Urteil des SozG Düsseldorf vom 07.11.2002

SozG Düsseldorf (Auflösung der Gesellschaft, Fristlose Kündigung, Rechtsform, Unternehmen, Abgabe, Beendigung, Gesellschafter, Leistungserbringer, Berechtigung, Erlass)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Sachgebiet:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Sozialgericht Düsseldorf, S 4 KR 163/02 ER
07.11.2002
Sozialgericht Düsseldorf
4. Kammer
Beschluss
S 4 KR 163/02 ER
Krankenversicherung
rechtskräftig
1. Die Antragsgegnerin wird vorläufig bis zum Abschluss des
Hauptverfahrens verpflichtet, dem Antragsteller Sachleistungen
häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V gegenüber Versicherten der
Antragsgegnerin erbringen zu lassen und diese Leistungen entsprechend
der Vergütungsvereinbarung des Rahmenvertrages zwischen der
Antragsgegnerin und dem Landesverband freie ambulante
Krankenpflege e.V. (LfK) nach § 132a II SGB V zu vergüten. 2. Die
Antragsgegnerin trägt die gerichtlichen und außergerichtlichen Kosten
des Verfahrens.
Gründe:
I.
Der Antragsteller begehrt die einstweilige Feststellung, berechtigt zu sein, für Versicherte
der Antragsgegnerin Leistungen häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V zu Lasten der
Antragsgegnerin erbringen zu dürfen und Anspruch auf Vergütung nach der
Vergütungsvereinbarung des Rahmenvertrages zwischen der Antragsgegnerin und dem
LfK zu haben.
Der Antragsteller gründete als examinierter Krankenpfleger im 00.1999 ein häusliches
Krankenpflegeunternehmen und führte dies seit 00.1999 in Form einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts (GbR) mit L Q, einem examinierten Altenpfleger, fort. Der zunächst mit
der Antragsgegnerin geschlossene Vertrag zur Abgabe häuslicher
Krankenpflegeleistungen vom 06.04.1999 wurde durch einen neuen Vertrag mit der GbR
vom 28.07.2000 mit Rückwirkung auf den 01.03.1999 abgelöst.
Mit Schreiben vom 15.07.2002 zeigte der Antragsteller den Antragsgegnern an, dass die
bestehende GbR: "Häusliche Krankenpflege B B/L Q Pernak GbR" zum 31.07.2002
aufgelöst werde. Sowohl Herr Q als auch Herr B blieben als separate Vertragspartner
erhalten.
Mit Schreiben vom 06.08.2002 teilte die Antragsgegnerin zu 1) dem Antragsteller mit, dass
der Vertrag zum 31.07.2002 durch Ausscheiden des Klaus Q ende und der Antragsteller
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einen neuen Antrag auf Zulassung stellen müsse.
Mit Auseinandersetzungsvereinbarung vom 23.08.2002 zwischen den bisherigen
Gesellschaftern der GbR wurde vereinbart, dass der Antragsteller den Geschäftsbetrieb ab
dem 01.08.2002 mit allen Aktiva und Passiva vorbehaltlich der nachstehenden
Bestimmungen übernehme. Des weiteren übernehme der Antragsteller den Mietvertrag
über das Ladenlokal in S. Es wurde festgestellt, dass die Arbeitsverträge mit den
Arbeitnehmern der GbR bereits von dem Antragsteller übernommen worden wären.
Da die Antragsgegnerin sich weigerte, mit dem Antragsteller einen neuen Vertrag nach §
132a Abs. 2 SGB V zu schließen, beantragte der Antragsteller am 18.10.2002 den Erlass
einer einstweiligen Anordnung zwecks Abgabe von Leistungen häuslicher Krankenpflege
an Versicherte der Antragsgegnerin zu deren Lasten und Vergütung entsprechend dem
Rahmenvertrag mit dem LfK.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin sei der ursprünglich geschlossene Vertrag
nicht wirksam zum 01.08.2002 aufgelöst, sondern bestehe weiter. Der Vertrag enthalte
keine Klausel, dass er automatisch seine Beendigung fände, wenn sich bei dem
Leistungserbringer eine Änderung der Rechtsform ergäbe oder ein Gesellschafter aus der
GbR ausscheide. Eine solche Auslegung des Vertrages wäre auch völlig unbillig und
wenig sachgerecht. Bei einem bestehenden Betrieb mit hohen laufenden Sach- und
Personalkosten könnte der Betrieb nur kurzfristig überleben, wenn eine große Kasse die
Verträge entzöge. Der Schutz von Artikel 12 und Artikel 14 GG würde ausgehebelt, wenn
die Antragsgegnerin berechtigt wäre, allein aufgrund der Änderung der Rechtsform oder
aufgrund des Ausscheidens eines Gesellschafters den Leistungserbringer vom Markt zu
verdrängen, ohne dass sie sich an die vertraglichen oder gesetzlichen
Kündigungsvorschriften halten müsste. Selbst wenn man jedoch davon ausginge, dass der
Vertrag zum 01.08.2002 wirksam aufgelöst worden wäre, sollte der Antragsteller gegen die
Antragsgegnerin keinen Anspruch auf Erbringung von Sachleistungen nach § 37 SGB V
und Abrechnung dieser Leistungen nach § 132a Abs. 2 SGB V haben, da die
Nichtgewährung des Vertragsabschlusses und damit der Zulassung zumindest
rechtswidrig sei. Durch das Verhalten der Antragsgegnerin hätten einige Arbeitnehmer die
Existenz ihres Arbeitsplatzes gefährdet gesehen und sich daher neue
Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht. Der Pflegedienst wäre daher völlig unnötig einem
enormen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt worden.
Es bestehe auch ein Anordnungsgrund. Durch den Entzug des Vertrages bzw. durch die
Nichterteilung eines neuen Vertrages werde die Existenz des Pflegedienstes gefährdet.
Seit August 2002 würden die erbrachten Leistungen nicht mehr vergütet. Der Antragsteller
habe inzwischen offenstehende Leistungen im SGB XI und im SGB V-Bereich von ca.
00.000,00 Euro. Auf der anderen Seite könne er seine eigenen Rechnungen nicht
bezahlen. Gegen ihn bestünden Forderungen in Höhe von 00.000,00 Euro, die er zurzeit
nicht begleichen könne. Trotz der Schulden müssten die wichtigsten laufenden
Investitionen - wie etwa das Betanken der einzelnen Fahrzeuge - weiter sichergestellt
werden. Ferner drohe dem Antragsteller der Verlust von Kunden und von Mitarbeitern,
wenn die Situation weiterhin gesichert sei. Somit sei die Existenz des Antragstellers stark
gefährdet.
Der Antragsteller beantragt,
die Antragsgegnerin wird vorläufig, bis zum Abschluss des Hauptverfahrens, verpflichtet,
dem Antragsteller Sachleistungen häuslicher Krankenpflege nach § 37 SGB V gegenüber
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Versicherten der Antragsgegnerin erbringen zu lassen und diesen Leistungen
entsprechend der Vergütungsvereinbarung des Rahmenvertrages zwischen der
Antragsgegnerin und dem Landesverband freie ambulante Krankenpflege e.V. (LfK) nach §
132a ABs. 2 SGB V zu vergüten.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag aufgrund einer mündlichen Verhandlung zurückzuweisen.
Der Vertrag sei durch Auflösung der GbR beendet. Es sei nicht bekannt, ob die
Gesellschaft durch den Gesellschafter oder einen Pfändungsgläubiger gekündigt worden
wäre. Es fände eine Auseinandersetzung der Gesellschafter statt. Nachweise über die
stellvertretende Pflegedienstleistung und des Personals fehlten. Der MDK hätte im April
2002 im Rahmen einer Qualitätsprüfung gemäß § 114 SGB XI erhebliche Mängel
festgestellt.
Auf Anfrage des Gerichtes teilte der Antragsteller mit, dass die stellvertretende
Pflegedienstleistung von Frau W F wahrgenommen würde. Die Kopie einer Urkunde zur
Führung der Berufsbezeichnung Krankenschwester vom 05.05.1992 wurde beigefügt.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig.
Gemäß § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der Fassung ab 02.01.2002 kann das
Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den
Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des
bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder
wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung
eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn
eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Es besteht ein Anordnungsanspruch.
Zu Unrecht hat die Antragsgegnerin festgestellt, dass durch das Ausscheiden des
Gesellschafters L Q die Berechtigung des Antragstellers zur Abgabe von häuslicher
Pflegeleistung an Versicherte der Antragsgegnerin zu deren Lasten entfallen ist und der
Antragsteller keinen Vergütungsanspruch mehr hat. Unternehmen häuslicher
Krankenpflege haben bei Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen einen
Rechtsanspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages nach § 132a Abs. 2 SGB V.
Den gesetzlichen Krankenkassen steht dabei weder ein Ermessensspielraum zu noch sind
sie berechtigt, eine Bedarfsprüfung vorzunehmen. Für den Anspruch auf Abschluss eines
Versorgungsvertrages spielt die Rechtsform der Führung des Unternehmens wie auch bei
der Abgabe von Heilmitteln keine Rolle. Das BSG hat mit Urteil vom 29.05.1995 (3 Rk
36/94) festgestellt, dass die Krankenkassenverbände bei der Zulassung von
Heilmittelerbringern die berufsrechliche Zulässigkeit der gewählten Rechtsform - dort eine
GmbH - nicht eigenständig zu prüfen haben. Aufgrund der in Artikel 12 GG gewährleisteten
Berufsfreiheit sei die Ausübung des Berufs als Krankengymnast in eigener Praxis durch
eine GmbH zulässig, wenn der verantwortliche Leiter zur Führung des erforderlichen
Befähigungsnachweises berechtigt sei und in der fachlichen Leitung durch die GmbH nicht
eingeschränkt werde. Gleiches muss auch für die Zulassung von Unternehmen zur Abgabe
häuslicher Krankenpflegeleistungen gelten. Auch wenn bei häuslicher Krankenpflege die
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Zulassung nicht durch Verwaltungsakt, sondern durch Abschluss eines
Versorgungsvertrages erfolgt, so spielt die Rechtsform, in der das Unternehmen geführt
wird, für die Zulassung keine Rolle. Für die Frage, ob aufgrund einer Änderung der
Rechtsform des Unternehmens die Berechtigung zur Abgabe von Sachleistungen
häuslicher Krankenpflege zu Lasten der Kassen automatisch entfällt, kommt es entgegen
der Auffassung der Antragsgegnerin nicht ausschließlich auf die formalrechtliche
Beendigung des Versorgungsvertrages aufgrund der Auflösung der Gesellschaft an,
sondern es ist hier zusätzlich zu berücksichtigen, dass das Unternehmen als solches unter
dem Schutz des Artikels 12 GG steht. Wird das Unternehmen im Rahmen einer
Betriebsübergabe fortgesetzt, so bleibt der Schutz des Artikels 12 GG für das Unternehmen
erhalten, auch dann, wenn aufgrund der Änderung der Rechtsform der
Unternehmensführung formalrechtlich der Vertrag beendet ist. Der Schutz des Artikels 12
GG erfasst den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Wie sich aus der
Auseinandersetzungsvereinbarung ergibt, hat der Antragsteller alle Aktiva und Passiva,
den Mietvertrag und alle Arbeitsverträge übernommen. Für eine Betriebsübernahme im
Sinne des § 613a BGB kommt es nicht darauf an, ob ausnahmslos sämtliche Betriebsmittel
übernommen werden. Im vorliegenden Fall liegt daher hier eine Betriebsübernahme auf
den Antragsteller vor. Der Betrieb des Antragstellers steht daher nach wie vor unter dem
Schutz des Artikels 12, auch wenn der Versorgungsvertrag formalrechtlich seine
Beendigung gefunden hat. Der aus Artikel 12 GG sich ergebende Schutz erfordert daher
hier eine Fortwirkung des bisherigen Versorgungsvertrages. Eine Beendigung dieses
Versorgungsvertrages kann daher nur einvernehmlich oder unter Beachtung der im Vertrag
vorgesehenen Kündigungsmöglichkeiten erfolgen. Eine Kündigung des Vertrages liegt hier
nach dem unstreitigen Vorbringen beider Beteiligten nicht vor.
Die Frage, ob die von der Antragsgegnerin angegebenen Qualitätsmängel und
Vertragsverstöße eine fristlose Kündigung rechtfertigen, kann daher hier im vorliegenden
Verfahren nicht berücksichtigt werden. Es braucht daher auf das Gutachten des MDK vom
25.04.2002 nicht eingegangen werden.
Es besteht auch ein Anordnungsgrund. Der Antragsteller hat glaubhaft versichert, dass
durch die seit 01.08.2002 bestehende Situation, dass Leistungen nicht mehr vergütet
werden, die Existenz des Unternehmens bedroht ist. Angesichts der vom Antragsteller
dargelegten finanziellen Situation ist diese Gefahr glaubhaft dargelegt. Wegen der
existenziellen Gefährdung des Antragstellers konnte auch dem Antrag der Antragsgegnerin
auf Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung nicht stattgegeben werden, da dies
dem Gericht in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht möglich war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.