Urteil des SozG Düsseldorf vom 08.03.2007

SozG Düsseldorf: freiwillige versicherung, beitragsfestsetzung, beitragsbemessung, krankenversicherung, rentner, glaubhaftmachung, krankenkasse, einkünfte, handelsvertreter, auskunft

Sozialgericht Düsseldorf, S 8 KR 182/04
Datum:
08.03.2007
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
8. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 8 KR 182/04
Nachinstanz:
Landessozialgericht NRW, L 11 KR 25/07
Sachgebiet:
Krankenversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Bescheide vom 03.11.2003 und 02.12.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.06.2004 werden insoweit aufgehoben,
als sie Beiträge für die Zeit ab 01.01.2002 festsetzen und nachfordern.
Der Beklagten werden die außergerichtlichen Kosten des Klägers
auferlegt.
Tatbestand:
1
Die Beteiligten streiten über die Frage der Beitragsfestsetzung in der freiwilligen
Krankenversicherung des Klägers als Selbständiger für den Zeitraum vom 01.01.2002
bis zum 16.04.2004.
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Der Kläger war von November 1999 bis September 2001 als Rentner freiwillig
versichertes Mitglied der Beklagten. Seit dem 01.10.2001 übte er seinen ursprünglichen
Beruf als Möbelberater nach der Anmeldung eines entsprechenden Gewerbes als
selbständiger Handelsvertreter aus. Er blieb freiwillig versichertes Mitglied der
Beklagten.
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Mit Bescheid vom 19.12.2001 setzte die Beklagte die freiwilligen Beiträge des Klägers
unter Zugrundelegung seiner eigenen Auskunft zu den erwarteten Einnahmen fest.
Diese Beitragsbemessung erfolgte unter dem Vorbehalt, dass die Angaben durch den
Einkommenssteuerbescheid bestätigt würden. Nach der Vorlage des
Einkommenssteuerbescheides vom 10.02.2003 für das Jahr 2001, setzte die Beklagte
mit Bescheid vom 03.11.2003 rückwirkend und zukünftig für den Zeitraum vom
01.10.2001 bis zum 28.02.2004 die Beiträge unter Zugrundelegung des sich aus dem
Einkommenssteuerbescheid 2001 ergebenden Einkommens als Handelsvertreter fest.
Sie forderte den Kläger auf, den für die Zeit vom 01.10.2001 bis zum 30.09.2003
entstandenen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 1.090,73 Euro einzuzahlen. Sie wies
darauf hin, dass der Kläger einen Einkommenssteuerbescheid beifügen möge, wenn
sich seine regelmäßigen Gesamtbezüge vor dem 28.02.2004 ändern würden.
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Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch betreffend die Nachforderung für
die Jahre 2002 und 2003. Entgegen den zu Grunde gelegten Einkünften aus den ersten
drei Monaten seiner selbständigen Tätigkeit (2001) würden nach Auskunft seines
Steuerbüros die Einkünfte im Jahr 2002 erheblich unter der Basis der Schätzungen der
Beklagten liegen. Die Einkommenssteuer für 2002 werde derzeit vom Steuerbüro
bearbeitet und über die Nachforderung für diesen Zeitraum solle erst nach erfolgtem
Steuerbescheid entschieden werden. Hinsichtlich der Nachforderung für das Jahr 2001
fügte er einen Verrechnungsscheck über 129,87 Euro bei. Im weiteren Verlauf erließ die
Beklagte den Bescheid vom 02.12.2003, mit dem sie die Entscheidung vom 03.11.2003
bestätigte. Die einkommensabhängigen Beiträge würden individuell nach dem aktuellen
Einkommenssteuerbescheid ermittelt. Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger erneut
Widerspruch. Es könne nicht sein, dass bei einer Verschlechterung seiner Einkünfte die
Beiträge nach dem alten anstatt nach den für das Jahr 2002 zu erwartenden
Steuerbescheid festgesetzt würden. Zur Glaubhaftmachung legte er die vom
Steuerberater gefertigte Gewinnermittlung für das Jahr 2002 vor. Den Widerspruch wies
die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 01.06.2004
zurück. Es wurde darauf hingewiesen, dass die eingereichte
Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2002 erst nach der Erstellung des
Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2002 Berücksichtigung finden könne.
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Mit Schreiben vom 03./08.06.2004 legte der Kläger der Beklagten den Steuerbescheid
für das Jahr 2002 vor und machte geltend, dass er danach keine positiven Einnahmen
erzielt habe. Als logische Folge fordere er damit alle zuviel gezahlten Beiträge für die
Folgejahre zurück. Mit Schreiben vom 16.06.2004 wies die Beklagte darauf hin, dass
der am 11.05.2004 erstellte Einkommenssteuerbescheid für 2002 erst ab dem
Folgemonat des erfolgten Nachweises und damit vorliegend erst für die Zeit ab
01.07.2004 berücksichtigungsfähig sei. Vorliegend käme es zu keiner anderen
Beitragsfestsetzung, da die freiwillige Versicherung des Klägers als hauptberuflich
Selbständiger bereits zum 16.04.2004 geendet habe und der Kläger ab 17.04.2004 der
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner unterliege.
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Der Kläger hat gegen die Beitragsfestsetzungsbescheide der Beklagten Klage erhoben,
mit der er weiterhin geltend macht, dass die Festsetzung zu Unrecht nach dem höheren
Einkommen alleine im Jahre 2001 und nicht unter Berücksichtigung der
Einkommensminderung in den Jahren 2002 und 2003 erfolgt sei. Zum Nachweis des in
diesen Jahren erfolgten geringen Einkommens hat er während des Klageverfahrens die
Einkommenssteuerbescheide für die Jahre 2002 und 2003 sowie den
Vorauszahlungsbescheid vom 02.01.2002 für das Jahr 2002 vorgelegt.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
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die angefochtenen Bescheide mit der erhöhten Beitragsfestsetzung und geforderten
Nachzahlung aufzuheben.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält die angefochtenen Bescheide aus den dort ausgeführten Gründen für
rechtmäßig. Auch der während des Klageverfahrens vorgelegte
Vorauszahlungsbescheid könne zu keinem anderem Ergebnis führen, da eine
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Beitragserhebung unter Berücksichtigung von Vorauszahlungsbescheiden zu
steuerbaren Nachteilen für die Krankenkasse führen würde. Der Selbständige könne
jeweils den für sich günstigen Einkommensnachweis der Krankenkasse vorlegen. Eine
Heranziehung des Vorauszahlungsbescheides zu einer vorläufigen Beitragsfestsetzung
scheide ebenfalls aus, da in diesem Fall die Beitragsbemessung nur noch vorläufig
vorgenommen würde und dies dem Grundsatz der vorausschauenden
Beitragsbemessung widerspräche.
Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schreiben
und Unterlagen der Beteiligten sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Kammer konnte ohne mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Beteiligten
entscheiden, da diese sich mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben, §
124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
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Aus allen sowohl im Klage- als auch Verwaltungsverfahren eingereichten Schreiben
des Klägers, insbesondere dem Schreiben vom 03.06.2004 ergibt sich, dass er sich
sowohl gegen die mit Bescheid vom 03.11.2003 ausgesprochene
Beitragsnachforderung als auch die über September 2003 hinaus festgesetzte
Beitragshöhe wendet.
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Die Klage ist begründet.
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Die angefochtenen Bescheide vom 03.11.2003 und 02.12.2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 01.06.2004 sind rechtswidrig und waren daher
aufzuheben.
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Zu Unrecht hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden den Beitrag für die Zeit
vom 01.01.2002 bis zum 16.04.2004 unter Zugrundelegung des sich aus dem
Einkommenssteuerbescheid 2001 ergebenden Einkommens festgesetzt. Denn
spätestens im Januar 2002 hätte der Kläger bei entsprechender Beratung durch die
Beklagte die Möglichkeit gehabt, das für das Jahr 2002 zu erwartende niedrigere
Einkommen nachzuwei sen, § 240 Abs. 4 Satz 3 des Fünften Buches des
Sozialgesetzbuches (SGB V). Entgegen dem Standpunkt der Beklagten ist die Kammer
davon ausgegangen, dass ein vom Finanzamt ausgestellter Vorauszahlungsbescheid
ein geeignetes Beweismittel für niedrigere Einnahmen im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 2
SGB V darstellt. Sowohl aus dem Gesetzeswortlaut als auch aus der
Gesetzesbegründung sowie der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts ergibt sich nicht die von den Krankenkassen gesehene
Eindeutigkeit, dass Einkommensnachweise nur durch Vorlage von
Einkommenssteuerbescheiden erbracht werden können.
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Die einschlägige Gesetzesvorschrift des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V enthält keine
Regelung dahingehend, auf welche Weise der erforderliche Einkommensnachweis zu
erbringen ist. Ebenso wenig ergibt sich aus der Gesetzesbegründung oder aus der
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass ein Einkommensnachweis
ausschließlich durch die Vorlage von Einkommenssteuerbescheiden als amtliche
Bescheinigungen geführt werden kann. Auch gemäß der Gesetzesbegründung kann der
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Nachweis "z. B." durch Vorlage des Einkommenssteuerbescheides erfolgen (BT-
Drucks. 12/3937, S. 17). Ebenso führt die für die Gesetzesentwicklung des § 240 Abs. 4
Satz 2 SGB V maßgebliche Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 27.11.1984 -
12 RK 70/82 - die Vorlage von Steuerbescheiden lediglich als Beispiel auf ("z. B.") und
erwähnt darüber hinaus ausdrücklich die Möglichkeit, "Bilanzen" vorzulegen (BSGE 57,
240, 245; vgl. ebenso BSG, Urteil vom 26.09.1996 - 12 RK 46/95 -, Rn. 20). Darüber
hinaus wird auch in der Literatur und in der Rechtsprechung vertreten, dass der
Einkommensnachweis im Sinne des § 240 Abs. 4 Satz 2 SGB V durch
Glaubhaftmachung geführt werden kann (Krauskopf, § 240 SGB V, Rn. 32; Schleswig-
Holsteinisches Landes- sozialgericht, Urteil vom 23.06.1998 - L 1 KR 93/96 - ).
Unabhängig von der Frage, ob als Einkommensnachweis ausschließlich amtliche
Bescheinigungen zu fordern sind, ist diese Voraussetzung vorliegend mit einem
Vorauszahlungsbescheid jedenfalls erfüllt und ebenso dem Hinweis des
Bundessozialgerichts im Urteil vom 26.09.1996 auf die organisatorische und personelle
Unfähigkeit der Krankenkassen, Einkommenshöhen objektiv prüfen zu können, sowie
dem damit verbundenen Angewiesen-Sein auf (finanz-) amtliche Bescheinigungen
Genüge getan.
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Dem Klageanspruch des Klägers stand nicht entgegen, dass er den
Vorauszahlungsbescheid erst im Klageverfahren und nicht bereits im Januar 2002 oder
Dezember 2001 vor- gelegt hat. Denn dies erfolgte aufgrund der nach Auffassung des
Gerichts unzutreffenden diesbezüglichen Belehrung der Beklagten gegenüber dem
Kläger über die entsprechenden Nachweismöglichkeiten. Denn sowohl im ersten
Festsetzungsbescheid vom 19.12.2001 als auch in allen späteren Schreiben und
beigefügten Hinweisformularen gab die Beklagte - von ihrem rechtlichen Standpunkt
aus zwangsläufig und konsequent - als einzige Nachweismöglichkeit die Vorlage von
Einkommenssteuerbescheiden an. Die Kammer ist davon ausgegangen, dass der
Kläger bei entsprechender richtiger Belehrung den Vorauszahlungsbescheid vom
02.01.2002 zeitnah noch im selben Monat der Beklagten vorgelegt hätte und darüber
hinaus beim Finanzamt die Ausstellung des Vorauszahlungsbescheides zu einem
früheren Zeitpunkt erwirkt und im Dezember 2001 vorgelegt hätte, so dass ab Januar
2002 keine höhere Beitragseinstufung gerechtfertigt gewesen wäre (sozialrechtlicher
Herstellungsanspruch).
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Auch wenn die Vorlage des Vorauszahlungsbescheides seitens der Beklagten nicht zu
einer endgültigen, sondern nur zu einer weiteren vorläufigen Beitragseinstufung geführt
hätte, so wäre es auch später, nach Vorlage der Einkommenssteuerbescheide 2002 und
2003 zu keiner Beitragsfestsetzung und Nachforderung - wie in den angefochtenen
Bescheide - gekommen, da ausweislich dieser nachträglich vorgelegten
Einkommensteuerbescheide der Kläger kein höheres Einkommen als zu Beginn seiner
selbständigen Tätigkeit geschätzt, erlangt hat. Insofern kann im vorliegenden Fall
dahingestellt bleiben, ob grundsätzlich nach der Vorlage eines
Vorauszahlungsbescheides lediglich eine vorläufige Beitragseinstufung oder darüber
hinaus eine endgültige Beitragseinstufung zu erfolgen hat.
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Der diesbezügliche - allgemein und nicht konkret dem Kläger entgegengehaltene -
Missbrauchseinwand der Beklagten stand der Entscheidung der Kammer nicht
entgegen. Er findet keine Stütze im Gesetzeswortlaut oder in der Gesetzesbegründung.
Darüber hinaus hätte der einzelne Versicherte bei einer endgültigen Beitragsfestsetzung
aufgrund eines Vorauszahlungsbescheides keine Möglichkeit, durch die spätere
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Vorlage eines ihm günstigeren Einkommenssteuerbescheides diese Festsetzung zu
ändern. Im Falle einer vorläufigen Beitragsfestsetzung - § 32 SGB X - wäre ein
Missbrauch ausgeschlossen, da eine endgültige Festsetzung aufgrund des mit dem
Einkommenssteuerbescheid nachgewiesenen tatsächlichen Einkommens erfolgen
würde (vgl. insoweit auch Landessozialgericht Berlin, Urteil vom 27.03.2002 - L 15 KR
286/01 - , in: NZS 2003, 36 f., das grundsätzlich eine Beitragserstattung für die
Vergangenheit für möglich hält).
Dagegen ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger im streitbefan-
genen Zeitraum als hauptberuflicher Selbständiger zur Beitragszahlung heranzuziehen
ist. Dies ergibt sich aus der vom Kläger im Erörterungstermin am 19.04.2006 erfolgten
Darstellung seiner zeitlich umfangreichen Tätigkeit bzw. auch in den späteren Jahren
erhaltenen umfangreichen Einsatzbereitschaft. Insoweit hatte der Kläger auch keine
Einwände erhoben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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