Urteil des SozG Düsseldorf vom 09.12.2008

SozG Düsseldorf: freiwillige versicherung, versicherungsschutz, arbeitsunfall, unfallversicherung, schwiegersohn, verwandter, abhängigkeit, versicherter, arbeitsmarkt, gefälligkeitsleistung

Sozialgericht Düsseldorf, S 6 U 119/06
Datum:
09.12.2008
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
6. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
S 6 U 119/06
Sachgebiet:
Unfallversicherung
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
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Die Klägerin verlangt - als Rechtsnachfolgerin ihres inzwischen verstorbenen
Ehemannes - von der Beklagten die Gewährung von Versicherungsschutz aus der
Gesetzlichen Unfallversicherung nach dem SGB VII (Sozialgesetzbuch - Siebtes Buch -
Gesetzliche Unfallversicherung). Sie ist der Meinung, es liege ein Arbeitsunfall vor.
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Am 21.01.2006 gegen 11:30 Uhr fiel der - in N wohnhaft gewesene - Ehemann der
Klägerin von einer Leiter und erlitt dadurch eine Beckenringfraktur
(Durchgangsarztbericht vom 30.01.2006). Er hatte seiner Tochter und seinem
zukünftigen Schwiegersohn beim Neubau ihres Einfamilienhauses - in W - geholfen.
Die Tätigkeit dauerte - unfallbedingt - nur etwa 2 ½ Stunden. Die gesamte Tätigkeit
sollte - nach den zunächst vom Ehemann der Klägerin gemachten Angaben - insgesamt
2 Tage dauern; nach seinen Angaben sei er damit beschäftigt gewesen, von der
Oberkante des Mauerwerks vom Kalksandstein ein Stück wegzustemmen; hierbei sei er
dann mit dem Hammer abgerutscht und habe den Halt auf der Leiter verloren
(Fragebogen der Beklagten vom 01.03.2006 - ausgefüllt vom Ehemann der Klägerin am
19.03.2006).
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Die Beklagte lehnte Versicherungsschutz ab (Bescheid vom 20.07.2006). Sie ging
davon aus, der Kläger sei weder als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) noch wie
ein solcher (§ 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII) tätig geworden; die zum Unfall führende Tätigkeit
sei - nach Art und Umfang sowie Zeitdauer - als - unversicherte - freundschaftliche
Gefälligkeitsleistung anzusehen (Widerspruchsbescheid vom 22.09.2006). Wegen der
näheren Einzelheiten wird auf den Inhalt beider Bescheide Bezug genommen.
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Mit der - zunächst vom Ehemann der Klägerin persönlich erhobenen Klage - verfolgt die
Klägerin - nach dem Tode ihres Ehemannes - das Begehren weiter. Im Wesentlichen
wird vorgetragen, es sei eine Hilfeleistung von insgesamt 14 Arbeitstagen geplant
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gewesen. Neben den am Unfalltag ausgeführten Arbeiten sei nach die Verlegung des
Estrichs sowie der Ausbau des Dachgeschosses geplant gewesen, hier habe der
Ehemann der Klägerin - zusammen mit einer weiteren Hilfskraft - das gesamte Gewerk
des Trockeninnenausbaus ausführen sollen (Schriftsatz vom 14.12.2006). Wegen der
näheren Einzelheiten wird auf den restlichen Inhalt der zu den Akten gereichten
Schriftsätze verwiesen.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 20.07.2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 22.09.2006 festzustellen, dass das Ereignis vom
21.01.2006 ein Arbeitsunfall ist.
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Der Beklagtenvertreter beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte bezweifelt die jetzt vorgetragene Gesamtdauer des geplanten
Arbeitseinsatzes und weist darauf hin, dass der Verstorbene einen geplanten
Arbeitseinsatz von nur 2 Tagen noch in der Widerspruchsbegründung bestätigt habe
(Schriftsatz vom 24.01.2007). Auch hier wird - zur Vermeidung unnötiger
Wiederholungen - auf den restlichen Inhalt der von ihr zu den Akten gereichten
Schriftsätze Bezug genommen.
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Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes auf den
restlichen Inhalt der Streit- sowie der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, auch
dieser ist Gegenstand der ausführlichen mündlichen Verhandlung gewesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zulässig aber nicht begründet.
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Zu Recht hat die Beklagte es abgelehnt, das Ereignis vom 21.01.2006 als Arbeitsunfall
anzuerkennen. Der Verstorbene war bei der zum Unfall führenden Tätigkeit nicht
unfallversichert im Sinne des Rechts der Gesetzlichen Unfallversicherung. Ein
Arbeitsunfall setzt gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII einen Unfall voraus, den ein
Versicherter bei einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII
begründeten Tätigkeit erleidet. Eine freiwillige Versicherung (§ 6 SGB VII) oder eine
solche kraft Satzung (§ 3 SGB VII) scheidet hier von vornherein aus und auch keiner der
Tatbestände der Versicherung kraft Gesetzes (§ 2 SGB VII) ist erfüllt. Der Ehemann der
Klägerin war weder als Beschäftigter (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) noch wie ein solcher (§
2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII) tätig (dazu sogleich näher). Auch andere in § 2 SGB VII
geregelte Tatbestände kommen nicht in Betracht, insbesondere sind auch die
Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 16 SGB VII nicht gegeben, nicht jede Selbsthilfe
beim Bau von Wohnraum steht unter Versicherungsschutz.
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Ein Beschäftigungsverhältnis zwischen dem Ehemann der Klägerin und seinem
zukünftigen Schwiegersohn als Bauherrn bzw. seiner Tochter lag - unstreitig - nicht vor.
Dies würde als wesentliches Merkmal eine unselbständige Arbeit voraussetzen, wie sie
insbesondere in einem Arbeitsverhältnis geleistet wird, und eine persönliche
Abhängigkeit vom Arbeitgeber, dessen Direktionsrecht der Beschäftigte unterliegt, sei
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es durch Weisungsgebundenheit oder Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers.
Dies war nicht gegeben, da der Kläger nicht bei seiner Berufstätigkeit verunglückte,
sondern in seiner Freizeit aus freiem Willen seiner Tochter und seinem zukünftigen
Schwiegersohn geholfen hat.
Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII sind auch Personen gegen Arbeitsunfall versichert,
die wie ein nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Versicherter tätig werden. Diese Vorschrift
erfordert keine persönliche Abhängigkeit von einem Unternehmer. Vielmehr ist es
ausreichend, dass eine ernstliche, dem fremden Unternehmen dienende Tätigkeit
verrichtet wird, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers
entspricht und die ihrer Art nach auch von Personen verrichtet werden könnte, die in
einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen
und die ungeachtet des Beweggrundes für den Entschluss, tätig zu werden, unter
solchen Umständen geleistet wird, dass sich einer Tätigkeit auf Grund eines
Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist (ständige Rechtsprechung des BSG
(Bundessozialgericht) - vgl. Urteil - B 2 U 35/04 R - vom 31.05.2005 (jurisRn. 16f.) und
Urteil - B 2 U 22/04 R - vom 05.07.2005 (jurisRn. 12) sowie Urteil - B 2 U 35/06 R - vom
26.06.2007 (jurisRn. 18)).
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Allerdings wird nicht jede Tätigkeit, die einem Unternehmen objektiv nützlich und ihrer
Art nach sonst üblicherweise dem allgemeinen Arbeitsmarkt zugänglich ist,
beschäftigtenähnlich verrichtet. Vielmehr kommt der mit dem - objektiv
arbeitnehmerähnlichen - Verhalten verbundenen Handlungstendenz, welche vom
bloßen Motiv für das Tätigwerden zu unterscheiden ist, ausschlaggebende Bedeutung
zu (ständige Rechtsprechung des BSG - vgl. Urteil - B 2 U 8/01 R - vom 05.03.2002
(jurisRn. 24) und Urteil - B 2 U 22/04 R - vom 05.07.2005 (jurisRn. 13); zum Ganzen
siehe auch: Krasney, Die "Wie-Beschäftigten" nach § 2 Abs 2 Satz 1 SGB VII, NZS
1999, S. 577 bis 584).
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Grundsätzlich schließen auch Verwandtschafts-, Freundschafts- und
Gefälligkeitsdienste einen Versicherungsschutz nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII nicht
aus. Ein Verwandter wird allerdings dann nicht wie ein Beschäftigter, sondern eben als
Verwandter tätig, wenn die zum Unfall führende Verrichtung nach Art und Umfang sowie
Zeitdauer durch das verwandtschaftliche Verhältnis geprägt ist. Nach der gefestigten
Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil - 2 RU 46/91 - vom 29.09.1992 (jurisRn. 17) und
Urteil - 2 RU 38/92 - vom 20.04.1993 (jurisRn. 13)), der die Kammer ebenfalls folgt,
schließen unter Verwandten vorgenommene Gefälligkeitshandlungen einen
Versicherungsschutz - nach § 2 Abs. 2 SGB VII - aus, wenn diese ihr gesamtes Gepräge
durch die familiären Bindungen zwischen den Angehörigen erhalten.
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Je enger die verwandtschaftliche Beziehung ist, um so eher erscheint die Annahme
gerechtfertigt, dass es sich um Gefälligkeitsdienste handelte, die ihr Gepräge allein
durch die familiären Beziehungen erhalten und deshalb nicht mehr als
arbeitnehmerähnlich angesehen werden können. Dabei sind die Stärke der
tatsächlichen verwandtschaftlichen Beziehungen und die gesamten Umstände des
Einzelfalls zu berücksichtigen, insbesondere Art, Umfang und Zeitdauer der
vorgesehenen Tätigkeit (BSG - a.a.O.; vgl. auch Urteil des LSG (Landessozialgericht)
Nordrhein-Westfalen - L 4 U 47/06 - vom 02.03.2007 (jurisRn. 31)). Eine festen
Stundengrenze für die Beurteilung der Versicherungspflicht bei Gefälligkeitsdiensten
existiert nicht. Entscheidend ist vielmehr stets das Gesamtbild der gegenseitig im
Rahmen der Familien- und Freundschaftsbande geleisteten Gefälligkeiten. Hierbei ist
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nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigen, dass für das Eltern-Kind-Verhältnis
besondere Pflichten bestehen (§ 1618a BGB (Bürgerliches Gesetzbuch)), die eine
erhöhte Erwartung an die Hilfsbereitschaft rechtfertigen (ebenso Urteil des Bayerischen
LSG - L 2 U 28/08 - vom 28.05.2008 (jurisRn. 20 m.w.N.)).
Von der Rechtsprechung wurde beispielsweise ein Zeitaufwand für
Renovierungsarbeiten durch Schwiegereltern von 35/40 Stunden noch als im Rahmen
rein familiärer Gefälligkeit liegend beurteilt (Urteil des BSG - 2 RU 46/91 - vom
29.09.1992). Eine Hilfeleistung bei Bauarbeiten von 74 Stunden unter Brüdern wurde
ebenfalls noch als familiär geprägt gewertet (Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen - L 17
U 48/98 - vom 24.06.1998). Auch ein insgesamt vorgesehener Zeitaufwand von 140
Stunden bei Bauarbeiten wurde noch als verwandtschaftliche Gefälligkeitsleistung
eines Schwiegervater angenommen (Urteil des Bayerischen LSG - L 17 U 166/04 - vom
05.12.2006). Und selbst bei einer bereits geleisteten Tätigkeit von 50 bzw. 95
Arbeitsstunden und beabsichtigten weiteren 200 bis 300 Stunden für Maurerarbeiten
durch den Vater wurde der Rahmen einer familiär geprägten Hilfeleistung noch nicht als
überschritten angesehen (Urteil des Bayerischen LSG - L 2 U 140/06 - vom 14.02.2007).
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Vor diesem Hintergrund kann es nach Auffassung des Gerichts auch dahingestellt
bleiben, ob die zunächst gemachte Angabe des Ehemannes der Klägerin, es sei eine
Tätigkeit von (nur) 2 Tagen beabsichtigt, oder die später im Klageverfahren gemachten
Ausführungen, es sei insgesamt eine Tätigkeit von 14 Arbeitstagen geplant gewesen,
zutreffend ist. Dies ändert nach Auffassung der Kammer an der Bewertung nichts. Auch
bei Annahme einer insgesamt 14 Arbeitstage ausmachenden Tätigkeit, war die
Hilfeleistung nach Auffassung der Kammer durchaus noch familiär geprägt und der
Ehemann der Kläger - als Vater bzw. zukünftige Schwiegervater - leistete die
Tätigkeiten eben nicht wie ein Beschäftigter. Bei der Nähe der verwandtschaftlichen
Beziehung zwischen Vater und Tochter war eine solche Gefälligkeit durchaus zu
erwarten. Hierbei ist unerheblich, dass zu dem Verlobten der Tochter noch kein
verwandtschaftliches Verhältnis bestand.
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Im Übrigen folgt die Kammer nach eigener Prüfung der Begründung in den
angefochtenen Bescheiden und sieht daher gemäß § 136 Abs. 3 SGG
(Sozialgerichtsgesetz) von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
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