Urteil des SozG Düsseldorf vom 20.06.2006

SozG Düsseldorf: behinderung, wirbelsäulenleiden, kniegelenksleiden, gehörleiden, schwerhörigkeit, kniegelenkserkrankung, form, rechtskraft, lendenwirbelsäulensyndrom, hautleiden

Sozialgericht Düsseldorf, S 35 (28,6) SB 138/04
Datum:
20.06.2006
Gericht:
Sozialgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
35. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
S 35 (28,6) SB 138/04
Sachgebiet:
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Rechtskraft:
nicht rechtskräftig
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, unter entsprechender Abänderung des
Bescheides vom 10.12.2003 und des Widerspruchsbescheides vom 21.
April 2004, beim Kläger einen Gesamt-GdB von 60 festzustellen. Die
weitergehende Klage wird abgewiesen. Die Beklagte trägt die
erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu einem
Viertel.
Tatbestand:
1
Bei dem 1946 geborenen Kläger hatte die Beklagte mit Ausführungsbescheid vom
04.03.2003 einen Gesamt-GdB von 50 wegen folgender Behinderungen festgestellt:
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1. Schwerhörigkeit rechts und links (Einzel-GdB 30)
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2. Funktionseinschränkung der Kniegelenke links stärker als rechts, Knieknorpel-
schaden links mit wiederkehrenden Reizzuständen (Einzel-GdB 30)
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3. degeneratives Lendenwirbelsäulensyndrom bei Fehlstatik (Einzel-GdB 20)
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4. Funktionseinschränkung des linken Ellenbogengelenkes (Einzel-GdB 10)
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5. Hautleiden (Einzel-GdB 10).
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Im Juli 2003 stellte der Kläger einen Änderungsantrag.
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Die Beklagte holte daraufhin Befundberichte von den Ärzten des Klägers ein und erteilte
unter dem 10.12.2003 einen Bescheid, wonach eine wesentliche Änderung in den
gesundheitlichen Veränderungen des Klägers nicht eingetreten sei, es also bei einem
GdB von 50 verbleibe und die Voraussetzungen für die Bewilligung des Merkzeichens
"erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr - G -" nicht
vorliegen.
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Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er vortrug, seine Leiden hätten
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sich erheblich verschlimmert. Der GdB müsse mit mindestens 60 festgestellt werden.
Außerdem lägen in seiner Person die Voraussetzungen für die Gewährung des
Nachteilsausgleich "G" vor.
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin versorgungsärztlich von dem Chirurgen I
begutachten. Nach dessen Auffassung wurden die Behinderungen beim Kläger mit
einem Gesamt GdB von 50 zutreffend bewertet. Die Voraussetzungen für die
Gewährung des Nachteilsausgleichs "G" seien nicht gegeben.
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Mit Bescheid vom 21. April 2004 wies die Beklagte den Widerspruch als sachlich
unbegründet zurück.
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Hiergegen richtet sich die am 4. Mai 2004 bei Gericht eingegangene Klage mit der der
Kläger die Auffassung vertritt, die Behinderungen seien nicht ausreichend bewertet
worden.
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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
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den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2003 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 21. April 2004 aufzuheben und die Beklagte zu
verurteilen, beim Kläger das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für den
Nachteilsausgleich "G" anzuerkennen, sowie einen Gesamt-GdB von 80 festzustellen.
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Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
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die Klage abzuweisen.
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Das Gericht hat zur Sachverhaltsaufklärung Gutachten von dem HNO-Arzt T und dem
Orthopäden B eingeholt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten den Sach- und Streitstandes wird auf die zu den
Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
20
Das Gericht kann vorliegend durch Gerichtsbescheid (§ 105 SGG) entscheiden, denn
der Sachverhalt ist aufgeklärt und die der Entscheidung zugrunde liegenden
Rechtsfragen sind einfacher Natur. Im Übrigen haben die Beteiligten eine solche
Entscheidung gewünscht.
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Die form- und fristgerecht erhobene und daher zulässige Klage ist in dem tenorierten
Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
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Das Gericht nimmt wegen der Rechtsgrundlagen, nach denen hier der Gesamt-GdB zu
bilden ist und nach denen der vom Kläger begehrte Nachteilsausgleich "G" zu
gewähren ist Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid.
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Nach Maßgabe dieser Vorschriften ist beim Kläger ein Gesamt-GdB von 60
festzustellen, denn in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers ist gegenüber
der letzten Feststellung aus dem Jahre 2003 eine wesentliche Änderung eingetreten.
Der Kläger leidet nunmehr an einer Taubheit rechts und mittelgradigen Schwerhörigkeit
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links, die mit einem GdB von 40 zu bewerten ist. Insoweit folgt die Kammer dem
Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen T.
Im Übrigen leidet der Kläger weiterhin an einer Funktionseinschränkung der
Kniegelenke links stärker als rechts, mit Knieknorpelschaden links und
wiederkehrenden Reizzuständen. Diese Behinderung ist mit einem Einzel-GdB von 30
zu bewerten. Die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen B ist insoweit
unrichtig. Die fehlende Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks rechtfertigt
nicht, die Behinderung lediglich mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach dem
Beschluss des ärztlichen Sachverständigenbeirats vom 25/26.11.1998 sind
ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke auch ohne Bewegungseinschränkungen
mit einem GdB von 30 zu bewerten. Im Übrigen verkennt der Sachverständige - ebenso
wie die Sozialmedizinerin der Beklagten, Frau S, in ihrer Stellungnahme vom
09.12.2004 - dass die Knorpelschäden der Kniegelenke nicht für jedes Kniegelenk
einzeln bewertet werden dürfen. Punkt 18 (4) der Anhaltspunkte erlaubt nur die Bildung
eines (Einzel-) GdB für ein Funktionssystem (hier Beine). Das Gericht folgt daher der
Einschätzung des Chirurgen I, der - für beide Kniegelenke zusammen - von einem
Einzel-GdB von 30 ausgeht.
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Darüber hinaus leidet der Kläger an degenerativen Wirbelsäulenveränderungen, mit
mittelgradigen funktionellen Beeinträchtigungen. Diese Behinderung ist mit einem
Einzel-GdB von 20 zu bewerten (26.18 der Anhaltspunkte).
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Aus den so ermittelten Einzelgraden der Behinderung ist ein Gesamt-GdB von 60 zu
bilden. Ausgehend von der höchsten Einzelbehinderung von 40 für das Gehörleiden
führt sowohl das Wirbelsäulenleiden als auch das Kniegelenksleiden zu einer
Anhebung des GdB von jeweils 10, weil beide Behinderungen unabhängig von dem
Gehörleiden bestehen und sich in ganz unterschiedlichen Bereichen des täglichen
Lebens auswirken (siehe hierzu Punkt 19 der Anhaltspunkte). Die Abweichung von den
Feststellungen des Sachverständigen B zum Gesamt - GdB resultiert aus der
abweichenden Einschätzung des Einzel -GdB für das Kniegelenksleiden.
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Die Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" liegen indessen nicht vor. Nach
Punkt 30 (3) der "Anhaltspunkte" sind die Voraussetzungen für die Annahme einer
erheblichlichen Gehbehinderung erfüllt, wenn Behinderungen der unteren Gliedmaßen
vorliegen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Diese Voraussetzungen
erfüllt der Kläger nicht. Unter Berücksichtigung dessen, dass bei der Bildung des
Gesamt- GdB (für Behinderungen der unteren Gliedmaßen) eine Addition nicht
stattfinden darf (Punkt 19 der Anhaltspunkte), kann aus den Einzelgraden der
Behinderung von 30 für das Kniegelenksleiden und 20 für das Wirbelsäulenleiden
selbst dann kein GdB von 50 gebildet werden, wenn man das Wirbelsäulenleiden
vollständig dem Bereich der unteren Gliedmaßen zuschlagen würde.
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Im Übrigen liegen Behinderungen der unteren Gliedmaßen mit einem (Gesamt-) GdB
von 40, die sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken (vergleiche Punkt 30 (3) der
"Anhaltspunkte") ebenfalls nicht vor. Der Kläger leidet zwar an einer
Kniegelenkserkrankung, nicht aber an der von den Anhaltspunkten geforderten
Versteifung eines Kniegelenkes, die es ausnahmsweise rechtfertigen würde, schon bei
einem GdB von 40 den Nachteilsausgleich "G" zu gewähren.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger
30
mit seinem Gesamtbegehren (GdB 80 und Nachteilsausgleich "G") nur zu einem
geringen Teil durchgedrungen ist.