Urteil des SozG Düsseldorf vom 30.06.2006

SozG Düsseldorf: grobe fahrlässigkeit, arbeitslosenhilfe, rechtswidrigkeit, verwaltungsakt, sorgfalt, haushalt, unterkunftskosten, rücknahme, gestaltung, familie

Sozialgericht Düsseldorf, S 23 AS 19/06
Datum:
30.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 23 AS 19/06
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitssuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 03.11.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.12.2005 wird aufgehoben. Die
Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines Rücknahme- und
Erstattungsbescheides der Beklagten im Zusammenhang mit der Bewilligung von
Leistungen nach dem SGB II.
2
Der im Jahr 1967 geborene Kläger, der im Arbeitslosenhilfebezug stand, beantragte am
25.08.2004 gegenüber der Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites
Buch (SGB II) - Grundsicherung für Arbeitsuchende -. Er gab an, verheiratet zu sein und
mit seiner Ehefrau und seinen in den Jahren 1995 und 1997 geborenen Kindern B1 und
B2-M in einem gemeinsamen Haushalt zu leben. Der Kläger teilte weiter mit, dass er
Kindergeld und Wohngeld beziehe. Seine Unterkunftskosten bezifferte er mit 365,00
EUR für Miete, 40,05 EUR für Heizkosten und 53,57 EUR für Nebenkosten.
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Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 26.10.2004 für die Zeit vom
01.01.2005 bis 31.05.2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich
1.340,62 EUR. Die Beklagte führte aus, der Berechnung der Leistung lägen die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers und der übrigen Mitglieder
der Bedarfsgemeinschaft zugrunde, wie sie bei der Antragstellung angegeben und
nachgewiesen worden seien. Als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sah sie neben
dem Kläger dessen Ehefrau und die Kinder an. Die Beklagte verwies auf den
beigefügten Berechnungsbogen, dem entnommen werden könne, wie sich der
angegebene Betrag im Einzelnen zusammensetze. Aus dem Berechnungsbogen geht
hervor, dass die Beklagte Regelleistungen für den Kläger und seine Ehefrau in Höhe
von jeweils 311,00 EUR berücksichtigte sowie Sozialgeld für beide Kinder in Höhe von
jeweils 207,00 EUR und Unterkunftskosten in Höhe von 458,62 EUR. Als Einkommen
brachte die Beklagte lediglich das Kindergeld des Sohnes in Höhe von 154,00 EUR in
Abzug. Sämtliche dieser Posten ergeben sich aus der ersten Seite des
Berechnungsbogen, der insgesamt zwei Seiten umfasst.
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Der Kläger überreichte später eine Abrechnung der Mietnebenkosten für das Jahr 2003
vom 07.04.2004, die eine künftige Miete von 395,00 EUR und Nebenkosten in Höhe von
165,00 EUR vorsah.
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Am 02.05.2005 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag und gab an, es seien keine
Änderungen eingetreten.
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Mit Bescheid vom 06.05.2005 bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom
01.06.2005 bis 30.11.2005 erneut Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich
1.340,62 EUR. Die Inhalte des Bescheides und des beigefügten Berechnungsbogens
entsprachen denen der Bewilligung vom 26.10.2005 mit dem Unterschied, dass das
berücksichtigte Einkommen nunmehr auf der zweiten Seite des Berechnungsbogens
erschien.
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Mit Schreiben vom 26.10.2005 hörte die Beklagte den Kläger zum unrechtmäßigen
Bezug von Leistungen in der Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 in Höhe von 1.694,00
EUR an. Sie stellte darauf ab, dass das Kindergeld der Tochter in Höhe von 154,00
EUR seit dem 01.01.2005 unberücksichtigt geblieben sei. Der Kläger sei über seine
Pflichten als Leistungsempfänger und über die Tatbestände, unter denen die
Anspruchsvoraussetzungen wegfielen, durch das "Merkblatt für Arbeitsuchende
(Arbeitslosengeld II/Sozialgeld)" unterrichtet worden.
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Der Kläger erklärte unter dem 31.10.2005, die Überzahlung sei durch die Beklagte
verursacht worden. Er habe im Erstantrag alle Angaben korrekt eingetragen. Als er den
Bewilligungsbescheid erhalten habe, habe er sich darauf verlassen, dass die
Berechnung in Ordnung sei. Er sei auch nicht in der Lage, den überzahlten Betrag zu
erstatten, da er Privatinsolvenz angemeldet habe. Die überzahlten Beträge habe er
außerdem verbraucht.
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Mit Bescheid vom 03.11.2005 nahm die Beklagte die Bewilligung der Leistungen nach
dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2005 bis 30.11.2005 teilweise in Höhe von 1.694,00
EUR zurück und forderte den Kläger zur Erstattung des Betrages auf. Zur Begründung
führte sie aus, das Kindergeld der Tochter in Höhe von 154,00 EUR monatlich sei seit
dem 01.01.2005 nicht angerechnet worden. Dem Kläger sei bekannt gewesen, dass die
Bewilligung fehlerhaft erfolgt sei. Die Beklagte berief sich auf § 45 Abs. 2 S. 2 Nr. 3
Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und
Sozialdatenschutz -.
10
Der Kläger erhob am 21.11.2005 Widerspruch. Er machte geltend, er habe bei der
Antragstellung vollständige und wahrheitsgemäße Angaben gemacht und sich dann auf
die Richtigkeit des Bewilligungsbescheides verlassen. Auch sei die monatliche
Überzahlung so gering gewesen, dass sie nicht aufgefallen sei. Zu berücksichtigen sei
auch, dass die Beklagte die Überzahlung erst nach Erteilung des zweiten
Bewilligungsbescheides festgestellt habe. Er habe die überzahlten Beträge für seinen
Lebensunterhalt aufgewendet und verbraucht.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als
unbegründet zurück. Sie stellte auf § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in Verbindung mit § 330
Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) - Arbeitsförderung - und § 45 Abs. 2 S. 3
Nr. 3 SGB X ab. Aufgrund des Berechnungsbogens sei der Kläger in der Lage gewesen,
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ihre Entscheidung nachzuvollziehen. Ohne besondere Anstrengung habe er erkennen
können, dass eine Überzahlung erfolgt sei. Denn das einzige Einkommen der Familie
habe aus dem Kindergeld bestanden. Ihm hätte auffallen müssen, dass nur das
Kindergeld des Sohnes aufgeführt gewesen sei.
Am 17.01.2006 hat der Kläger Klage erhoben.
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Der Kläger trägt vor, er habe den Kindergeldbezug bei Antragstellung vollständig und
korrekt mitgeteilt. Die Voraussetzungen des § 45 SGB X seien nicht erfüllt, da er weder
Kenntnis von der Rechtswidrigkeit des Bewilligungsbescheides gehabt habe noch grob
fahrlässig in Unkenntnis darüber gewesen sei. Zu berücksichtigen sei, dass er als
einfacher Arbeiter (Druckereihelfer) nicht in der Lage gewesen sei, die
Bewilligungsbescheide in irgendeiner Weise nachvollziehbar zu überprüfen. Ihm seien
Vorschriften über Anrechnungen und Freibeträge nicht bekannt gewesen. Er habe im
Übrigen auch nicht bemerkt, dass die Unterkunftskosten zu seinen Lasten zu gering
bewilligt worden seien. Diese hätten 540,00 EUR monatlich betragen, wie inzwischen
auch anerkannt werde.
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Der Kläger beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 03.11.2005 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28.12.2005 aufzuheben.
16
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte ist der Auffassung, dem Kläger hätte auffallen müssen, dass das
Einkommen der Familie in zu geringem Umfang berücksichtigt worden sei. Es sei kein
weiteres Einkommen als das Kindergeld vorhanden gewesen und der Kläger habe zwei
Kinder. Grobe Fahrlässigkeit im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X sei gegeben,
weil der Kläger den Bescheid nicht geprüft und den offensichtlichen Fehler nicht zum
Anlass genommen habe, sich mit ihr in Verbindung zu setzen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf
den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, aber unbegründet.
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Der Kläger ist durch den Bescheid der Beklagten vom 03.11.2005, mit dem diese die
Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2005 bis
30.11.2005 in Höhe von 1.694,00 EUR teilweise zurücknahm und den Kläger zur
Erstattung dieses Betrages aufforderte, und den Widerspruchsbescheid vom
28.12.2005, mit dem die Beklagte ihre Entscheidung bestätigte, gemäß § 54 Abs. 2 S. 1
Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, denn die angegriffenen Bescheide sind
rechtswidrig.
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Die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X in Verbindung mit § 40 Abs. 1 S.
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1, S. 2 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III sind nicht erfüllt.
Danach ist ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil
begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist,
ganz oder teilweise mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn der
Begünstigte sich nicht auf Vertrauen berufen kann, soweit er die Rechtswidrigkeit des
Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe
Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders
schwerem Maße verletzt hat. In der Regel ist das Vertrauen schutzwürdig, wenn der
Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen
hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann
(§ 45 Abs. 2 S. 2 SGB X).
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In den Fällen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X muss die Behörde die
Rücknahmeentscheidung innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen treffen,
welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes für die
Vergangenheit rechtfertigen (§ 45 Abs. 4 SGB X).
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Die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II mit Bescheiden vom 26.10.2004 und
06.05.2005 stellt jeweils einen begünstigenden Verwaltungsakt dar. Jeweils wurde das
Recht des Klägers begründet, die bewilligten Leistungen zu beanspruchen.
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Die Bewilligungsbescheide vom 26.10.2004 und 02.05.2005 sind auch rechtswidrig,
denn der Kläger hatte nicht in dem bewilligten Umfang Anspruch auf Leistungen nach
dem SGB II.
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Nach §§ 19 S. 1 Nr. 1, 20 ff. SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige als
Arbeitslosengeld II Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts einschließlich der
angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Hilfebedürftig ist gemäß § 9 Abs. 1
SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht
oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme
einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen, sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere
von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Als Einkommen zu
berücksichtigen sind grundsätzlich alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert (§ 11 Abs.
1 S. 1 SGB II).
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Die aus dem Kläger, seiner Ehefrau und den Kindern bestehende Bedarfsgemeinschaft
(§ 7 Abs. 3 Nr. 1, 3 a, 4 SGB II) verfügt nicht nur über das von der Beklagten
berücksichtigte Kindergeld des Sohnes, sondern auch über das Kindergeld der Tochter,
das nicht angerechnet wurde.
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Der Kläger genießt aber Vertrauensschutz, da er nach seinem eigenen, von der
Beklagten nicht bestrittenen Vortrag die erbrachten Leistungen für den Lebensunterhalt
verbraucht hat.
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Ein Ausschluss des Vertrauensschutzes nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X in
Verbindung mit § 40 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III kommt nicht
in Betracht.
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Weder kannte der Kläger die Rechtswidrigkeit der Bewilligung mit Bescheiden vom
26.10.2004 und 02.05.2005 noch war ihm diese infolge grober Fahrlässigkeit
unbekannt.
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Aus dem schriftsätzlichen Vortrag des Klägers und seiner im Rahmen der mündlichen
Verhandlung abgegebenen Erklärungen, er habe die Bescheide zur Kenntnis
genommen und sich aufgrund seiner vollständigen und wahrheitsgemäßen Angaben
bei Antragstellung auf deren Richtigkeit verlassen, zumal sämtliche in seinem Haushalt
lebenden Personen berücksichtigt gewesen seien und die Höhe der Leistung ungefähr
der zuvor bezogenen Arbeitslosenhilfe entsprochen habe, die sich auf ca. 1.200,00 EUR
einschließlich Wohngeld belaufen habe, ergibt sich, dass er keine positive Kenntnis von
der Rechtswidrigkeit der Entscheidung hatte. Die Kammer erachtete den Kläger insofern
als glaubwürdig und seine Aussage als glaubhaft. Der Kammer erschien die
Vorgehensweise bei der Überprüfung der Bewilligungsbescheide nachvollziehbar, da
der Kläger die maßgeblichen Punkte klärte, nämlich die berücksichtigten Personen und
die Höhe der Leistung. Die Kammer hielt es auch für nachvollziehbar, dass der Kläger
nach einem Blick auf den Berechnungsbogen das Gefühl hatte, ihm schwirre der Kopf.
Die Gestaltung der Bewilligungsbescheide nach dem SGB II weicht von der Gestaltung
der Bewilligungsbescheide nach dem SGB III, sofern sie die Arbeitslosenhilfe betreffen,
ab. Letztere enthalten insbesondere keinen Berechnungsbogen und sind im Übrigen
weniger umfangreich.
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Die Kammer erachtete den Umgang des Klägers mit den Bewilligungsbescheiden vom
26.10.2004 und 02.05.2005 auch nicht als grob fahrlässig. Die Kammer war der
Auffassung, dass der Kläger die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem
Maße verletzt hat. Voraussetzung ist, dass schon einfachste, ganz naheliegende
Überlegungen nicht angestellt werden und daher nicht beachtet wird, was im
gegebenen Fall jedem einleuchten muss; dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit
insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen
des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen; die
tatsächlichen oder rechtlichen Mängel müssen sich aus dem Bewilligungsbescheid oder
anderen Umständen ergeben und für das Einsichtsvermögen des Betroffenen ohne
weiteres erkennbar sein (BSG, Urteil vom 08.02.2001, Az.: B 11 AL 21/00 R; LSG
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.06.2004, Az.: L 12 AL 215/03).
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Zwar bewertete die Kammer die Vorgehensweise des Klägers bei der Überprüfung der
Richtigkeit der Bewilligungsbescheide vom 26.10.2004 und 02.05.2005 als verständig,
da der Kläger die entscheidenden Punkte überprüfte, er ging nach seiner Erklärung in
der mündlichen Verhandlung den Fragen nach, ob die Beklagte sämtliche Mitglieder
seines Haushalt berücksichtigt hatte und die Leistung hinsichtlich der Höhe der vorher
erhaltenen Arbeitslosenhilfe entsprach. Insofern gelangte die Kammer zu der
Auffassung, dass dem Kläger auch die Unrichtigkeit der Einkommensanrechnung hätte
erkennbar sein können. Der den Bewilligungsbescheiden beigefügte
Berechnungsbogen erweist sich hinsichtlich der ersten drei Rubriken "Angaben zur
Höhe der pauschalierten monatlichen Regelleistungen beim Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld", "Höhe der monatlich zustehenden Leistungen in Euro" und "Zu
berücksichtigendes monatliches Einkommen" als verständlich aufgebaut, da es die zu
erwartenden Aspekte erläutert. Darüber hinaus war das Einkommen jeweils auch als
Kindergeld spezifiziert, so dass sich der Kläger die Frage stellen musste, warum es
lediglich bei seinem Sohn ausgewiesen war.
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Die Kammer hielt insofern den Vorwurf der Fahrlässigkeit als Außerachtlassung der im
Verkehr erforderlichen Sorgfalt (§ 276 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch) für berechtigt.
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Den Vorwurf grober Fahrlässigkeit vermochte die Kammer aber deshalb nicht zu
bestätigen, weil der Kläger bei Antragstellung vollständige und wahrheitsgemäße
Angaben, insbesondere zu seinem Einkommen, gemacht hatte und insofern annehmen
durfte, dass die Beklagte zu einer korrekten Entscheidung gelangte. Der Beklagten war
es im Übrigen selbst erst nach Erteilung des zweiten Bewilligungsbescheides
aufgefallen, dass ihre Entscheidung fehlerhaft war. Darüber hinaus wertete die Kammer
den Umstand zugunsten des Klägers, dass dieser keinerlei Erfahrung mit dem Bezug
von Arbeitslosengeld II besaß. Er erhielt vorher Arbeitslosenhilfe, die anderen
Einkommensanrechnungsvorschriften unterlag. Dass die Höhe der Leistung dem Kläger
in besonderer Weise hätte auffallen müssen, vermochte die Kammer ebenfalls nicht zu
erkennen. Zwar erwiesen sich die vorher bezogenen Sozialleistungen als um ca. 150,00
EUR geringer, aber aufgrund der Medienberichterstattung zur Zeit des Inkrafttretens des
SGB II durfte der Kläger annehmen, dass sich seine finanzielle Lage verbessern könnte.
Schließlich wertet die Kammer den Umstand zugunsten des Klägers, dass Bescheide,
deren Gegenstand die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe war, erheblich weniger
umfangreich waren als Bewilligungsbescheide nach dem SGB II und insbesondere
keine umfangreichen Berechnungsbögen enthielten. Der erste Eindruck eines
Berechnungsbogens kann durchaus verwirrend sein. Diese Auffassung beschränkte die
Kammer allerdings nur auf die ersten Bewilligungsabschnitte nach Inkrafttreten des SGB
II. Die Kammer ist der Auffassung, dass durch längere Erfahrung mit dem
Arbeitslosengeld II-Bezug und umfangreiche Medienberichterstattung bei den
Leistungsempfängern inzwischen ausreichendes Wissen vorhanden ist, wie sich die
Leistung zusammen setzt und wie Bewilligungsbescheide einschließlich
Berechnungsbögen zu verstehen sind.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 183, 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
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