Urteil des SozG Düsseldorf vom 06.12.2010

SozG Düsseldorf (kläger, gegenstand des verfahrens, verhältnis zwischen, partner, zimmer, einkommen, vermutung, untermietvertrag, begründung, trennung)

Sozialgericht Düsseldorf, S 10 AS 2905/10
Datum:
06.12.2010
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
10. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 10 AS 2905/10
Sachgebiet:
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 13.01.2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2010 verurteilt, dem
Kläger Leistungen nach dem SGB II in gesetzmäßiger Höhe zu
bewilligen. Die Beklagte trägt die außergerichtlich erstattungsfähigen
Kosten des Klägers.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen
dem Kläger und der Zeugin C.
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Der Kläger bezieht seit dem 01.01.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II (Zweites Sozialgesetzbuch). Bei seiner Antragstellung legte der
Kläger einen Untermietvertrag, datiert auf den 18.11.2002, für die aktuell noch bewohnte
Wohnung auf der "Tstraße" in L vor und gab an, mit der Zeugin C und deren Tochter in
einer Wohngemeinschaft zu wohnen. Dem Kläger wurden sodann zunächst die
beantragten Grundsicherungsleistungen gewährt. Im Folgenden führte der
Ermittlungsdienst der Beklagten drei Hausbesuche bei dem Kläger durch. Wegen der
Ergebnisse dieser Wohnungsbegehungen wird auf die Protokolle vom 25.01.2006,
27.05.2008 und 23.10.2008 verwiesen.
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Am 19.10.2009 stellte der Kläger erneut einen Fortzahlungsantrag für den Zeitraum ab
Dezember 2009. Im Rahmen dieses Fortzahlungsantrags wurde der Kläger sowie die
Zeugin C aufgefordert ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse offenzulegen.
Nach der Übersendung entsprechender Nachweise wurde der Antrag auf Leistungen
mit streitgegenständlichem Bescheid vom 13.01.2010 ab dem 01.12.2009 abgelehnt.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch, in welchem er - entsprechend seines früheren
Vortrags - ausführt, dass zwischen ihm und der Zeugin C lediglich eine
Wohngemeinschaft bestehe, welche auch durch den Untermietvertrag bestätigt werde.
Aus den von ihm eingereichten Quittung über die Mietzahlungen ergebe sich zudem,
dass er seinen Mietanteil immer "in bar" an die Zeugen C abgeführt habe. Er bewohne
lediglich ein Zimmer und dürfe darüber hinaus nur die Küche und das Bad mitbenutzen.
Die Haushaltsführung erfolge getrennt. Darüber hinaus bestünden auch keine
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gegenseitigen Kontovollmachten oder andere Einstandspflichten. Es würden auch keine
gemeinsamen Urlaube verbracht.
Zudem verfolgte der Kläger seine Interessen im Rahmen eines einstweiligen
Rechtsschutzverfahrens (Az.: S 10 AS 669/10 ER) vor dem erkennenden Gericht, in
welchem seine Mitbewohnerin Frau C als Zeugin vernommen wurde. Hinsichtlich des
Ergebnisses des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und der Zeugenvernehmung
wird auf das Sitzungsprotokoll der Sitzung des erkennenden Gerichts vom 24.03.2010
und dessen Anlage verwiesen.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 18.5.2010 wies die Beklagte den Widerspruch des
Klägers unter der Begründung als unbegründet zurück, dass zwischen dem Kläger und
der Zeugin C sehr wohl eine Bedarfsgemeinschaft bestehe. Insbesondere könne das
reine Vorliegen eines Untermietvertrages die gemäß § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II
bestehende Vermutung einer Bedarfsgemeinschaft nicht widerlegen. Dies sei auch in
Anbetracht der zahlreichen Hausbesuche nicht möglich gewesen. Danach sei weder
eine räumliche noch eine organisatorische Trennung erkennbar gewesen. Mithin müsse
das Einkommen der Zeugin C bedarfsmindernd angerechnet werden, was – zwischen
den Beteiligten unstreitig – zu einem Ausschluss des Leistungsanspruchs des Klägers
führe.
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Sodann hat der Kläger vor dem erkennenden Gericht um Rechtsschutz nachgesucht.
Der Kläger trägt insoweit ergänzend vor, dass die von der Beklagten zitierte Vermutung
für das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft vorliegend nicht zum Tragen komme. Dies
sei erst dann der Fall, wenn "Partner" länger als ein Jahr "zusammen leben". Mithin
reiche die unstreitige Tatsache, dass der Kläger mit der Zeugen C schon seit dem Jahr
2002 zusammen wohne nicht für die Begründung der Vermutung aus. Im Übrigen
verweist der Kläger im Grunde auf seinen Vortrag im Vorverfahren.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger unter Aufhebung des Bescheids vom 13. Januar
2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Mai 2010 Leistungen nach
dem Zweiten Sozialgesetzbuch zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die beigezogenen Gerichts-
sowie die beigezogene Verwaltungsakte Bezug genommen, welche Gegenstand des
Verfahrens gewesen sind.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
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Dem Kläger stehen für den streitgegenständlichen Zeitraum ab Antragstellung am
19.10.2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten
Sozialgesetzbuch (SGB II) in gesetzmäßiger Höhe zu.
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Der Kläger hat glaubhaft darlegen können, dass er in dem obengenannten Zeitraum
hilfebedürftig i.S.v. § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB II gewesen ist. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist
hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den
Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht
oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme
einer zumutbaren Arbeit und aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder
Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von
Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Vorliegend war bei
einer Gesamtwürdigung der Umstände davon auszugehen, dass das Einkommen der
Zeugin C nicht i.S.d. § 9 Abs. 2 S. 1, 2 SGB II bei der Ermittlung des Hilfebedarfs des
Klägers berücksichtigt werden dufte.
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Zur Überzeugung der Kammer steht fest, dass der Kläger und die Zeugin C in dem
streitbefangenen Zeitraum keine Verantwortungs- und Einstandsgemeinschaft i.S.d. § 7
Abs. 3 Nr. 3c SGB II gebildet haben.
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Gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II i.d.F. ab dem 01.08.2006 gehört zur
Bedarfsgemeinschaft als Partner eines erwerbsfähigen Hilfebedürftigen eine Person,
die mit dem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in einem gemeinsamen Haushalt so
zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille
anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Nur
wenn sich die Partner einer Gemeinschaft so sehr füreinander verantwortlich fühlen,
dass sie zunächst den gemeinsamen Lebensunterhalt sicherstellen, bevor sie ihr
persönliches Einkommen zur Befriedigung eigener Bedürfnisse verwenden, ist ihre
Lage mit derjenigen "nicht dauernd getrennt lebender Ehegatten" im Hinblick auf die
verschärfte Bedürftigkeitsprüfung vergleichbar (BVerfG, Urteil vom 17. November 1992 -
1 BvL 8/87; dass., Beschluss vom 2. September 2004 - 1 BvR 1962/04).
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Dieser Wille wird nach § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II u.a. dann vermutet, wenn Partner länger
als ein Jahr zusammenleben. Auf diese Weise soll dem Leistungsmissbrauch durch
falsche Angaben zu den häuslichen Verhältnisse entgegengewirkt werden (amtl. Begr.
BT-Drs. 16/1410, S. 19). Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist anhand von
Hilfstatsachen (Indizien) und einer Gesamtwürdigung festzustellen, ob eine
Einstandsgemeinschaft im obengenannten Sinne vorliegt (LSG NRW, Beschluss vom
14.07.2006 – L 9 B 63/06 AS ER). Insoweit löst jedoch nicht jede Form des
Zusammenlebens, sondern nur ein "qualifiziertes" Zusammenleben in einer
Haushaltsgemeinschaft, die Vermutungsfolge des § 7 Abs. 3a Nr. 1 SGB II aus. Die
Vorschrift ist insoweit verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass der
Vermutungstatbestand erst dann erfüllt ist, wenn die Personen als Partner zusammen
wohnen und zusammen wirtschaften, was vom SGB II-Träger nachzuweisen ist (vgl.
LSG NRW, Beschluss vom 28.11.2007 – L 1 B 55/07 AS ER; LSG Niedersachsen-
Bremen, Beschluss vom 10.09.2007 – L 9 AS 439/07 ER).
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Im vorliegenden Fall hat die durchgeführte Beweiserhebung nicht zur hinreichenden
Überzeugung des Gerichts führen können, dass zwischen dem Kläger und Frau C eine
Einstandsgemeinschaft bzw. "Partnerschaft" i.S.d. §§ 7 Abs. 3 Nr. 3c, Abs. 3 a SGB II
besteht. In Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG ist unter einer solchen
eheähnlichen Beziehung eine Lebensgemeinschaft zwischen einem Mann und einer
Frau zu verstehen, die auf Dauer angelegt ist, daneben keine weitere
Lebensgemeinschaft gleicher Art zulässt und sich durch innere Bindungen auszeichnet,
die ein gegenseitiges Einstehen der Partner füreinander begründen, also über die
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Beziehungen in einer reinen Haushalts- und Wirtschaftsgemeinschaft hinausgehen.
Dies hat der Gesetzgeber mit dem verwendeten Begriff des "Partners" in den
Tatbestandsvoraussetzungen des § 7 SGB II nochmals konkret zum Ausdruck gebracht.
Die obige Überzeugung hat das Gericht insbesondere aus der durchgeführten
Zeugenvernehmung gewonnen. Die Zeugin C hat in Übereinstimmung mit den
Ausführungen des Klägers angegeben, dass das Verhältnis zwischen dem Kläger und
ihr lediglich freundschaftlicher Natur sei und keinesfalls eine Partnerschaft bestehe bzw.
bestanden habe. Die Aussage war in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Selbst wenn
hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Person der Zeugin C leichte Bedenken bestehen
könnten, da diese aufgrund der Anrechnung ihres Einkommens ein erhebliches
Eigeninteresse an dem positiven Ausgang des Rechtsstreits haben dürfte, so haben
diese Bedenken letztlich nicht zu einer Unglaubwürdigkeit der Zeugin geführt.
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Zwar ist den Ausführungen der Beklagten insoweit beizupflichten, als dass die objektive
Sachlage Indizien für eine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft bzw.
Partnerschaft der Zeugin C mit dem Kläger aufweist. So ist insbesondere das
Begehungsprotokoll der Beklagten vom 27.05.2008 (Bl. 120 d. VA) geeignet, leichte
Zweifel an dem Vorbringen des Klägers und der Zeugin C zu begründen. So war das
Zimmer des Klägers am Tag der Wohnungsbegehung wohl nur spärlich eingerichtet und
mit wenigen persönlichen Sachen ausgestattet. Nach der Wertung der
Ermittlungspersonen vermittelte der Raum des Klägers keinen bewohnten Eindruck. Der
Kläger gab ab als Begründung für den Zustands des Raumes an, dass dieser gerade
renoviert werde. Ob der Kläger in diesem Raum geschlafen hat, ließ sich im Rahmen
der Wohnungsbegehung nicht feststellen, da das Oberbett zum Zeitpunkt der
Besichtigung (ca. 08.00 Uhr) bereits im Bettkasten verstaut war. Nach den Angaben der
Ermittlungspersonen war das Oberbett allerdings unbezogen. Das Bett im Schlafzimmer
der Zeugin C war zu diesem Zeitpunkt doppelseitig bezogen. Auch die Verteilung der
Kleidungsstücke hat bei der Kammer geringe Zweifel an dem Wahrheitsgehalt der
Angaben des Klägers und der Zeugin C hervorgerufen.
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Allerdings haben diese Gegebenheiten nur indiziellen Charakter, welche eine volle
Überzeugung des Gerichts hinsichtlich des Bestehens einer eheähnlichen
Gemeinschaft bzw. Partnerschaft vorliegend nicht begründen konnten. So stellte sich
die Einrichtung des vom Kläger bewohnten Zimmers bei einem erneuten Hausbesuch
durch den Ermittlungsdienst der Beklagten am 23.10.2008 (Bl. 128 d. VA) bereits
gänzlich anders da. Das Zimmer des Klägers war an diesem Tag vollständig
eingerichtet (Kleiderschrank, Stereoanlage, Fernseher etc.) und auf dem ausgeklappten
Schlafsofa lag noch das bezogene Bettzeug. Dies lässt nach Auffassung der Kammer
eine deutliche Trennung der Wohnbereiche des Klägers und der ZeuginC erkennen,
welche geeignet ist, die Intimsphäre hinreichend zu wahren. Das Gericht hielt es auch
für fernliegend, dass die Raumsituation lediglich im Hinblick auf die Beanstandungen im
letzten Begehungsprotokoll vom 27.05.2008 so "hergerichtet" wurde, da der Kläger für
den damaligen Zustand des Zimmer einen plausiblen und glaubhaften Grund
(Renovierung) angegeben hatte. Zudem musste der Kläger nach zwei vergangenen
Hausbesuchen nicht mehr mit einer Wohnungsbegehung seitens der Beklagten
rechnen.
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Darüber hinaus decken sich die Angaben der Zeugin C mit den Angaben des Klägers
hinsichtlich der Motivation des Zusammenzugs. Beide haben übereinstimmend
angegeben, sich in ihrer Stammgaststätte kennengelernt zu haben. Aufgrund des Todes
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des Ehemannes der Zeugin C geriet diese hinsichtlich der Begleichung der
Mietzahlungen in finanzielle Probleme und suchte deshalb einen Untermieter. Der
Kläger, welcher aufgrund gesundheitlicher Beeinträchtigungen eine Wohnung in
unteren Geschossen suchte, kam sodann mit der Zeugin C ins Gespräch. Da der Kläger
aufgrund seiner finanziellen Situation Probleme bei der Wohnungssuche hatte, einigte
man sich darauf, dass dieser als Untermieter bei der Zeugin C einziehen sollte. Der
Vortrag der Zeugin ist insoweit nachvollziehbar und glaubhaft. Die Glaubhaftigkeit der
Aussage wird insbesondere dadurch unterstützt, dass der Untermietvertrag zwischen
dem Kläger und der Zeugin C (Bl. I 1 d. VA) bereits am 18.11.2002 - und mithin vor
Beginn des Leistungsbezugs - unterzeichnet wurde.
Letztlich hat die Zeugin C glaubhaft vorgetragen, dass Sie den Kläger in keinerlei
Hinsicht finanziell unterstütze. So liegen insbesondere keine gemeinsamen Konten
bzw. Kontovollmachten vor und jeder kauft die Dinge des täglichen Bedarfs in eigener
Verantwortung für sich selber ein. Der Kläger zahlt regelmäßig eine (Pauschal-) Miete
an die Zeugin C, welche durch Mietquittungen belegt wird. Es werden keine
gemeinsamen Urlaube verbracht und - mit Ausnahme gelegentlicher Feiern bei den
Nachbarn - auch keine gemeinsamen Aktivitäten unternommen. Letztlich hat die Zeugin
C auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts glaubhaft angegeben, dass Sie dem Kläger
auch in Notsituationen kein Geld schenken würde.
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Mithin war die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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