
gegen Gemeinschaftsrecht rechts- wirdrig. Die vom Kläger angeregte
verfassungskonforme Auslegung der Vorschriften über die Pflichtversicherung wäre
somit wegen Verstosses gegen Gemeinschaftsrecht nicht möglich.
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Eine Beendigung der Pflichtmitgliedschaft aufgrund einseitiger Willenserklärung durch
Kündigung ist nicht möglich. § 190 SGB V der das Ende der Mitgliedschaft
Versicherungs- pflichtiger regelt, enthält keine Fallvariante, wonach eine Kündigung
einer Pflichtmitglied- schaft möglich wäre. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift endet die
Mitgliedschaft Versicherungs- pflichtiger grundsätzlich mit dem Tod des Mitglieds. Nach
Abs. 11 endet die Mitgliedschaft versicherungspflichtiger Rentner mit Ablauf des
Monats, in dem der Anspruch auf Rente wegfällt oder die Entscheidung über den
Wegfall oder den Entzug der Rente unanfechtbar geworden ist, frühestens mit Ablauf
des Monats, für den letztmalig Rente zu zahlen oder bei Gewährung einer Rente für
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zurückliegende Zeiträume mit Ablauf des Monats, in dem die Entscheidung
unanfechtbar wird.
Nach §§ 173 bis 175 bestehen jedoch Wahlrechte zwischen verschiedenen
gesetzlichen Krankenkassen. Diese Vorschriften regeln, unter welchen
Voraussetzungen Mitglieder gesetzlicher Krankenkassen die Krankenkasse wechseln
können. Die Krankenkassen- wahlrechte beziehen sich jedoch ausschließlich auf
Krankenkassen im Geltungsbereich des SGB V also auf deutsche Krankenkassen. Die
vom Kläger angeregte Anwendung dieser Vorschrift auf im EG-Ausland befindliche
Krankenkassen scheitert aus zwei Gründen: Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 darf die gewählte
Krankenkasse die Mitgliedschaft nicht ablehnen. Die Verpflichtung einer ausländischen
Krankenkasse aufgrund nationaler deutscher Rechtsvorschriften ist jedoch nicht
möglich. Auch die internationalen Vorschrift-en des EG-Rechtes enthalten keine
Rechtsgrundlage für eine derartige Verpflichtung. Darüber hinaus scheitert eine
entsprechende Anwendung dieser Vorschriften daran, dass es sich um
Ausnahmevorschriften handelt, die grundsätzlich nicht extensiv über ihren unmittelbaren
Anwendungsbereich hinaus ausgelegt werden dürfen.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach §
8 Abs. 1 Nr. 4 SGB V. Nach dieser Vorschrift wird auf Antrag von der
Versicherungspflicht befreit, wer versicherungspflichtig wird durch den Antrag auf Rente
oder den Bezug von Rente ... Nach Absatz 2 dieser Vorschrift ist der Antrag jedoch
innerhalb von 3 Monaten nach Beginn der Versicherungspflicht bei der Krankenkasse
zu stellen. Diese 3-Monats- frist lief hier vom 01.04.2002 bis 30.06.2002 und war somit
bei Antragstellung am 15.03.2004 verstrichen.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach
§ 27 SGB X. War jemand ohne Verschulden verhindert, eine gesetzliche Frist
einzuhalten, ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Nach § 27 Abs. 3 SGB X kann ein Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die
Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr
nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Einjahresfrist in Folge höherer
Gewalt unmöglich war. Diese Jahres- frist war hier ebenfalls schon abgelaufen ehe der
Kläger den Antrag stellte. Die Jahres- frist lief am 30.06.2003 ab und der Antrag wurde
am 15.03.2004 gestellt.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht im
Rahmen eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Die Beklagte hatte den
Kläger mit Schreiben vom 09.01.2002 zutreffend über die 3-Monatsfrist in Kenntnis
gesetzt. Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch in Folge unzutreffender Information
kann somit nicht bestehen.
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Eine verfassungskonforme Auslegung der gesetzlich geregelten Ausschlußfrist von 3
Monaten für die Beantragung der Befreiung von der Versicherungspflicht ist ebenfalls
nicht möglich. Eine Auslegung käme nur in Betracht, soweit der Wortlaut
auslegungsfähig wäre. Hier liegt jedoch ein eindeutiger Wortlaut vor, der eine
Auslegung nicht zulässt.
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Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Fortsetzung der Pflichtversicherung als frei-
willige Versicherung nach § 9 Abs. 1 Nr. 6 SGB V. Nach dieser Vorschrift können
Bezieher einer Rente der gesetzlichen Rentenversicherung, die nach dem 31.03.2002
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nach § 5 Abs. 1 Nr. 11 versicherungspflichtig geworden sind, deren Anspruch auf Rente
schon an diesem Tag bestand, die aber nicht die Vorversicherungszeiten nach § 5 Abs.
1 Nr. 11 in der seit dem 01.01.1993 erfüllt hatten und die deswegen bis zum 31.03.2002
freiwillige Mitglieder waren, innerhalb von 6 Monaten nach dem Eintritt der
Versicherungspflicht der Versicherung freiwillig beitreten. Diese 6-Monatsfrist war hier
am 30.09.2002 abgelaufen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheidet
ebenfalls aus den oben genannten Gründen wegen Ablaufs des Jahresfrist nach § 27
Abs. 3 SGB X aus. Es liegen auch die Voraussetzungen eines sozialrechtlichen
Herstellungsanspruches hier nicht vor. Zwar hat die Beklagte mit Schreiben vom
09.01.2002 die Möglichkeit der Fortsetzung einer freiwilligen Versicherung ausdrücklich
verneint; diese Information vom 09.01.2002 war zum damaligen Zeitpunkt zutreffend. § 9
Abs. 1 Nr. 6 SGB V wurde erst durch das Zehnte SGB V-Änderungsgesetz vom
22.03.2002 eingefügt. Die Beklagte konnte daher bei Abfassung des Schreibens vom
09.01.2002 von dieser gesetzlichen Möglichkeit noch keine Kenntnis haben. Über die
danach eingetretene gesetzliche Änderung hat die Beklagte ihre Mitglieder jedoch
zutreffend in ihrer Mitgliederzeitschrift 2/2002 informiert. Diese Information muss sich der
Kläger zurechnen lassen, auch dann wenn er sie persön-lich konkret nicht zur Kenntnis
genommen hat. Ein Informations- oder Beratungsfehler liegt somit nicht vor.
Die Klage musste daher abgewiesen werden.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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