Urteil des SozG Düsseldorf vom 04.06.2007

SozG Düsseldorf: psychiatrisches gutachten, stationäre behandlung, berufliche tätigkeit, psychische störung, psychiatrie, persönlichkeitsstörung, unfallfolgen, klinik, kopfschmerzen, helm

Sozialgericht Düsseldorf, S 16 U 28/05
Datum:
04.06.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 16 U 28/05
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 15 U 195/07
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Umstritten ist die Bewilligung von Rente wegen der Folgen eines Arbeitsunfalls.
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Am 11.12.2001 erlitt der Kläger einen Arbeitsunfall als ihm beim Befüllen eines
Förderbandes ein großer Kieselstein auf den Kopf fiel (Unfallanzeige vom 13.12.2001).
Im Durchgangsarztbericht vom 11.12.2001 heißt es dazu, bei dem Unfall habe der
Kläger einen Helm getragen. Er sei nicht bewusstlos gewesen, über Übelkeit habe er
nicht geklagt und sich auch nicht erbrochen. Er sei zeitlich und örtlich orientiert
gewesen. Äußere Verletzungszeichen seien nicht festgestellt worden, er habe
Schmerzen im Bereich des Nackens geäußert sowie Kopfschmerzen beklagt.
Diagnostiziert wird ein Schädelhirntrauma ersten Grades. Der Kläger wurde in die
Chirurgische Klinik des Universitätsklinikums E stationär aufgenommen und am
15.12.2001 entlassen. Im Entlassungsbericht ist außerdem von einer Halswirbelsäulen-
Zerrung die Rede, weiter heißt es zum Unfallgeschehen, der Stein habe den Kläger nur
gestreift. Der Kläger sei während des stationären Aufenthalts beschwerdefrei mobilisiert
worden. Ab dem 22.04.2002 hielt der Chirurg X den Kläger wieder für arbeitsfähig. Unter
dem 09.04.22002 hatte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie W der Beklagten
berichtet, beim Kläger liege eine psychovegetative Reaktion auf das Unfallereignis vor.
Der Kläger legte ein neurologisches Gutachten von G-S vor, in dem es u. a. heißt, seit
dem Unfall bestehe ein beidseitiger Tinnitus, der Kläger sei nicht mehr vollständig
arbeitsfähig und könne unfallbedingt die berufliche Tätigkeit nicht oder nur zum Teil in
vollem Umfang ausüben, jedoch könne von einer dauerhaften Minderung der
Erwerbsfähigkeit nicht ausgegangen werden (Gutachten vom 17.06.2003). Außerdem
bezog sich der Kläger auf ein Attest des Arztes für Psychiatrie N1 (vom 15.04.2004), in
dem von einer posttraumatischen Störung die Rede ist, die kausal mit dem Unfall in
Verbindung stehe. Die Beklagte holte zur Feststellung der verbliebenen Unfallfolgen ein
unfallchirurgisches Gutachten von U ein, der unter dem 17.05.2004 äußerte, bis zum
15.12.2001 habe unfallbedingte Behandlungsbedürftigkeit und Arbeitsunfähigkeit
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bestanden. Auf dieser medizinischen Grundlage bewilligte die Beklagte Leistungen bis
zum 15.12.2001 und lehnte weitergehende Entschädigungsansprüche ab (Bescheid
vom 21.05.2004). Mit seinem Widerspruch bezog sich der Kläger auf einen
Entlassungsbericht über eine stationäre Behandlung in der Klinik für Psychosomatische
Medizin in N2 vom 29.12.2003 bis zum 26.01.2004. In diesem Entlassungsbericht ist
von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung die Rede. Weiter heißt es, das
Ausmaß der Schmerzsymptomatik sei nicht unbedingt mit den Befunden in
Übereinklang zu bringen gewesen. Außerdem verwies der Kläger auf eine
Stellungnahme des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie N1 (vom 24.06.2004). Die
Beklagte zog die in einem Schwerbehindertenverfahren des Klägers vom Sozialgericht
Düsseldorf eingeholten Gutachten bei, nach denen orthopädischerseits von
Wirbelsäulenschäden mit leichten funktionellen Auswirkungen, neurologisch-
psychiatrischerseits von einer posttraumatischen Belastungsstörung und HNO-
ärztlicherseits von einer geringfügigen schalleitungsbedingten Hörminderung die Rede
ist, die nicht Folge des erlittenen Arbeitsunfalls sondern Folge von
Mittelohrentzündungen in der Kindheit sei. Ferner hörte die Beklagte neurologisch-
psychiatrischerseits N3-H, der die Auffassung vertrat, es könne nicht mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit von einer posttraumatischen Belastungsstörung ausgegangen
werden, weil weder der Geschehensablauf noch der zu erwartende zeitliche
Zusammenhang des Auftretens einer solchen Störung dafür sprächen. Die
Widerspruchsstelle bei der Beklagten wies daraufhin den Widerspruch des Klägers
zurück (Widerspruchsbescheid vom 11.01.2005). Mit seiner am 14.02.2005 bei Gericht
eingegangenen Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, bei ihm lägen
unfallbedingt schwerwiegende Erkrankungen auf orthopädischem, neurologischem wie
auch psychiatrischem Fachgebiet vor.
Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 21.05.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des
Arbeitsunfalls vom 11.01.2001 Rente nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen
zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat zunächst gemäß § 109 SGG neurologischerseits G-S und
psychiatrischerseits N1 gehört. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von N1 ist G-S
zu dem Ergebnis gekommen, beim Kläger liege unfallbedingt eine posttraumatische
depressive chronische Störung mit einer MdE von 70 vom Hundert vor. Sodann hat das
Gericht gemäß § 106 SGG ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von C eingeholt,
der von keinen Unfallfolgen, wohl aber von einer tendenziellen psychischen Reaktion
des Klägers berichtet hat.
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Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie wegen des weiteren Sach- und
Streitstandes im Einzelnen wird auf die Gerichtsakten, die Akten der Beklagten, die
Schwerbehindertenakte des Versorgungsamtes Düsseldorf und die Vorprozessakten S
00 SB 000/00 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 21.05.2004 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 11.01.2005 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen
Anspruch auf Rente. Gemäß § 56 SGB VII setzt ein Rentenanspruch eine unfallbedingte
MdE von mindestens 20 vom Hundert voraus. Daran fehlt es hier. Zwar sind G-S und N1
gegenteiliger Ansicht. Sie haben von einer posttraumatischen depressiven chronischen
Störung berichtet und die Annahme einer unfallbedingten MdE von 70 vom Hundert
vorgeschlagen. Ihrem Vorschlag kann jedoch nicht gefolgt werden. Davon hat sich die
Kammer aufgrund der plausiblen Ausführungen von C überzeugt. Danach besteht beim
Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit einer narzistischen-depressiven Symptomatik
und einer somatoformen Schmerzsymptomatik, die als unfallunabhängig anzusehen ist.
Im Hintergrund dieser Persönlichkeitsstörung besteht eine Rentenwartungshaltung.
Eine erlebnisreaktive Fehlentwicklung als Unfallfolge lässt sich dagegen nicht
begründen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die psychische Störung bei
Beendigung des Rechtsstreits definitiv beendet sein wird. Dafür spricht bereits, dass
eine erhebliche Diskrepanz zwischen den Befunden besteht, die die Mitarbeit des
Klägers erforderlich machen und den objektiven Befunderhebungen. Die umfangreichen
elektrophysiologischen Zusatzuntersuchungen durch G-S haben im Wesentlichen
Normalbefunde ergeben, demgegenüber demonstriert der Kläger eine komplette
Gefühllosigkeit des linken Armes, wobei schon vom klinischen Bild her festgestellt
werden kann, dass dieser Arm bei völlig unbeeinträchtigtem spontanen Gebrauch nicht
gefühllos sein kann. Dementsprechend geht die Kammer mit C davon aus, dass sich ein
relevanter Unfallschaden nicht nachweisen lässt. Dafür spricht auch, dass
durchgangsärztlich Verletzungsbefunde nicht beschrieben worden sind, vielmehr erst
wesentlich später von einer psychoreaktiven Störung im Sinne einer posttraumatischen
Belastungsstörung die Rede ist. Dabei werden die Angaben des Klägers zu Grunde
gelegt, der von einem Bewusstseinsverlust von einigen Stunden und danach von
Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen berichtet hat (vgl. Gutachten G-S vom
17.06.2003). Demgegenüber ist der Kläger - so die Ausführungen im
Durchgangsarztbericht - nach dem Unfall tatsächlich nicht bewusstlos gewesen, ebenso
wenig klagte er über Übelkeit und Erbrechen. Auch der vom Kläger geäußerte
Gehörschaden lässt sich nicht dem Unfall vom 01.12.2001 zuordnen. O hat darauf
hingewiesen, dass im Hinblick auf die Narben an den Trommelfellen von
Mittelohrentzündungen ausgegangen werden muss, die zu einer geringfügigen
schallleitungsbedingten Hörminderung geführt haben. Diese Mittelohrentzündungen
können nicht Folge des Arbeitsunfalls sein. Darüber hinaus bestehen zwar diskrete
Nervenwurzelreizerscheinungen. Es ist jedoch - so C - nicht denkbar, dass es im
Rahmen des durch den Helm abgemilderten Steinaufprall zu einer gröberen
Schädigung im Halswirbelsäulen-Bereich gekommen ist. Damit hat es nicht zu einem
Stauchungstrauma kommen können, dass geeignet gewesen wäre eine
Bandscheibenschädigung im Bereich der Halswirbelsäule zu verursachen. Vielmehr ist
von einer Zerrung der Halswirbelsäule auszugehen, die traumatologisch gesehen
unbedeutend ist. Auch würden Stauchungstraumen eher eine Kompressionsfraktur an
den Wirbelkörpern verursachen. Bandscheiben sind dagegen eher verschleißanfällig.
Im Übrigen haben sich Hinweise für eine substanzielle Hirnschädigung nicht ergeben.
Der Kläger hat möglicherweise eine Gehirnerschüttung erlitten, die jedoch folgenlos
ausgeheilt ist.
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Soweit der Kläger nach wie vor meint, bei ihm lägen Unfallschäden im
rentenberechtigenden Ausmaß vor, hat sich die Richtigkeit seiner Behauptung trotz
umfassender, von Amts wegen durchgeführter Sachaufklärung nicht beweisen lassen.
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Die Last des nichterbrachten Beweises von anspruchsbegründenden Tatsachen hat
auch im sozialgerichtlichen Verfahren stets derjenige zu tragen, der aus der
behaupteten, aber nicht erweislichen Tatsache Rechte herleiten will. Das ist hier der
Kläger.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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